Die Metapher des menschlichen Selbstes kann im Sinne von Carl Gustav Jung als ein Kreis vorgestellt werden, der die Totalität der Persönlichkeit umfaßt, also sowohl das unbewußte wie das bewußte Seelenleben, wie es sich im Ich-Bewußtsein konzentriert. Dieses letztere ragt gleichsam wie eine allseits vom Meere umbrandete Insel aus den Fluten des >Unbewußten< auf, die das Oberbewußtsein bedrohen und vor denen es sich abschirmen muß.
Dennoch besteht die Integration der ganzen Persönlichkeit in einer neuen Synthese zwischen dem >Unbewußten< und dem Oberbewußtseins. Diese Synthese wird vom Unterbewußtsein auch angestrebt, das die Ergänzung zum Tagesbewußtsein bildet. In diesem Sinne ist Kain die notwendige Ergänzung zu Abel, Wagner die >Schattenfigur< zu Faust. So trägt jeder Mensch in seinem Unterbewußtsein einen >Schatten<, der die Kompensation zu seinem bewußten Seelenleben darstellt. Aus diesen unbewußten Tiefen kommen die Impulse, die den Menschen mit der Nabelschnur der großen Mutter verbinden, von der ihn sein intellektuelles Bewußtsein gelöst hat. Sie erscheinen in den Initialträumen, deren Symbole in alten Mythen und Legenden sowie in der Alchimie schon bekannt waren. Es sind die >Archetypen<, die aus dem kollektiven Gattungsbewußtsein stammen und die den Menschen als Erbteil auf seinem Individuationswege mit der großen Mutter verbinden.
Diese Entdeckung hat Jung berühmt gemacht, und sie ist auch genial. Während Freud das Unbewußte als den Libido deutet und alles vom Sexus her erklären will, Adler im Unbewußten die versteckten Machtimpulse erblickt, hat Jung die weisheitsvollen Kräfte im Kollektivbewußtsein (dem >Schatten<) entdeckt, die sich in der Symbolik aller Zeiten und Völker der Vergangenheit finden. Daraus ergeben sich nicht nur bemerkenswerte Einsichten in die Religionsgeschichte und die Psychologie, sondern auch Erkenntnisse, die für das Seelenleben des modernen Menschen von Bedeutung sind: >Denn die Religionsgeschichte im weitesten Sinne dieses Begriffes (also inkl. Mythologie, Folklore und primitive Psychologie) stellt das Schatzhaus archetypischer Gestaltungen dar, daraus der Arzt hilfreiche Parallelen und erläuternde Vergleiche ziehen kann, bestimmt zur Beruhigung und Aufklärung des in seiner Orientierung schwer gestörten Bewußtseins. (Jung)
Wer sich längere Zeiten mit den Werken C.G.Jungs beschäftigt hat, dem kann es wie einem Wanderer ergehen, der sich immer tiefer in das ausweglose Dickicht eines Dschungels verstrickt sieht, das ihn wie ein Labyrinth von allen Seiten umgibt. Er sieht sich in einen Traum verstrickt, aus dem es keine Erwachen gibt. Jung gleicht einem Träumer, der sich vor dem Erwachen fürchtet und der jedesmal, wenn er vor die Entscheidung des Erwachens gestellt wird, ängstlich zurückzuckt. Um der sogenannten wissenschaftlichen >Objektivität< willen enthält er sich jeder in die Tiefen gehenden denkerischen Begriffsbildung und stellt nur die Phänomene hin. Dies ist ja heute eine allgemein wissenschaftliche Usance, wodurch man einer verantwortlichen Stellungnahme ausweicht. Man kann aber in der Psychologie nicht nur mit Begriffen arbeiten, die inhaltsleer sind. Der Begriff des menschlichen Selbst ist bei Jung ein völlig verschwommener, der Begriff des Ich inhaltsleer. Aber erst von hier aus könnte Licht in das Dschungel seiner kollektiven Archetypen und Symbole fallen, denen jedes geistige Korrelat fehlt!
Daher bleibt Jung im Grunde genommen in den Kollektivkräften der Vergangenheit stehen, er bleibt befangen in einem Traume, dem das erkennende Subjekt des Erwachenden fehlt. Und eben, weil er dies Erwachen zu einer geistigen Wirklichkeit ängstlich vermeidet, gleicht seine Traumdeutung vielfach dem wackeren Münchhausen, der am eignen Schopf sich aus dem Sumpf herauszuziehen sich bemüht.
Dies aber hat seine verheerenden Folgen. Die Schule von Jung, welche heute einen ansehnlichen Einfluß gewonnen hat, ist dazu geeignet, nicht nur die Begriffe zu verwirren, sondern mehr noch: das Ich-Bewußtsein, wie es sich als Frucht der abendländischen Entwicklung entwickelt hat, den Gattungskräften östlich-asiatischer Weisheit zu überliefern, in deren Zaubergärten er einen verführerischen Weg gebahnt hat. Das scheint paradox zu sein, da Jung ja gerade stets auf den >Individuationsweg< des menschlichen Selbstes hinweist, als deren Symbol Christus genannt wird. Da aber der Christusbegriff für Jung auch nur ein >Symbol< ist, das ebenso durch Buddha ersetzt werden kann (vgl. Einleitung S34 von >Psychologie und Alchimie<), so entbehrt ein solcher Begriff jeder Realität und spielt im Dschungel der Archetypen des >Unbewußten< nur die Rolle eines Symboles unter vielen andern Symbolen. Da dies so wenig durchschaut wird und C.G.Jung selbst in Kreisen geistig orientierter Menschen als der Bahnbrecher für eine neue Psychologie gepriesen wird, sollte man den Mut haben, dieses bedenkliche Manko auszusprechen, das all seinen Werken anhaftet. Dem tiefer Blickenden wird es nicht verborgen bleiben, daß Jung eine tiefe Aversion gegen den Christusimpuls wie auch gegen den Gott des Alten Testamentes hat, wie es unverhohlen in seiner Schrift über >Hiob< zum Ausdruck kommt.
Eine solche Korrektur ist heute nötig, um sich durch den Blick auf das >Unbewußte< (richtiger müßte man von einem >Unterbewußten< sprechen, da auch das >Unbewußte< ein Bewußtsein hat, wenn es für unser Ich-Bewußtsein zunächst auch unterschwellig ist) nicht bannen zu lassen, da dieser Blcik geeignet ist, von dem wahren Ich als Mittelpunkt des Menschen abzulenken. Licht kann erst von dieser Warte aus in das kollektive Unterbewußtsein fallen und uns aus den Zaubergärten östlicher Vergangenheit befreien.
Es ist bezeichnend für Jungs auf die Vergangenheit eingestellte Blickrichtung, daß er das oben besprochene Symbol der Erleuchtung (Putrefactio) nur mit Fausts und Hamlets >Schädelmonolog< in Zusammenhang bringen kann, indem es ihn an die >erschütternde Sinnlosigkeit des menschlichen Daseins< erinnert, wenn nur >des Gedankens Blässe< sich darüber ausbreitet.
Putrefactio
Denn hier in dem Bild des Totengerippes, das auf der von der Sonne durchleuchteten Erdkugel steht, vollzieht sich der Durchbruch zum Geist. Hier erfaßte sich der Rosenkreuzerschüler in seinem Ich, indem er den Tod in sich überwand und zum Geist aufstieg. In solchen Symbolen vollzieht sich die Wende zur Zukunft: zum Erfassen des heute im Menschen waltenden lebendigen Geistes. Dies Erlebnis gleicht dem des Erwachens aus einem Traume. Wer sich aus >wissenschaftlicher Objektivität< diesem Akt des Erwachens verschließt, kann auch zu keiner wirklichkeitsgesättigten Deutung der Symbole kommen, da jedes Symbol die Projektion und der Schattenwurf von Kräften und Vorgängen einer realen geistigen Welt ist. Leugnet man diese Lichtquelle, so bleibt man im Traumesspiele befangen.
Man wird die Sprache der Symbole, und besonders der alchimistischen Symbolik erst verstehen, wenn man sich ein Verständnis erwirbt über die zweite Stufe des Rosenkreuzerweges. Während die erste Stufe das >Studium< ist, führt die zweite Stufe in das Wesen der höheren Erkenntnis ein, wie sie in der >Imagination< zum Ausdruck kommt. Rudolf Steiner sagt hierzu: >Diese wird vorbereitet dadurch, daß der Schüler selbst allmählich lernt, in solche bildlichen Vorstellungen einzudringen, die im Sinne des Goetheschen Wortes: >Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis<, die Welt anzusehen... Er kann z,B. eine Herbstzeitlose und ein Veilchen betrachten: die Herbstzeitlose als Sinnbild für ein melancholisches Gemüt, das Veilchen als Sinnbild für die geistige Welt. Man kommt dann dahin, in jeder Tiergattung das Symbol für eine Eigenschaft des Menschen zu sehen.> (9.
Wir werden bei der Betrachtung der alchimistischen Symbole der Rosenkreuzer noch sehen, wie auf dem geistigen Schulungswege solche Imaginationen als Abbilder von geistigen Urbildern in der Meditation erstehen. Obwohl sie sich im Gewande von Bildern aussprechen, die einen symbolischen Charakter haben, deuten sie durch ihr eigenes Wesen auf eine übersinnliche Wirklichkeit, die durch sie wie durch ein Fenster gleichsam in die Seele hereinstrahlt. Hierbei haben wir es mit einer höheren Stufe des Traumbewußtseins zu tun, die man ein selbstbewußtes Bilderbewußtsein nennen kann, insofern das Ich-Bewußtsein in erhöhtem Maße hier anwesend ist. Dies ist der Weg, der nicht nach unten und zurück in die Vergangenheit führt, sondern der nach oben zum Geisterwachen den Menchen weist, damit der Mensch durch diese Lichtquelle das Labyrinth seines unerlösten Unterbewußtseins durchleuchten, umwandeln und erlösen kann. Dieser Weg der bewußten Geist-Erkenntnis muß heute der Tiefenforschung der Psychologie zur Ergänzung an die Seite gestellt werden...