Anthroposophie        =           Dreigliederung
Impuls - Reaktion - Inkarnation   1919 - 1969 - 2019    Geschichte - Quellen - Material

Aus dem Vortragszyklus Rudolf Steiners für Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft:


Inneres Wesen des Menschen und Leben zwischen Tod und neuer Geburt


Dritter interner Vortrag, Wien, 11. April 1914, Gesamtausgabe Nr. 153



Bildung von Phantomen bei den Sinnesempfindungen. Die Schattenbilder des Denkens; der Gedächtnisschatz. Das Ungeborene in Gefühl und Wille. Lebendiges Wahrnehmen und inneres Schauen in vorchristlicher Zeit. Das Wirken des Christus


   (S106)  Zunächst werden wir heute aufmerksam zu machen haben auf einzelne positive okkulte Forschungsresultate, welche auf der einen Seite sehr geeignet sind, uns in das Wesen des Menschen hineinzuführen, die aber auf der anderen Seite uns zeigen, als welch kompliziertes Wesen eigentlich dieser Mensch in der Welt darinnensteht. Aber können wir denn  anders denken, als daß dieser Mensch als ein recht kompliziertes Wesen in der Welt darinnensteht, wenn wir erwägen, daß das eigentliche Idealbild des Menschen, das, was der Mensch sein kann, wenn er alle in ihm liegenden Anlagen wirklich zur Entfaltung bringt, im Grunde der Inhalt der Götterreligion ist, und daß im Grunde genommen all die geistigen Wesenheiten der verschiedenen Hierarchien, die man im Zusammenhang mit der menschlichen Natur kennenlernen kann, ihre Ziele zusammenwirken lassen, um aus dem gesamten Kosmos heraus den Menschen wie den Sinn dieses Kosmos aufzubauen!
   Das erste, was zu sagen sein wird, ist, daß der Mensch mit den Wahrnehmungen, die er von der äußeren Welt empfängt, so wie sie in seinem Bewußtsein erscheinen, eigentlich nur einen kleinen Teil dessen wirklich aufnimmt, was da auf ihn einstürmt. Indem der Mensch in der physischen Welt darinnensteht, seine Sinnesorgane geöffnet hat, mit seinem Verstand, der an sein Gehirn, an sein Nervensystem gebunden ist, die Welt betrachtet und sich zu erklären versucht, was da auf diese Weise an den Menschen herankommt, gelangt eigentlich nur ein kleiner Teil dessen, was da heranstürmt, wirklich in das Bewußtsein des Menschen ein. Im Licht und in den Farben, im Ton und so weiter ist viel mehr enthalten, als dem Menschen zum Bewußtsein kommt. Die äußerliche materialistische Physik spricht in ihrer kindlichen Weltauffassung davon, daß hinter den Farben, hinter dem Licht und so weiter materielle Vorgänge seien, Atomschwingungen und dergleichen. Das ist eben wirklich nur, man kann schon sagen, (S107) eine kindliche Weltauffassung. Denn in Wahrheit stellt sich das Folgende ein.
  Wir müssen mit dem hellseherischen Blick das menschliche Wahrnehmen erforschen, denn von diesem Beobachten des wirklichen Wahrnehmungsvorganges kann erst ein Verständnis über das Verhältnis des Menschen zu der Umwelt, die ihm vorliegt, ausgehen, wenn wir auch nur auf dem physischen Plane bleiben.  Etwas höchst Eigentümliches zeigt sich, wenn man den Wahrnehmungsvorgang hellseherisch beobachtet. Sagen wir, irgend etwas wirke auf unser Auge, wir nehmen Licht oder Farbe wahr, wir haben also in unserem Bewußtsein die Empfindung des Lichtes oder der Farbe: das Merkwürdige, was man nun entdeckt durch die Geistesforschung, ist, daß im Menschenwesen nicht nur dieses Licht und diese Farbe auftreten, sondern daß da wie im Gefolge von Licht und Farbe gleichzeitig mit unserer Empfindung von Licht- und Farbenbildern, man möchte sagen, eine Art von Licht- und Farbenleichnam in uns auftritt. Unser Auge veranlaßt uns, daß wir die Licht- und Farbenempfindung haben. Man könnte also sagen: das Licht strömt zu und bereitet uns die Lichtempfindung, aber tiefer in unser Wesen hineinschauend, entdecken wir, daß, während in unserem Bewußtsein das Licht sitzt, unser Menschenwesen durchzogen wird von etwas, was in diesem Menschenwesen sterben muß, damit wir die Lichtempfindung haben können. Keine Wahrnehmung, keine Empfindung von außen können wir haben, ohne daß sich gleichsam durchdrückt durch diese Empfindung eine Art Leichenbildung, die wie im Gefolge dieser Empfindung auftritt. Geistesforschung muß eben sagen: Da schaue ich mir den Menschen an, ich weiß, jetzt empfindet er rot. Ich sehe aber, daß dieses Rot, das in seinem Bewußtsein lebt, von sich gleichsam etwas ausgießt, sein ganzes Wesen, insofern es in seine Haut und in die Grenzen seines Ätherleibes eingeflossen ist, durchdringt mit etwas, was wie der Leichnam der Farbe ist, was etwas ertötet im Menschen. Denken Sie nur einmal, daß wir eigentlich immer, indem wir der physischen Welt gegenüberstehen und unsere Sinnesorgane offen haben, die Leichname aller unserer Wahrnehmungen wie Phantome, aber wirksame Phantome, in uns aufnehmen. Immer stirbt etwas in uns, indem (S108) wir die Außenwelt wahrnehmen. Es ist das ein höchst eigentümliches Phänomen. Und der Geistesforscher muß sich fragen: Ja, was geschieht denn da? Was ist denn die Ursache von diesem höchst eigenartigen Phänomen?
   Da muß man betrachten, wie es sich eigentlich mit dem verhält, was da wie Licht an uns heranstürmt. Dieses Licht hat eben vieles hinter sich. Es ist gleichsam das, was das Licht offenbart, nur der Vorposten desjenigen, was an uns heranstürmt. Hinter dem Licht steht allerdings nicht jene Wellenbewegung, von der die äußere Physik phantasiert, sondern hinter dem Licht, hinter allen Wahrnehmungen, hinter allen Eindrücken steht zunächst das, was wir nur erfassen, wenn wir geisteswissenschaftlich die Welt anschauen durch Imaginationen, durch schöpferische Bilder. In dem Augenblick, wo wir alles sehen würden, alles wahrnehmen würden, was in dem Licht oder in dem Tone oder in der Wärme lebt, würden wir hinter dem, was uns zum Bewußtsein kommt, die schöpferische Imagination wahrnehmen und in dieser sich wieder offenbarend die Inspiration, und in dieser die Intuition. Es ist dasjenige, was uns zum Bewußtsein kommt als Licht- oder Tonempfindung, gleichsam die oberste Schicht, gleichsam nur der Schaum dessen, was an uns heranschwingt, aber es lebt darin, was, wenn es uns zum Bewußtsein käme, zur Imagination, Inspiration, Intuition in uns werden könnte.
   Also eigentlich haben wir nur ein Viertel von dem, was an uns heranstürmt, wirklich in der Wahrnehmung gegeben, die anderen drei Viertel dringen in uns ein, ohne daß es uns zum Bewußtsein kommt. Während wir also dastehen und eine Farbenempfindung haben, dringen, gleichsam durch die Fläche der Farbenempfindung, die schöpferische Imagination, die Inspiration, die Intuition in uns ein, versenken sich in uns. wenn wir sie aber näher untersuchen, diese drei letzteren Endringlinge, so finden wir, daß wenn diese Imagination, Inspiration, Intuition, so, wie sie sich durch die Sinnesempfindungen in unseren Organismus hereindrängen wollen, wirklich in diesen hereinkämen, sie so wirken würden, daß sie auch noch während der Zeit unseres physischen Erdendaseins zwischen Geburt und Tod eine solche Vergeistigung in uns hervorrufen würden, wie ich sie gestern (S109) angedeutet habe als ein mögliches Ergebnis der Verführung Luzifers. Es würden diese Imagination, Inspiration, Intuition so auf uns wirken, daß wir den Drang bekämen, alles, alles liegen zu lassen, was noch an Anlagen für unser Streben nach fernen Zukünften, zum Menschenideal, in uns vorhanden ist, und wir würden uns vergeistigen wollen auf dem Vollkommenheitsgrade, den wir bis dahin erlangt haben durch unser Vorleben. Wir würden uns gewissermaßen sagen: Mensch zu werden, das ist uns eine zu große Anstrengung, da müßten wir noch einen schwierigen Weg in die Zukunft gehen. Wir lassen das, was noch an Möglichkeiten zum Menschen hin in uns liegt. Wir werden lieber ein Engel mit all den Unvollkommenheiten, die wir an uns tragen, denn da kommen wir in die geistige Welt unmittelbar hinauf, da vergeistigen wir unser Wesen. Wir werden dann allerdings unvollkommener, als wir nach unseren Anlagen werden könnten im Kosmos, aber wir werden eben geistige, engelartige Wesen.
   Da ersehen Sie wiederum an einem Beispiel, wie wichtig das ist, was man nennt: die Schwelle der geistigen Welt, und wie wichtig die Wesenheit ist, die man den Hüter der Schwelle nennt. Denn da steht er schon an dem Punkt, von dem ich eben jetzt gesprochen habe. Er läßt in unser Bewußtsein nur die Empfindung selber herein und läßt nicht dasjenige hereinkommen, was als Imagination, als Inspiration, als Intuition, wenn es in unser Bewußtsein eintreten würde, einen unmittelbaren Drang nach Vergeistigung, so wie wir sind, mit Verzicht auf alles folgende Menschheitsleben in uns erzeugen würde. Das muß uns verhüllt werden, davor wird die Türe unseres Bewußtseins zugeschlossen, aber in unsere Wesenheit dringt es ein. Und indem es in unsere Wesenheit eindringt, ohne daß wir es mit dem Lichte unseres Bewußtseins durchleuchten können, indem wir es hinuntersteigen lassen müssen in die finsteren Untergründe unseres Unterbewußtseins, kommen die geistigen Wesenheiten, deren Gegner Luzifer ist, von der anderen Seite in unser Wesen herein, und es entsteht jetzt in uns der Kampf zwischen Luzifer, der seine Imagination, Inspiration, Intuition hereinsendet, und denjenigen geistigen Wesenheiten, deren Gegner (S110) Luzifer ist. Diesen Kampf würden wir immer schauen bei jeder Empfindung, bei jeder Wahrnehmung, wenn nicht für das äußere Wahrnehmen die Schwelle der geistigen Welt gesetzt wäre, der gegenüber sich nur der hellseherische Blick nicht verschließt.
   Daraus ersehen Sie, was sich eigentlich abspielt in dem Inneren der Menschennatur. Das Ergebnis dieses Kampfes, der sich da abspielt, ist das, was ich als eine Art von Leichnam, von partiellem Leichnam in uns charakterisiert habe. Dieser Leichnam ist der Ausdruck für das, was in uns ganz materiell werden muß, wie ein mineralischer Einschluß, damit wir nicht in die Lage kommen, es zu vergeistigen. Würde sich dieser Leichnam durch den Kampf von Luzifer und seinen Gegnern nicht ausbilden, so würden wir statt dieses Leichnams das Ergebnis der Imagination, Inspiration und Intuition in uns haben, und wir würden unmittelbar in die geistige Welt aufsteigen. Dieser Leichnam bildet das Schwergewicht, durch das uns die guten geistigen Wesenheiten, deren Gegner Luzifer ist, in der physischen Welt zunächst erhalten, so erhalten, daß wir darin gleichsam verhüllt haben, was als Drang in uns entstehen müßte nach Vergeistigung, damit wir anstreben nach dieser Verhüllung das wirkliche Ideal der menschlichen Natur, all die Entfaltung der Anlagen, die in uns sein können. Dadurch, daß also dieser Einschluß, gleichsam dieses Leichnamphantom sich in uns bildet, daß wir, indem wir wahrnehmen, uns immer sozusagen durchdringen mit etwas, was zu gleicher Zeit Leichnam ist, dadurch ertöten wir in uns während des Wahrnehmens dieses immer aufsteigende Drängen nach Vergeistigung. Und während sich dieser Einschluß bildet, entsteht das, was ich öfter angedeutet habe und was wichtig ist, daß man es einsieht in seiner ganzen Bedeutung.
   Sehen Sie, wenn Sie in einen Spiegel hineinschauen, so haben Sie eine Glasscheibe vor sich, aber durch diese Scheibe würden Sie hindurchschauen, wenn sie nicht mit einem Spiegelbelag belegt wäre. Dadurch daß die Glasscheibe einen Spiegelbelag hat, spiegelt sich, was vor dem Spiegel ist. Wenn Sie vor Ihrem physischen Körper so stehen würden, daß Sie erleben würden, wie außer den Wahrnehmungen auch die Imaginationen, Inspirationen, Intuitionen hineingehen, (S111) dann würden Sie durch den physischen Leib hindurchschauen, und Sie würden ein solches Gefühl erleben, daß Sie sich etwa sagen würden: Ich will mit diesem physischen Leibe nichts zu tun haben, ich beachte ihn gar nicht, sondern ich erhebe mich, so wie ich bin, in die geistige Welt. Wirklich, es stünde der physische Leib vor Ihnen wie der Glasspiegel, der keinen Belag hat. Aber nun ist der physische Leib durchdrungen mit diesem Leichnam. Das ist wie der Belag des Spiegels. Und jetzt spiegelt sich alles das, was darauf fällt, aber eben nur so, wie wir es in den Sinneswahrnehmungen haben. Dadurch entstehen die Sinneswahrnehmungen. Unser ständiger Leichnam, den wir in uns tragen, der ist der Spiegelbelag unseres ganzen Leibes, und wir sehen uns dadurch selber in der physischen Welt. Dadurch sind wir als dieses einzelne physische Wesen in der physischen Welt da. So kompliziert schaut sich das menschliche Wesen an.
   Nehmen wir den anderen Fall, daß wir nicht bloß wahrnehmen, sondern daß wir denken. Wenn wir denken, dann sind es ja nicht Sinneswahrnehmungen. Die Sinneswahrnehmungen können die Veranlassung dazu sein, aber das eigentliche Denken verläuft nicht in Sinneswahrnehmungen, sondern verläuft innerlicher. Wenn wir denken, machen wir mit dem wirklichen Denken keine Eindrücke auf unseren physischen Leib, wohl aber auf unseren Ätherleib. Aber indem wir denken, kommt wiederum nicht alles das, was in den Gedanken liegt, in uns herein. Würde alles das, was in den Gedanken liegt, in uns hereinkommen, dann würden wir jedesmal, wenn wir denken, zunächst lauter lebende Elementarwesen in uns pulsieren fühlen, wir würden uns ganz innerlich belebt fühlen. In München habe ich einmal gesagt: Wenn jemand die Gedanken erlebte, so wie sind, so würde er sich in den Gedanken in einem solchen Gewirre fühlen wie in einem Ameisenhaufen, alles würde Leben sein. Dieses Leben nehmen wir nicht wahr in dem menschlichen Denken, weil wiederum nur gleichsam der Schaum davon uns zum Bewußtsein kommt und eben die Schattenbilder der Gedanken bildet, die da als unser Denken in uns auftauchen. Dagegen senkt sich in unseren Ätherleib ein dasjenige, was als lebendige Kräfte die Gedanken durchzieht. Wir nehmen die lebendigen Elementarwesen, die uns da durchschwirren, nicht wahr, (S112) sondern wir nehmen in den Gedanken gleichsam nur einen Extrakt wahr, etwas wie eine Abschattierung. Das andere aber, das Leben, zieht in uns ein, und indem es in uns einzieht, durchdringt es uns wiederum so, daß neuerdings in unserem Ätherleib ein Kampf entsteht, jetzt eine Kampf zwischen den fortschrittlichen Geistern und Ahriman, den ahrimanischen Wesenheiten. Und der Ausdruck dieses Kampfes ist, daß sich in uns die Gedanken nicht so abspielen, wie sie sich abspielen würden, wenn sie lebendige Wesen wären. Würden sie sich so abspielen, wie sie wirklich sind, so würden wir uns in dem Leben der Gedankenwesen fühlen: die würden sich hin und herbewegen - aber das nehmen wir nicht wahr. Dafür wird unser ätherischer Leib, der sonst ganz durchsichtig wäre, gleichsam undurchsichtig gemacht; ich möchte sagen, er wird so, wie etwa Rauchtopas ist, der durchzogen wird von dunklen Schichten, während der Quarz ganz durchsichtig und rein ist. So wird unser ätherischer Leib von geistiger Dunkelheit durchzogen. Das, was da unseren ätherischen Leib durchzieht, das ist unser Gedächtnisschatz.
   Der Gedächtnisschatz entsteht dadurch, daß wiederum in unserem ätherischen Leib, durch die erwähnten Vorgänge, sich die Gedanken gleichsam spiegeln, bis zu dem Punkte hin, bis zu dem wir uns eben erinnern im physischen Leben. Das sind die gespiegelten Gedanken, die wir im Gedächtnis haben, die aus der Zeit heraus gespiegelten Gedanken. Aber da tief unten in unserem Ätherleib, hinter dem Gedächtnis, da arbeiten die guten göttlich-geistigen Wesenheiten, deren Gegner Ahriman ist, und da schaffen sie, zimmern die diejenigen Kräfte, die wiederum das beleben können, was im physischen Leib durch die vorher geschilderten Vorgänge abgestorben ist. Während also in unserem physischen Leib ein Leichnam geschaffen wird, der geschaffen werden muß, weil wir sonst den Drang hätten, uns zu vergeistigen mit all den Mängeln, die wir an uns tragen, geht etwas wie eine anfachende Lebenskraft vom Ätherleib aus. So daß wirklich nun in der Zukunft wiederum lebendig umgeschaffen werden kannhrt werden als Keime für die Zukunft, dadurch gewinnen sie wieder ihre richtige, was da abgetötet worden ist.
   Aber jetzt sehen wir erst ein, welche Bedeutung das Vorher und das Nachher hat. Würden wir nämlich in unserer unmittelbaren Gegenwart (S113) die Imaginationen, Inspirationen und Intuitionen, die in uns eindringen, ausleben, so wir Luzifer folgen und uns vergeistigen. Dadurch aber, daß sie in die Zukunft geworfen werden, daß sie jetzt nicht zur Geltung kommen, sondern aufbewahrt werden als Keime für die Zukunft, dadurch gewinnen sie wieder ihre richtige Wesenheit. Was wir gegenwärtig mißbrauchen würden, werden wir in der Zukunft dazu verwenden, wenn wir durch die Pforte des Todes gegangen sind, um uns aus der geistigen Welt heraus ein neues Leben zu zimmern. Was uns, wenn wir es in der physischen Welt verwenden würden, anleiten würde, uns zu vergeistigen mit unseren Mängeln, leitet uns nach dem Tode an, uns wiederum in das physische Erdenleben zu begeben. So entgegengesetzt wirken die Dinge in den verschiedenen Welten.
   So ist es mit unserem Denken. Und nun betrachten wir unser Fühlen. Ja, was wir so als inneres Gefühl, als innere Empfindung in uns tragen, das ist wiederum nicht so, wie es eigentlich nach seinem ganzen inneren Wesen sein könnte. Was wir da als Gefühl in uns tragen, was uns zum Bewußtsein kommt als unser Gefühl, das ist eigentlich wiederum nur ein Schattenbild von dem, was wirklich in uns lebt, denn auch in unserem Gefühl lebt geistige Wesenheit. Wenn Sie sich erinnern an das, was ich im ersten Vortrag gesagt habe, so werden Sie empfinden, daß darin die geistigen Wesenheiten leben, die eigentlich dem ganzen Planetensystem zugrunde liegen, nur kommen sie uns nicht zum Bewußtsein. Das Gefühl, so wie wir es eben kennen, kommt uns zum Bewußtsein, das andere bleibt außerhalb unseres Bewußtseins. Was heißt das eigentlich: das andere bleibt außerhalb unseres Bewußtseins? Es ist wirklich sehr schwierig, aus der gewöhnlichen Sprache die Worte zu finden, die diese Dinge genau charakterisieren. Wie man sagen muß: Wahrnehmen und Denken erzeugen in uns etwas, was eigentlich wie ein Ertöten ist - beim Denken allerdings durch die Gegenwirkung zugleich eine Art Anfeuerung zu einem künftig Lebendigen -, so müssen wir sagen: Jedes Gefühl, das in uns auftritt, wird eigentlich nicht ganz geboren in uns, kommt nicht ganz zum Dasein. Würde alles, was in uns sitzt, indem wir fühlen, herauskommen, so würde uns das, was da im (S114) Gefühle lebt, ganz anders ergreifen, ganz anders durchkraften. Das was hinter dem Gefühle sitzt, was das Gefühl zu einem Lebewesen macht, zu einem Lebewesen, dessen Leben gespeist wird aus dem ganzen Planetensystem, das kommt nicht unmittelbar heraus. Das Gefühl kommt wiederum nur wie ein Schatten dessen, was es eigentlich ist, aus uns heraus. Das bewirkt, daß wenn man einmal so recht in seine Gefühlswelt mit einer tieferen Menschheitsempfindung Eingang findet, man eigentlich jedem Gefühle gegenüber etwas Unbefriedigendes empfindet. Jedem Gefühle gegenüber empfindet man, es könnte gesteigert werden, es könnte stärker hervortreten. Namentlich muß man dem Gefühle gegenüber etwas wie ein geheimes Erlebnis haben: es könnte uns viel mehr verraten von dem, was in ihm liegt, es verbirgt etwas von dem, was in unserem Inneren lebt, was in den Tiefen der Seele ist, und was nur halb geboren heraufkommt.
   Wenn wir auf den Willen eingehen, auf alles das, was in uns Wunsch und Wille sein kann, so ist es hier, nur in einem höheren Maße, ebenso wie es beim Gefühle ist. Nur daß hinter dem Willen die geistige Wesenheit, die Grundwesenheit steht, die eigentlich in der Sonne lebt. Nicht bloß das, was in den Planeten lebt, sondern das, was in der ganzen Sonne lebt, lebt da im Willen auch mit darin. Aber es verbirgt sich. Der Wille wird noch weniger ganz geboren als das Gefühl. Der Wille würde uns ganz, ganz anders durchdringen, wenn alles, was in ihm liegt, wirklich in unserem Bewußtsein zum Vorschein käme. Es kommt wirklich nur die alleräußerste Oberfläche des Willens, es kommen nur die alleroberflächlichsten Schaumgebilde des Willens zum Ausdruck. Das andere bleibt uns verborgen. Und warum bleibt uns im Gefühl und im Willen im Grunde genommen eine ganze Welt verborgen? Weil das, was uns verborgen bleibt, wenn es angeschaut würde vom physischen Plane aus, von uns nicht ertragen werden könnte. Vom physischen Plane aus nähme es sich so aus, daß wir es abwehren wollten, daß wir uns abwenden wollten davon.
   Das, was da im Gefühl und im Willen lebt und ungeboren ist, das ist werdendes Karma. Sagen wir, wir fühlen eine feindliche Empfindung gegen irgend jemand, um ein konkretes Beispiel zu wählen. Ja, was da in dieser feindlichen Empfindung zu unserem Bewußtsein (S115) kommt, das ist eben nur das äußerliche Wellenspiel. Da drinnen liegen Kräfte, die über das ganze Planetensystem ausgebreitet sind. Aber das, was uns verborgen bleibt, das ist gerade das, was uns sagt: Durch deine feindliche Empfindung pflanzest du in dich etwas Unvollkommenes, das mußt du ausgleichen. - In dem Augenblicke, wo herauftauchen würde, was da unten mitlebt, würde vor uns die Imagination desjenigen auftauchen, was im Karma die feindliche Empfindung ausgleichen muß. Und wir würden uns mit Luzifer und Ahriman verbinden, um abzuwehren diesen Ausgleich, weil wir von dem Standpunkt des physischen Planes aus urteilen würden. Aber es wird uns auf diesem physischen Plane das verborgen; der Hüter der Schwelle verbirgt es uns aus dem einfachen Grunde, weil wir diese Dinge, die nicht geboren werden an unserem Gefühl, an unserem Willen, nur beurteilen können, wenn wir in der geistigen Welt zwischen dem Tod und einer neuen Geburt leben. Da wollen wir, daß das, was einer feindlichen Stimmung entspricht, wirklich ausgeglichen werde, weil wir da das rechte Interesse haben an dem Inhalt der Götterreligion, an dem vollkommenen Menschheitsideal, das aus uns den vollkommenen Menschen machen will. Von dem wissen wir, daß durch einen entgegengesetzten Ausgleich das wettgemacht werden muß, was durch eine feindselige Empfindung verursacht worden ist. Es muß für die Zukunft nach dem Tode aufbewahrt bleiben, und dann erst darf herauskommen, was ungeboren ist an unserem Gefühle und unserem Willen.
   Nun, sehen Sie, ich habe Ihnen, ich möchte sagen, ein Vierfaches von dem menschlichen Seelenkern dargelegt. Das, was von unserem Gefühl ungeboren verbleibt, lebt im Astralleib; das, was vom Willen ungeboren bleibt, lebt im Ich. Wir haben also, indem wir die äußere Welt wahrnehmen, etwas wie einen physischen Phantomleichnam in uns, der eigentlich der Spiegelbelag ist für unseren physischen Leib. Wir haben in uns einen Einschluß, gleichsam eine Durchdunkelung des Ätherleibes. Wir haben in uns etwas im Astralleib, was nicht zur Geburt kommt in der Zeit zwischen der Geburt und dem Tode, und wir haben von unserem Willen etwas, was nicht in dieser Zeit zur (S116) Geburt kommt. - Dieses Vierfache, was der Mensch in sich trägt, das muß aufbewahrt werden für die Zeit zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Aber es lebt in uns als unser Seelenkern mit derselben Gewißheit, wie in der Pflanze der Keim für das nächste Jahr liegt. Sie sehen also, wir können nicht nur im allgemeinen von einem Seelenkern sprechen, sondern wir können diesen Seelenkern sogar in seiner Viergliedrigkeit erfassen. Wenn wir, sagen wir, eine Empfindung in uns tragen, die uns Unbehagen namentlich von innen heraus verschafft, wenn wir mit unserem Leben nicht so recht einverstanden sind, so geschieht es dadurch, daß ein Druck von dem ungeborenen Teil der Empfindungen auf den bewußten Teil der Empfindungen ausgeübt wird. Wie kann dieser Druck abgehalten werden? Ja, sehen Sie, dieser Druck ist etwas, unter dessen Gefahr im Grunde genommen der Mensch fortwährend steht. Denn das, was ich Ihnen jetzt geschildert habe, das ist, insofern es sich auf Gefühl und Wille bezieht, also auf das, was eigentlich unser inneres Seelenleben im Sinne des ersten Vortrages so recht darstellt, dasjenige, was uns in innere Disharmonie bringt. Wir würden, wenn richtiger Einklang herrschte zwischen dem geborenen Teil von Gefühl und Wille und dem, was hinter der Schwelle des Bewußtseins bleibt, wenn richtiges Verhältnis, richtige Harmonie bestünde, als in der Sinneswelt befriedigte und tüchtige Menschen durch diese Sinneswelt gehen. Hier liegt eigentlich der Grund zu allen inneren Unzufriedenheiten. Wenn jemand innere Unzufriedenheiten hat, so kommt es von dem Druck des unterbewußten Teiles des Fühlens und Wollens.
   Nun muß ich zu dem Auseinandergesetzten hinzufügen, daß sich in bezug auf alle diese Verhältnisse, die ich jetzt geschildert habe, allerdings die Wesenheit des Menschen im Laufe ihrer Entwickelung geändert hat. Genau so, wie ich die Dinge jetzt geschildert habe, verhalten sie sich eigentlich in unserer Zeit. Sie verhielten sich nicht immer so. In älteren Zeiten der Menschheitsentwickelung, sagen wir während der urpersischen, ägyptischen, der altindischen Epoche, war das anders. Da flossen ja natürlich in genau derselben Weise die Wahrnehmungen herein, und in ihnen waren enthalten die Imaginationen, Inspirationen, Intuitionen, aber es blieben für ältere Zeiten diese (S117) Imaginationen, Inspirationen, Intuitionen nicht so ganz wirkungslos auf den Menschen wie heute. Sie töteten nicht so völlig das innere Physische des Menschen, sie lieferten keinen so dichten mineralischen Einschlag, und das kam davon her, daß in diesen älteren Zeiten von der anderen Seite her, aus Gefühl und Wille etwas aufschoß, wenn die Wahrnehmungen von außen kamen unter gewissen Verhältnissen. Wenn wir zum Beispiel zurückgehen in die älteren Zeiten der ägyptischen, der babylonischen Kultur und dort die Menschen betrachten, so nahmen eben diese Menschen ganz anders wahr. Sie standen allerdings wie wir der äußeren Sinneswelt gegenüber, aber ihr Leib war noch so organisiert, daß die in den Sinneswahrnehmungen verborgenen Imaginationen nicht völlig ertötend wirkten, sondern daß sie mit einer gewissen Lebendigkeit an die Menschen herandrangen. Dadurch aber, daß sie lebendig hereindrangen, riefen sie innerlich im Menschen das Gegenbild heraus dessen, was nun für uns ganz verborgen bleibt im Ich und im astralischen Leib. Die geistigen Wesenheiten des Sonnenhaften und des Planetensystems drängten sich von innen heraus entgegen und spiegelten gewissermaßen das, was sich belebte durch die Imagination. So daß es für den Angehörigen der älteren ägyptischen, der babylonischen Kultur gewisse Zeiten des Wahrnehmens gab, wo er, wenn er den Blick hinausrichtete in die physische Welt, nicht nur so die physischen Wahrnehmungen aufnahm, wie wir sie haben, sondern wo sie sich belebten. Er wußte, dahinter steckt etwas, was in Imaginationen sich auslebt. Daher war er auch nicht so töricht, nach dem Muster unserer gegenwärtigen Physiker hinter den Wahrnehmungen materielle Atomschwingungen zu vermuten, sondern er wußte, daß da Leben dahinter ist, und aus seinem Inneren tauchten auf entgegenstrahlend die Bilder des belebten Sternenhimmels, sogar die Sonne. Besonders stark war das während der persischen Kultur, wo wirklich beim äußeren Wahrnehmen etwas wie die innere geistige Sonnenkraft aufleuchtete - Ahura Mazdao!
   Wenn wir in noch ältere Zeiten zurückgehen, so finden wir dieses Zusammenwirken, dieses Entgegenkommen des Inneren und des Äußeren noch viel stärker ausgeprägt. Heute kann das nicht mehr sein, aber ein Ersatz kann da sein, und hier kommen wir an einen (S118) Punkt, wo wir, ich möchte sagen, aus der Sache selbst heraus unsere Aufgabe innerhalb der anthroposophischen Weltanschauung wirklich verstehen werden. Ein Ersatz muß geschaffen werden. Wir stehen der Außenwelt mit unseren Wahrnehmungen gegenüber. Wir denken über sie, indem uns ein Teil dieser Außenwelt verschlossen bleibt, der ertötend und durchdunkelnd auf uns wirkt. Aber wir können das, was da ertötet und durchdunkelt wird, durch die Geisteswissenschaft beleben. Und gerade durch die Belebung dessen, was sonst ertötet und durchdunkelt wird, entsteht eine solche Wissenschaft, wie sie dargestellt worden ist in der Entwicklung durch Saturn-, Sonnen- und Mondenentwicklung in meiner <<Geheimwissenschaft>>. Dieses Wissen von der Saturn-, Sonnen- und Mondenentwicklung hat jeder Mensch, nur ist es in den Untergründen seines Bewußtseins. Er möchte nicht Erdenmensch sein, wenn er es so ohne weiteres schauen würde, ohne die genügende Vorbereitung. Er möchte, daß die Erde ihn gar nichts anginge und er mit der Mondenentwickelung abschließen könnte. Alles das, was wir an Erkenntnissen erwerben können durch die Geisteswissenschaft, erhellt uns das, was uns von der Entwickelung der Vergangenheit verborgen bleibt, indem es in uns eindringt. Denn was da an Imaginationen, Inspirationen und Intuitionen draußen lebt in den Sinnesempfindungen und nicht hereinkommt, das ist eigentlich, wenn man es durch den Schleier der Sinnesempfindungen anschaut, dasjenige, was wir an Vergangenheit durchgemacht haben.
Etwas anderes
   Etwas anderes ist es mit dem, was in unserem Fühlen und Wollen lebt. Der Mensch kann sagen - und viele Menschen der Gegenwart haben ja einen Drang, das zu tun -: Oh, was geht mich das alles an, was da diese vertrackten Köpfe aussinnen oder ausgesonnen haben über eine übersinnliche Welt. Ich nehme solche Vorstellungen nicht in mich auf. - Wer das sagt, hat sich niemals einen Begriff davon erworben, warum eigentlich in die Weltentwickelung Religionen gekommen sind. Das ist ja das Gemeinsame aller religiösen Vorstellungen, daß sie sich auf Dinge beziehen, die der Mensch nicht sinnlich wahrnehmen kann, daß der Mensch in religiösen Vorstellungen mit etwas sich erfüllen muß, was er nicht sinnlich wahrnehmen kann. Vorstellungen, die von dem kommen, was man sinnlich wahrnehmen (S119) kann, die können uns niemals für unser Fühlen und Wollen einen Impuls geben, der nach dem Tode Stoßkraft ist. Damit das wirken kann, was ungeboren in uns ist in unserem Gefühl, in unserem Willen, weil es ja wirken soll nach unserem Tode, brauchen wir dazu die Vorstellungen nicht, die wir uns durch unsere Sinnesempfindungen aneignen können oder durch den Verstand, der an das Gehirn gebunden ist; die helfen uns nichts. Einzig und allein diejenigen Vorstellungen, die dem entsprechen, was nicht äußerlich wirklich ist, die, wenn wir sie aufnehmen, uns fromm machen, durch die wir aufsehen in eine geistige Welt, die geben uns den Impuls, die Schwungkraft, die wir nach dem Tode brauchen. Religiös vorstellen heißt: das vorstellen, was jetzt noch nicht in uns wirken kann, was aber Wirkungskraft ist nach dem Tode. Mit den religiösen Vorstellungen nehmen wir nicht nur Erkenntnisvorstellungen auf, sondern etwas, was wirksam werden kann nach unserem Tode, und was gerade deshalb jetzt so sein muß im physischen Leib, daß derjenige, der auf solche Wirkungskräfte nicht reflektieren will, darüber lachen kann und es abweisen kann in seinem Materialismus. Er hat aber nur eine gelähmte Kraft, um vorwärtszubringen, was ungeboren ist in seinem Fühlen und Wollen, wenn er sich nicht durchdringt mit den Vorstellungen über das Übersinnliche.
   Daher muß es so oft betont werden: Was vergangen ist, wird erleuchtet von dem hellsichtigen Bewußtsein. Es wird gegenwärtig wieder erkannt, auch insofern es hinter dem Schleier der Sinneswelt als Imagination, Inspiration und Intuition vorhanden ist und hineinwirkt in die Sinneswelt. Früher wurde es den Menschen gegeben als religiöser Glaube, damit die Menschen nicht alle Schwungkraft für die Zeit nach dem Tode verlieren, damit etwas im Seelenkren haben, was ihn lebendig erhalten kann, auch wenn er den physischen Leib abgelegt hat. Jetzt ist die Zeit gekommen, wo die Menschen aus dem Verständnis heraus, aus dem Verständnis der Geisteswissenschaft heraus, sich Vorstellungen aneignen sollen über die übersinnlichen Welten. Deshalb kann es nicht oft genug betont werden: Erforschen kann man nur als Geistesforscher diese Dinge in der übersinnlichen Welt. Sind sie aber erforscht und werden sie mitgeteilt, so gibt es (S120) etwas in unserer tiefsten Seele, was eine geheime Sprache dieser Seele ist, und was verstehen, begreifen kann dasjenige, was von dem Geistesforscher erforscht wird. Nur wenn die Vorurteile des Verstandes und der Sinne kommen, dann wird als Unsinn angesehen, als Torheit und als Phantasterei, was von der Geistesforschung als übersinnliche Vorstellungen gegeben wird, und was, wenn es aufgenommen wird, uns Schwungkraft gibt für den Seelenkern, damit er in alle Zukünfte seine Wege finden kann im Kosmos. Erforschen werden immer nur diejenigen den Inhalt der geistigen Welt, die eine esoterische Entwickelung durchmachen. Diesen Inhalt wissen, ihn innerlich im Bewußtsein durcharbeiten, ihn in Ideen und Begriffen haben, ihn als eine Gewißheit des Seins der Seele in der geistigen Welt besitzen, das ist etwas, was immer mehr und mehr als eine notwendige geistige Nahrung die Menschen brauchen werden.
   Das ist es, was uns zeigt, wie man aus der Sache heraus die Mission unserer anthroposophischen Bewegung verstehen kann. In alten Zeiten war es eben noch so, daß die Erkenntnis von oben sich belebte und der Inhalt zu dieser Erkenntnis von unten entgegenkam. Daher hatten die Alten von den geistigen Welten noch ein unmittelbares Bewußtsein, das sich aber immer mehr und mehr abdunkelte und abdumpfte. Hätte es sich nicht abgedunkelt und abgedumpft, so wäre der Mensch nicht zum vollen Bewußtsein seines Ich gekommen. Zum vollen Bewußtsein seines Ich kann der Mensch nur dadurch kommen, daß er im höchsten Maße innerhalb seines physischen Leibes jenes Leichnamphantom ausbildet, von dem ich gesprochen habe. Es muß sozusagen unser physischer Leib als durchsichtige Wesenheit ganz belegt werden mit Spiegelbelag, und erst, wenn er ganz belegt ist, dann können wir uns ganz so fühlen, daß wir sagen: Ich bin ein Ich. Dieses vollständige Belegen hat sich aber erst langsam und allmählich gebildet. Es hat sich im Laufe der Menschheitsentwickelung gebildet, und es war diese Bildung vollendet in der Zeit, in die das Mysterium von Golgatha fiel. Da war der Spiegelbelag fertig. Vorher, da begegneten sich noch immer Unteres und Oberes, da kamen in der Menschenwesenheit Unteres und Oberes zusammen. Aber, man möchte sagen, ganz herausgedrängt wurde Unteres und Oberes dadurch, daß (S121) der Spiegelbelag vollkommen war, und der Mensch nur die Spiegelung aus dem physischen Leibe wahrnahm. Das war erst, als das Ereignis von Golgatha in die Menschheitsentwickelung hereinkam.
   Was war denn da eigentlich geschehen? Ja, sehen wir nur ganz genau auf das hin, was da geschehen war! Stellen Sie sich so recht diese alten Menschen vor in den Zeiten vor dem Mysterium von Golgatha, stellen Sie sich dieses Bewußtsein vor! Da kommt von außen herein die Belebung von Imaginationen; von innen steigen auf Bilder der außermenschlichen geistigen Welt. Was sind diese Bilder, die da aufsteigen im Menschen? Wie wir wissen, war das in alten Zeiten bei herabgedämpftem menschlichem Bewußtseinszustand möglich. Diejenigen, die diese Dinge erkannten, die ina alten Zeiten als Eingeweihte hinzublicken vermochten auf die menschliche Seele, wie in ihr noch lebte dieses Zusammenkommen der belebten Imagination von außen, und von innen das Schauen, die sagten nicht: Der Mensch schaut das allein -, sondern diese alten Eingeweihten sagten: Es schaut an seine Welt im Menschen zum Beispiel Jahve oder Jehova, wie dies bei den alten Juden der Fall war. Der Gott denkt im Menschen. Wie wir heute sagen in unserem Entwickelungszyklus, wenn wir Gedanken haben: Ich denke -, so sagten diejenigen, die die Dinge wußten in alten Zeiten; wenn die Schauungen auftauchten aus der geistigen Welt: Die Götter denken in uns. - Oder als man die Einheit des Göttlichen im Monotheismus erkannte: Jahve denkt im Menschen. Der Mensch ist der Schauplatz der göttlichen Gedanken. - Erfüllt wußten sich die Menschen, so daß sie sagten: In mir denken die Götter.
   Aber in der menschlichen Entwickelung lag die Notwendigkeit, daß dies immer unmöglicher wurde. Man möchte sagen, immer mehr und mehr trat Finsternis den Schauungen, den Gedanken der Götter entgegen in der menschlichen Natur. Das innere Leichnamphantom wurde immer stärker, immer bedeutender. Die Zeit rückte heran, wo aus der menschlichen Natur heraus den Göttern keine Gedanken mehr entgegentauchten. Da fühlte diejenige göttliche Wesenheit, von der man sagen kann, sie dachte durch die menschliche Wesenheit, daß ihr Bewußtsein - denn dieses Bewußtsein besteht ja in ihren Gedanken - immer dumpfer, immer dämmeriger wurde. Und die Sehnsucht (S122) entstand in diesem göttlichen Wesen, eine neue Form des Bewußtseins zu erwecken. Menschen kommen zu einer anderen Form des Bewußtseins. Götter, indem sie ein neues Bewußtsein schaffen, schaffen mit diesem etwas Wesentliches; für sie entsteht damit etwas Wesentliches. Und dieses Wesentliche, was da entstand, war für die jetzt gemeinte göttliche Wesenheit, die ihr Bewußtsein herabdämmern fühlte: der Christus. Der Christus ist das Kind der Gottheit, das wieder herstellt das Bewußtsein der Gottheit in der menschlichen Wirksamkeit. So mußte sich eingliedern in die menschliche Wesenheit die Christus-Wesenheit.
   Und wir müssen das Bewußtsein in uns aufnehmen: Indem wir die Sinneswelt wahrnehmen, strömen wir fortwährend in uns ein - Sterben. Und Finsternis und Verdunkelung strömen wir in uns ein, indem wir die Welt denken. Und Ungeborenes lassen wir in uns einströmen, indem wir fühlen und wollen. Das alles sitzt unten in den Untergründen unseres Bewußtseins, da lassen wir hineinfließen unser Sterben und unser noch Ungeborenes, das wir erst brauchen können, nachdem wir gestorben sein werden. Das aber würde lahm sein, wenn wir es nicht einsenken könnten in die Wesenheit, die sich die Gottheit wie die Wesenheit eines neuen Bewußtseins geboren hat, wenn wir es nicht einfließen lassen könnten in die Christus-Wesenheit.
   Dieses Bewußtsein können wir haben, indem wir den Sinn der ganzen Evolution wirklich erkennen durch die Geisteswissenschaft. Ja, wir senden da hinunter in die unterbewußten Gründe das, was in uns erstirbt. Aber aufgenommen wird es, dieses Sterben, das wir in unsere eigene Wesenheit immer mehr und mehr hineinsenken, aufgenommen wird es von dem uns entgegenlebenden Christus. In dem, was in uns erstirbt, in uns erdunkelt, ungeboren bleibt, lebt uns der Christus auf. Wir lassen hinuntersterben in uns dasjenige, was sterben muß, damit wir dem wirkichen Menschenideal mit all unseren Anlagen uns nähern. Aber das, was wir als Sterben in uns hineingießen, gießen wir in die Christus-Wesenheit, so wie sie seit der Begründung des Christentums die menschliche Evolution durchzieht, hinein. Und das, was in uns ungeboren bleibt, unser Fühlen und (S123) Wollen, wir wissen, daß es aufgenommen wird von der Christus-Substanz, in die es eingesenkt wird nach dem Tode.
Da, in uns, lebt der Christus, seitdem er das Mysterium von Golgatha durchlebt hat. In den Christus hinein senken wir das Sterben, das vorhanden ist mit jeder Wahrnehmung. Und wir senken in die Christus-Wesenheit hinein die Abdunkelung im Denken. In das Licht, in das geistige Sonnenlicht des Christus senden wir unsere abgedunkelten Gedanken hinein. Und wenn wir durch die Pforte des Todes schreiten, dann tauchen ein unsere ungeborenen Gefühle und unser ungeborenes Wollen in die Christus-Substanz. Verstehen wir die Entwicklung recht, so sagen wir zu dieser Entwicklung: Wir sterben in den Christus hinein.
In Christo morimur.


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Inneres Wesen des Menschen - 4. Vortrag