Aus dem Vortragszyklus Rudolf Steiners für Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft:
Inneres Wesen des Menschen und Leben zwischen Tod und neuer Geburt
Dritter Vortrag, Wien, 11. April 1914, Gesamtausgabe Nr. 153
Es war gestern meine Aufgabe, im Zusammenhang mit einer Betrachtung über Denken, Fühlen, Wollen und Wahrnehmen einige esoterische Erfahrungen mitzuteilen, welche sich der Menschenseele ergeben, wenn sie geistesforscherisch außer dem Leibe mit der Absicht lebt, etwas über das seelische Innere und seine Wesenheit zu erfahren. Heute wird es meine Aufgabe sein, von einer anderen Seite her solche Erlebnisse anzuführen, weil wir nur dann, wenn wir von den verschiedensten geistigen Gesichtspunkten aus das Leben betrachten, wirklich Aufschluß über dieses Leben gewinnen können.
Stellen Sie sich einmal richtig vor, wie gestern versucht worden ist zu zeigen, was die Menschenseele sieht, wenn sie zunächst auf die eigene Leiblichkeit und das, was physisch damit zusammenhängt, von außerhalb des Leibes zurückblickt, und was sie dann nachher erlebt; also was des Menschen astralischer Leib und Ich erleben, wenn sie sich immer mehr und mehr erkraften in dem Raum, den sie gleichsam außerhalb des Leibes betreten haben. Es gibt nun noch einen anderen Weg, gewissermaßen dasselbe zu betrachten. Das ist ja gerade das Bedeutsame wirklicher geistiger Betrachtungsweise, daß man im Grunde genommen auf die Rätsel des Daseins durch geistige Betrachtung erst dadurch kommt, daß man eine Sache von den verschiedensten Seiten aus betrachtet. Es gibt nämlich noch eine andere Art, aus dem Leib herauszukommen. Ich möchte sagen, die gestern geschilderte Art zeigte uns: es verläßt dabei die Seele den Leib so, daß sie sich aus dem Leibe einfach in den Raum hinaus begibt und da außer dem Leibe zu leben beginnt. Dieses Aus-dem-Leibe-Treten kann noch auf folgende Weise geschehen. Man kann, um den Weg aus sich heraus zu finden, gerade zunächst tiefer in sich hineinzukommen versuchen. Man kann versuchen, an die Erfahrungen anzuknüpfen mit dem, was in der Seele, man möchte sagen, der geistigen Erfahrung am ähnlichsten ist. Man kann versuchen, mit unserem Gedächtnis an die Erlebnisse anzuknüpfen. Es wurde ja öfter gesagt: (S92) Dadurch, daß wir als Menschenseelen imstande sind, nicht nur etwas wahrzunehmen, zu denken, zu fühlen und zu wollen, sondern die Gedanken und Wahrnehmungen aufzubewahren als Gedächtnisschatz, dadurch verwandeln wir unser Innenleben eigentlich schon in etwas Geistiges. Und ich habe in meinem öffentlichen Vortrage darauf hingewiesen, daß der französische Philosoph Bergson sogar schon darauf gekommen ist, daß man das, was als Gedächtnisschatz in der Seele des Menschen vorhanden ist, nicht als irgendwie mit dem Leiblichen unmittelbar zusammenhängend betrachten kann; daß man es vielmehr als eine seelische Innerlichkeit betrachten muß, als etwas, was die Seele entwickelt, was rein geistig-seelisch vorhanden ist.
Und in der Tat, wenn in dem hellseherischen Bewußtsein die Imagination beginnt, wenn aus dem Dunkel des geistigen Daseins die ersten Eindrücke herauftauchen, so sind diese Eindrücke in ihrer Qualität, in ihrer ganzen Wesenheit sehr ähnlich jenem Seeleninhalt, der als Gedächtnisschatz in uns ist. Wie Erinnerungsbilder, aber jetzt doch wiederum wie etwas unendlich viel Geistigeres, treten die Offenbarungen aus der geistigen Welt bei uns auf, wenn wir mit dem hellseherischen Bewußtsein wahrzunehmen beginnen. Wir merken dann gleichsam, daß unser Gedächtnisschatz das erste wirklich Geistige ist, das erste, wodurch wir uns gewissermaßen schon aus unserem Leibe herausheben, daß wir dann aber weiter gehen müssen, daß wir solche im Geistigen schwebenden Bilder, wie das Gedächtnis sie uns bietet - allerdings von viel größerer Lebendigkeit -, aus Geistestiefen herausheben müssen, die nicht unserem Erleben angehören wie die Erinnerungsvorstellungen, daß gleichsam hinter dem Gedächtnis etwas heraufzieht. Das muß festgehalten werden: es zieht etwas herauf aus fremden geistigen Gebieten, währen der Gedächtnisschatz heraufzieht aus dem, was wir im Physischen miterlebt haben.
Wenn wir nun versuchen, den geistigen Blick zurückzulenken auf die Erlebnisse unseres Ich während der Jahre, die wir seit dem Zeitpunkte unserer Kindheit erlebt haben, zu dem unsere Erinnerung zurückreicht, wenn wir versuchen, von allem Äußeren abzusehen und ganz in uns hineinzuleben, so daß wir uns immer mehr in unsere Erinnerungen hineinfinden, aus unserem Erinnerungsschatz auch das (S93) heraufholen, was uns gewöhnlich nicht gegenwärtig ist, dann nähern wir uns immer mehr und mehr dem Zeitpunkt, bis zu dem wir uns zurückerinnern können. Und wenn wir solches oft vornehmen, wenn wir uns sogar eine gewisse Praxis darin aneignen - und wir können das -, sonst längst vergessene Erinnerungen herauszuholen, so daß wir eine stärkere Kraft des Sich-Erinnerns entwickeln, wenn wir immer mehr und mehr Vergessenes heraufholen und dadurch unsere Kraft, die die Erinnerungen heraufschafft, stärker machen, dann werden wir sehen, daß, ich möchte sagen, wie auf einer Wiese zwischen den einzelnen grünen Grashalmen und Graspflanzen Blumen auftauchen, dann zwischen den Erinnerungen Bilder, Imaginationen auftauchen von etwas, was wir vorher nicht gekannt haben. Es ist etwas, was wirklich so auftaucht wie die Blumen auf der Wiese zwischen den Graspflanzen, was aber aus ganz anderen geistigen Tiefen heraufkommt als die Erinnerungen, die eben nur aus unserer eigenen Seele herauftauchen. Und wir lernen dann unterscheiden das, was irgendwie mit unseren Erinnerungen zusammenhängen könnte, von dem, was also herauftaucht aus geistigen Untergründen und geistigen Tiefen. Und so leben wir uns nach und nach in die Möglichkeit ein, eine Kraft zu entfalten, das Geistige herauszuholen aus seinen Untergründen.
Dadurch aber gelangen wir auf eine andere Weise aus unserem Leibe heraus als auf die gestern beschriebene Art. Bei der gestern beschriebenen Art verlassen wir den Leib gewissermaßen unmittelbar. Bei der heute gemeinten Art gehen wir zuerst unser Leben zurück, durchlaufen unser Leben. Wir versenken uns in unser Innenleben, gewöhnen uns, durch die Erstarkung der Erinnerungskraft in unserem Innenleben zwischen unseren Erinnerungen Geistiges hervorzuholen aus der geistigen Welt, und so gelangen wir endlich dazu, hinauszudringen durch unsere Geburt, durch die Zeitenfolgen über unsere Empfängnis hinaus, in die geistige Welt, in der wir gelebt haben, bevor wir uns zu unserer jetzigen Inkarnation mit einer physischen Vererbungssubstanz verbunden haben. Wir gelangen, unser Leben durcheilend, hinaus in die geistige Welt, zurück in die Zeit, bevor wir eben hereingetreten sind in diese Inkarnation. Das ist die andere Art, den Leib zu verlassen, hineinzukommen in das Geistige. Und diese (S94) Art weist einen großen Unterschied auf gegenüber der gestern beschriebenen. Merken Sie wohl auf diese Unterschiede, denn gerade in diesem Vortragszyklus habe ich so manche Feinheiten und Intimitäten des geistigen Lebens vor Ihnen mitzuteilen. Aber es ist schwierig, auf diese Feinheiten und Intimitäten in geeigneten Worten hinzuweisen. Und nur, wenn man versucht, gerade solche Unterscheidungen zu fassen, kommt man richtig in die Dinge hinein und gewinnt ein sicheres Denken über dieselben.
Wenn man so wie ich es jetzt beschrieben habe, den Leib verläßt, so kommt man nämlich ganz anders aus seinem Leibe heraus. Wenn man auf die gestern beschriebene Weise herauskommt aus seinem Leibe, so fühlt man sich wie außerhalb seines Leibes in dem Außenraum. Ich konnte beschreiben, wie man sich verbreitet über den Außenraum, wie man zurückschaut auf seinen physischen Leib. Man tritt aus sich heraus und füllt gleichsam den Raum aus, man tritt in den Raum hinaus. Wenn man aber durchmacht, was hier gemeint ist, dann tritt man aus dem Raum selber hinaus, dann hört der Raum auf, für einen eine Bedeutung zu haben; man verläßt den Raum und man ist dann nur noch in der Zeit. So daß bei einem solchen Verlassen des Leibes das Wort aufhört, einen Sinn zu haben: Ich bin außerhalb meines Leibes - denn das Außerhalb bedeutet ein räumliches Verhältnis. Man fühlt sich dann eben nicht gleichzeitig mit seinem Leibe, man erlebt sich in der Zeit. In der Zeit, in der man war vor der Inkarnation, in einem Vorher. Und den Leib schaut man als nachher existierend. Man ist wirklich nur in der fortströmenden, laufenden Zeit darinnen. Und anstelle des Außen und Innen ist ein Vorher und Nachher getreten.
Wenn wir nun versuchen, den geistigen Blick zurückzulenken auf die Erlebnisse unseres Ich während der Jahre, die wir seit dem Zeitpunkte unserer Kindheit erlebt haben, zu dem unsere Erinnerung zurückreicht, wenn wir versuchen, von allem Äußeren abzusehen und ganz in uns hineinzuleben, so daß wir uns immer mehr in unsere Erinnerungen hineinfinden, aus unserem Erinnerungsschatz auch das (S93) heraufholen, was uns gewöhnlich nicht gegenwärtig ist, dann nähern wir uns immer mehr und mehr dem Zeitpunkt, bis zu dem wir uns zurückerinnern können. Und wenn wir solches oft vornehmen, wenn wir uns sogar eine gewisse Praxis darin aneignen - und wir können das -, sonst längst vergessene Erinnerungen herauszuholen, so daß wir eine stärkere Kraft des Sich-Erinnerns entwickeln, wenn wir immer mehr und mehr Vergessenes heraufholen und dadurch unsere Kraft, die die Erinnerungen heraufschafft, stärker machen, dann werden wir sehen, daß, ich möchte sagen, wie auf einer Wiese zwischen den einzelnen grünen Grashalmen und Graspflanzen Blumen auftauchen, dann zwischen den Erinnerungen Bilder, Imaginationen auftauchen von etwas, was wir vorher nicht gekannt haben. Es ist etwas, was wirklich so auftaucht wie die Blumen auf der Wiese zwischen den Graspflanzen, was aber aus ganz anderen geistigen Tiefen heraufkommt als die Erinnerungen, die eben nur aus unserer eigenen Seele herauftauchen. Und wir lernen dann unterscheiden das, was irgendwie mit unseren Erinnerungen zusammenhängen könnte, von dem, was also herauftaucht aus geistigen Untergründen und geistigen Tiefen. Und so leben wir uns nach und nach in die Möglichkeit ein, eine Kraft zu entfalten, das Geistige herauszuholen aus seinen Untergründen.
Dadurch aber gelangen wir auf eine andere Weise aus unserem Leibe heraus als auf die gestern beschriebene Art. Bei der gestern beschriebenen Art verlassen wir den Leib gewissermaßen unmittelbar. Bei der heute gemeinten Art gehen wir zuerst unser Leben zurück, durchlaufen unser Leben. Wir versenken uns in unser Innenleben, gewöhnen uns, durch die Erstarkung der Erinnerungskraft in unserem Innenleben zwischen unseren Erinnerungen Geistiges hervorzuholen aus der geistigen Welt, und so gelangen wir endlich dazu, hinauszudringen durch unsere Geburt, durch die Zeitenfolgen über unsere Empfängnis hinaus, in die geistige Welt, in der wir gelebt haben, bevor wir uns zu unserer jetzigen Inkarnation mit einer physischen Vererbungssubstanz verbunden haben. Wir gelangen, unser Leben durcheilend, hinaus in die geistige Welt, zurück in die Zeit, bevor wir eben hereingetreten sind in diese Inkarnation. Das ist die andere Art, den Leib zu verlassen, hineinzukommen in das Geistige. Und diese (S94) Art weist einen großen Unterschied auf gegenüber der gestern beschriebenen. Merken Sie wohl auf diese Unterschiede, denn gerade in diesem Vortragszyklus habe ich so manche Feinheiten und Intimitäten des geistigen Lebens vor Ihnen mitzuteilen. Aber es ist schwierig, auf diese Feinheiten und Intimitäten in geeigneten Worten hinzuweisen. Und nur, wenn man versucht, gerade solche Unterscheidungen zu fassen, kommt man richtig in die Dinge hinein und gewinnt ein sicheres Denken über dieselben.
Wenn man so wie ich es jetzt beschrieben habe, den Leib verläßt, so kommt man nämlich ganz anders aus seinem Leibe heraus. Wenn man auf die gestern beschriebene Weise herauskommt aus seinem Leibe, so fühlt man sich wie außerhalb seines Leibes in dem Außenraum. Ich konnte beschreiben, wie man sich verbreitet über den Außenraum, wie man zurückschaut auf seinen physischen Leib. Man tritt aus sich heraus und füllt gleichsam den Raum aus, man tritt in den Raum hinaus. Wenn man aber durchmacht, was hier gemeint ist, dann tritt man aus dem Raum selber hinaus, dann hört der Raum auf, für einen eine Bedeutung zu haben; man verläßt den Raum und man ist dann nur noch in der Zeit. So daß bei einem solchen Verlassen des Leibes das Wort aufhört, einen Sinn zu haben: Ich bin außerhalb meines Leibes - denn das Außerhalb bedeutet ein räumliches Verhältnis. Man fühlt sich dann eben nicht gleichzeitig mit seinem Leibe, man erlebt sich in der Zeit. In der Zeit, in der man war vor der Inkarnation, in einem Vorher. Und den Leib schaut man als nachher existierend. Man ist wirklich nur in der fortströmenden, laufenden Zeit darinnen. Und anstelle des Außen und Innen ist ein Vorher und Nachher getreten.
Dadurch ist man imstande, durch ein solches Herausgehen aus seiner Leiblichkeit, wirklich einzudringen in die Gebiete, die wir durchleben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Denn man geht in der Zeit zurück, man lebt sich ein in ein Leben, das man vor diesem Erdenleben gelebt hat. Und dieses Erdenleben erscheint so, daß wir sagen: Was ist denn dort in der Zukunft, was erscheint uns denn da als Nachher? Sie sehen da eine genaue Angabe über manches, was ich in meinem öffentlichen Vortrage nicht so genau habe (S95) ausführen können: wie man nämlich im Konkreten hineinkommt in die Gebiete, die man durchlebt zwischen dem Tod und einer neuen Geburt.
Nun ist man auf diesem Wege hinausgezogen aus seinem Leibe, indem man in das vorher im Geiste vollbrachte Leben zurückgekehrt ist, man ist damit aber auch aus dem Raum herausgezogen. Dadurch hat dieses Verlassen des Leibes - aus dem Jetzt zu dem Früheren - einen viel höheren Grad von Innerlichkeit als das andere Verlassen, und für den Geistesforscher ist in der Tat dieses jetzt geschilderte Verlassen des Leibes von unendlich größerer Bedeutung als das gestern geschilderte, das nicht aus dem Raume herauskommt. Denn eigentlich begreift man dasjenige, was so recht tiefe Innerlichkeiten der Seele angeht, im Grunde erst auf dem heute beschriebenen Wege. Und da möchte ich Ihnen zunächst eines anführen, aus dem Sie ersehen werden, wie man versuchen muß, hinter die Intimitäten und Feinheiten des menschlichen Lebens zu kommen.
Im physischen Leibe hier leben wir unser physisches Leben. Wir bedienen uns unserer Sinne, nehmen die Welt wahr, wir stellen die Welt vor, fühlen in ihr, versuchen uns durch unsere Handlungen in dieser Welt einen Wert zu geben, wir handeln bewußt durch unseren Leib. So geht das alltägliche Leben vor sich, so geht das Leben vor sich, insofern wir dem physischen Plan angehören. Nun muß es aber für jeden Menschen, der seine Menschenwürde wahrhaft in sich erfühlen will, ein höheres Leben geben; und es hat immer ein höheres Seelenleben gegeben. Die Religionen, die den Menschen mit höherem Leben erfüllen, waren immer da. Geisteswissenschaft wird den Menschen in der Zukunft mit einem solchen höheren Leben erfüllen. Was will dieses höhere Leben? Was will dieses Leben, das in Gedanken, in Gefühlen, in Empfindungen, hinausgeht über das, was der physische Plan bieten kann, das bei dem einen nur in dunklen Ahnungen auf religiösem Gebiet, bei dem anderen in klar umrissenen Linien der Geisteswissenschaft hinausgeht über das, was die Sinne schauen können, was man mit seinem an das Gehirn gebundenen Verstande denken kann, was man mit seinem Leibe in der Welt verrichten kann?
(S96) ...wird fortgesetzt