Aus dem Vortragszyklus Rudolf Steiners für Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft:
Inneres Wesen des Menschen und Leben zwischen Tod und neuer Geburt
Zweiter Vortrag, Wien, 10.. April 1914, Gesamtausgabe Nr. 153
Das Heraustreten aus dem Leibe durch das Erstarken der Erinnerungskraft; Erleben des rein Zeitlichen vor der Inkarnation. Religiosität, Versuchung, Erziehung im vorgeburtlichen Zeitstrom.
Es war gestern meine Aufgabe, im Zusammenhang mit einer Betrachtung über Denken, Fühlen, Wollen und Wahrnehmen einige esoterische Erfahrungen mitzuteilen, welche sich der Menschenseele ergeben, wenn sie geistesforscherisch außer dem Leibe mit der Absicht lebt, etwas über das seelische Innere und seine Wesenheit zu erfahren. Heute wird es meine Aufgabe sein, von einer anderen Seite her solche Erlebnisse anzuführen, weil wir nur dann, wenn wir von den verschiedensten geistigen Gesichtspunkten aus das Leben betrachten, wirklich Aufschluß über dieses Leben gewinnen können.
Stellen Sie sich einmal richtig vor, wie gestern versucht worden ist zu zeigen, was die Menschenseele sieht, wenn sie zunächst auf die eigene Leiblichkeit und das, was physisch damit zusammenhängt, von außerhalb des Leibes zurückblickt, und was sie dann nachher erlebt; also was des Menschen astralischer Leib und Ich erleben, wenn sie sich immer mehr und mehr erkraften in dem Raum, den sie gleichsam außerhalb des Leibes betreten haben. Es gibt nun noch einen anderen Weg, gewissermaßen dasselbe zu betrachten. Das ist ja gerade das Bedeutsame wirklicher geistiger Betrachtungsweise, daß man im Grunde genommen auf die Rätsel des Daseins durch geistige Betrachtung erst dadurch kommt, daß man eine Sache von den verschiedensten Seiten aus betrachtet. Es gibt nämlich noch eine andere Art, aus dem Leib herauszukommen. Ich möchte sagen, die gestern geschilderte Art zeigte uns: es verläßt dabei die Seele den Leib so, daß sie sich aus dem Leibe einfach in den Raum hinaus begibt und da außer dem Leibe zu leben beginnt. Dieses Aus-dem-Leibe-Treten kann noch auf folgende Weise geschehen. Man kann, um den Weg aus sich heraus zu finden, gerade zunächst tiefer in sich hineinzukommen versuchen. Man kann versuchen, an die Erfahrungen anzuknüpfen mit dem, was in der Seele, man möchte sagen, der geistigen Erfahrung am ähnlichsten ist. Man kann versuchen, mit unserem Gedächtnis an die Erlebnisse anzuknüpfen. Es wurde ja öfter gesagt: (S92) Dadurch, daß wir als Menschenseelen imstande sind, nicht nur etwas wahrzunehmen, zu denken, zu fühlen und zu wollen, sondern die Gedanken und Wahrnehmungen aufzubewahren als Gedächtnisschatz, dadurch verwandeln wir unser Innenleben eigentlich schon in etwas Geistiges. Und ich habe in meinem öffentlichen Vortrage darauf hingewiesen, daß der französische Philosoph Bergson sogar schon darauf gekommen ist, daß man das, was als Gedächtnisschatz in der Seele vorhanden ist, nicht als irgendwie mit dem Leiblichen unmittelbar zusammenhängend betrachten kann; daß man es vielmehr als eine seelische Innerlichkeit betrachten muß, als etwas, was die Seele entwickelt, was rein geistig-seelisch vorhanden ist.
Und in der Tat, wenn in dem hellseherischen Bewußtsein die Imagination beginnt, wenn aus dem Dunkel des geistigen Daseins die ersten Eindrücke herauftauchen, so sind diese Eindrücke in ihrer Qualität, in ihrer ganzen Wesenheit sehr ähnlich jenem Seeleninhalt, der als Gedächtnisschatz in uns ist. Wie Erinnerungsbilder, aber jetzt doch wiederum wie etwas unendlich viel Geistigeres, treten die Offenbarungen aus der geistigen Welt bei uns auf, wenn wir mit dem hellseherischen Bewußtsein wahrzunehmen beginnen. Wir merken dann gleichsam, daß unser Gedächtnisschatz das erste wirklich Geistige ist, das erste, womit wir uns gewissermaßen schon aus unserem Leibe herausheben, daß wir dann aber weiter gehen müssen, daß wir solche im Geistigen schwebende Bilder, wie das Gedächtnis sie uns bietet - allerdings von viel größerer Lebendigkeit -, aus Geistestiefen heraufheben müssen, die nicht unserem Erleben angehören wie die Erinnerungsvorstellungen, daß gleichsam hinter dem Gedächtnis etwas heraufzieht. Das muß festgehallten werden: es zieht etwas herauf aus fremden geistigen Gebieten, während der Gedächtnisschatz heraufzieht aus dem, was wir im Physischen miterlebt haben.
Wenn wir nun versuchen, den geistigen Blick zurückzulenken auf die Erlebnisse unseres Ich während der Jahre, die wir seit dem Zeitpunkt unserer Kindheit erlebt haben, zu dem unsere Erinnerung zurückreicht, wenn wir versuchen, von allem Äußeren abzusehen und ganz in uns hineinzuleben, so daß wir uns immer mehr in unsere Erinnerungen hineinfinden, aus unserem Erinnerungsschatz auch das (S93) heraufholen, was uns gewöhnlich nicht gegenwärtig ist, dann nähern wir uns immer mehr und mehr dem Zeitpunkt, bis zu dem wir uns zurückerinnern können. Und wenn wir solches oft vornehmen, wenn wir uns sogar eine gewisse Praxis darin aneignen - und wir können das -, sonst längst vergessene Erinnerungen heraufzuholen, so daß wir eine stärkere Kraft des Sich-Erinnerns entwickeln, wenn wir immer mehr und mehr Vergessenes heraufholen und dadurch unsere Kraft, die die Erinnerungen heraufschafft, stärker machen, dann werden wir sehen, daß, ich möchte sagen, wie auf einer Wiese zwischen den Graspflanzen, was aber aus ganz anderen geistigen Tiefen heraufkommt als die Erinnerungen, die eben nur aus unserer eigenen Seele herauftauchen. Und wir lernen dann unterscheiden das, was irgendwie mit unseren Erinnerungen zusammenhängen könnte, von dem, was also herauftaucht aus geistigen Untergründen und geistigen Tiefen. Und so leben wir uns nach und nach in die Möglichkeit ein, eine Kraft zu entfalten, das Geistige herauszuholen aus seinen Untergründen.
Dadurch aber gelangen wir auf eine andere Weise aus unserem Leib heraus als auf die gestern beschriebene Art. Bei der gestern beschriebenen Art verlassen wir den Leib gewissermaßen unmittelbar. Bei der heute gemeinten Art gehen wir zuerst unser Leben zurück, durchlaufen unser Leben. Wir versenken uns in unser Innenleben, gewöhnen uns, durch die Erstarkung der Erinnerungskraft in unserem Innenleben zwischen unseren Erinnerungen Geistiges hervorzuholen aus der geistigen Welt, und so gelangen wir endlich dazu, hinauszudringen durch unsere Geburt, durch die Zeitenfolgen über unsere Empfängnis hinaus, in die geistige Welt, in der wir gelebt haben, bevor wir uns zu unserer jetzigen Inkarnation mit einer physischen Vererbungsubstanz verbunden haben. Wir gelangen, unser Leben durcheilend, hinaus in die geistige Welt, zurück in die Zeit, bevor wir eben hereingetreten sind in diese Inkarnation. Das ist die andere Art, den Leib zu verlassen, hinauszukommen in das Geistige. Und diese (S94) Art weist einen großen Unterschied auf gegenüber der gestern beschriebenen. Merken Sie wohl auf diese Unterschiede, denn gerade in diesem Vortragszyklus habe ich so manche Feinheiten und Intimitäten des geistigen Lebens vor Ihnen mitzuteilen. Aber es ist schwierig, auf diese Feinheiten und Intimitäten in geeigneten Worten hinzuweisen. Und nur, wenn man versucht, gerade solche Unterscheidungen zu fassen, kommt man richtig in die Dinge hinein und gewinnt ein sicheres Denken über dieselben.
Wenn man so, wie ich es jetzt beschrieben habe, den Leib verläßt, so kommt man nämlich ganz anders aus seinem Leibe heraus. Wenn man auf die gestern beschriebene Weise herauskommt aus seinem Leibe, so fühlt man sich wie außerhalb seines Leibes in dem Außenraum. Ich konnte beschreiben, wie man sich verbreitet über den Außenraum, wie man zurückschaut auf seinen physischen Leib. Man tritt aus sich heraus und füllt gleichsam den Raum aus, man tritt in den Raum hinaus. Wenn man aber durchmacht, was jetzt hier gemeint ist, dann tritt man aus dem Raum selber hinaus, dann hört der Raum auf, eine Bedeutung zu haben für einen; man verläßt den Raum und man ist dann nur noch in der Zeit. So daß bei einem solchen Verlassen des Leibes das Wort aufhört, einen Sinn zu haben: Ich bin außerhalb meines Leibes - denn das Außerhalb bedeutet ein räumliches Verhältnis. Man fühlt sich dann eben nicht gleichzeitig mit seinem Leibe, man erlebt sich in der Zeit. In der Zeit, in der man war vor der Inkarnation, in einem Vorher. Und den Leib schaut man als nachher existierend. Man ist wirklich nur in der fortströmenden, laufenden Zeit darinnen. Und anstelle des Außen und Innen ist ein Vorher und Nachher getreten.
Dadurch ist man imstande, durch ein solches Herausgehen aus seiner Leiblichkeit, wirklich einzudringen in die Gebiete, die wir durchleben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Denn man geht in der Zeit zurück, man lebt sich ein in ein Leben, das man vor diesem Erdenleben gelebt hat. Und dieses Erdenleben erscheint so, daß wir sagen: Was ist denn dort in der Zukunft, was erscheint uns denn da als Nachher? Sie sehen da eine genauere Angabe über manches, was ich in meinem öffentlichen Vortrag nicht so genau habe (S95) ausführen können: wie man nämlich im Konkreten hineinkommt in die Gebiete, die man durchlebt zwischen dem Tod und einer neuen Geburt.
Nun ist man auf diesem Wege hinausgegangen aus seinem Leibe, indem man in das vorher im Geiste vollbrachte Leben zurückgekehrt ist, man ist damit aber auch aus dem Raum herausgegangen. Dadurch hat dieses Verlassen des Leibes - aus dem Jetzt zu dem Früheren - einen viel höheren Grad von Innerlichkeit als das andere Verlassen, und für den Geistesforscher ist in der Tat dieses jetzt geschilderte Verlassen des Leibes von unendlich größerer Bedeutung als das gestern geschilderte, das nicht aus dem Raume herauskommt. Denn eigentlich begreift man dasjenige, was so recht tiefe Innerlichkeiten der Seele angeht, im Grunde erst auf dem heute beschriebenen Wege. Und da möchte ich Ihnen zunächst eines anführen, aus dem Sie ersehen werden, wie man versuchen muß, hinter die Intimitäten und und Feinheiten des menschlichen Lebens zu kommen.
Im physischen Leibe hier leben wir unser physisches Leben. Wir bedienen uns unserer Sinne, nehmen die Welt wahr, wir stellen die Welt vor, fühlen in ihr, versuchen uns durch unsere Handlungen in dieser Welt einen Wert zu geben, wir handeln bewußt durch unseren Leib. So geht das alltägliche Leben vor sich, so geht das Leben vor sich, insofern wir dem physischen Plan angehören. Nun muß es aber für jeden Menschen, der seine Menschenwürde wahrhaft in sich erfühlen will, ein höheres Leben geben; und es hat immer ein höheres Seelenleben gegeben. Die Religionen, die den Menschen mit höherem Leben erfüllten, waren immer da. Geisteswissenschaft wird den Menschen in der Zukunft mit einem solchen höheren Leben erfüllen. Was will dieses höhere Leben? Was will dieses Leben, das in Gedanken, in Gefühlen, in Empfindungen hinausgeht über das, was der physische Plan bieten kann, das bei dem einen nur in dunklen Ahnungen auf religiösem Gebiet, bei dem anderen in klar umrissenen Linien der Geisteswissenschaft hinausgeht über das, was die Sinne schauen können, was man mit seinem an das Gehirn gebundenen Verstande denken kann, was man mit seinem Leibe in der Welt verrichten kann?
(S96) Nach einem geistigen Leben hin tendiert die menschliche Seele. Ein geistiges Leben in sich zu erfühlen, von einem solchen geistigen Leben etwas wissen, das über das physische Leben hinausgeht, das gibt dem Menschen eigentlich erst seine Würde. Man könnte sagen: Solange der Mensch im physischen Leibe weilt, sucht er seine Würde zu erhöhen, sucht er seine eigentliche Bestimmung zu erahnen durch ein Leben, das er sich vorstellt als über die physische Welt hinausgehend, durch ein Erahnen, Empfinden, Erkennen einer geistigen Welt. Blicke auf zum Geiste, fühle, daß geistige Kräfte durch die physischen Welten weben: das sind im Grunde genommen die Töne, die das religiöse und das damit verwandte Leben dem Menschen geben sollen. Und die Sorge des Erziehers, der es mit einem heranwachsenden Menschenkinde ernst meint, wird sein, dieses Menschenkind nicht so aufwachsen zu lassen, daß es nur in den äußeren materiellen Vorstellungen lebt, sondern ihm Vorstellungen von einer übersinnlichen Welt beizubringen.
Nennen wir jetzt, ohne damit hinweisen zu wollen auf das Engumschränkte oder dogmatisch Eingeengte der Religionssysteme, nennen wir das, was so den Menschen hinauszieht aus dieser physischen Welt, Religion, und fragen wir gegenüber dem, was wir gerade geschildert haben als ein Hinausgehen der menschlichen Seele über Geburt und Empfängnis in eine dem Erdenleben vorhergehende geistige Welt hinein, wo die Seele auch aus dem Raume heraus ist, fragen wir demgegenüber: Gibt es nun zwischen dem Tod und einer neuen Geburt in der Welt, die wir so betreten, wie wir es auseinandergesetzt haben, etwas, was man eine Religion jenes Geisterlandes nennen könnte? Gibt es da drüben etwas, was sich mit dem religiösen Leben auf der Erde vergleichen ließe? Wir haben schon in manchen Einzelheiten geschildert und werden noch weiter die Vorgänge zu schildern haben, die der Mensch zwischen dem Tod und einer neuen Geburt durchlebt. Aber jetzt fragen wir uns: Gibt es so etwas wie eine Religion in diesem geistigen Leben? Etwas, von dem man sagen kann: es steht den Erlebnissen, die wir für das Geisterland schildern, so gegenüber, wie die Hinweise auf die übersinnliche Welt dem Alltagsleben des physischen Planes gegenüberstehen?
(S97) Derjenige, der auf die geschilderte Weise aus seinem Leibe herauskommt, der kommt zu der Erkenntnis, daß es so etwas wie eine Art religiösen Lebens da drüben in diesem Geisterlande auch gibt. Und merkwürdigerweise, während man alles das, was man im Geisterlande um sich herum hat, geistige Wesenheiten und geistige Vorgänge, so erlebt wie man hier physische Wesen und physische Vorgänge erlebt, hat man dort fortdauernd während dieses Lebens, oder wenigstens während eines großen Teiles dieses Lebens zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, wie ein mächtiges geistiges Gebilde, das Bild des Menschenideals vor sich. Alles, was über den Menschen hinausgeht, hat man hier auf der Erde als Religion. Das Menschenideal, man hat es drüben in der geistigen Welt als Religion. Man lernt verstehen, daß die verschiedenen Wesenheiten der verschiedenen geistigen Hierarchien ihre Absichten, ihre Kräfte zusammenwirken ließen, um im Weltenstrome auf die Art, wie es in meiner <<Geheimwissenschaft im Umriß>> beschrieben ist, allmählich den Menschen hervorgehen zu lassen. Den Göttern schwebte als Ziel ihrer Schöpfung das Menschenideal vor, und zwar jenes Menschenideal, welches wirklich sich nicht so auslebt, wie jetzt der physische Mensch ist, sondern so, wie höchstes menschliches Seelen-Geistesleben in den vollkommen ausgebildeten Anlagen dieses physischen Menschen sich ausleben könnte.
So schwebt als Ziel, als höchstes Ideal, als die Götterreligion den Göttern ein Bild der Menschheit vor. Und wie am fernen Ufer des Götterseins schwebt für die Götter der Tempel, der als höchste künstlerische Götterleistung das Abbild des göttlichen Seins im Menschenbilde hinstellt. Und das ist das Eigentümliche, daß der Mensch, während er sich im Geisterlande zwischen dem Tod und einer neuen Geburt heranbildet, sich nach und nach dort immer reifer und reifer macht zum Schauen dieses Menschheitsstempels, dieses hohen Menschheitsideals. Und während wir hier auf Erden das religiöse Leben so empfinden, daß es unsere freie Tat sein muß, daß wir es aus uns herausholen müssen, daß es dem materialistischen Sinn auch möglich ist, das Religiöse zu verleugnen, ist das Umgekehrte im Geisterland zwischen dem Tod und einer neuen Geburt der Fall. Je mehr wir in die zweite Hälfte der Zeit zwischen dem Tod und einer neuen Geburt (S98) hineinleben, desto deutlicher steht vor uns, so daß wir es nicht übersehen können, so daß es immer vor unserem geistigen Blicke ist, das hehrste Menschenideal, das Götterziel der Welten. Hier auf Erden kann der Mensch irreligiös sein, weil seine Seele gegenüber dem Physischen den Geist übersehen kann. Drüben ist es unmöglich, daß der Mensch nicht das Götterziel schaut; denn das stellt sich ihm mit Sicherheit vor Augen. So steht, namentlich in der zweiten Hälfte des Lebens zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, wie am Ufer des Seins, das heißt am Ufer der dahinströmenden Zeit - nehmen Sie jetzt alle Ausdrücke so, daß wir es zu tun haben außerhalb des Raumes mit der Zeit -, so steht es da, das Menschheitsideal. Eine Erkenntnisreligion kann es drüben nicht geben; denn erkennen muß man das, was religiöser Inhalt ist. Das, was ich jetzt geschildert habe, ist drüben religiöser Inhalt. In diesem Sinne irreligiös sein kann kein Mensch sein, daß er das religiöse Ideal des Geisterlandes nicht vor sich hätte. Denn das steht durch sich selbst da, es ist Götterziel und wird hingestellt als die mächtigste, glorioseste Imagination, wenn wir die zweite Hälfte des Lebens zwischen dem Tod und einer neuer Geburt antreten. Aber wenn wir so auch nicht eine Erkenntnisreligion drüben entwickeln können, so entwickeln wir doch unter der Anleitung höherer geistiger Wesenheiten, die da drüben für die Menschen tätig sind, eine Art Religion.
Während uns aber Erkennen, Schauen nicht gelehrt werden kann, weil es ja selbstverständlich ist, muß unser Wollen, unser wollendes Fühlen, unser fühlendes Wollen angeeifert werden in der zweiten Hälfte des Lebens zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Es sind ja alle Ausdrücke ungeschickt für dieses ganz andersartige Leben, dennoch darf der Ausdruck gebraucht werden: hier werden wir in bezug auf unseren Verstand unterrichtet; nur wenn ein Lehrer durch die Vorstellung geht, wirkt er hier auf Erden weiter auf unser Gefühl. Drüben ist es so, daß, wenn man den weiter noch zu (S99) schildernden Zeitpunkt der Mitte zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, wenn man das, was ich in meinem letzten Mysteriendrama <<Der Seelen Erwachen>> die Mitternachtsstunde genannt habe, überschritten hat, daß dann zunächst eine gewisse Dumpfheit da ist in bezug auf das Wollen und Fühlen gegenüber dem, was wie ein herrlicher Tempel in den Fernen der Zeit steht. Da durchglühen und durchwärmen göttliche Kräfte unsere inneren Seelenvermögen: ein Unterricht ist es, der unmittelbar zu unserem Inneren spricht und der sich so äußert, daß wir immer mehr und mehr die Fähigkeit gewinnen, wirklich den Weg gehen zu wollen zu dem, was wir so als ein Ideal schauen. Während wir im physischen Leben einem Lehrer gegenüberstehen können oder einem Erzieher, und er uns gegenüberstehen kann, und wir uns doch im Grunde so fühlen, daß er von außen in uns herein in unser Herz spricht, fühlen wir, daß unsere geistigen Erzieher der höheren Hierarchien, indem sie uns so erziehen, wie ich es jetzt geschildert habe, unmittelbar in unser Inneres herein ihre eigenen Kräfte strömen lassen. Irdische Erzieher sprechen zu uns, geistige Erzieher im Leben zwischen Tod und einer neuen Geburt geben uns ihr Leben in unsere Seelen herein, indem sie uns geistig religiös erziehen. Und so fühlen wir sie immer mehr und mehr in uns, diese Erzieher aus den höheren Hierarchien, so fühlen wir uns immer inniger mit ihnen verbunden. Dadurch aber erkraftet und und erstarkt sich unser Innenleben. Du bist immer mehr und mehr von den Göttern angenommen, in dir leben immer mehr und mehr die Götter, und sie helfen dir, daß du immer mehr und mehr innerlich wirst! Das ist es, was als ein Grundgefühl durchgeht durch dieses Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, namentlich in seiner zweiten Hälfte.
So sehen wir, wie alles in diesem Leben daraufhin angelegt ist, daß unsere Erlebnisse unmittelbar in den Tiefen unserer Seele selbst ablaufen. Nun kommen wir aber, indem wir also von den Göttern unterrichtet werden, an einen bestimmten Punkt des Erlebens zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. An einen wichtigen Punkt kommen wir. Es ist, ich möchte sagen, in der Zeiten fernster Ferne, wo wir das Menschenideal erblicken; die Kräfte aber, die in uns durch diese unsere göttlich-geistigen Erzieher gelegt werden können, die sind ( S100) abhängig von dem, was wir im Laufe unserer Inkarnationen, im Laufe unseres vorhergehenden Menschenlebens aus uns gemacht haben. Und so stehen wir, indem wir heranleben von der Weltenmitternacht, gerade in der Mitte zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, und immer weiterleben in die Zeiten hinein und in fernsten Zeiten das Menschenideal sehen, dann endlich an einem Punkt, an der letzten Perspektive des Menschenideals. Aber so stehen wir an diesem Punkt, daß wir uns nun sagen müssen - wir sagen es uns natürlich nicht, wir erleben es ganz innerlich, aber man muß es mit den Worten des gewöhnlichen Lebens aussprechen -: Göttlich-geistige Kräfte haben an dir gewirkt, sind immer innerlicher in deiner Seele geworden, leben jetzt in dir; aber jetzt bist du an dem Punkte, wo du dich nicht mehr weiter mit diesen Kräften durchdringen kannst, denn du müßtest viel vollkommener sein, wenn du weitergehen wolltest als bis hierher.
Und jetzt kommt ein wichtiger Entscheidungspunkt. In diesem Augenblick tritt an uns eine harte Versuchung heran! Die Götter haben es gut mit uns gemeint, sie haben uns alles das gegeben, was sie uns zunächst geben können, sie haben uns so stark gemacht, als es nach Maßgabe der Kraft möglich war, die wir im bisherigen Leben uns erworben haben. So ist diese uns von den Göttern gegebene Stärke in uns, und die Versuchung tritt an uns heran, die uns sagt: Ja, du kannst jetzt diesen Göttern folgen, du kannst jetzt alles, was du bist, gleichsam einfließen lassen in das, was die Götter dir gegeben haben an Kräften, du kannst in die geistigen Welten hineingehen.
Man kann sich ganz vergeistigen: diese Aussicht steht vor einem. Aber man kann das nur, indem man seinen Weg von der Bahn nach dem großen Menschheitsideale hin ablenkt, indem man herausgeht aus der Bahn. Das heißt mit anderen Worten: man schlägt den Weg ein in die geistigen Welten, indem man all seine Unvollkommenheiten in die geistige Welt mit hineinnimmt. Sie würden sich dort schon in Vollkommenheiten verwandeln. Sie täten es wirklich. Man könnte mit den Unvollkommenheiten hinein, man würde mit ihnen, weil man von göttlichen Kräften durchdrungen wäre, ein Wesen sein. Aber (S101) dieses Wesen müßte verzichten auf Anlagen, die es doch in sich hat, die es noch nicht auf seinem bisherigen Wege ausgebildet hat und die nach der Richtung des großen Menschheitsideals liegen; auf die müßte es verzichten. Jedesmal, bevor wir zu einer Erdeninkarnation gehen, tritt an uns die Versuchung heran, in der geistigen Welt zu bleiben, in den Geist einzutreten und sich vorwärts zu entwickeln mit demjenigen, was man schon ist, was jetzt ganz durchgöttlicht ist, und zu verzichten auf das, was man als Mensch noch immer mehr werden könnte auf der Bahn nach dem fernen religiösen Ideal der göttlich-geistigen Welt hin. Es tritt die Versuchung heran, irreligiös für das Geisterland zu werden.
Diese Versuchung tritt um so mehr heran, als in keinem Moment der Menschheitsentwickelung Luzifer eine größere Gewalt hat über den Menschen als in diesem Augenblick, wo er ihm einbläst: Ergreife jetzt die Gelegenheit, du kannst im Geiste bleiben, du kannst alles das, was du entwickelt hast, in das geistige Licht überführen! Und vergessen zu machen der Seele, soweit es irgend möglich ist, sucht Luzifer das, was noch als Anlagen vorhanden ist, was da steht in dem fernen Tempel am fernen Ufer des Zeitenseins.
So wie die Menschheit jetzt ist, würde der Mensch nicht in der Lage sein, in diesem Punkt der Versuchung Luzifers zu widerstehen, wenn nicht die Geister, deren Gegner Luzifer ist, jetzt die Angelegenheiten des Menschen übernehmen würden. Und es tritt der Kampf der den Menschen zu seinem Ideale vorwärtsleitenden Götter ein, der die Götterreligion bekennenden Götter mit Luzifer um eine Menschenseele. Und das Ergebnis dieses Kampfes ist, daß das Urbild, das sich der Mensch von seinem irdischen Dasein gebildet hat, herausgeworfen wird aus der Zeit in den Raum, angezogen wird magnetisch vom Raumesdasein., Dies ist auch der Moment, wo jene magnetische Anziehung durch das Elternpaar auftritt, wo der Mensch hineinversetzt wird in die Raumessphären, Verwandtschaft gewinnt mit der Raumessphäre. Dadurch aber wird alles dasjenige um den Menschen verhüllt, was ihm die Versuchung einflößen könnte, nur in der geistigen Welt zu bleiben. Und diese Verhüllung drückt sich aus eben in seiner Umhüllung mit der Leiblichkeit. Er wird in die Leiblichkeit (S102) eingefügt, damit er nicht schaut, was Luzifer vor ihn hinstellen will. Und wenn er in die leibliche Hülle eingehüllt ist und durch seine leiblichen Sinne und seinen leiblichen Verstand nunmehr die Welt ansieht, so sieht er nicht das, was er sonst in der geistigen Welt, durch den Versucher verführt, anstreben möchte, er sieht es nicht, er schaut diese Welt geistiger Wesenheiten und Vorgänge von außen, wie sie sich für die Sinne und den an das Gehirn gebundenen Verstand offenbaren. Und indem er im Sinnesleibe ist, übernehmen die ihn vorwärtsbringenden Geister seine Entwickelung.
Und fragen wir uns jetzt: Wieviel geht mit uns vor zwischen der Geburt und dem Tode in den unterbewußten Seelentiefen, wieviel geht mit uns vor, ohne daß wir davon wissen? - Wenn wir uns so leiten müßten, daß wir alles bewußt vollbringen, so könnten wir das Erdendasein durchaus nicht vollenden. Ich habe schon darauf hingewiesen in meinem Buche über <<Die geistige Führung des Menschen und der Menschheit>>: der Mensch muß, indem er in die physische Inkarnation tritt, selber erst plastisch an seinem Gehirn- und Nervensystem arbeiten. Er arbeitet, aber er arbeitet unbewußt daran. Das alles ist der Ausdruck einer viel größeren Weisheit als diejenige ist, die der Mensch begreifen kann mit seinem sinnlichen Verstand. In uns waltet zwischen der Geburt und dem Tode eine Weisheit, die hinter der Welt vorhanden ist, die wir mit unseren Sinnen anschauen und über welche wir mit unserem an das Gehirn gebundenen Verstand denken. Dahinter ist sie vorhanden, diese Weisheit; sie ist verhüllt vor uns zwischen der Geburt und dem Tode. Aber sie waltet, webt, wirkt in uns in den unterbewußten Seelentiefen, und sie muß sozusagen in diesen unterbewußten Seelentiefen des Menschen Angelegenheiten in die Hand nehmen, weil der Mensch auf einige Zeit hindurch weggerückt werden muß von einem Anblick, der für ihn versucherisch wäre. Die ganze Zeit, während welcher wir in unserem physischen Leibe leben, würden wir unter sonst normalen Verhältnissen, ohne daß wir eben durch eine sorgfältige Schulung in die geistige Welt eingeführt werden, wenn der Hüter der Schwelle uns das Hineinschauen in die geistigen Welten nicht vorenthielte, unser ganzes Leben Schritt für Schritt versucht sein, unsere noch unvollkommenen, unsere noch (S103) nicht herausgekommenen Menschenanlagen fallen zu lassen und dem Hinaufschwung in die geistigen Welten zu folgen, aber mit unseren Unvollkommenheiten. Wir brauchen die Zeit unseres Erdenlebens, um in dieser Zeit der Versuchung Luzifers entrückt zu sein.
Bis zu dem angegebenen Zeitpunkte, wo wir in den Raum herausgeführt werden, hat Luzifer noch nicht die Gewalt, denn da gibt es immer noch eine Möglichkeit, vorwärtszuschreiten, aber er kommt eben in dem Moment heran, wo wir an dem Entscheidungspunkte angelangt sind. Durch unser vorhergehendes Leben können wir nicht vorwärtsschreiten, so wollen wir mit den Unvollkommenheiten abirren und in der geistigen Welt verbleiben. Davor schützen uns die fortschreitenden Geister, deren Gegner Luzifer ist, indem sie uns dieser geistigen Welt entrücken, indem sie sie vor uns verhüllen, und das, was aus dieser geistigen Welt heraus geschehen muß an uns, hinter unserem Bewußtsein vollziehen.
So stehen wir da als Menschen in der Welt, mit unserem Bewußtsein in unserem physischen Leibe und sagen uns: Habt Dank, ihr Götter! So viel habt ihr uns gelassen von der Möglichkeit, etwas zu wissen von der Welt, als gerade gut ist für uns. - Denn blickten wir hinter die Schwelle desjenigen, was unser Bewußtseinshorizont ist, so stünden wir in jedem Augenblick vor der Gefahr, unser Menschheitsziel nicht erreichen zu wollen. Aus jenem helleren, höheren Bewußtseinszustand, in dem wir zwischen dem Tod und einer neuen Geburt sind, wo wir geistige Welten und geistige Wesenheiten um uns herum haben, wo wir im Geiste sind, mußten wir in die Welt des Raumes versetzt werden, damit uns in der Welt des Raumes verhüllt werde die Welt, die wir nicht ertragen könnten, bis wir die Zeit durchgemacht haben zwischen der Geburt und dem Tode, die Zeit, in der wir, dadurch, daß wir der geistigen Welt entrückt waren, dadurch daß diese geistige Welt in dieser Zeit nicht auf uns gewirkt hat, daß nur materielle Dinge uns umgeben haben, wiederum einen neuen Antrieb empfangen haben nach den fernen Zielen des Menschheitsideales hin. Denn in der ganzen Zeit, während welcher wir auf Erden leben, während welcher wir mit unserem Bewußtsein nicht in die geistige Welt hineinsehen, wirken nun wiederum, indem sie jetzt nicht durch (S104) unser Bewußtsein gestört sind, indem sie nicht gestört sind dadurch, daß wir versucht sind, Luzifer zu folgen, in uns die uns vorwärtstreibenden göttlichen Geister. Und sie flößen uns wiederum so viel Kraft ein, daß, wenn wir durch die Pforte des Todes gehen, wir wiederum ein Stück vorwärtsdringen können nach dem Menschheitsideale hin.
Das ist auch noch ein Geheimnis, das hinter dem Menschendasein steht, das ich mit diesen Worten angedeutet habe. Und ich denke, es ist eine gute Osterempfindung, hinzuschauen auf jene Verhältnisse des Lebens, die mehr durch innerliches Herausgehen aus dem Leibe erreicht werden, hinzuschauen auf die Verhältnisse zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, und dem Leben, das wir nachher im physischen Leibe gewinnen. Da blicken wir hin auf dieses Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt und werden gewahr der Führung der guten göttlich-geistigen Wesen, die uns vorwärts helfen. Wie zu unserer Vergangenheit im Geiste sehen wir zu diesen göttlich-geistigen Wesen auf, und wir verstehen jetzt von diesem unserem Sein im Leibe zwischen der Geburt und dem Tode, daß es uns verliehen worden ist von den Göttern, damit die Götter eine Weile, ohne daß wir etwas dazu zu tun brauchen, für uns sorgen können zu unserer Weiterentwickelung. Während wir die Welt wahrnehmen, während wir in der Welt denken, in ihr fühlen, in ihr wollen, während wir unseren Erinnerungsschatz aufspeichern, um im physischen Dasein ein zusammenhängendes Sein zu haben, arbeiten hinter alle dem, hinter diesem unserem bewußten Leben die göttlich-geistigen Wesenheiten. Sie lenken fort den Strom der Zeit. Sie haben uns entlassen in den Raum, damit wir in diesem Raume gerade so viel Bewußtsein haben, als es diese Götter für gut finden uns zu lassen, wenn sie hinter diesem Bewußtsein unsere Geschicke nach dem großen Menschheitsideale, nach dem Ideale der Götterreligion weiter lenken wollen.
Blicken wir so auf unser Inneres - jetzt auf dasjenige Innere, das wir mit unserem Bewußtsein gar nicht einmal in normalen Verhältnissen de Lebens schauen und erforschen können -, versuchen wir uns zu durchdringen mit der Empfindung: Da in dir lebt etwas, was du allerdings mit den normalen Kräften des Menschenlebens nicht (S105) durchschaust, was aber dein tiefstes inneres Seelisches ist; suchen wir es gewahr zu werden in uns, dieses tiefere in uns verborgene Seelische, und versuchen wir dann gewahr zu werden, wie in diesem Seelischen, das wir selber nicht lenken, die Götter walten, der Gott in uns waltet: da bekommen wir das rechte Gefühl von dem in uns waltenden Gott. Und daß ein solches Gefühl entstehe, ein solches rechtes Ostergefühl, dafür möchte ich eigentlich die heutigen Worte gesprochen haben, nicht so sehr wegen ihres theoretischen Inhaltes.
Wenn - hinblickend auf das, was sich der Seele darstellt, wenn sie im Raume gleichsam aus sich herausgeht, den Raum erfüllend - diese Seele wissen, lernen kann: Aus dem Göttlichen bin ich geboren - so kann sie durch das heute Gesagte dieses Wissen noch vertiefen, indem sie gewahr werden kann: Mit all dem, was ich weiß, mit all dem, was im Wahrnehmen, Denken, Fühlen und Wollen meiner Seele zugänglich ist, bin ich herausgeboren aus einem tieferen Seelischen, aus jenem Seelischen in mir, das noch bei dem Göttlichen ist, das im Zeitenstrom dahinfließt, aber mit dem Göttlichen dahinfließt. Ein Wissen können wir gewahren, das sich ausdrücken kann in einem noch viel tieferen Sinne als derjenige, der gestern gemeint sein konnte am Ende unserer Betrachtung. In einem noch viel tieferen Sinn können wir heute das Wort als Ergebnis unserer Betrachtung hinstellen: Aus dem Gott sind wir geboren. Denn wir gewahren, daß diese Seele mit dem, was sie von sich selber wissen kann, in jedem Zeitpunkt aus dem Göttlichen heraus geboren wird, so daß wir in jedem Zeitpunkt unser tiefstes Inneres erfüllen dürfen mit diesem: Aus dem Gott sind wir geboren.
Ex deo nascimur.
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