Autobiographisches:
Karl-Heinz Kaesebier, *1947, Kindheit am Bodensee, 4 Jahre Grundschule, 3 Jahre Gymnasium, dann Mithilfe im elterlichen Gastronomie-Betrieb, 1964-67 Lehre zum Industriekaufmann, Zur Zeit des Prager Frühling 1968 auf dem Zweiten Bildungsweg, Begegnung als Klassensprecher mit den 68er-Impulsen, 1970-1986 im Aufbau des Forum3 in Stuttgart (siehe Kapitel 6 - Freiheitsfragen), 1971-1974 Begegnung im 'INCA' (Internationales Kulturzentraum Achberg) mit Hans Erhard Lauer, dem Anthroposoph und Geschichtsphilosoph, der seine Anregungen noch von Rudolf Steiner bekommen hatte. Durch Lauers lebendiges, freies Vortragen wurden die Ideen erlebbar. Und damit wurde erstmals ein modernes unsektiererisch geistiges Leben erfahr- und nachvollziehbar. Das Studium seines Lebenswerkes wurde bis heute fortgesetzt (siehe auch Kap. 5b in den Ausführungen über die Kongresse "Dritter Weg" im 'INCA' Achberg/Bodensee). 1974/75 Student bei Frank + Brigitte Teichmann im Stuttgarter "Anthroposophischen Studienseminar". Ab 1987 durch die Begegnung mit Heten Wilkens und Bodo Hamprecht Umzug nach Berlin, dort Studienstättenbetreuer, dann ab 1993 als Buchhändler selbständig und ab 1997 bis 2014 "Kaesebiersche Hofbuchhandlung" im Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe, Berlin. Ab 2015 im Ruhestand.
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In Memoriam
„Wenn die Philosophie ihr Grau in Grau malt, dann ist eine Gestalt des Lebens alt geworden, und mit Grau in Grau lässt sie sich nicht verjüngen, sondern nur erkennen; die Eule der Minerva beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug.“ (Hegel)
In memoriam Hans Erhard Lauer, Heten Wilkens, Friedhelm Dörmann, Jörgen Smit, Gertrud Schneider, Dieter Brüll, Bodo Hamprecht, Frank Teichmann, Rudolf Treichler, Jürgen Schriefer, Wilfried Heidt, Ulrich Rösch, Hubert Krüger, Siegfried Woitinas, Willi Seiss, Dank an Herbert Blank, Dietrich Spitta, Matthias Girke, Harald Matthes und alle behandelten und zitierten Autoren.
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Komplexe Einsichten erfordern Zeit. Dabei geschieht es naturgemäß, daß manches Erlebte, das bis dahin in Empfindung und Gefühl bewegt wurde, erst spät zur vollbewußten Einsicht wird. Das ist Vielen in Geschichte und Legende so gegangen. Der Autor weiß sich so in guter Gesellschaft von Menschen wie Lessing und Parzival und sicher noch vielen anderen. Der ermutigendste Satz ist der von Lessing in seiner 'Erziehung des Menschengeschlechts': "Ist nicht die ganze Ewigkeit mein?" und über das Streben nach Wahrheit: "Nicht die Wahrheit, in deren Besitz irgend ein Mensch ist, oder zu sein vermeinet, sondern die aufrichtige Mühe, die er angewandt hat, hinter die Wahrheit zu kommen, macht den Wert des Menschen. Denn nicht durch den Besitz, sondern durch die Nachforschung der Wahrheit erweitern sich seine Kräfte, worin allein seine immer wachsende Vollkommenheit bestehet. Der Besitz macht ruhig, träge, stolz. - Wenn Gott in seiner Rechten alle Wahrheit, und in seiner Linken den einzigen immer regen Trieb nach Wahrheit, obschon mit dem Zusatze, mich immer und ewig zu irren, verschlossen hielte, und spräche zu mir: wähle! Ich fiele ihm mit Demut in seine Linke, und sagte: Vater gib! die reine Wahrheit ist ja doch nur für dich allein!"
Und mit Rudolf Steiner darf gesagt werden: "...Jede Idee, die dir nicht zum Ideal wird, ertötet in deiner Seele eine Kraft; jede Idee, die aber zum Ideal wird, erschafft in dir Lebenskräfte..." (GA10). Das braucht Zeit, führt aber nicht zu einem toten Wissen, sondern in eine lebendige Zukunft. Davon kann man sich überzeugt halten.
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Am 30.12.2013 wurde von 3-sat ein Film von Susanne Gebhardt über die 'Pontinischen Inseln' vor der Küste Roms gezeigt. Ein Buchhändler von der Insel Ventotene erzählt darin eine Geschichte, die mich sehr berührt hat:
"Ein junger Häftling auf der Insel Santa Stefano, der nur drei Jahre die Schule besucht hatte, bekam im Gefängnis Bücher in die Hände. Mit heißem Bildungshunger und um nicht verrückt zu werden, verschlang er alles, was ihm in die Hände kam. Als er freikam, gründete und führte er eine Buchhandlung".
Darum hat es mich auch sehr berührt, als ich 42-jährig in Berlin auf das Buch der Jüdin Gabriele Tergit aufmerksam wurde: "Kaesebier erobert den Kurfürstendamm". Wie der fiktive Titelheld habe ich mit dem Kurfürstendamm zu tun bekommen, weil ich dort eine Umschulung zum Buchhändler begonnen habe, und auch ich habe gerne musiziert - am Kladowerdamm in der "Kaesebierschen Hofbuchhandlung!" und neuerdings auch in der Nähe der Hasenheide auf dem Tempelhofer Feld im Rahmen der "Feldmusik". Das Buch von Gabriele Tergit ist 2016 nach 85 Jahren wieder aufgelegt worden.
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Und noch eine biographische Begebenheit darf angefügt werden, die 1986 im Südtiroler Gebirge erlebt werden durfte: Nach dem Radeln bis auf 1400 Meter Höhe mit vollem Zeltgepäck einigermaßen erschöpft, war meine Freude groß, als dort Försterkinder sich einsetzten dafür, daß ich auf ihrer Wiese zelten durfte. Der Förster stellte eine Woche drauf auch noch seine Almhütte zur Verfügung. An einem Tag dort im August in 1700 Meter Höhe war morgens die Sonne kräftig zu spüren mit 60 Grad auf dem Thermometer in der Sonne. Dann kamen Wolken auf und es schneite und die Temperatur sank auf 2 Grad. Alles weitere ist in dem Gedichtchen geschildert, das in der folgenden Nacht bei Sturm und munterem Holzofenfeuer in der zugigen Almhütte gereimt wurde. Erklärend sei hinzugefügt, daß der Förster erlaubte, von dem Edelweiß dort oben etwas zu pflücken - weil es 'heuer nur so blüht':
Edelweiß und Regenbogen
Es zieht mich an der Kräuter Kraft-
es lockt des Edelweißes sanfte Macht,
ich gehe, weil verliebt ich bin
in des Daseins fließende Pracht.
An diesem Tag, erst sonnig, dann grau,
wandere ich hinauf zu den hohen Hängen,
weil dort, das weiß ich schon genau,
die edeltrauten Wesen sich drängen.
Mittag wird's, doch statt Hitze und Helle
kommen drohend dunkle Wolken auf,
ein Gewitter naht mit Blitzesschnelle,
hemmt und beschleunigt meinen Lauf.
Da - eine uralte gedeckte Hütte
verspricht mir Schutz vor Schnee und Blitz,
schon stehe ich in des Gerümpels Mitte
mit kleinlautem Witz.
Das Blut stockt in den nassen kalten Füssen,
war's morgens so heiß, ist's jetzt so kalt.
Wo Hagel und Schnee die Lust zerstieben liessen,
find' ich zu tiefer'n Gedanken mich bald.
Was ist des Lebens Sinn und Mitte?
Wie leicht schien's früher zu sterben gewesen!
Doch nun, in dieser alten Hütte,
steh ich vor meinem lebensbegierigen Wesen.
Draußen die Blitze, die Donner fast drin,
mal nah mal fern mit rächender Gewalt.
Die Wolken zerfetzt's und hetzt's zur Erde hin,
sterbensbang steh ich, wenn so gewaltig es schallt.
Doch ich erinnere mich:
"Das Wort - Leben - und Licht!"
Aber ich fürchte,
ich begreife es nicht.
Das bin nun ich! Das soll ich sein?
Weil in unerkannter Angst ob nur eines Lebens,
ich erniedrige den Menschensohn so klein
und spreche Hohn des ewigen menschlichen Strebens?
Wie schien das Sterben früher doch so leicht:
an die Erde, wie an den Stein der Weisen hingegeben,
und dann - abgeschieden sogleich,
wie ein Adler über Felsen und Meere hinzuschweben.
Nein! - so wie in tiefster Lebenssucht
ich mich stoße an des Granites Schärfe,
so stoße ich mich in unerkannter Wucht
nur an meines eignen Leibes Härte.
-.-
Doch, wie bald nur fliessen draussen die Wasser,
so verfliessen mir die ernstgefühlten Gesichte;
gleich, ob Liebender oder Hasser,
das Nächstersehnte hat wieder Gewichte:
Edelweiß! - Doch so heißen nun die Berge!
voll von Schnee - und nur hoch oben zu entdecken.
Ich finde den Weg, finde Alm und Pferde,
es beginnt der Sonne Wärme mich wiederzuerwecken
Der Himmel klärt sich, die Luft wird rein,
ich bin mittendrinne, was gerne ich fände -
das Kleine gaukelt nur des Großen Schein:
ein Bergkristall der ganzen Gebirge Wände!
-.-
Edelweiß zu pflücken, bücke ich mich nun nieder,
richte dann mich auf und anders wieder
ist alles um mich her.
Nebelschwaden, dampfige Wolken aus den Tälern
drängen schwebend sich herauf und schmälern
den Blick auf der Berge Meer.
So pulst es langsam auf und ab,
mal klar und licht, dann dumpf wie im Grab.
Ich bücke mich nieder, richte mich auf.
Und nun - Sonne scheint in die Nebel -
entdecke ich staunend des Bogens Säbel
der bunt sich dehnt in der Schwaden Lauf.
Fahl wird alles wieder, ich bücke mich nieder,
richte mich auf - und entdecke mit hoher Freude Gewalt:
denn - Sonne scheint in der Schwaden Gefieder -
es erscheint der Bogen um meines Hauptes Gestalt!
-.-
Ein Dunkler steht vor mir da unten,
doch mit der Heiligen Schein um's Haupt gewirkt;
ein Dunkler steht da, still und stumm,
doch mit der Auferstehung Glorie um die Gestalt bezirkt.
Doppelt hat sich ihm das Licht ergeben!
Meine Gestalt ist's, die diesen Dunklen weit dort unten macht:
mein Leben ist's, an dem die Sonne sich bricht!
Meine Gestalt, die dem Bogen des Lebens den Brennpunkt gibt!
Meines Hauptes Rund, um das das Licht sich bricht in allen Farben sacht!
-.-
Eine Gotteserscheinung?
Mindestens ein Fingerzeig des Gottes, der in uns wohnt
der sich bricht an der Menschheit ganz,
ihr zu bringen das Wort, das Leben und des Lichtes Glanz!
-.-
So wurde mir
der edlen Blume Weiß
im Spektrum eines einsamen Tages
der Anlaß zu buntem nächt'gen Fleiß
Der Verfasser hat dieses Erlebnis dem befreundeten Physikprofessor Bodo Hamprecht erzählt. Der lachte und meinte, daß man dieses Erlebnis auch im Flugzeug haben kann, wenn dieses durch die Wolken fliegt und um seinen Schatten eben dieses Lichtbrechungsphänomen zu beobachten ist: der Regenbogen-Halo. Nun, ich meine aber, man käme im Flugzeug doch schwerlich zu Empfindungen wie denjenigen, die in der windpfiffigen Almhütte mit diesem Gedichtchen zu fassen versucht wurden! Und vor allem erscheinen mir all die Heiligen- und Christusbilder mit Heiligenschein und Mandorla regelrecht in einem neuen Licht!
(Aus dem Internet: "Haloerscheinungen sind Lichtbögen und Lichtflecken am Himmel, die durch Brechung und Spiegelung des Lichts an Eiskristallen hervorgerufen werden. Eiskristalle, die zur Halobildung Anlass geben, finden sich vor allem in hohen Wolken der Gattung Cirrus und Cirrostratus. Daneben können Halos in fallenden Schneekristallen, im Eisnebel, auf Schneedecken und auf mit Reif überzogenen Flächen beobachtet werden. Im Gegensatz zum Regenbogen sind diese atmosphärischen Erscheinungen kaum jemandem bekannt. Dabei gibt es einige Haloarten, die in ihrer Farbigkeit und Helligkeit dem Regenbogen gleichkommen können.) Und angemerkt darf noch werden, daß im Novembernebel die Straßenlampen und andere Lichter ebenfalls eine kugelige Lichtbrechung um sich ziehen, die in den Regenbogenfarben erscheint.)
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