Kap. IV+V
IV. Alchymie und Mythologie
Isis, Rheingold, das Goldene Vließ, Venus, Urania
Was einst der Traum der Alchymisten war, was als "Sternenwirken in Erdenstoffen" in einer auch vor den Forschungsmethoden der modernen Naturwissenschaft sich rechtfertigenden Art von einzelnen, heute noch alleinstehenden, für das Kommende aufgeschlossenen "Arbeitern im Weinberge" der Menschheitsentwicklung in geduldigen Versuchen auf eine experimentelle Basis gebracht wird, es lebt in der Vergangenheit wie eine große Menschheits-Urerinnerung bildhaft in Mythen und Sagen. Etwas wie ein großes astrologisch-alchymistisches Urmotiv der Menschheit, ein Anklingen alter Ur-Sternengeheimnisse und Ur-Stoffesgeheimnisse geht durch alte Mythen und Mysterien. Sprechen wir heute von dem Isisschleier, der dem Bewußtsein de Gegenwartsmenschen das ganze hier in Rede stehende Gebiet so tief verhüllt, von dem Isisschleier, der zugleich ein Sternenschleier und ein Stoffesschleier ist, so haben wir damit schon das Wort ausgesprochen, mit dem man in dem ehrwürdigsten, für uns heute wichtigsten der alten Mysterienländer das Geheimnis benannt hat, im alten Ägypten, dessen ursprachlicher Name (chemi, chemet) dem ganzen Gebiete der Alchymie und der historisch aus ihr entstandenen Chemie den Namen gegeben hat. (Vom Ägyptischen kommt auch das griechische chymeia, von cheo "gießen", chymos "Saft, Flüssigkeit" angeglichen, mit dem arabischen Artikel al zu dem Worte Alchymie geworden ist. Die Grundbedeutung des ägyptischen chemi, chemet ist: schwarz, schwarze Erde.)
Im heiligen Namen der Isis, die zugleich die Sternenkönigin und die Stoffesmutter war, verbanden sich Sternengeheimnis und Erdengeheimnis. Mehr in den Mysterien dieses Namens, als in ausdrücklich überlieferten Dokumenten - womit die Hermes-Weisheit, die "hermetische" Priesterweisheit des alten Ägyptens sehr zurückhalten war (man denke an den Ausdruck "hermetischer Verschluß") - finden wir heute die Beziehung Ägyptens zur chymischen Urweisheit.
Als den eigentlich chymischen Äther und Träger chymischer Wirkung kennen wir aus der bisherigen Betrachtung den, mit dem chemischen Äther dann verbundenen Lebensäther, der im untersten, dem Erden-Stoffes-Element seinen physischen Ausdruck hat, gleichsam darin verzaubert ist. So verband sich in der ägyptischen Isis mit der Wesenheit des höchsten Sternen-Lebensäthers das chymische Geheimnis des Irdisch-Stofflichen. Im Tierkreis findet diese Beziehung de Lebensätherischen zum Irdisch-Stofflichen, wie schon im vorigen Abschnitt erwähnt wurde, ihren Ausdruck in dem von Hermes-Merkur planetarisch beherrschten Zeichen Jungfrau, das darum auch das alchymistische Zeichen, das Zeichen der Erdengeheimnisse ist. Mitherrscher (Dekanatsherrscher) dieses Zeichens sind in der Astrologie einmal der finstere Saturn, der Herr der Erdenkräfte un d des Erdenhaften, und die strahlende Venus, die Herrin des Sternen-Lebensäthers und alles Sternenhaften und Blumenhaften (des "Blumen-Sternes") im Irdischen. Darum ist sie (Venus) auch die planetarische Offenbarung der Isis - die ägyptische Isis-Mysterien-Kultur fiel in die Zeit, wo der Frühlingspunkt der Sonne, der Aufgang des Lichtes im Jahresrhythmus in dem von Venus beherrschten Stierzeichen lag - während ihre noch höhere Fixstern-Offenbarung in einer älteren "Fixstern-Weisheit" neben dem hellen Sirius-Stern (Statit, Sothis) der Jungfrauen-Stern Spica ("Ähre") war, der uns an die bis ins Evangelium hinein wirkenden Geheimnisse des Samenkorns und der himmlischen Speisung erinnert (siehe das Buch des Verfassers "Der kosmische Rhythmus im Markus-Evangelium"). Darum spielt die Esoterik von Isis-Venus - oder Venus-Merkur (Isis-Hermes), denn diese beiden am längsten sonnen-verbundenen Planeten waren ursprünglich eins - eine so wichtige, ja entscheidende Rolle in der Alchymie. Das wirkt hinein bis in das Gebiet der chemischen Elemente "Quecksilber und bestimmte Kupfer-Verbindungen) und in das physiologische Gebiet (so regiert nach Dr. Steiners Angabe Merkur die "Atembewegung", Venus die Drüsenbewegung), wobei aber bei Venus nicht etwa an die - vom Monde regierte - Sexualsphären, mit der sie ursprünglich gar nichts zu tun hat, sondern an eine andere Sphäre zu denken ist. Es finden diese Beziehungen dann vor allem ihren Ausdruck in der chymischen Bezeichnung Hermaphrodit (Hermes = Merkur, Aphrodite = Venus), womit die Alchymisten den "Stein der Weisen" benannt haben.
Als die Sternen-Offenbarung der Isis dem Mysterien-Bewußtsein der Menschen entschwunden war, lebte sie noch im Pflanzlich-Ätherischen, im Pflanzlich-Elementarischen der Erde, vor allem im Blumenkelch der Wasserlilie, wobei wir uns an die planetarische Beziehung der Venus zum Blumen-Stern, zu allem Blütenhaften und Blumenhaften der Erde erinnern.
Auch diese Offenbarung entschwindet im Abstieg der Menschheit, die Blume der Isis sinkt ins Grab des Physisch-Mineralischen der Erde, das dem späteren Menschheitsbewußtsein und Menschendenken die zunächst allein noch unmittelbar zugängliche Offenbarung des Natürlichen ist. Wie aber auch noch in diesem ganz irdischen Stoffesschleier Isis, die Sternenkönigin, sich offenbart, wird uns deutlich, wenn wir uns erinnern, wie Rudolf Steiner einmal im Helsingforser Zyklus ("Die geistigen Wesenheiten in Himmelskörpern und Naturreichen" im 1. Vortrag) über das im Schnee sich offenbarende Geheimnis des "Webens und Wesens der Stofflichkeit" gesprochen hat. Wie kein anderes Schriftzeichen in der "großen Chiffreschrift der Natur" (der Ausdruck stammt von Novalis "Die Lehrlinge zu Sais") offenbart der aus kleinen Sechssternen und ähnlichen Figuren gewobene Eiskristall der Schneeflocke, wie aus Ur-Licht-Kristall-Wesenheit der oberen Räume - vom "Kristallhimmel" sprach noch eine ältere Esoterik - der Stoffesschleier des Irdischen ursprünglich gewoben ist.
Im Eiskristall der Schneeflocke sehen wir gleichsam den Sternenschleier werden. An keinem anderen Punkte im Reiche der Naturoffenbarungen berühren wir das Isisgeheimnis der Erdenstofflichkeit, das "jungfräuliche Geheimnis der Stoffeswelt" so bildhaft-unmittelbar. Und wir werden uns bewußt, wie jene Ur-Kristall-Lichteskräfte, die wir im Schneekristall noch ahnen, dann auch im Bergkristall, im mineralischen Kristall überhaupt, ihren physischen Ausdruck gefunden haben, und verstehen jetzt noch deutlicher das im Eingang dieser Betrachtung über die kosmischen Kristallkräfte und ihren Zusammenhang mit den kosmischen Raumeskräften und Lichteskräften, mit dem "kristallhellen Stein der Weisen" (der "überall und nirgends ist") Gesagte. Und aus der Anthroposophie wissen wir, wie in den oberen Sternenkräften und überplanetarischen (übersaturnischen) Sternenreichen und Sternenräumen ja auch die Urkräfte und Urbilder, die "Iche" des Mineralisch-Kristallhaften angetroffen werden. Im letzten Vortrag des Berliner Zyklus 1912/13 "Das Leben zwischen dem Tode und der neuen Geburt im Verhältnis zu den kosmischen Tatsachen" hat Rudolf Steiner auch darauf hingewiesen, wie aus diesen übersaturnischen Reichen (dem Uranos oder "Kristallhimmel" der alten Mysterien) auch die Kräfte kommen, die im Fortschritt der Erdenkultur etwas wie einen neuen Erdenleib aufbauen, der dann von Christus-Sonnenkräften durchseelt wird. Das führt dann tief hinein auch in die chymischen Probleme der Verwandlung der Erde und Auferstehung.
Im Aufsatze des Verfassers "Zum Namen der Isis" ("Aus der Welt der Mysterien", R.Geering,Basel,S66ff - hier Anhang 13a) ist gezeigt, wie alle diese Zusammenhänge des Sternenhaften und des Irdischen, des Sternenschleiers und des Stoffesschleiers, schon im Namen der Isis - besonders in seiner ägyptischen Form 'H-S-T, die dann vokalisch zu Ist, Iset oder Isit wird (davon dann das griechische Isis) -, enthalten sind. Das Geheimnis selbst, die göttliche Urstille ('h, Aleph, ein noch an der Grenze des Unhörbaren stehender Hauch) scheint aus der konsonantischen Form dieses Namens zu uns zu sprechen. Und sie scheint auszudrücken, wie das Göttlich-Übersinnliche, wie die obere Lichteswesenheit und Sternenwesenheit ('H) gleichsam in das Starre, Steinerne, Ersterbende (S-T), Mineralische der Erdenstofflichkeit hinein verzaubert wird. Es wurde auch darauf hingewiesen, wie wir bis in das an Isis anklingende Lautliche des deutschen Worte Eis diese Zusammenhänge verfolgen können, wie ie in der Märchengestalt der Eisjungfrau sich offenbaren. Und wie das ebenfalls von allen diesen kosmischen Zusammenhängen und Geheimnissen kündende Wort Kristall den ägyptischen Isis-Namen (Ist), und mit ihm den Christus-Namen in sich trägt, in dem selbst wiederum der ägyptische Isis-Name enthalten ist; als sollten wir aus all dem lesen, wie Ur-Kristall-Lichteskräfte und Sternenkräfte der Isis, ins Ich aufgenommen, dort zu Christuskräften werden, die Christus-Zukunft der Erde und Menschheit chymisch aufbauen. (Über die esoterischen Zusammenhänge von "Christus" und "Kristall" vgl. auch des Verfassers Buch "Der kosmische Rhythmus, das Sternengeheimnis und Erdengeheimnis im Johannes-Evangelium, Basel 1930,S285-290). In Christus kann das jungfräuliche Geheimnis der Stoffeswelt, das Isis-Geheimnis, neu sich offenbaren. Die Johannes-Apokalypse nennt dieses Jungfräuliche, diese Isis-Offenbarung und Christus-Offenbarung der Ich-verjüngten Erde (das "Neue Jerusalem") die Braut. In dem chymischen Bilde der "Hochzeit des Lammes und der Braut", in der großen "chymischen Hochzeit", wie die Alchymisten sagen, die das spirituelle Urbild ihrer "chymischen Hochzeit" darin erblicken, schließt die Apokalypse.
Wie alle diese Ur-Kristall-Lichtesgeheimnisse und Sternen-Stoffes-Geheimnisse der Isis-Venus im Christlichen dann zu Marien-Geheimnissen werden, sagt uns wieder ein Wort des Angelus Silesius:
"Maria ist Kristall, ihr Sohn ist himmlisch Licht,
Drum dringt er ganz durch sie, und öffnet sie doch nicht."
Lassen wir das mittelalterliche Kirchenlied von Maria, dem "Stern des Meeres" (Ave Maris Stella, angeführt Joh.Buch S68) damit zusammenklingen, so enthüllen sich bedeutsame esoterische Zusammenhänge der Isis-Sternen-Geheimnisse und Isis-Stoffes-Geheimnisse mit dem Christlichen: Isis, der in die Grabeswelt des Irdischen versunkene Stern, der Stern der Tiefe, erscheint neu verjüngt in Maria, dem Stern des Meeres, als dem Bilde der in Christus geläuterten und erhöhten Erdenstofflichkeit.
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Vom alten Ägypten, seinen Mythen und Mysterien wenden wir uns, Griechenland vorläufig beiseite lassend, zur germanischen Vorzeit. Dort lebt der Stern der Tiefe, das in Erdenfinsternis versunkene und erloschene Gold-Urgeheimnis und -Lichtgeheimnis im Bilde der Stromestiefe, im Rheingold, das uns durch Wagners Musikdrama wieder nahegebracht ist. Wir erinnern uns in diesem Zusammenhang, wie vom Golde im Rheinsand und vom Ausdruck chymischer Motive im Musikalischen schon oben die Rede war. Vom Irdischen in ätherische Urgebiete geistig hinaufgetragen, können diese Bilder uns dann wiederum das Gold im Paradiesesstrom vor die Seele rufen.
Sinnvoll erzählt die Sage, wie das Rheingold von Alberich, dem Schwarzalben-Fürsten und Herren der Finsternis den Rheintöchtern, den unschuldigen Kindern der Ur-Stromes-Tiefe - die Rheinestiefe erscheint hier wie das Bild des ätherischen Urstromes - geraubt und zum Ringe, dem Bilde der irdischen Ich-Persönlichkeit geschmiedet wird, wie der "Stern der Tiefe" da erlischt, das Geheimnis der Tiefe fortan in Dunkel gehüllt ist: der reine Goldfluß des Astralischen im Ätherischen wird durch das niedere Ich, das der Versucher an sich rafft, getrübt und verfinstert. Menschheitstragik liegt darin, wie durch Kräfte und Wesenheiten, die den Menschen vorzeitig zur freien Ich-Persönlichkeit erheben, die jungfräulichen Geheimnisse der Natur, die der Unschuld der Urzeit noch offenlagen, dem Blick des Menschen sich verhüllen. Der Schleier der Isis breitet sich über die Geheimnisse. Der Mensch, in seinem Bewußtsein zu früh in Sternenhöhen des Ich erhoben, versinkt mit dem natürlichen Teil seiner Wesenheit - der ihm das Bewußtsein der andern auslöscht -, um so tiefer in Stoffesfinsternis. Wie läßt uns in Wagners "Ring des Nibelungen" besonders die "Götterdämmerung" diese Menschheits-Tragik erfühlen, wie anmutig-ernst, wie kindlich-trauervoll erklingt da in der lieblichen Natur-Tonart F-dur im Anfang des dritten Aktes der Gesang der Rheintöchter:
Frau Sonne sendet lichte Strahlen
Nacht liegt in der Tiefe
Einst war sie hell,
da heil und hehr
des Vaters Gold noch in ihr glänzte
Rheingold, klares Gold,
wie hell strahltest du einst,
hehrer Stern der Tiefe!
"Nacht liegt in der Tiefe" - wie stellen diese Worte das ganze Bewußtseinsbild des Menschen der Gegenwart vor uns hin, der am Abgrund des Seins vor dem verhüllten Naturrätsel stehend, in Finsternis blickt.
Wiederum begegnet uns dasselbe Menschheits-Urmotiv bei einem andern Volk an einer fernen, im Dunkel der Vergangenheit vor uns auftauchenden Mysterienküste am Schwarzen Meer, in der griechisch-kolchischen Argonauten-Sage, der Sage vom "goldenen Vließ". Auch in ihm - Rudolf Steiner hat darauf hingewiesen - sieht man den "reinen Goldfluß des Astralischen" Im Zyklus "Ägyptische Mythen und Mysterien" finden wir darüber im 10. Vortrag das Folgende:
"Und wir wollen noch auf eines hindeuten. Der Mensch, als er auf der Erde ankam, war noch nicht ich-begabt. Bevor das Ich in den Astralleib hineingeheimnißt worden ist, hatten andere Kräfte von dem Astralleib Besitz. Dann ist der lichtflüssige Astraalleib durchzogen worden von dem Ich. Bevor das Ich darinnen war, waren die astralen Kräfte von den göttlich-geistigen Wesen von außen hineingesendet worden in den Menschen, der Astralleib war auch da, aber durchglüht von göttlich-geistigen Wesen. Rein und hell war der Astralleib und umfloß dasjenige, was als physischer und Ätherleib als Anlage da war, er umfloß und durchfloß es. Rein war der Fluß des Astralleibes, mit dem Eintritt des Ich war der Egoismus hineingetreten. Verdunkelt war der Astralleib geworden, verloren war der reine Goldfluß des Astralleibes, immer mehr war er verloren, bis der Mensch heruntergestiegen war auf den tiefsten Punkt der physischen Planes in der griechisch-lateinischen Zeit.
Da mußten die Menschen daran denken, wieder zu gewinnen den reinen Fluß des Astralleibes, und es entstand in den Eleusinischen Mysterien dasjenige, was man nannte das Suchen nach der ursprünglichen Reinheit des Astralleibes. Den Astralleib wieder in seinem ursprünglich reinen Goldfluß herzustellen, das wollten die Eleusinischen Mysterien, das wollten auch die Ägypter, das Suchen nach dem goldenen Fluß wurde eine der Proben der ägyptischen Einweihungen. Und das ist uns erhalten in der wunderbaren Sage des Aufsuchens des goldenen Vließes durch Jason und die Argonauten. Wir haben die Entwickelun g gesehen. In der Wassererde hatte der Mensch seinen golddurchleuchteten Astralleib. Das Suchen nach diesem Astralleib ist dargestellt in dem Argonautenzug; das Suchen nach dem goldenen Vließ müssen wir in einer feinen, subtilen Weise zusammenbringen mit der ägyptischen Mythe."
Das schließt nicht aus, daß, wie überall in der Alchymie - und das "goldene Vließ" ist in eminentem Sinne ein chymisches Motiv -, auch hier mit dem spirituellen Gesichtspunkt der chymisch-stoffliche sich verbindet. Nur dem Reinen - das wollen alle diese Bilder uns sagen - erschließt sich das Reine, nur der jungfräulichen Seele entschleiert die Natur ihr Geheimnis, nur wer im eigenen Wesen den "reinen Goldfluß" findet oder herstellt, vermag das Geheimnis des Goldes ohne Gefahr auch im Stofflichen zu berühren, nur er findet den "Stein der Weisen", wie auch Angelus Silesius es ausspricht:
"Den halt ich im Tingiern für Meister und bewährt
Der Gott zu Lieb sein Herz ins feinste Gold verkehrt"
Im Neuchateler Vortrag über Christian Rosenkreuz (Sept.1911) wird von Rudolf Steiner die Tatsache berührt, wie während des chymischen Prozesses beim echten Laboranten eine dem Hellseher wahrnehmbare Wandlung der Aura vor sich ging, die vorher gemischt, dann einfarbiger, und zwar zuerst kupfern, dann silbern, zuletzt goldglänzend erschien. (Wir glauben in diesem Motiv auch die vier Könige in Goethes "Märchen", den gemischten, ehernen, silbernen und goldenen, zu erkennen). In ihrer Veröffentlichung "Das Silber und der Mond" (Stgt.1929,Einl.S26f) beschreibt unter Hinweis auf die chymische Literatur L.Kolisko eine Vision des Alchymisten Zosimos, wie dieser aus dem als Phiale gestalteten Altar ein "Kupfermenschlein" aufsteigen sieht, das dann durch Wandlung zum "Silbermenschlein", zuletzt zum Goldmenschen wird. Auch hier kommen uns wieder manche Motive deutscher Märchen in den Sinn. Das Geheimnis des "goldenen Vließes" wird uns durch alle diese Bilder näher gerückt. "Der falsche Alchymist", betont Rudolf Steiner am genannten Orte, "wollte nur Stoffe formen, dem wahren Alchymisten kam es auf die Erlebnisse bei der Stoff-Formung an." Nicht wollen wir deswegen über der spirituellen Seite der Alchymie - und des ganz in ihrer Richtung liegenden "goldenen Vließes" - die stoffliche übersehen. Aber es war eben die Alchymie, als eine die Kräfte des Lebensäthers in Bewegung setzende "Urchemie des Lebendigen" nicht, wie die heutige "tote Chemie" des bloßen äußeren Experiments, etwas vom Menschen einfach Losgelöstes. Wie die Kräfte des Ätherisch-Lebendigen, waren auch diejenigen des Seelisch-Astralischen ("astralisch" heißt: sternenhaft) an jenen chymischen Vorgängen, jenem "Sternenwirken in Erdenstoffen" intim mitbeteiligt. Ein heiliges Experimentieren war noch die Arbeit des echten Rosenkreuzers, in einer dem heutigen Naturwissenschafter unvorstellbaren Art wurde da der Experimentiertisch zum Altar. Novalis ist all dem noch nahe in seiner Empfindung, wenn er in der ganz von chymischem Geiste durchdrungenen Schrift "Die Lehrlinge zu Sais" sich darüber beklagt, wie heute "gerade die heiligsten und reizendsten Erscheinungen der Natur in den Händen so toter Menschen sind, als die Scheidekünstler zu sein pflegen. Sie, die den schöpferischen Sinn der Natur mit Macht erwecken, nur ein Geheimnis der Liebenden, Mysterien der höheren Menschheit sein sollten, werden mit Schamlosigkeit und sinnlos von rohen Geistern hervorgerufen, die nie wissen werden, welche Wunder ihre Gläser umschließen. Nur Dichter sollten mit dem Flüssigen umgehen und von ihm der glühenden Jugend erzählen dürfen; die Werkstätten wären Tempel, und mit neuer Liebe würden die Menschen ihre Flammen und ihre Flüsse verehren und sich ihrer rühmen".
Nur wer diese Ehrfurcht dem Naturgeheimnis entgegenbrachte, war würdig, es zu berühren. Nur der innerlich Reine, in mannigfacher Prüfung Bewährte darf die Hand nach dem goldenen Vließe ausstrecken. Denn nicht so, wie es im äußeren Stoffesgebiet wenigstens scheinbar der Fall ist, besteht im Gebiete des Chymischen eine Trennung von der Welt des Lebendigen, ja, des Moralischen. Das ist das große Menschheits-Motiv, das aus der griechisch-kolchischen Sage vom goldenen Vließ so bedeutsam herüberklingt.
Von furchtbaren Drachenmächten ist, nach der Sage, dieses goldene Vließ bewacht. Es sind - das ist der eine, der subjektive Gesichtspunkt - die Mächte der Sinnlichkeit, Begierde und Furcht in der eigenen Seele, die derjenige erst überwinden muß, der dem Geheimnis sich nahen will. In objektiver geistiger Wirklichkeit stehen wir hier vor einem Grenzgebiet, dessen Schwelle von hohen, ehrfurchtgebietenden Wesenheiten streng und ernst gehütet wird. Jeder Schritt, der nicht aus einer Gesinnung heraus geschieht, die vor diesen hohen Grenzwächtern bestehen kann, führt die Seele an Abgründe, die an katastrophaler Furchtbarkeit alles übertreffen, was sonst als das Leidvolle im Menschenleben erscheint. In der "okkulten Literatur" ist dieses ernste Thema immer wieder auch dichterisch oder in Romanform behandelt worden. Die Sage vom "goldenen Vließ" ist sozusagen der älteste "okkulte Roman" dieses Typus, der älteste Alchymisten-Roman in der Weltliteratur. Die Alchymisten haben ihn auch stets deutlich und bewußt als chymisches Dokument angesehen und verwertet. Der Name "Das gülden Vließ" als Titel einer alchymistischen Schrift ist uns in dieser Betrachtung schon einmal begegnet und scheint noch öfter vorgekommen zu sein. Auch die früher erwähnte "Parabola" der Rosenkreuzer nimmt Bezug auf die Argonautensage und wertet sie als alchymistisches Dokument: sie läßt an einer Stelle den Sucher des chymischen Geheimnisses auf Medea, die magische Adeptin der kolchischen Mysterien des goldenen Vließes, sich besinnen, wie sie "des Aesonis toten Leib wieder lebendig gemacht hätte" und dann bei sich selbst gedenken: "hat Medea ein solches tun können, warum sollte dir solches mißlingen?" Natürlich wird hier, in der Parabola, das alles zunächst auf die chymische Stoffesformung bezogen.
Wie die Sage vom goldenen Vließ als hauptsächliches Beispiel de Alchymisten-Romans in alter Zeit, finden wir in neuerer Zeit diesen Typus in den okkulten Romanen von Bulwer-Lytton ('Zanoni', 'Strange Story'). Nicht die Metallverwandlung, sondern das lebenverlängernde Elixier - aber das ist ja eben die andere Seite des "großen Magisteriums" der Alchymisten - spielt da die Hauptrolle. Auch die "Geheimnisse des Goldes" werden im zweiten dieser Romane gelegentlich erwähnt. In beiden wird das Schicksal des ohne wahre Berufung und ohne die moralischen Voraussetzungen an das chymische Gebiet Herantretenden mit erschütternder Tragik geschildert. Dasselbe ist der Fall in dem in neuester Zeit erschienenen Roman "Der Engel vom westlichen Fester" von Gustav Meyrink. Der Vergangenheits-Teil der Geschichte, die zwei Erdenleben der beteiligten Hauptpersonen umfaßt (der andere Teil spielt in der Gegenwart), versetzt uns in die Zeit Kaiser Rudolfs des Zweiten, des Alchymisten, und bringt die dunkelsten Abgründe des Alchymisten-Schicksals zur Darstellung. John Dee und sein Gehilfe Edward Kelley, die als Unberufene die Tinktur, aber nicht ihr Geheimnis besitzen, sind beide historische Persönlichkeiten (Näheres über sie bei Schmieder, Geschichte der Alchymie, S302ff). Bemerkenswert ist die Art, wie die Persönlichkeit Kaiser Rudolfs und sein Verhältnis zu den alchymistischen Bestrebungen der damaligen Zeit (kurz vor Beginn des Dreißigjährigen Kriegs) im Romane geschildert wird. Der illusionäre "Engel vom westlichen Fenster" selbst ist bei Meyrink die die Menschenseele auch in der Gegenwart noch immer, ja in wachsendem Maße, bedrohende und vergiftende Macht, die sich den Ich-Impulsen widersetzt, den Bewußtseins-Nebel über die Seele breiten, der Magie des Zauberhaft-Undurchschauten sie preisgeben will. Nicht auf den trüben Wegen dieses dämonisch-illusionären "Engels" (der das Undurchschaute unseres eigenen niederen Wesens ist), sondern nur mit den vollbeußten Kräften des wachen Ich - davon sprechen uns auch die Bilder der Rosenkreuzer-Parabola - ist es möglich, den chymischen Geheimnissen in heilvoller Weise sich zu nähern. Schon in der griechischen Sage vom goldenen Vließ tritt uns als ein entscheidendes Motiv entgegen, wie das nicht durch Eigenkraft (Ich-Kraft!), sondern durch fremden Zauber in der Herabdämpfung der Bewußtseinskräfte erlangte Vließ und Geheimnis des Goldschatzes dem "glücklichen" Gewinner Unglück über Unglück bringt, wie Schicksale dadurch zerschlagen werden.
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Auf dem Boden des alten Griechenlands, wohin uns schon die, wenn auch in ein anderes, fernes Mysteriengebiet übergreifende Argonautensage versetzte, finden wir dann als ein zentrales, Astrologie und Alchymie, Höhen des Sternengeheimnisses und Tiefen des Erdengeheimnisses verbindendes Mysterien-Bild und Menschheits-Bild von umfassender, überragender Größe den Uranos-Mythus, der auf der einen Seite die Quintessenz der ägyptischen Isis-Mysterien und ihrer Esoterik in sich aufgenommen hat, auf der anderen Seite schon wie ein Eingangstor zur christlichen Esoterik und kosmischen Offenbarung des Christentums sich ausnimmt, als solches auch bei der Darstellung des kosmischen Rhythmus, des Sternengeheimnisses und Erdengeheimnisses im Johannes-Evangelium als zentrales Motiv in den Mittelpunkt gestellt werden konnte. Natürlich enthält ein solcher Mythus, je nach dem Standpunkt, von dem wir ausgehen, alles und nichts. Nur der geduldigen und hingebungsvollen meditativen Arbeit erschließt sich die Tiefe seines Inhalts, der Reichtum seiner Geheimnisse, die Fülle seiner Beziehungen. Es ist bei ihm, wie bei Astrologie und Alchymie überhaupt, die im Grunde niemals zum Buchwissen gemacht werden können - darum das Fragwürdige, Kritische aller Literatur auf diesen Gebieten -, sonder nur der intuitiven Erkenntnis, in hingebungsvoller estoterisch-meditativer Arbeit, soweit die schicksalsmäßigen Bedingungen dafür gegeben sind, sich allmählich erschließen.
Der - schon im Johannes-Buch (S46,67) mitgeteilte - Mythus lautet in Kürze:
"Jupiter-Zeus, der Vater und Herrscher der Götter und Menschen, ist der Sohn des Saturn-Kronos, dem selbst wiederum sein Vater Uranos (Himmel) kosmogonisch vorangeht. Uranos wird von Saturn-Kronos vergewaltigt, entmannt. Die Zeugungskraft des Uranos fällt ins Weltmeer; aus dem zu Meerschaum gewordenen Sternensamen des Uranos entsteht Venus-Aphrodite, die 'Weltenschaum-Geborene, Venus Urania'."
Wir erinnern uns, wie Kronos, chronos im Griechischen auch die Zeit bedeutet: das im Bilde des griechischen Mythos festgehaltene kosmogonische Ereignis der Vergewaltigung des Uranos durch Saturn-Kronos fällt zusammen mit der kosmischen Ur-Trennung, dem kosmischen Ur-Sündenfall (wenn hier, wo im Grunde noch die Worte fehlen, von einem solchen gesprochen werden darf) im Zeitlichwerden des alten Saturn im Sinne der Geheimwissenschaft. Der Ur-Saturn ist noch gar nicht zeitlich, ist noch im Ewigen, beim Vater, ist noch mit dem Uranos verbunden (von dem der später erst aus der übersaturnischen Sphäre zum System hinzugekommene Uranus-Planet den Namen erhalten hat). In den Sternenreichen des Uranos, bei den schaffenden Weltwesen, deren Ur-Opfer der Beginn des Ur-Weltenwerdens im Saturn-Urfeuer war, ist auch der Ursprung, die wahre Urheimat des Menschen. Erst im Zeitlichwerden des Saturn, im Falle in die Zeit, nimmt er die Uranlage des späteren (noch immer äonenfernen) Irdischwerdens in sich auf. Wie das Sternenhafte, Himmlische und das Irdisch-Zeitliche, Erdenhafte scheiden sich hinfort Uranos - als dessen kosmische Grenzmarke gleichsam heute der Uranus-Planet in den, im Grunde gar nicht mehr irdisch-räumlich zu denkenden, übersaturnischen "Räumen" dasteht - und Saturn, von dem heute alle Wirkungen des Erdenhaften und der Erdenschwere ausgehen. Die in der Alchymie immer angenommene Beziehung des Saturn zum Blei (wie des Goldes zur Sonne, des Silbers zum Mond usw.) ist heute durch die Forschungen von L.Kolisko auf eine exakte, experimentell-wissenschaftliche Basis gebracht. Und viele Gründe sprechen dafür, daß wir das, aus Uran-Erzen gewonnene Radium, die für alle Alchymie der Zukunft so wichtigen Elemente der "Emanation" und "höheren Strahlen" überhaupt, dem Uranus zuweisen dürfen, so daß also der für das Element Uran gewählte Name, wie der des Uranus-Planeten selbst, kein bloßer Zufallsnahme wäre.
Saturn, der heutige Repräsentant des "alten Saturn", der im Sinne der "Geheimwissenschaft" die noch das ganze werdende Sonnensystem in sich schließende Urerde war, ist also, kosmisch gesehen, auch heute noch einfach "Erde", ja, ist der stärkste Ausdruck des Irdischen im Kosmischen. Und erst jenseits des Saturn wäre zu suchen, was auch im kosmischen Sinne überirdisch, was himmlisch ist, (was gerade darum vielleicht auf der Erde, in der Erden-Stoffes-Welt, seine Spiegelung im "Untersinnlichen" hat, man denke an Radium Elektrizität usw.). Und so sind alle Planeten der (im Saturn sich begrenzenden) "planetarischen Siebenheit" (astronomisch gesehen, könnte nur von eine "Fünfheit" die Rede sein) im Grunde noch erdenhaft, Geschwister einer kosmogonischen Urfamilie, die auf den alten Saturn, als die Ur-Erde zurückgeht. Dem entspricht auch der unbefangene äußere Anblick, der in den Planeten nicht das Sternenhafte des eigentlichen Sternhimmels (Uranos), des Fixsternhimmels finden wird: der bleiche Saturn, der trübrote Mars, der sonnenhafte Jupiter, sie alle haben für die intimere Beobachtung nichts eigentlich "Sternenhaftes". Aber wenn ein Planet doch dieses Sternenhafte im Irdischen offenbart, so ist es Venus, unser freundlicher Morgenstern und Abendstern. Schon die Inder, vor allem Buddha, erkannten in ihr dieses Sternenhaft-Überirdische. So läßt uns schon das äußere Himmelsbild von der Tiefe des griechischen Uranos-Mythus etwas erahnen.
Es ist auch für das tiefere Verständnis der Alchymie von Bedeutung, daß wir dem großen kosmogonischen und Menschheits-Bilde des griechischen Mythos gegenüber vor allem religiös empfinden können, d.h. daß das Bild zu unseren tieferen Herzenskräften (die die "Goldkräfte" unseres Innern sind) spricht. Da will es uns sagen, daß die ewige Liebe, die Liebe des Vaters, des Uranos, bei der großen Trennung den "verlorenen Sohn", das Menschenwesen, bei seinem Falle ins Irdische, bei seiner langen und schicksalsvollen, dunklen und leidenvollen Wanderung durch die Reiche des Zeitlichen - die äonenweiten Gebiete von Saturn - Sonne - Mond - Erde als Entwicklungsstufen des Erdenwerdens im Sinne der "Geheimwissenschaft" - nicht allein, nicht ohne Himmelstrost lassen wollte, daß er ihm darum als ein Lichtgeschenk und Sternengeschenk den Funken des uranischen Himmelsfeuers, die Liebe ins dunkle Erdenreich mitgab: aus dem ins Weltmeer gefallenen Sternensamen des Uranos entsteht Venus-Aphrodite, die Wellenschaumgeborene, der Stern des Meeres, Venus Urania. Das göttliche Urgeheimnis der Liebe verbirgt sich im Uranos-Mythus.
Dieses Urgeheimnis der Liebe, lebt es nicht vor allem in dem Bilde von Vater, Mutter und Sohn? Und dieses den Menschen so vertraute Bild ist zugleich der esoterische Ausdruck des trinitarischen Geheimnisses, das in seiner gewöhnlichen, exoterischen Fassung als "Vater, Soh, heiliger Geist" uns oft so schwer verständlich ist. Das ist dann der "Vater" die willenshafte, männlich-schöpferische Seite des Göttlichen, die "Mutter", der "heilige Geist", als der kosmisch-jungfräuliche, göttliche Urschoß, die weibliche, und der "Sohn" ist nicht, wie das Wort vermuten läßt, nur einfach männlich, sondern so, wie Gen.1,27 den geistigen Menschen der Urbeginne, das Erzeugnis des göttlichen Schaffens (den "Sohn der Gottheit") schildert: männlich-weiblich, oder wie man in der Sprache der Alchymisten sagte: Hermaphrodit. Das ganze Bild des griechischen Mythus birgt in sich an diesem Punkte auch Tiefen der Sternenweisheit. Denn jenes göttlich-trinitarische Urgeheimnis des Vaters, der Mutter (des "heiligen Geistes"), des Sohnes (des "Hermaphroditen"), wie es jenseits der Saturnschwelle, im Irdisch-Zeitlichen und Planetarischen seine Offenbarung in der Dreiheit Sonne, Mond, Venus-Merkur, wobei wir der kosmogonischen Zusammenhänge der "Geheimwissenschaft" und der ursprünglichen Einheit von Venus und Merkur, der beiden am längsten sonnen-verbundenen Planeten gedenken ("Geh.Wiss." Aufl.1925,S224), und uns aus früheren Beispielen daran erinnern, wie in alchymistischen Schriften vom "Hermaphroditen" (Hermes-Aphrodite = Merkur-Venus), dem "Stein der Weisen", als von dem die Rede ist, der "die Sonne zum Vater, den Mond zur Mutter hat". Und es entspricht die ursprüngliche Verbundenheit von Venus und Merkur dem Zustande des Menschen vor dem (irdischen) Sündenfall, dem Zustande des "Hermaphroditen". Die Trennung der beiden entspräche dann kosmisch-planetarisch dem menschlichen "Sündenfall", der auf die Versuchung des (vorher schon gefallenen) Luzifer zurückgeht, oder dem (vor dem "Sündenfalle" liegenden) Falle des Luzifer selbst. Venus, der himmlische (uranische) Edelstein, entsinkt im Sturze der Krone des Lichtesfürsten (der auf der "Sonne" noch im Göttlichen, Bruder des Christus war), und kommt damit in die Erdnähe und zugleich Mars-Nähe. Und es ist diese Mars-Nähe der Venus der kosmisch-planetarische Ausdruck dessen, was in der Menschen-Natur durch den Sündenfall bewirkt wird. Hier urständet auch alle irdische Sehnsucht, die in der Sehnsucht des Lichtesfürsten nach seinem verlorenen Stern ihr kosmisches Urbild hat. Und auf der durch diesen Fall durch die Trennung der Venus von der Merkur-Sphäre bewirkten Erdnähe beruht ihre zu Zeiten so strahlende Schönheit. Zwischen Merkur in der Jungfrau und Mars im Skorpion steht Venus jetzt in der Wage, wo ihr eigenes Wesen von den dämonischen Mars-Gewalten der Skorpion-Sphäre nicht erreicht wird. (Die von Homer mythisch geschilderte Verstrickung von Mars und Venus besteht, als eine Wirkung des Sündenfalles, nur im Menschenwesen.) Alles niedere Sexuelle hat, wie hier schon einmal betont wurde, mit Mars im Skorpion, nicht mit Venus zu tun. Auch Venus im Stier ist etwas anderes, sie ist die irdische Offenbarung der Venus als "Liebe im Urbeginn" und "heilende Liebeskraft" (so auch im heilenden Worte des Christus im Evangelium, siehe das Markus- und Johannes-Buch). In der Wage aber ist sie die himmlisch erlösende, die zum Urquell des Seins zurückführende Liebe, Venus Urania. Das ist diejenige Offenbarung der Venus, die ihren Zusammenhang mit Uranos im Sinne des griechischen Mythus am unmittelbarsten ersehen läßt. Da stehen wir, besonders, wenn wir uns auch des im Evangelium überall hervortretenden Zusammenhanges der Wage mit der Meeres-Woge entsinnen, wieder vor dem Bilde der wellenschaumgeborenen, den Meereswogen entstiegenen, auf blauen Meereswogen wandelnden Venus-Aphrodite, ihrer Meeres-Offenbarung als Venus Urania. Und ahnen im Aufblick zu dem im Evangelium (Mark.6,Joh.6) gleichfalls in der Wage stehenden Bilde des über die Wogen wandelnden Christus schon die ganze Beziehung von Venus Urania zu Isis-Maria, als das vom griechischen Uranos-Mythus nach dem christlichen Mysterium hin sich öffnende Tor.
Alle diese astrologischen Zusammenhänge berühren zugleich solche der Alchymie (von der wir ja wissen, wie sie mit der Astrologie innerlich verbunden ist). Wir können darin auch den chymischen Sinn des im griechischen Uranos-Mythus vor uns stehenden Bildes erkennen. Auch in diesem Bilde finden wir Venus-Aphrodite in ihrer ursprünglichen, den Zustand des Menschen vor dem Sündenfall widerspiegelnden ätherischen Reinheit als die dem reinen, salzigen Elemente der blauen Meereswogen (die ein Bild des Äthermeeres sind) Entstiegene, wobei wir uns noch erinnern, wie für die rosenkreuzerischen Alchymisten das Salz ein Bild der Reinheit des Gedankens ist. Und wir finden sie auch da noch in ihrer ursprünglichen Verbundenheit mit Hermes-Merkur, wenn wir uns aus der früheren Betrachtung erinnern, wie im Okkultismus das, die Bitternis des Salzes in sich tragende, Weltmeer der kosmische Merkur-Tropfen ist, finden in dieser Verbundenheit von Venus-Aphrodite mit Hermes-Merkur den "Hermaphroditen", der, wie wir bereits wissen, im Sinne der Alchymisten der "Stein der Weisen" ist. Diese Bitternis des Salzes, sie spricht von einem Geheimnis der jungfräulichen Reinheit, das wir sprachlich dann wieder im Marien-Namen (Maria mit mare, amarus "bitter" verwandt) und in seiner hebräischen Form Marjam, Mirjam entdecken. Indem wir endlich noch bedenken, wie in Venus-Aphrodite selbst das Blumenhafte, Blütenhafte, das Element des Blütenstaubs, und damit als dasjenige des Sulfurischen (im Sinne der Alchymie) sich offenbart, so hätten wir erkannt, wie im Bilde des griechischen Uranos-Mythus, neben allem, was es uns sonst noch zu sagen hat, auch die alchymistische Dreiheit Merkur, Sal (Salz), Sulfur ihren Ausdruck findet, die selbst wiederum der Ausdruck des Göttlich-Trinitarischen in der Stoffeswelt ist. Der griechische Uranos-Mythus enthüllt - oder verbirgt - ein Mysterium der Trinität. Wie alles dieses dann von den Alchymisten noch ganz konkret auf die chymischen Geheimnisse einzelner Metalle (Quecksilber, Kupfer u.a.), Metallverbindungen und Metallsalze bezogen wird, ist hier nicht weiter auszuführen.
Wir fühlen das Erhabene, und doch auch wieder das Dunkle, aller dieser Bilder. Das "große Geheimnis", so scheint es, ist darin allen geoffenbart, und bleibt doch, wie es bei Novalis (im Klingsor-Märchen des Ofterdingen) einmal heißt, "ewig unergründlich". Ein Schlüssel zu allen Welträtseln scheint uns in dem gewaltigen Menschheits-Bilde des Uranos-Mythus gegeben, und doch nur das in sich erwachte, erkraftete, das durch die Prüfung bewährte Ich - wir denken wieder an die Rosenkreuzer-Parabola - vermag damit aufzuschließen. Das ist ja, so sahen wir, das eigentliche Mysterium, das Esoterische der Astrologie wie der Alchymie, daß man kein Buchwissen aus ihnen machen kann, sondern daß sie uns vor diese Ich-Prüfung stellen. Aus ihrer Merkur-Verbundenheit ist Venus, die eigentliche Wesenheit und Trägerin aller esoterischen Geheimnisse, heute in die Mars-Nähe gekommen. Im Menschenwesen wenigstens ist sie in das Mars-Wesen, in die dämonischen Mars-Gewalten verstrickt, und nur indem der Kampf mit diesen Gewalten im Innern des Menschenwesens bestanden wird, können wir den Geheimnissen auf die Spur kommen. Es gibt die Geschichte eines alchymistischen Adepten, der sich von einem zudringlichen Forderer des Geheimnisses, dies als Bedingung für dessen Mitteilung stellend, enthaupten läßt, und man findet dann im abgeschlagenen Haupte zwischen den Zähnen einen Zettel: "Du kannst mich töten, aber mein Geheimnis mir nicht abzwingen." Diese Mars-Gewalten, die wir im eigenen Innern bekämpfen müssen, es sind auch die Todesgewalten (Mars verwandt mit mors der Tod), es ist die Drachensaat der dem Erdboden entsteigenden geharnischten Männer, mit denen in der Argonautensage der das goldene Vließ begehrende Jason kämpfen muß, nachdem er den feuerschnaubenden Stier schon bezwungen hat. (Das sind die beiden feindlichen Gewalten, von denen auch sonst in den Mysterien immer die Rede ist.) Weise und liebevolle Mächte haben diese zur Ich-Prüfung dienenden Todesmächte vor die Schwelle der Geheimnisse gesetzt.
In alledem liegt der tiefere Grund, warum noch heute, wie vor Jahrtausenden, der Schleier über die Geheimnisse (insonderheit über die chymischen Geheimnisse der Stoffeswelt) gebreitet ist, warum nur wenige Auserwählte in der Vergangenheit diesen Schleier lüfteten, warum dem heutigen Menschheitsbewußtsein Alchymie zu etwas o Unfaßbar-Undurchschaubarem geworden ist, das man in das Gebiet des Aberglaubens verweist. Und warum es nur zum Verhängnis führen würde, wenn es möglich wäre, der Menschennatur, wie sie heute durch ihren Fall geworden ist, das Geheimnis auf einmal zu offenbaren, es da dem wirtschaftlichen Eigennutz auszuliefern, in die Hand der "Concerne" zu geben...
Darum ist der Weg zu den Geheimnissen, heute noch, wie vor Jahrtausenden, ein esoterischer, im Innern durchzuringender, der darin besteht, daß Venus, die Trägerin und Bewahrerin alles Esoterischen, aus der Verstrickung der Marsgewalten und Todesmächte im eigenen Innern gelöst, und wieder mit Hermes-Merkur, dem Herrn der Einweihung, verbunden wird (so wie es der griechische Mythus im Bilde vor uns hinstellt). So wird dann der "Hermaphrodit", der "Stein der Weisen" gefunden. Das Geheimnis der Liebe, das ewig-unergründliche, dessen Offenbarung die wahren Alchymisten bis in die Zusammenhänge der Stoffeswelt hinein suchten (chymische Hochzeit!), Venus Urania, ist in unterirdischen Tiefen des "Geistes-Meeres-Wesens" (R.Steiner) mit dem Geheimnis des Todes verbunden und verwoben, leuchtet an dem (auch im esoterischen Pfad-Erleben zu durchschreitenden) Durchgang durch die Todespforte, inmitten der Finsternisse und Meeresstürme des Irdischen, als der Stern, der das Geheimnis des verlorenen Sternen-Ursprungs der Menschheit, des Uranos, in sich birgt.
So verbindet sich auch im griechischen Uranos-Mythus der Sternensinn mit dem Stoffessinn. Das jungfräuliche Geheimnis der Sternenwelt, Isis-Venus, ist zugleich das jungfräuliche Geheimnis der Stoffeswelt, der in die Stoffesfinsternis versunkene, dem heutigen Menschheitsbewußtsein verschleierte "Stern der Tiefe". "Nacht liegt in der Tiefe". Im Hinschauen auf "Maria, den Stern des Meeres" und das Evangelien-Bild des über die Wogen wandelnden Christus haben wir schon in die Richtung gedeutet, in der das "Licht, das in die Finsternis leuchtet", sich offenbart, das Licht, in dem auch das "Geheimnis der Stoffeswelt" zu einem Christus-Geheimnis der Menschheits-Zukunft uns werden, als Ich-Geheimnis sich offenbaren kann.
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V. Alchymie und Menschheits-Zukunft
Johannes-Evangelium und Johannes-Apokalypse.
Mysterium von Kana (Chymische Hochzeit) und Neues Jerusalem.
Das Geheimnis der zwölf Edelsteine
Isis-Venus, deren Sternengeheimnis und Stoffesgeheimnis der griechische Uronos-Mythus in sich birgt, ist Herrscherin in der Wage, die auch im Evangelium (Mark.6,Joh.6) des Zeichen der Meereswogen ist. Dort ist sie die himmlisch-erlösende, die das Sternen-Licht-Geschenk des Uranos in sich tragende, zum Urquell der Dinge zurückführende Liebe, Venus-Urania. Als solche hat sie uns zum "Ich bin" des über die Wogen wandelnden Christus geführt. So hat sich von jenem umfassenden Menschheitsbilde des griechischen Mythos ein Tor ins christliche Mysterium, nach der Christus-Zukunft der Menschheit hin aufgetan. Da sehen wir uns auf einmal wie mitten im Johannes-Evangelium, dem entscheidenden Dokumente der Menschheits-Zukunft. Denn wirklich ist, wie in dem Buche über das Johannes-Evangelium gezeigt wurde, die Wage, in der auch das Ich-Bin des Christus steht, der rhythmische Mittelpunkt und Angelpunkt dieses Evangeliums. Vom Zeichen des Anfangs, des Wortes im Urbeginn (Venus im Merkur) und die im Christuswort heilende Liebe ist, hat der Rhythmus des Johannes-Evangeliums durch die unteren, die dunklen Zeichen hinunter nach der Wage geführt, wo Venus die erlösende, die wieder nach oben weisende, Urania ist, um sich von da selbst wieder nach oben, zum Ausgangspunkte, zurückzuwenden. So leuchtet der Stern, der mit Merkur auch der Stern der chymischen Geheimnisse ist, über dem Ganzen des Johannes-Evangeliums. Man kann den Rhythmus dieses Evangeliums nicht darstellen, ohne an ihm zu erleben, wie der johanneische Weg Sternengeheimnis und Erdengeheimnis verbindet, wie er von den Sternenhöhen in die Erdentiefen hinunterführt, bis über der Erdentiefe wieder das Sternengeheimnis aufzuleuchten beginnt. So ist das Johannes-Evangelium, als das eigentliche Sternen-Evangelium, zugleich das "chymische" Evangelium, und nicht ohne tiefen Sinn, wenn es auch zunächst wie Mythologie anmutet, haben die Alchymisten den Verfasser dieses Evangeliums den Ihrigen zugezählt, haben ihn "Johannes den Alchymisten" genannt (ein Name, den sich dann auch noch in späterer Zeit verschiedene Alchymisten beigelegt haben). Auch der Name Longinus, der in der Tat auf das zentrale chymische Geheimnis im Johannes-Evangelium hindeutet - es soll ja der Name des römischen Legionssoldaten gewesen sein, der dem Gekreuzigten den Speer in die Seite stieß - erscheint unter den Alchymisten. (Wir finden diese Angabe S7 der oben genannten Schrift "Das güldne Vließ" -Nürnberg 1737-. Die dortige Aufzählung berühmter Alchymisten und alchymistischer Autoren enthält manches Bemerkenswerte. Neben den aus den Akten der Alchymie bekannten Namen wie Marianus, Albertus Magnus, Arnold von Villanova (Verfasser Schriften Flos Florum und "Rosengarten der Weisen" und anderer berühmter alchymistischer Werke, aus der Zeit des Hohenstaufenkaisers Friedrich II, der selbst den chymischen Studien zugetan war), Geber, Avicenna (zwei berühmte Araber), Rupescissa, Basilius Valentinus, Raymund Lullus, Theophastus Parazelsus u.a. werden da z.B. auch die folgenden mit der Alchymie in Verbindung gebracht: Hermes Trismegistos (Name des ägyptischen Ur-Initiators), Pythagoras, Aristoteles, Alexander König von Mazedonien, Plato, Sokrates, Galenus, Hippokrates, Longinus, Euklid, Maria die Prophetin, Thales von Milet, Konstantin, Alanus ab Insulis, Thomas von Aquino (über ihn und sein Verhältnis zur Alchymie - er war Schüler von Albertus Magnus - vgl. die oben angeführte Schrift von Gustav Meyrink), - Ausführlichere Angaben alchymistischer Autoren findet man in dem öfter erwähnten Buch von Schmieder.)
In den beiden Kapiteln, in dem der Hochzeit von Kana (Joh.2) und in dem das Mysterium der Seitenwunde enthaltenden Golgatha-Kapitel (Joh.19), erscheint das entscheidende, in die Zukunft der Menschheit weisende, chymische Motiv des Johannes-Evangeliums. Von der Hochzeit zu Kana, wo die mit der Mutter (V,3-5), der jüngfräulich-mütterlichen Kraft der Erde, dem "jungfräulichen Geheimnis der Stoffeswelt" sich einigende Christuskraft "Wasser in Wein" verwandelt, bis zum Lanzenstich des Longinus, bis zur Seitenwunde des Gekreuzigten, der Blut und Wasser entfließt (Joh.19,34.35, dazu 1.Joh.5,5-8), zieht sich wie ein roter Faden dieses chymische Motiv, das schon in der alttestamentlichen Moses-Geschichte, bei der "Verwandlung von Wasser in Blut" (2Mos.7, dazu auch Apok.8,8) anklingt. Gewiß kann man das Geistige dieser Bilder ins Auge fassen, kann im Wasser ein Bild der "Urgewässer", der Wasser des Ursprungs im Ätherischen, im Blute, wie auch im Weine, dem "Sonnenblute der Reben", ein Bild des Persönlich-Ich-Durchdrungenen sehen. Bei der Darstellung des Johannes-Evangeliums wurde dieser mehr geistige Gesichtspunkt (der nur der eine Teil des chymischen Geheimnisses ist) in den Vordergrund gestellt. Doch haben die geistigen, die Ich-Vorgänge - und das ist die andere, entscheidende Seite des Chymischen - ihr Gegenbild und ihre Gegenwirkung im Stofflichen. Die Christus-Alchymie der Zukunft ist die Alchymie des Ich.
Zur Erklärung des Hochzeitswunders von Kana, die er selbst von verschiedenen, überwiegend geistigen Gesichtspunkten aus gab, hat Rudolf Steiner einmal auch dieses angeführt, daß es bei der Christustat von Kana darauf ankam, daß ein Wasser frisch aus den Quellen der Natur, das die inneren Kräfte des elementarischen Naturzusammenhangs noch nicht verloren hatte, verwendet wurde (Kasseler Zyklus über das JohEv.Vortrag9S9,dazu auch "Kosm.Rhythmus im Joh.Ev."S193Anm2). "Ein Wasser, das eben frisch geschöpft ist" - so sagte Rudolf Steiner - "mußte genommen werden, weil ja der Christus die Wesenheit ist, die sich eben der Erde genähert hat, eben verwandt geworden ist mit den Kräften, die in der Erde selber wirken." Der Isis-Keim der Erdenstofflichkeit verbindet sich mit der Sonnen-Ich-Kraft des Christus. Das jungfräuliche Geheimnis der Natur, das Geheimnis der alchymistischen prima materia und seiner geistig-physischen Übergänge wird da leise berührt, ein Gebiet, in dessen Nähe vielleicht auch der heutige mehr materialistische Gedanke auf seine Weise führt, wenn da von "Vitaminen" als etwas chemisch Unberechenbarem, auf keine Formel zu bringendem in den Nahrungsmitteln gesprochen wird. Ein bedeutsames Grenzgebiet des Chemischen und des Chymischen eröffnet sich an diesem Punkt. Wird es dem Menschengeist für alle Zukunft verschlossen bleiben?
Was in dem Weine der Hochzeit von Kana wie das chymische Geheimnis der Erdenzukunft der Christus vor die Menschen prophetisch hinstellt, es wird dann im Mysterium von Golgatha, in dem den Wunden des Gekreuzigten entströmenden Blut zu einem unmittelbar der Erde eingesenkten, in ihr von da an gegenwärtigen Keime jener Zukunft. Sternenkräfte kosmischen Lebens schenken sich im Christusblute der in sich ersterbenden Erde. Nirgendwo fühlen wir uns dem Geheimnis der roten Tinktur und ihrer die Erden-Stoffeswelt verwandelnden Kraft so nahe, wie in den Blutsgeheimnissen von Golgatha. Es ist in dem, auch bei Jakob Böhme immer wiederkehrenden, manichäischen Bilde (Joh.Buch S388,407ua) die Tinktur des Lichtes, die sich in die Finsternis des Irdischen hineinopfert. Rudolf Steiner hat geschildert, wie da für den hellsichtigen Blick die Erde wie in einem neuen Sternenlichte aufzuglänzen, wie sie wieder als Stern unter Sternen aufzuleuchten beginnt, wie sie den Sonnenkeim der Zukunft, den Keim des eigenen Sonne-Werdens da in sich aufgenommen hat (Joh.BuchS387ff). Niemand - das hat auch Rudolf Steiner in einem Berliner Ostervortrag (vom 19.3.1907S11, ähnlich "Von Jesus zu Christus" 4.VortragS7) einmal ausgesprochen - ist an dieses esoterische (chymisch-esoterische) Geheimnis exoterisch näher herangekommen, als Richard Wagner im "Parsifal". Da wurde es in neuerer Zeit zuerst vor die allgemeine Menschheit hingestellt. Und nirgendwo erleben wir dasjenige, was oben (II+III) über Zusammenhänge des Chymischen und des Musikalischen ausgeführt wurde, unmittelbarer als in der Art, wie in Wagners Parsifal - das ist schon im Ende des Vorspiels der Fall, und dann wieder im ersten und zweiten Akte, wo in der Vision des Amfortas und des Parsifal vom Erglühen des heiligen Blutes im Anblick des Grales die Rede ist - dieses Sternenleuchten, dieses Flimmern und Glitzern in dem "sich ätherisierenden Blute" (das Wort ist von Rudolf Steiner) im Instrumentalen der Musik sprechend zum Ausdruck gebracht ist. (Darüber in des Verfasser Schrift "Das Christus-Erlebnis im Dramatisch-Musikalischen von Richard Wagners 'Parsifal'", Verlag die Christengemeinschaft, Stuttgart 1930,S15f). Das chymische Geheimnis wird an diesem Punkte zum Mysterium des heiligen Grales.
Wie der, zuerst nicht als etwas Ungewöhnliches anmutende, Vorgang des Entströmens von Wasser und Blut aus der Seitenwunde des Gekreuzigten (Joh.19,34) im Evangelium selbst doch wie ein Mysterium hingestellt wird (V35), wie, entgegen anderer Deutung, doch ein Hinweis auf das chymische Motiv der Hochzeit von Kana dabei zwischen den Zeilen zu liegen scheint, ist schon im Johannes-Buch (S406) ausgeführt worden. Auch auf die wichtige Parallelstelle (1.Joh.6-8), wo die Elemente der Erde selbst als Zeugen des Vorgangs angerufen werden, ist dort hingewiesen und näher eingegangen.
Von hier aus wendet sich unsere Aufmerksamkeit noch einmal dem Mysterium der Hochzeit von Kana zu. Wie eine gewaltige Zukunfts-Prophetie erscheint es in den Mysterien-Kapiteln (1-5) des Johannes-Evangeliums. Die über dem Kapitel stehende, das Kapitel beherrschende Konstellation - so konnte in der Darstellung (Joh.Buch S188ff) gezeigt werden - deutet unmittelbar auf diese Zukunfts-Prophetie, auf das chymische Geheimnis des Kapitels, des Johannes-Evangeliums überhaupt hin. In dieser Konstellation verbindet sich das Saturn-Uranus-Zeichen Wassermann mit dem Sonnen-Zeichen des Löwen. Die beiden Wasserkrüge des Wassermanns deuten hier, wie auf die Wasserkrüge (Taufkrüge) bei der "Hochzeit von Kana" selbst, überhaupt auf das "Wasser" als die hier durch die Christuskraft verwandelte Substanz, das Mysterium der Urgewässer und des noch unpersönlichen Ätherischen; der Löwe auf die Sonnen-Ich-Kraft des Christus, die hier als das Verwandelnde wirkt. Hierbei liegt im Planetarischen des Wassermannzeichens noch ein für die Prophetie des Kapitels wie für alles Chymische bedeutsames Mysterium. Da haben wir als Gebieter des Wassermanns einmal den Saturn, der auf alles hinweist, was von unten, von der Erde kommt, die Erdenkraft und Erdenschwere in sich trägt. Dazu aber dann noch den Uranus, der, als Grenzmarke und kosmischer Grenzstein des Uranos, des oberen Sternhimmels, der übersaturnischen Welt, des "Kristallhimmels" - in Uranus-Saturn spiegelt sich kosmisch der Gegensatz "Himmel und Erde" - hinweist auf dasjenige, was von oben kommt, was die erdenverwandelnden, den Erdenleib zum Tempel der Zukunft neu aufbauenden Kristallkräfte des Kosmischen in sich trägt, die man in der Alchymie auch den "kristallhellen Stein der Weisen" nannte und im "himmlischen Salze", dessen irdisches Bild der Salzwürfel ist, verehrte (wobei man auch auf Apok.21,16, auf die Würfelform des "Neuen Jerusalem" hinblickte).
An das in einem früheren Abschnitt (II) über das chymische Mysterium des Nahrungsprozesses unter Hinweis auf Joh.6,51 Entwickelte ist hier noch einmal ganz besonders zu erinnern. So liegt auch im Wassermann, insoferne er Uranus-Zeichen ist, ein chymisches Zukunftsmysterium. Wie sich die neuen Erdenleib aufbauende übersaturnische, die Uranoskraft (Wassermann/Uranus) mit der Seelen-Sonnenkraft des Christus im Löwen (Sonne/Löwe) durch die Geburt der Erdenseele im Mysterium von Golgatha verbindet, ist in dem (heute vielleicht noch sehr unbekannten) letzten Vortrag des Berliner Zyklus 1912/13 "Das Leben zwischen dem Tode und er neuen Geburt im Verhältnis zu den kosmischen Tatsachen" von Rudolf Steiner gezeigt worden. Und er selbst hat (im ersten Johannes-Zyklus) davon gesprochen, wie die im Kana-Kapitel enthaltene Prophetie ("Und am dritten Tage war eine Hochzeit...") auf die große Menschheitshochzeit (die "chymische Hochzeit") in der noch vor uns liegenden (6. nachatlantischen) Kulturperiode oder die zu ihr hinführende Übergangsperiode sich beziehe (wie die Mysterienerlebnisse des "ersten Tage" mit der vierten, des "zweiten Tages" mit der fünften, hätten die des dritten Tages" mit der sechsten Kulturperiode zu tun gehabt). Diese aber ist zugleich das Wassermann-Uranus-Zeitalter (Frühlingspunkt der Sonne im Wassermann), dessen Beginn rein astronomisch nicht mehr sehr ferne ist. In dem über dem Kapitel stehenden Uranus-Zeichen Wassermann liegen auch diese zeitlichen Andeutungen. Nicht ohne tieferen Sinn folgen die erste Kapitel des Johannes-Evangeliums dem durch die Präzession des Frühlingspunktes gegebenen "großen Weltenjahr". (Das Nähere im Johannes-Buch.) Für astrologische, wie für chymische Welterkenntnis wird dieses noch vor uns liegende Zeitalter eine neue Ära sein. Dann erst wird sich der wahre Sinn des Hochzeits-Mysteriums von Kana dem Menschheitsbewußtsein enthüllen, das zwischen Wassermann/Uranus und Sonne/Löwe liegende chymische Geheimnis der Christus-Zukunft wird sich dann offenbaren: "Die Sternenwelt wird zerfließen zum gold'nen Lebenswein, wir werden sie genießen und lichte Sterne sein" (Novalis).
Das Wort Uranos selbst ist, über das indische Varuna (Gottheit des Nachthimmels und des Meereswassers), mit "Wassermann" und mit urna, mit der Urne (oder den beiden Urnen) des Wassermanns verwandt. Zusammhänge des griechischen Uranos-Mythus tauchen da wieder vor uns auf. Auf die Wasserkrüge der Hochzeit von Kana wurde bereits hingewiesen. Mit dem Mysterium der Wasserurne verbindet sich dann dasjenige der Aschenurne. Es ist tief bedeutsam, wie Dostojewski, der die Zukunfsprophetie des Kana-Kapitels stark erfühlende russische Dichter, in dem "Kana in Galiläa" überschriebenen Kapitel eines seiner großen Romane (angeführt Joh.Buch S201ff) das Mysterium von Kana mit demjenigen der Grablegung, mit den Erlebnissen am Sarge eines geliebten Toten verbindet. Im Johannes-Evangelium selbst erscheint die Konstellation von Kana wieder in der Grablegung Christi, wie vorher in derjenigen des Lazarus, deren Geheimnisse Dostojewki ebenfalls so eigenartig in seine Erzählung mit hineinverwoben hat (siehe Joh.Buch S342f). Und es stellt dieser ganze Zusammenhang von Uranos (Himmel) und "Urne des Todes" (Aschen-Urne) uns wieder das oben im Zusammenhang mit den chymischen Mysterien der Asche und des Sulfurischen angeführte Novalis-Wort vor die Seele: "Alle Asche ist Blütenstaub, der Kelch ist der Himmel". So verbindet sich mit dem chymischen Geheimnis des Wassers (Merkur) im Wassermann-Uranus-Zeichen dasjenige von Asche-Sulfur. Wo bleibt - möchten wir hier fragen - das dritte der drei chymischen Prinzipien, das Salz (Sal) ? Ist nicht, nach allem, was wir bis jetzt hinstellen konnten, Uranos selbst das lebendige Licht-Salz der himmlischen Aufbau- und Auferstehungs-Kräfte (wenn wir diese den Alchymisten durchaus geläufige Ausdrucksweise hier einmal anwenden dürfen)? Das "lebendige Licht-Salz", das "himmlische Salz", das im toten Erdensalze des Meeres (man denke an das "tote Meer", das Salzmeer!) sein irdisches Abbild hat. In der alchymistischen Literatur (z.B. in den Rosenkreuzer-Figuren S46, auch in dem hier S46 und "Ursprung im Lichte" S75 angeführten Taufspruch) ist von diesem Gegensatze des lebendigen und des toten, des himmlischen und des irdischen Salzes überall die Rede. Der schon im Lichte der drei chymischen Prinzipien betrachtete Uranos-Mythus erhält durch alles dieses einen noch tieferen Sinn, wenn wir uns bewußt werden, wie der ins Weltmeer gefallene Sternen-Same des Uranos (das himmlische Lichtsalz), aus dem dann Venus-Aphrodite entsteht, im Salzigen des Meeres sein irdisches Gegenbild hat.
Mit den uranischen Aufbaukräften des neuen Erdenleibes - so sagt uns die Konstellation der "Hochzeit von Kana" (Wassermann/Löwe) -, mit den himmlischen Aufbaukräften des lebendigen uranischen Lichtsalzes (die in der Salz-Würfel-Kristallform des "Neuen Jerusalem" ihr apokalyptisches Symbol haben) - verbindet sich im Mysterium von Golgatha die Sonnen-Ich-Kraft des Christus im Löwen, im Herzen: "Die Sternenwelt wird zerfließen zum goldenen Lebenswein..". Das alles sind nicht, wie es manchem scheinen könnte, weithergeholte Dinge, sondern das Johannes-Evangelium selber spricht von ihnen, in der Art, wie es im zweiten Kapitel mit dem Mysterium von Kana das, scheinbar ganz fernliegende des Wiederaufbaus der zerbrochenen Tempels (V.19), der dort selbst als der Leibestempel erklärt wird (V.21) verbindet. Wie hier im einzelnen die Zusammenhänge, auch die historischen, liegen, wurde im Johannes-Buch (S201, dazu auch Markus-Buch S250ff) auseinandergesetzt. Hier kam es darauf an, zu zeigen, wie im Lichte des Uranus-Zeichens Wassermann der Zusammenhang dieses Tempel-Aufbau-Mysteriums mit dem des "Neuen Jerusalem" als der verwandelten Erde, des neuen Erdenleibes, und mit dem Mysterium von Kana verstanden werden kann.
Zu den "Mysterien des Weines" (Sonne/Löwe) bei der Hochzeit von Kana ist, außer dem schon angeführten Novalis-Worte vom "neuen Lebenswein", noch dieses hinzuzufügen, daß sie überhaupt in der Alchymie eine Rolle spielten. Zu den chymisch bedeutsamen Substanzen (Wer sich für diese interessiert, in dieser Betrachtung das nähere Eingehen darauf vielleicht vermißt, findet eine sehr eingehende Aufzählung in der Abhandlung "Ein güldener Traktat vom Philosophischen Steine" (Geheime Figuren der Rosenkreuzer S38ff), die der "Parabola" wie eine Einleitung vorausgeht, und zwar scheinbar negativ gehalten ist (alle die aufgeführten Substanzen werden zunächst abgelehnt), aber zwischen den Zeilen doch viel Positiv-Bedeutsames enthält. Auch der Wein wird, neben vielem anderen, da genannt. Von Metallen (als deren "Anfang" das Quecksilber, als deren "Ende" das Gold gilt) besonders das Antimon (man denke an die berühmte Schrift des Basilius Valentinus "Der Triumphwagen des Antimoniums"), außerdem Aluminium, Wismut, Magnesium u.a. Von nichtmetallischen Substanzen spielt besonders der Schwefel und manches Organische eine Rolle. Sie vorläufige Ablehnung aller dieser Substanzen geschieht vor allem im Hinblick auf das Wort des Alchymisten Geber: "Wer bei sich selbst die Anfänge der Natur nicht weiß, der ist noch weit von dieser Kunst entfernt.") gehört u.a. auch der Wein. In den "Geheimen Figuren der Rosenkreuzer" findet sich S34 hinter dem Bilde der Weinreben (verbunden mit dem Bilde eines Schwertes, einer Schlange und eines Kelches) der außerordentlich bedeutsame Spruch: "Ich bin die Gleichnis Gottes und bin durch den Wein gefallen in den Tod und komme durch ihn wieder zum Leben." Vieles was Rudolf Steiner in den Johannes-Zyklen über die Hochzeit von Kana, insbesondere auch über die historische Mission des Weines (in positivem und negativem Sinne) ausführt, enthält eine wunderbare Beleuchtung der Tiefen jenes Rosenkreuzer-Spruches.
Auch des Abendmahls-Mysteriums von Brot und Wein, als eines mit der Wandlung, der Transsubstantiation der Erde in Beziehung stehenden, ist hier zu gedenken. Im Evangelium - bei Johannes wie bei Markus - steht dieses Mysterium in der Jungfrau, von der wir wissen, daß sie das Zeichen des Erdengeheimnisses ("Sternenwirken in Erdenstoffen"), das alchymistische Zeichen ist. Ihr Herrscher Merkur steht, mit den beiden Mitherrschern Saturn und Venus, in einer deutlichen Beziehung zum chymischen Erdengeheimnis. Wie beim Wassermann neben Saturn Uranus, ist bei der Jungfrau (neben Merkur-Venus, die auch im Wassermann Mitherrscher sind) der erdenhafte Stern allein betont. Insofern ist der chymische Gesichtspunkt beim Zeichen Jungfrau wieder ein anderer, als bei der Konstellation Wassermann-Löwe. Die Jungfrau ist mehr Erden-Zeichen, die Konstellation Wassermann-Löwe deutet mehr auf die himmlische Erneuerung des Irdischen.
Im sechsten Johannes-Kapitel erscheinen die Abendmahlsgeheimnisse von Brot und Wein in der Christusverkündigung von "Fleisch und Brot des Ich" (V.54,55), unter stärkster Betonung des Ich-Gesichtspunkts bei der Verwandlung des Irdischen und dem Aufbau des neuen Erdenleibes ("Ich bin das Brot des Lebens, das vom Himmel gekommen ist", Joh.6,51) und in bemerkenswerter Verbindung mit den Geheimnissen des Manna (V.31+49), das immer das Motiv "Sternenwirken in Erdenstoffen" in sich schließt. In diesem Falle - beim "Manna in der Wüste" der Hebräer - handelt es sich um die dekadenten Überbleibsel der einstigen "kosmischen Wegzehrung", des "Sternenbrotes".
Zu den Blutsmysterien von Golgatha in einer engen Beziehung steht das Motiv der "neuen Lebensquelle" im vierten Johannes-Kapitel, wo von der Begegnung des Christus mit der Samariterin am Brunnen die Rede ist. Der alten, versiegenden Lebensquelle wir die im Ich neu entspringende entgegengestellt, der "Brunnen des Wassers, das in das ewige Leben - ins Leben der Äonen, der Zeiten-Zukunft - quillt". (Näheres über die Zusammenhänge Joh.BuchS219ff,bes.225ff). Das alles ruft uns wieder das Motiv des - jetzt im Mysterium von Golgatha sich erneuernden - Paradiesesstromes vor die Seele, von dessen Geheimnissen oben (III) die Rede war. Das Motiv des vierten Kapitels erscheint als Ich-Motiv in chymischer Steigerung wieder im siebenten (V38): "Wer an mich glaubet" - d.h. "wer das Ich in sich stark werden läßt" (pistis "Glaube" verwandt mit "fest") -, "von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen." Nur im Vorübergehen sei des dritten Johannes-Kapitels, des Nikodemus-Kapitels, gedacht, dessen Motiv der "Wiedergeburt von oben" im Mysterium des Lebenswindes, der von den Weltenhöhen niederweht (Joh.BuchS213), gipfelt. Das alles liegt in der Richtung des oben besprochenen chymischen Atem-Mysteriums ("Arbeit mit dem Stein der Weisen"), und enthält ein Motiv, das die Alchymisten immer für sich in Anspruch genommen haben.
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Wir erinnern uns, wie es beim Mysterium von Kana, beim frisch aus den Erdenquellen geschöpften Wasser darauf ankam, daß der Christus "die Wesenheit war, die sich eben der Erde genähert hat, eben verwandt geworden ist mit den Kräften, die in der Erde selber wirken" (Rudolf Steiner). Dieses, in einer gewissen Weise auch im achten Kapitel anklingende Motiv (S.293) erscheint dann in chymischer Steigerung im neunten, wo der Christus durch die Verbindung seiner eigenen Leibessubstanz mit derjenigen der Erde (V,6) dem Blindgeborenen das Auge öffnet. Immer tiefer, so ahnen wir schon hier, verbindet sich der Christus mit der Erde, immer verwandter wird er ihr mit der eigenen Leibessubstanz, immer mehr opfert sich die Tinktur des Lichtes in die Finsternis des Irdischen hinein, immer mehr entbindet sie im Irdisch-Verwesenden die Lichteskräfte, die zu dem "Mysterien der Verwesung" überhaupt in einer geheimnisvollen Beziehung stehen (Joh.BuchS301ff). Alchymistisch-technisch könnte man davon sprechen, wie hier durch Christus die materia ultima (der End- oder Verwesungs-Zustand der Stofflichkeit) an ihren Anfangszustand, an die materia prima herangebracht wird.
Das alles, dieses ganze Verwandtwerden des Christus mit den Todestiefen der Erde, führt dann zu einer noch höheren hymnischen Steigerung im Mysterium von Bethanien, in der Erweckung des Lazarus, bis es im Mysterium von Golgatha selbst seinen krönenden Abschluß findet. Das Mysterium von Bethanien, so konnte es im Johannes-Buch gezeigt werden, ist eigentlich selbst schon der Anfang des Mysteriums von Golgatha, auf das das Mysterium von Kana wie im Bilde hinwies. Die im Sterben des Christus in die Finsternis der Erde als die Tinktur des Lichtes, der Same des Lichtes sich hineinopfernde göttliche Liebe allein ist es, die die im Erdengrabe verschlossene Hülle des Lazarus den Kräften der Verwesung, von denen sie schon ergriffen ist, wieder zu entreißen vermag, und nur der "Jünger, den der Herr liebhatte" ist es, der sich ganz zum Kelchgefäß dieser göttlichen Liebe aufschließen, die Liebe des Christus als eine unmittelbar lebenweckende Liebe empfangen kann. Auch dieses sind Mysterien der Venus Urania. Das Wort des so tief vom johanneischen Geiste berührten Novalis "Liebe ist der Grund der Möglichkeit der Magie, die Liebe wirkt magisch" erfährt hier seine höchste chymische Verwirklichung. Das Nähere über diese Zusammenhänge findet man im Johannes-Buch (S341ff,bes.345ff): "Dem Sterben des Christus ist die Erweckung des Lazarus abgerungen".
Wie eine ins höchste Kosmisch-Erdengeschichtliche erhobene Steigerung, eine göttliche Vollendung ihres "chymischen Prozesses" wurde die Erweckung des Lazarus von den Alchymisten angesehen, und sie stand vor ihnen da als Bild, wo sie auf ihre Weise den Durchgang durch die Kräfte des Sterbens und der Verwesung und dann den Vorgang der Wiederbelebung und Auferstehung im Reiche des Stofflichen erlebten und darstellten. Wir erinnern uns der schon bei der biblischen Noah-Geschichte besprochenen Stufen des chymischen Prozesses, von der "Mortifikation" (Ertötung) und "Putrefaktion" (Heranbringen des Stofflichen an die Verwesungskräfte) bis zur "Lösung" (das wäre im Falle des Lazarus die Sprengung der Grabesfesseln durch das Wort des Christus Jesus, das Wort, das die klangätherischen Kräfte in sich hat, die, in Verbindung mit dem Lebensäther, zugleich die "chymischen Kräfte" sind), Belebung, Vollendung und Auferweckung (Resuscitatio), wie diese letzt Stufe in alchymistischen Schriften auch genannt wird. Alles das zieht in der Erweckung des Lazarus von einem unendlich erhöhten Gesichtspunkte an uns vorüber. Und wir können uns, wenn wir das jetzt öfter dargestellte Verhältnis der Lazarus-Vorgänge zur Johannes-Einweihung uns zum Bewußtsein bringen (Joh.Buch S319ff), gut vorstellen, wie der - von den Alchymisten als einer der Ihrigen in Anspruch genommene - Johannesjünger durch diese Vorgänge von den zentralsten Geheimnissen des Chymischen allerdings in seiner tiefinnersten Wesenheit berührt und ergriffen wurde, und wie er dann das schon im Mysterium von Kana so bedeutsam sich offenbarende chymische Motiv in weltgeschichtlich einmaliger Größe in seinem Evangelium zum Ausdruck bringen konnte.
Der eigentliche Abschluß und krönende Höhepunkt dieser chymischen Zusammenhänge des Johannes-Evangeliums liegt im Mysterium von Golgatha selbst, über das schon im Eingang dieses Abschnitts gesprochen worden ist. Da berühren sich in den Blutsvorgängen am Kreuze das Erdengeheimnis des Johannes-Evangeliums und das Sternengeheimnis am tiefsten. Die bedeutsamste aller, bis in den Evangelien-Rhythmus hinein (Joh.Buch S333) aufzuzeigenden, Parallelen zwischen dem Lazarus-Mysterium, dem "Grab von Bethanien", und dem Mysterium von Golgatha selbst offenbart sich in der Grablegung des Christus Jesus. Und es läßt uns das Hinschauen auf das Mysterium von Bethanien, die Lazarus-Geschichte, ahnen, inwiefern auch in der Grablegung Christi (in ihrem Zusammenhange mit der Auferstehung) tiefste chymische Geheimnisse verborgen sind.
Ein nicht zu übersehendes chymisches Motiv liegt anscheinend schon in dem, was Joh.19,37-40 über die Einbalsamierung des Leichnams Jesu mit gewissen aromatischen Substanzen durch Josef von Arimathia und Nikodemus, die wir uns beide in esoterischer Beziehung zu Christus und dem Jüngerkreis stehend denken (Joh.Buch S208), gesagt wird. Auch Rudolf Steiner hat, unter Hinzufügung eines noch anderen Zusammenhanges, für das rasche Sichauflösen des Leichnams diese Dinge als Ursache angegeben. Das Einscheidende bei den Vorgängen ist natürlich die Tatsache, daß eben die von der kosmischen Christuswesenheit angenommene Leibeshülle es war, die damals wie ein chymisches Samenkorn der Erdentiefe anvertraut wurde. Den Zusammenhang dieser, immer im alchymistischen Zeichen der Jungfrau zu denkenden, schon in den griechischen Mysterien von Eleusis so tief-bedeutsam anklingenden Geheimnisse des Samenkorns mit dem Christus-Erden-Geschehen von Golgatha betont das Johannes-Evangelium selbst deutlich in dem Spruche cap.12V.24: "Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: es sei denn, daß das Weizenkorn in die Erde falle und ersterbe, so bleibet es allein; wo es aber erstirbt, so bringt es viele Früchte". Ein anderes Bild für das Mysterium der Grablegung und Auferstehung, das den Auferstehungsleib in dem apokalyptischen, schon im Kapitel der Hochzeit zu Kana (Joh.2,19-21) anklingenden Bilde des Auferstehungs-Tempels und Zukunfts-Tempels des "Neuen Jerusalem" sieht, ist geprägt in dem Novalis-Worte "...der in die Erde sich geleget zum Grundstein einer Gottesstadt", und bei den Alchymisten finden wir im gleichen Sinn das Wort vom Eckstein Christus, das sie dann, unter besonderer Bezugnahme auf Psalm 118,22 und Luk.20,18 (Rosenkreuzer-Figuren S51), wieder auf ihren "philosophischen Stein" anwenden. Die Summe der hier in Wirklichkeit bestehenden Zusammenhänge kann aus dem Ganzen dieser Betrachtung deutlich werden.
Auch in der Grablegung Christi verbinden sich, wie im Geschehen von Kana, im Zeichen Wassermann (Joh.Buch S409f) die Mysterien des Saturn mit denjenigen des Uranus. An keiner andern Stelle des Evangeliums klingen Erdengeheimnis und Sternengeheimnis so zusammen, wie beim Geschehen dieses planetarisch von Saturn und Uranus beherrschten Zeichens. Wie mit Saturn die Kräfte des Erdenhaften, verbinden sich mit Uranus diejenigen des Sternenhaften. "Himmel und Erde" verbinden sich in der Wirkung der beiden Gestirne. Das unterscheidet das lichtere und erdenleichtere Zeichen Wassermann - der astrologisch ein "Luftzeichen" und "Lichtäther-Zeichen" ist - von der Schwere des von Saturn allein beherrschten finsteren Erdzeichens Steinbock. Dieses Lichtere und Erdenleichtere des Wassermann-Zeichens ist, im Gegensatz zu den vorausgegangenen "Finsternissen am Kreuze", die im Saturnzeichen Steinbock zu denken sind, als Stimmung über die ganze Evangelien-Erzählung von der Grablegung Christi spürbar ausgegossen (Joh.19,38-42). Wir werden da an die "Lösung" (Solutio) im "chymischen Rozeß" erinnert. Auch darin liegt ein Mysterium der himmlischen Liebe, Venus Urania (Novalis: "Da kam der ewigen Liebe lösende Hand, und er entschlief").
So berühren sich Erdengeheimnis und Sternengeheimnis in der Grablegung Christi. Wie eine Zwiesprache der Erdentiefen und der Sternenhöhen, die sie über die Auferstehungs-Zukunft der Erde und Menschheit miteinander führen, liegt es über der Grablegung Christi, über dem Mysterium der Grablegung überhaupt. Das Goethe-Wort "Stille ruhn oben die Sterne, und unten die Gräber" kommt uns da immer wieder in den Sinn. Und auch, was Dostojewski in seinem Kapitel "Kana in Galiläa" hat (Joh.Buch S203): "Es war, als wenn die irdische Stille zusammenflösse mit der himmlischen, als wenn die Geheimnisse der Erde und die der Gestirne sich berührten..."
Inwiefern in dieser Berührung von Sternenhöhen und Erdentiefen wirklich ein chymisches Motiv liegt, erhellt aus dieser ganzen Betrachtung. Hingewiesen sei nur noch darauf, wie dieses Motiv stimmungsgemäß auch bei Novalis lebt, den wir nun schon öfter als einen Zeugen johanneischen Geistes anführen konnten. Wir finden diese, von der Zwiesprache der Sternenhöhen und er Erdentiefen ausgehende chymische Stimmung bei ihm vor allem in jenem einzigartigen Bergmanns-Kapitel im "Heinrich von Ofterdingen", wo an einer Stelle der geheimnisvolle Einsiedler unter der Erde zu dem ihn besuchenden Bergmann die Worte spricht: "Ihr Bergleute seid beinahe verkehrte Astrologen... Wenn diese den Himmel unverwandt betrachten, und seine unermeßlichen Räume durchirren, so wendet ihr euren Blick auf den Erdboden und erforscht seinen Bau... Jenen ist der Himmel das Buch der Zukunft, während euch die Erde Denkmale der Vorwelt zeigt." Auch das kosmogonische Motiv in der Alchymie finden wir hier betont.
Auch Goethe hat diese Verbindung des astrologischen Motivs mit dem chymischen in seinem mysterientiefen Roman "Wilhelm Meisters Wanderjahre". Da ist einmal die geheimnisvolle, sternenverklärte Gestalt Makariens, in der eine heilige Astrologie wie wesenhaft verkörpert lebt, so daß sie in ihrem irdisch-gelockerten Seelen-Organismus den Planetenbahnen in ihrem rhythmischen Reigen in Weltenfernen folgen kann, um das dort Erfahrene dann als moralische Impulse wieder ins Erdenleben hereinzutragen. Und auf der andern Seite die "Metallfühlerin", die Freundin Montans, die in ähnlicher Weise, nur in umgekehrter Richtung, die Geheimnisse der Erdentiefen erspürt. In einem Dornacher Vortrag vom 7.7.1923 (abgedruckt in der Zeitschrift "Goetheanum" 9.Jahrgang Nr.50 vom 14.12.1930) hat Rudolf Steiner auf das Mysterium dieser beiden Persönlichkeiten in seinem Verhältnis zu dem des dreigliedrigen Menschen hingewiesen und gezeigt, wie im "Ausgleich von Astrologie nach oben, Alchymie nach unten" das wahre Menschentum zu finden ist, und wie vor Zeiten es gerade unter Handwerkern noch einzelne "Sinnierer" gab, die über solche Zusammenhänge nachdachten und von ihnen den Menschen erzählten, ja, wie ein solcher "Sinnierer" gerade dadurch, daß er es war, für bestimmte praktische Berufsaufgaben, z.B. beim Brunnenfinden und Brunnenbauen, besonders brauchbar war, und wie diese Brauchbarkeit auch von den Mitmenschen gesehen, geschätzt und praktisch verwertet wurde.
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Das mit dem Mysterium der Grablegung in einem jetzt gewiß schon spürbaren "chymischen" Zusammenhang stehende Auferstehungsgeschehen, dessen Anfang die beiden letzten Kapitel des Johannes-Evangeliums enthalten, vollendet sich in der "Apokalypse des Johannes". Da erst erscheint das Auferstehungserlebnis in seiner ganzen Fülle. Der ganze Inhalt der Apokalypse ist dieses Auferstehungserlebnis, die Erscheinung und Offenbarung des lebendigen Christus in seiner Auferstehungsgestalt, sich verbindend mit der durch alle ihre Entwicklungskrisen hindurch verwandelten und erneuerten, in einer chymisch erhöhten und verklärten Form des Physischen auferstandenen Erde. Wie dasjenige was wir den "Sternensinn" und den "Stoffessinn", den "chymischen" Sinn der Bibel nannten, besonders am Anfang, in den kosmogonischen Kapiteln zu erkennen war, und später mehr zurücktritt, so tritt es gegen das Ende, in der Apokalypse, nun wiederum immer stärker hervor, und schon der überall von johanneisch-chymischem Geiste berührte Novalis hat erkannt und in den Fragmenten ausgesprochen, wie sich Anfang und Ende der Bibel, Paradies und "Neues Jerusalem" innerlich zusammenschließen. Und deutlicher als jeder andere läßt der "chymische" Gesichtspunkt die viel erörterte und umstrittene Beziehung von Johannes-Evangelium und Apokalypse, die Verbindungslinien, die sich von dem einen nach der andern ziehen, erkennen. Wie immer äußerlich-dokumentarisch und historisch-philologisch dieser Zusammenhang beurteilt werden mag, im Spirituellen - gerade da, wo dieses Spirituelle den chymischen Gesichtspunkt in sich aufgenommen hat - ist er sicherlich vorhanden.
Es handelt sich bei alledem nich nur einzelne "chymische Motive" der Apokalypse, so wie es uns gleich am Anfang der "Stein der Weisen" in Verbindung mit dem "Sternenwirken in Erdenstoffen" entgegentritt, dazu noch die für die Christusepoche entscheidende Verbindung des "Steines" mit dem Ich. Denn nichts anderes als der "kristallhelle Stein der Weisen", die lichte Auferstehungssubstanz, die "Lichterde" des Neuen Jerusalem ist der "weiße Stein"; nichts anderes als das "Sternenwirken in Erdenstoffen", das neue Empfangen der Sternenkräfte im Ich als himmlische Wegzehrung, das Aufbauen und Ernähren der neuen Leiblichkeit durch die oberen Sternenkräfte ist gemeint mit dem "verborgenen Manna", und der "neue Name, den niemand kennt, als der ihn empfängt" ist wiederum kein anderer, als der Name Ich, Apok.2,17: "Wer überwindet, dem will ich zu essen geben von dem verborgenen Manna und will ihm geben den weißen Stein und auf dem Stein den neuen Namen geschrieben, den niemand kennt, denn der ihn empfähet." Vergl. dazu noch 3,12: "Wer überwindet, den will ich machen zum Pfeiler im Tempel des göttlichen Ich, und er soll nicht mehr hinausgehen. Und ich will auf ihn schreiben den Namen des göttlichen Ich, und den Namen des Neuen Jersualem, der Stadt des göttlichen Ich, die vom Himmel herniederkommt vom göttlichen Ich, und meinen neuen Namen, den Namen des Ich." So findet man, neben wesentlichen Motiven der neuen Sternenweisheit (Apok.1,16+20, dazu Joh.Buch S154-156), der Astrologie des Ich, in der Apokalypse wesentliche Motive der neuen Erden-Stoffesweisheit (Alchymie des Ich). Aber nicht nur diese Einzelmotive kommen jetzt in Betracht. Sondern, von dem für diese Betrachtung gegebenen Gesichtspunkt, enthält die ganze Apokalypse, in einer grandiosen Entfaltung und Steigerung von den "sieben Sendschreiben" über die "sieben Siegel" und "sieben Posaunen" bis hin zu den "sieben Zornesschalen" und der letzten Verklärung und Vollendung in der "himmlischen Erde" des neuen Jerusalem und des neuen Paradiesgartens, nichts als einen einzigen großen chymischen Prozeß in gewaltigen kosmischen Ausmaßen. Da handelt es sich nicht mehr um das Schicksal irgendeines Erdenstoff-Fragmentes, um irdische Stoffesformung, sondern um das Schicksal der ganzen Erde, um die Neuformung des ganzen Irdischen, bis in die Tiefen des Stofflichen hinein, durch unsägliche Entwicklungskrisen hindurch, unter immer neuen, immer angstvolleren und qualvolleren Geburtswehen. Da wird ein furchtbarer Kampf der Finsterniselemente gegen die Lichtelemente entfesselt, bis in dieser großen Scheidung, in dieser "Krisis" alles offenbar wird, was dem Lichte widerstrebt, ein Kampf, in dem alle Gegenkräfte die Macht ihres Ansturms erschöpfen, bis zuletzt durch alle diese Krisen hindurch die "Wandlung" des Irdischen sich vollzogen hat,und nun von oben her die neue Verbindung, die Durchdringung der (saturnischen) Erdenfinsternis mit den uranischen Lichteskräften der oberen Welt, des "Himmlischen" herbeigeführt werden kann. Die Erdenentwickelung selbst, in ihrem Darinnenstehen in der Welten-Entwickelung, zieht in dieser apokalyptischen Schilderung als ein großer chymischer Prozeß an uns vorüber. Das ist nicht nur bildlich gesprochen, sondern ist, im Einklang mit dem chymischen Grundsatze "Wie oben so unten, wie unten so oben", wirklich so gemeint, daß jener große Erden-Entwicklungs-Prozeß und dramatische Erden-Umschmelzungs-Prozeß tatsächlich die kosmisch-riesenhafte Vergrößerung desjenigen darstellt, was unter den Händen des wahren Alchymisten als Stoffes-Drama, als dramatische Stoffesformung unter allen möglichen Krisen, Gefahren und Neubildungen im einzelnen sich vollzieht, und daß jede irdische Stoffesformung, jeder wahre "chymische Prozeß" das verkleinerte Abbild des großen chymisch-apokalyptischen Erdenprozesses ist. Was "Materie", was Stoffeswelt wirklich ist, was sie für lebensfeindliche Finsternisse und Gifte, für dämonische Blitzgewalten, für überirdische Lichtesoffenbarungen in sich birgt, das ahnt ja nicht der Alltag, das erfährt erst derjenige, der in wirklicher Beobachtung, in ernsten hingebungsvollen Versuchen, in diese Tatsachengebiete, von den Anfängen des "Chemischen" bis zu den verborgenen Höhen und Hintergründen des Chymischen, von Stufe zu Stufe immer mehr eindringt und den Schlüssel zu ihren Geheimnissen findet. So wäre also jede höhere irdische Stoffesformung, jeder wahre "chymische Prozeß" wirklich das verkleinerte Abbild des großen chymisch-apokalyptischen Erdenprozesses, und wer in heutiger Zeit ein wirklicher Kenner des chymischen Prozesses in seinen technischen Einzelheiten wäre -, daß es sich hier nicht nur um Äußerlich-Technisches, sondern um Spirituelles handelt, wurde ja zur Genüge betont -, er würde gewiß bis in die kleinsten Einzelheiten hinein aufzeigen können, wie - wenn auch dem Nicht-Eingeweihten unentzifferbar - zwischen den Zeilen der Apokalypse eine exakte Schilderung des chymischen Prozesses, aller seiner kritischen Ereignisse und dramatischen Momente sich verbirgt. Gerade z.B. dasjenige, was in der Apokalypse bei der Eröffnung der Siegel, beim Ertönen der Posaunen, bei der Ausgießung der Zornesschalen an Schrecknissen in die Erscheinung tritt, es wäre wirklich das genaue Gegenbild dessen, was im wahren chymischen Prozeß beim Drama der Stoffesformung an Schrecknissen und Zwischenfällen, Krisen und Gefahren erlebt wird. Daß mit alledem nun wirklich nicht gemeint ist, daß die Apokalypse bloß ein "alchymistisches" Schriftdokument wäre, wo in dunklen kosmischen Bildern chymische Vorgänge so beschrieben werden, daß nur der Eingeweihte und in der Alchymie technisch Erfahrene sich auskennt (wie das in der alchymistischen Literatur so herkömmlich war), geht aus der ganzen bisherigen Darstellung zur Genüge hervor. Sondern es handelt sich - das wurde ja immer deutlich gesagt - bei der Apokalypse wirklich um eine Schilderung von Erden-Zukunftsschicksalen und Menschheits-Zukunftsschicksalen. Aber ebenso wahr wie dieses, ist auch das andere, daß die Schicksale und Vorgänge der chymischen Stoffes-Dramatik ein verkleinertes Abbild sind der großen Erden-Dramatik, wie sie das hellsichtige Auge des Apokalyptikers, des "Alchymisten Johannes", in der den Abschluß des Neuen Testaments, die Krönung des Evangeliums bildenden Apokalypse geschaut und in grandioser Weise zur Darstellung gebracht hat.
Aus der früheren Betrachtung und aus den Schilderungen der Alchymisten, wissen wir, wie im chymischen Prozeß, wenn er zum Gelingen führte (was selten und nur von ganz wenigen erlebt wurde) und seinem glücklichen Abschluß nahe war, ein Regenbogen-Phänomen sich bildete, wie Farbenerscheinungen sich zeigten, in denen die Skala des Regenbogens auftrat, Wir finden in der Apokalypse dasselbe Regenbogen-Phänomen in kosmischer Größe da, wo, nachdem alle Krisen und Schrecknisse durchgerungen sind, und der Tod aus der fortschreitenden Entwicklung herausgesetzt ist (Apok.20,14; das Entsprechende im chymischen Prozeß wäre das caput mortuum, das "Rabenhaupt"), das Neue Jerusalem im reinen Goldfluß aus der oberen, der uranischen Welt herunterkommt, wo dann die Rede ist von den zwölf Edelsteinen, mit denen die Mauergründe der heiligen Stadt geschmückt sind. Vergleicht man diese zwölf Edelsteine nach ihren Farben, so kann man finden, daß es fünf dunkle, d.h. trübe, und sieben helle Edelsteine, d.h. solche mit durchleuchtenden Farben sind. Läßt man die fünf trüben, in ihrer Farbe auch vielfach unbestimmt variierenden, zunächst unberücksichtigt, so zeigen die übrigbleibenden sieben hellen Steine in der Tat die Farbenskala des Regenbogens, in der Weise, daß der erste der aufgeführten hellen Steine, der Saphir (denn der vor ihm genannte Jaspis ist trübrot) das Blau offenbart, worauf es dann über Grün und Gelb (Topas) zum Rot ("Hyazinth" - sollte nicht der rote Korund, der Rubin gemeint sein?) weitergeht, und das Violette im Amethysten den Abschluß bildet. Man hat sich, um das zur Anschauung zu bringen, die zwölf Steine (oder Farben) im Kreise angeordnet zu denken. Auch dem Regenbogen liegt ja dieser Farbenkreis zugrunde, wobei wir uns vorstellen können, daß der sichtbare Bogen der sieben hellen Farben durch den unsichtbaren Bogen der fünf "Ultrafarben" zum vollen Zwölfer-Kreis ergänzt wird. In diesem Farbenkreis liegt z.B. dem Grün gegenüber das "Pfirsichblüt", von dem in Goethes Farbenlehre die Rede ist. Beim apokalyptischen Farbenbogen (oder Farbenkreis) ist es nun bloß so, daß die außerhalb der Siebenheit liegenden Farben bzw. Edelsteine (Chalcedon, Sardonyx, Sarder, Chrysopras, Jaspis) unter die andern verteilt sind, und daß wir nicht zwischen Rot und Gelb die Übergangsfarbe Orange, zwischen Blau und Violett die Übergangsfarbe Indigo haben, sondern daß vielmehr das Grün in drei Farbennuancen (Smaragd tiefgrün, Chrysolith lichtgrün, Beryll gelbgrün) aufgeteilt ist, und so eine besonders entscheidende Rolle spielt. Mit dem ihm gegenüberliegenden Pfirsichblüt zusammen ist Grün als die "Mittler-Farbe" die eigentliche, dem Geistigen des Christus entsprechende Farbe: in Gründ und Pfirsichblüt erleben wir etwas wie den Ausgleich der Farben-Polarität.
Offensichtlich trägt der apokalyptische Edelstein-Farben-Kreis auch den Tierkreis, die Ordnung der zwölf heiligen Himmelszeichen, in sich. Und zwar hat er als Kardinal-Achse (Querachse) die bei der Darstellung des Evangelien-Rhythmus immer "Abendmahls-Konstellation" genannte Tierkreiszeichen Fische-Jungfrau (Jaspis-Chrysolith), wobei Fische das Zeichen des beginnenden Christusgeschehens, das Christuszeichen der gegenwärtigen Kulturperiode oder der mit der Jordantaufe beginnenden Christus-Ära, das Zeichen der Christus-Sonnen-Ich-Kraft ist, während wir in der Jungfrau in dieser Betrachtung das "alchymistische Zeichen", das Zeichen des Erdgeheimnisses erkannt haben ("Sternenwirken in Erdenstoffen"), so daß diese Kardinalachse des Farbenkreises, in der Art, wie sie das Alchymie-Zeichen mit dem Christus-Ich-Zeichen verbindet, recht deutlich auf die neue Christus-Alchymie, die Ich-Alchymie hinweist.
Für die weitere Bestimmung der apokalyptischen Edelsteine und ihrer Farben nch dem Tierkreis ist davon auszugehen, daß die in der Apokalypse 21,19.20 gegebene Aufzählung nicht die gewöhnliche Reihenfolge (Fische, Widder, Stier, Zwillinge usw.) zeigt, wie sie insbesondere dem Rhythmus des Markus-Evangeliums zugrundeliegt, sondern vielmehr die johanneische, die dem Rhythmus des Johannes-Evangeliums zugrundeliegende (Joh.Buch S73ff), bei der nicht im Rhythmus des Jahreslaufes über die lichten Zeichen nach aufwärts, sondern umgekehrt in der Richtung des großen Weltenjahres über die dunkeln Zeichen nach abwärts gegangen wird, also die Reihenfolge Fische-Wassermann-Steinbock-Schütze usw. Da trifft dann auf das eigentliche Kardinalzeichen des Tierkreises, auf das Uranus-Zeichen Wassermann, dessen wir bei der Hochzeit von Kana und der Grablegung gedachten, der lichte blaue Saphir - zu Uranos, dem "Himmel", gehört das lichte Blau -, und es wäre dann von einem Gesichtspunkt, der zugleich der "Uranus-Gesichtspunkt" ist, der Saphir ein hoher Christus-Stein. (Von einem andern Gesichtspunkt erscheint der das Lichtgrüne mit dem Pfirsichblüt verbindende, in der Apokalypse nicht genannte Turmalin als Christus-Stein.) Im Saphir wäre also eine besonders hohe Offenbarung des Göttlichen, eine Zukunftsoffenbarung zu erblicken. Dann käme der trübbläuliche Chalcedon in das "finstere Saturnzeichen" Steinbock, der tiefgrüne Smaragd in den Schützen, den Ursprung des neuen Lebensstromes (Joh.4, dazu Joh.Buch S219ff), der trübrot-variierende Sardonyx in den Skorpion, Sarder in die Wage, der lichtgrüne Chrysolith, wie erwähnt in die Jungfrau, der Beryll in den Löwen, Topas in den Krebs, Chrysopras in die Zwillinge, Hyazinth in den Stier, Amethyst in den Widder, in das taghelle Zeichen der Bewußtseins-Klarheit (dieser Sinn liegt auch im griechischen Namen).
Der für die Betrachtung wesentliche Gesichtspunkt ist bei alledem, daß wir die Regenbogen-Skala (mit einer gewissen charakteristischen Betonung des Grünen) in dieser apokalyptischen Edelstein-Farben-Skala aufzeigen können, und es wäre damit auch das chymische Phänomen des "Regenbogens" in der Apokalypse nachgewiesen.
Wenn in der Apokalypse immer wieder vom Neuen Jerusalem als der von oben, vom Himmel herniedersteigenden Stadt der Menschheitszukunft, der neuen, verwandelten Erde gesprochen wird (3,12;21,2;21,10), so verliert dieses Bild alles ihm scheinbar anhaftende Märchenhaft-Phantastische, wenn von Rudolf Steiner gezeigt wird (davon war oben schon die Rede), wie der Aufbau des Menschenleibes in Nahrung, Atmung und höheren Geist-Prozessen nicht nur durch die gewöhnlichen Erdenstoffe sich vollzieht, sondern wie die feineren Kräfte in umgekehrter Richtung, von oben her, aufgenommen werden. Auch hier also stellt sich dem Saturnhaft-Irdischen das Uranisch-Himmlische gegenüber. Aus dem letzteren erfolgt der Aufbau des "Neuen Jerusalem", des Auferstehungs-Leibes, der verwandelten, neuen höheren Physis.
Von den Salz-Würfel-Geheimnissen des Neuen Jerusalem (Apok.21) war oben die Rede. Auch darin liegt ein Geheimnis der "uranischen Lichterde", des lichten "himmlischen Salzes". Dem chymischen "Salze" (Sal) entspricht auch der obere Teil des dreigliedrigen Menschen, die Nerven-Sinnes-Organisation, die in feinen Geistprozessen die Aufbaukräfte von oben aufnimmt. Da stehen wir wieder vor dem "weißen Stein", dem "kristallhellen Stein der Weisen", von dessen Beziehung zu den in der Würfelform angedeuteten dreidimensionalen Raumeskräften oben die Rede war (I). Während der "Raum" des abstrakten Denkens als etwas nach außen, nach der Peripherie hin, ins Unendliche - oder ins "Nichts" - Verfließendes, als unbestimmte Kugel, erscheint, führt das aus dem Nichts (aus dem "Unendlichen") schöpferisch gestaltende Ich die Raumeskräfte in die Tempelform des Würfels, verwirklicht als "Baugedanken" den Würfel. Von da erschließt sich allmählich die Tiefe eines Wortes des Angelus Silesius, das wir dieser ganzen Betrachtung als Motto vorausgeschickt haben:
"Die Welt scheint kugelrund, dieweil sie soll vergehen;
geviert ist Gottesstadt, drum wird sie ewig stehen."
In den Perlen der "zwölf Tore" der heiligen Stadt (Apok.21,21) können wir uns umgewandelt Krankheitserlebnisse, umgewandelte Schmerzerlebnisse - denn in dieser Richtung liegt immer das Geheimnis der Perle - vorstellen. Die bis zur Verwirklichung der verwandelten und verklärten "Neuen Erde" noch durchzuringenden Schmerzenserlebnisse und Leidenskrisen treten uns in diesem erhabenen Bilde vor die Seele. Nun gehört die Perle der Venus, und wir können nicht umhin, auch hier wieder an Botticelli's aus der Meermuschel emporsteigende Venus, die Venus Urania des Uranos-Mythus zu denken. Chymische Geheimnisse der Venus Urania offenbaren sich in den Perlen und Perlen-Toren des "Neuen Jerusalem". Auch sie deuten auf ein uranisches Element der Zukunftserde, auf Geheimnisse der Erdenzukunft leise hin. Bedeutsam verbindet sich diese Erdenzukunft, in der aus dem einstigen Garten nunmehr die Stadt geworden ist, richtiger: in der zum Ätherischen des Paradiesesgartens die aus den Ich-Kräften im höheren Physischen von oben her erbaute Stadt hinzugekommen ist, mit der Paradieses-Urvergangenheit: die Bilder vom Lebensbaum und Lebensstrom im 22.Kapitel rufen alles wieder in die Erinnerung, war wir in einem früheren Teile dieser Betrachtung in den Bildern des Urparadieses an chymischen Geheimnissen des Goldes, des Edelsteins und der chymischen Ursubstanz entdecken konnten. Und im neuen Paradiesesgarten erblühen die Blumen der himmlischen Venus, die "ewigen Blüten und Früchte", von denen Novalis einmal spricht, für die alle Blüten und Blumen des Erdenfrühlings, die Kinder der irdischen Venus, nur ein ahnungsvolles Gleichnis sind. So sind die für alle Alchymie so bedeutungsvollen Venus-Mysterien auch in die apokalyptische Schilderung des "Neuen Jerusalem" verwoben.
Darum hat es auch einen so überaus tiefen Sinn, wenn wir im letzten abschließenden Christus-Worte der Apokalypse, und damit im Abschluß des Neuen Testaments, der Bibel überhaupt, im eigentlichen Schlußworte der Apokalypse cap.22V.16 (denn V.17-21 sind nur Anhang) noch einmal auf diese Venus-Mysterien so hingewiesen werden, daß jetzt das Ich-Bin des Christus sich mit dem Sterne verbindet, dessen in der Weltenentwickelung so dramatisch sich offenbarenden Schicksale eine Widerspiegelung des Menschheitsschicksales sind, mit dem Stern der uranischen Himmelsgeheimnisse und der chymischen Erdengeheimnisse, dem Stern, der einst der Grals-Edelstein war, der im Sturze des Luzifer-Phosphorus der Krone des Lichtesfürsten entfiel, und nun, selber ein Himmels-Gral, wiederum in göttlicher Reinheit und Klarheit in der Wage, dem das ganze Johannes-Evangelium beherrschenden Zeichen des Christus-Ich-Bin erglänzt, Venus-Urania: "Ich bin die Wurzel und das Geschlecht Davids, der helle Morgenstern." Durch Christus und die Mysterien des Ich ist uraltes Sternenwissen wieder zu einer heiligen Astrologie, chymisches Erden-Stoffe-Wissen zu einer heiligen Alchymie geworden. Wenn wir dazu noch wissen, wie im Namen Davids und in den Psalmen Davids ja eine hebräische Offenbarung der Merkur-Mysterien enthalten ist, so werden wir neben dem, was die "Wurzel Davids" in einem rein historischen Sinne zu bedeuten hat, im apokalyptischen Sinne dieses Wortes auch eine Anspielung auf das chymisch so bedeutsame Venus-Merkur-Mysterium, auf die Verbindung von Venus und Merkur im "Hermaphroditen" (der für die Alchymisten der "Stein der Weisen" war) durch Christus erblicken. In dieser Verbindung von Merkur und Venus im "Hermaphroditen" offenbart sich das jetzt zur Stufe des Christus-Ich-Mysteriums erhobene jungfräuliche Geheimnis der Stoffeswelt.
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Auf ferne apokalyptische Zukunfts-Ausblicke hat uns die Betrachtung geführt, auf Geheimnisse der Erneuerung, Erhöhung, Verwandlung und Verklärung auch der Stoffeswelt im Lichte und durch die Kraft des Christus-Ich, eine Metamorphose, die heute nur wenige ahnen, die aber einzelne hellseherisch veranlagte Persönlichkeiten schon in der Vergangenheit wie eine Schauung, wie ein unmittelbare Erspüren hatten. Noch verbirgt im heutigen Menschheits-Chaos Erdennacht und Finsternis dem Sinnes-Augen den "Stern der Tiefe": "Nacht liegt in der Tiefe." Aber wir wissen auch aus unserer Betrachtung, daß gerade an dem Punkt, wo das Irdische "ins Chaos gekommen ist", die Zukunft mit ihrer Sternen-Neugeburt hereinwill, daß Erden-Chaos und Sternenkräfte auf einander hingeordnet sind, und daß aus der Verbindung des Chaos und der Gestirne eine neue Welt empfangen wird. Noch erscheint uns die Erde wie ein Grab. Aber gerade über Gräbern leuchtet zukunft-erhoffend, Auferstehung und Erneuerung des Irdischen verheißend, das Geheimnis der ewigen Sterne. "Stille ruh'n oben die Sterne und unten die Gräber". In dem Zeichen Wassermann, das schon auf eine nahe Erden-Zukunft hinweist, verbindet sich das Saturnhafte der Erdentiefe mit der lichten Sternen-Offenbarung des Uranus. In dieser Verbindung liegt das Geheimnis der neuen Alchymie. Und wir können diese ganze Betrachtung nicht würdiger beschließen, als in jenem hoffenden Ausblick in die Menschheitszukunft, wie er einen so offenbarenden Ausdruck gefunden hat in den Strophen (2-6) des Goethe'schen Freimaurer-Gedichtes "Die Loge":
Die Zukunft decket
Schmerzen und Glücke
Schrittweise dem Blicke,
Doch ungeschrecket
Dringen wir vorwärts.
Und schwer und ferne
Hängt eine Hülle
Mit Ehrfurcht. Stille
Ruh'n oben die Sterne
Und unten die Gräber.
Betracht' sie genauer,
Und siehe, es melden
Im Busen der Helden
Sich wandelnde Schauer
Und ernste Gefühle.
Doch rufen von drüben
Die Stimmen der Geister,
Die Stimmen der Meister:
Versäumt nicht zu üben
Die Kräfte des Guten.
Hier winden sich Kronen
In ewiger Stille,
Die sollen mit Fülle
Die Tätigen lohnen.
Wir heißen euch hoffen.
...wird um die Anmerkungen noch ergänzt
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