Erster Teil, Drittes Kapitel:
III.
Die Sphäre der kosmischen Verantwortung
Fassen wir schließlich die dritte und umfänglichste Sphäre moralischer Verantwortung des Einzelnen: die kosmische, ins Auge. Wodurch sie entstanden ist, wurde eingangs dieses Kapitels bereits angedeutet. Konnten wir von der zuletzt besprochenen sagen, daß sie seit dem Anfang der neueren Zeit für das menschliche Erleben und Bewußtsein deutlich spürbar und wirksam geworden ist, so verhält es sich mit dieser dritten so, daß sie erst in unserem Jahrhundert begonnen hat, zwar noch kaum in das Bewußtsein, aber wenigsten in ein tiefer liegendes Empfinden einzutreten. Und zwar ist dies geschehen durch das Ausmaß, welches die Auswirkungen der modernen technisch-industriellen Zivilisation auf Erde und (S110) Kosmos in unserem Jahrhundert, insbesondere seit der Konstruktion der Atombomben und Weltraumraketen erreicht haben. Genauer gesagt: wie auch das Gefühl für die menschheitliche Verantwortung des Einzelnen in den letzten Jahrhunderten vor allem an dem erwacht ist, was auf den verschiedenen Lebensgebieten gegen die Menschheit versündigt und verschuldet wurde, so hat sich das Gefühl einer kosmischen Verantwortung gleichfalls entzündet an dem, was die moderne Zivilisation gegenüber Erde und Kosmos an Untaten und Freveln begangen hat und weiter zu begehen im Begriffe ist.
Was an menschlicher Kultur sich auf der Erde entfaltet hat, wirkt sich im Grunde schon seit dem Aufgang der geschichtlichen Ära als ein fortschreitender Abbau des Erdlebens aus - so, wie es innerlich auf einem Rückgang der Lebenskräfte der menschlichen Leiblichkeit beruht, also dessen, was "Natur" im Menschen selbst ist (siehe die Darstellungen des zweiten Bandes). Dieser Abbau, der durch lange Zeiten noch ein langsamer und sorgfältig geregelter war, hat im Laufe der letzten Jahrhunderte ein rasant sich beschleunigendes Tempo und den Charakter einer wahl- und skrupellosen Zerstörung angenommen.
Schon aus der Zeit des frühgeschichtlichen Jägertums berichten uns Höhlen- und Felszeichnungen vom Kampf des Menschen mit der Tierwelt. Dieser hielt sich zwar, namentlich seit dem Aufkommen des Viehzüchtertums, lange in bestimmten Grenzen. Erst in der neueren Zeit, besonders mit dem Vordringen des weißen Mannes in die außereuropäischen Erdteile, hob ein zügelloses Ausrotten an, und heute ist es bereits notwendig geworden, durch das Anlegen von Naturschutzgebieten in den verschiedenen Kontinenten die letzten Reste der Wildtierwelt vor der völligen Vernichtung zu retten.
Bereits die altorientalischen Kulturen, vor allem das chinesische, in Europa schon die antik-mediterrane, haben die Siedlungsgebiete ihrer Völker weitgehend entwaldet und dadurch eine Verkarstung des Bodens sowie Erosionsprozesse gefördert, mit deren Folgen besonders China seit vielen Jahrhunderten zu kämpfen hat. In unserer Epoche hat die Entwaldung in großem Stile nach Nord- und Südamerika, nach Nordeuropa und Rußland übergegriffen und den Waldbestand der Erde bedeutend weiter reduziert. Seitdem in neuerer Zeit, im größten Maßstab in Amerika, die Landwirtschaft, vom Geist des Industrialismus angesteckt, um der stetigen Steigerung ihrer Erträge willen, sich in Monokulturen spezialisierte und den mineralischen Dünger einführte, ist die Fruchtbarkeit des Ackerbodens rapide zurückgegangen und hat eine Versteppung desselben eingesetzt, die sich immer weiter ausbreitet.
Schon mit dem Übergang von der Stein- zur Metallzeit hat die Menschheit den ersten Anfang damit gemacht, ins Innere der Erde einzudringen und dort abzubauen, was nicht nachwachsen kann. Vollste Aktualität hat dieser letzte (S111) Schritt allerdings erst mit dem Aufkommen der modernen Technik und des Industrialismus erlangt. Seither wird das Innere des Erdenleibes durch Ausbeutung der Kohlen- und Erzvorkommen, wo immer sich solche befinden und neu aufdecken lassen, ausgeweidet, soweit nur die technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten es erlauben; als sein letzter Nutzvorrat wurden seit dem Beginn unseres Jahrhunderts auch seine Öllager in allen Erdteilen, neuestens auch schon unter dem Meeresspiegel angezapft, und heute werden bereits die zum Teil gar nicht mehr sehr weit entfernten Zeitpunkte berechnet, zu denen alle diese verschiedenen Bodenschätze erschöpft sein werden. Das gab mit den Anlaß dazu, sich nach Ersatz der von ihnen gelieferten Stoffe und Energiequellen umzusehen. Die moderne Kunststoffindustrie stellt gegenwärtig schon zahlreiche Materialien her, welche Holz und Metalle in immer größerem Umfang ersetzen, uns damit aber zunehmend mit unbestimmbaren, ihrem Ursprung entfremdeten Stofflichkeiten umgeben. Und die Atomtechnik hat uns zwar eine neue, alle bisherigen an Leistungsfähigkeit weit übertreffende Energiequelle erschlossen; aber diese beruht auf dem Zerfall der Materie als solcher, und durch ihre, selbst "friedlichen" Zwecken dienende Erzeugung hervorgerufen, deren Todeswirkungen die gesamte Erdennatur und damit die physische Existenz der Menschheit mit einem galoppierenden Ersterben bedrohen. Gar nicht zu reden von den Vernichtungswirkungen einer kriegerischen Anwendung dieser Energie!
Des ferneren wäre zu erwähnen, wie die Regulierung, Kanalisierung und Nutzbarmachung der Flußläufe für den Bedarf der Industrie an Energie, an Wasser, an Ableitung ihrer Abfallstoffe usw. in zahlreichen Gebieten Senkungen des Grundwasserspiegels und eine Vergiftung von Flüssen und Seen zu Folge gehabt hat, durch welche die Pflanzen- und Tierwelt tiefgehend geschädigt wurde. Die Entwicklung der Industrie und die Zunahme des motorisierten Verkehrs verpestet namentlich in den Städten die Luft immer mehr mit Ruß, Staub und giftigen Abgasen. Heute hat die Technik nun bereits ihren Angriff auf den außerirdischen Weltraum eröffnet. Schon wurde der Mond von Raketen umkreist und getroffen. Ganz abgesehen von der Gefahr, daß er in einem künftigen Krieg zur Abschußbasis von interplanetarischen Geschossen gemacht werden könnte, ist die Befürchtung berechtigt, daß durch Weltraumraketen außerirdische Lebenssphären und Wirkensbereiche unseres Planetensystems verletzt und chaotisiert werden.
Schon in den Anfängen unseres Jahrhunderts hat innerhalb des deutschen Sprachgebietes wohl als erster Ludwig Klages in seinem 1913 erschienenen Aufsatz "Mensch und Erde" (wieder abgedruckt in der 1920 unter diesem Titel veröffentlichten Sammlung von Abhandlungen) ein Bild der geradezu schauerlichen Verwüstung des Erdlebens gezeichnet, welche die Menschheit (S112) im Lauf ihrer Geschichte und ganz besonders der neueren Zeit angerichtet hat. "Eine Verwüstungsorgie ohnegleichen hat die Menschheit ergriffen, die 'Zivilisation' trägt die Züge entfesselter Mordsucht, und die Fülle der Erde verdorrt von ihrem giftigen Anhauch", so faßte er darin seine Darstellung zusammen. Bedeutsam erscheint, daß er diese Zerstörung des Erdlebens auf die Entwicklung des Intellekts zurückführte, wie sie seit dem Beginn der geschichtlichen Ära eingesetzt hat. Durch diese habe sich nämlich der Mensch immer mehr aus seiner früheren Verbundenheit mit dem Leben bzw. der Seele der Natur herausgelöst und die letztere als einen bloß materiellen, toten Erdkörper aufzufassen sich gewöhnt, dessen Stoffe und Kräfte in seine Gewalt zu bekommen seither sein einziges Ziel geworden sei. In diesem Erwachen und Sichentfalten des Intellekts aber sieht Klages - und dies ist noch bedeutsamer - nur den Ausdruck dafür, daß in den Menschen mit dem Eintritt in die eigentlich geschichtliche Phase seiner Entwicklung eine "außerweltliche Macht" eingebrochen sei: der "Geist", dessen Wirken und Streben dahin ziele, alles Leben, alle Seele (denn beides ist für Klages dasselbe) in der Natur, ja im Menschen selber zu ertöten. In seinem Hauptwerke "Der Geist als Widersacher der Seele" hat er ja später dieses Grundaxiom seiner Welt- und Lebensanschauung nach allen Richtungen zu begründen und auszuführen unternommen. Zweifellos hat der "Geist", wie er sich in der Menschheitsgeschichte zunächst darlebt, auch diese Seite an sich. Aber nur diese Seite zu sehen, bedeutet eben eine Einseitigkeit und führt zu einer bloßen Halbwahrheit. Und so wurde denn Klages schon vor Spengler und Theodor Lessing der erste Prophet des "Unterganges der Erde am Geist". Wenn er auch aus dem Abgrund dieses Untergangs, dem er die Menschheit entgegeneilen sah, keinen Ausweg zu zeigen wußte, es sei denn die romantisch-reaktionäre Rückwendung zu Seele und Leben, für deren Durchführbarkeit aber nur fragwürdige Chancen bestehen, so ist es immerhin bezeichnend, daß schon Klages in diesem ganzen Geschehen einen Kampf zwischen letztlich außermenschlich-kosmischen Mächten erblickte, in den der Mensch hineingestellt ist und dessen Ausgang er, da er sich ihn ja zum Bewußtsein zu bringen vermag, mitzuverantworten hat.
In jüngster Zeit wurde die Aufmerksamkeit auf den Raubbau, den der Mensch an der Erde getrieben und heute mehr denn je treibt, besonders hingelenkt durch den wachsenden Gegensatz zwischen der Zunahme der Erdenbevölkerung und der Abnahme der Fruchtbarkeit der Erde sowie der absehbaren Erschöpfung ihrer Bodenschätze. "Wahrscheinlich schon ehe 100 Jahre verstrichen sind" - so schrieb Alfred Weber 1953 in seinem schon zitierten Buche "Der dritte oder der vierte Mensch" -, "müßte, gleichgültig, ob sich die Erderträge steigern lassen oder etwa mit ihrer zunehmenden Erschöpfung zu rechnen ist, ein Todeskampf um die Futterplätze auf der Erde entbrennen, bei (S113) dem ganze Bevölkerungskomplexe von Hunderten von Millionen radikal ausgerottet werden, um den Siegern wenigstens zeitweise Luft zu verschaffen, immer vorausgesetzt natürlich, daß die heutigen Vermehrungsgewohnheiten weiter andauern. Aber die Dinge liegen praktisch noch schlimmer. Die Menschheit ist, wenn sie nicht die heutige, ihr durch die Geschichte zur Gewohnheit gewordene Art der Erdausbeutung aufgibt, in Gefahr, schon in wenigen Jahrzehnten vor der Situation dieses Kampfes um die Futterplätze zu stehen. Denn was sie in der bisherigen Geschichte getan hat, ist nichts anderes als eine gedankenlose Ausbeutung der Erdkräfte und -schätze, die eine fortgesetzte Schrumpfung des ihrer wachsenden Zahl gegenüberstehenden Erdpotentials bedeutet" (S18).
In den westlichen Ländern haben diese Verhältnisse und Perspektiven in den letzten Jahrzehnten die neue Wissenschaft der Ökologie entstehen lassen, welche die Beziehungen zwischen der Menschheit und den Erdengrundlagen ihres Lebens zum Gegenstand ihrer Forschung gemacht hat. Aus solchen Untersuchungen heraus hat William Vogt 1948 sein aufsehenerregendes Buch "Road to Survival" (deutsch unter dem Titel "Die Erde rächt sich", 1950 herausgekommen) erscheinen lassen, in welchem er ein noch weit umfassenderes und erschütternderes Bild von der in neuerer Zeit erfolgten sinnlosen Vergeudung und Zerstörung der Naturgrundlagen des Menschheitslebens zeichnete, als es seinerzeit Klages getan hatte. Freilich entwarf er dieses Bild nicht als Philosoph, sondern eben als Ökologe: nicht zwecks Entschleierung der metaphysischen Mächte, die hier am Werke sind, sondern um praktische Maßnahmen aufzuweisen und zu begründen, die jenen Wandel zum Besseren bringen können, der eintreten muß, wenn die Menschheit überleben soll. Die seiner Darstellung zugrundeliegende Weltauffassung ist eine rein naturwissenschaftliche. Wenngleich er bei seinen Vorschlägen in erster Linie die Interessen Amerikas im Auge hat, so ist es dennoch ein Bewußtsein der Verantwortlichkeit für die ganze Menschheit, was er erwecken will - freilich noch nicht ein solches für die Erde selber. Es geht ihm unmittelbar um die Menschheit, nicht um die Erde als solche. Eine Umkehr im tiefsten Sinne - nämlich auch in der inneren Beziehung zur Erde - liegt nicht in seinen Intentionen.
Vom Gefühl der Verantwortung gegenüber der Erde selbst dagegen ist die Darstellung eines Buches diktiert, das Günther Schwab unter dem Titel "Der Tanz mit dem Teufel" 1958 (im Adolf-Sponholz-Verlag, Hannover) veröffentlicht hat. Die darin enthaltenen Schilderungen vom Raubbau und Zerstörung des Erdlebens übertreffen diejenigen von Klages und Vogt an Grellheit der Farben und Vielfalt der Sachgebiete noch um ein Bedeutendes. Hier tritt uns außerdem - wie der Titel schon andeutet - auch die Auffassung wieder entgegen, daß hinter all diesem Geschehen die bewußte Planung und (S114) Lenkung einer außermenschlich-satanischen Macht stehe, die es auf die Vernichtung der Menschheit mittels der Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen abgesehen hat. Obwohl Ingenieur und Forstmann, betrachtet der Verfasser die von ihm geschilderten Tatsachen im Lichte einer religiös orientierten Weltschau. Er bringt dies in der Weise zum Ausdruck, daß er seine Darstellung - obleich sie durch ein umfassendes und wissenschaftlich wohlgesichertes Tatsachenmaterial belegt wird - in die halbdichterische Form eines "abenteuerlichen Interviews" mit dem Teufel kleide, wobei der diesen freilich in einer neuartigen, von einem bestimmten Gesichtspunkt aus interessanten Erscheinungsform auftreten läßt. Für unseren augenblicklichen Zweck genügt es, die auf dem Buchumschlag gedruckte Anzeige seines Inhalts zu zitieren: "Nie zuvor ist die Menschheit von einer solchen Fülle lebenswichtiger Fragen bedrängt gewesen wie in der Gegenwart. Beängstigend und unausweichlich ist jeder diesem Dilemme ausgesetzt, das zwangsläufig die uralte Frage aufwirft: 'Ist die Welt Gottes oder des Teufels?' - Vier moderne junge Menschen (ein Journalist, ein Techniker, eine Ärztin und ein Dichter) streiten sich in diesem Buch über diese Frage. Da sie sich nicht einigen können, beschließen sie, den Teufel zu interviewen. Sie finden ihn im 82. Stockwerk eines Wolkenkratzers als Boß, als Herrn der Welt, ein Managertyp unserer Zeit. Im Vollbewußtsein seiner unangreifbaren Macht läßt er die Dezernenten seines Vernichtungsministeriums aufmarschieren, die in Wort, Bild und Ton berichten, was sie in den letzten 5, 100 oder 1000 Jahren zur Vernichtung der Menschheit veranlaßt haben. Es referieren die Abteilungsleiter für Vergiftung der Luft, Vergeudung des Wassers, Vernichtung des Waldes, Verwüstung des Bodens, Vernichtung des Bauerntums, Verjauchung des Wassers, Entartung durch Feinkost, Gift in der Nahrung, Entseelung durch Hast und Lärm, Entartung durch Lebensstandart und Fortschritt, Vergiftung der Seelen, Krankheit und Medizin, Kampf gegen den Geist, entartete Politik, Atomtod, Untergang durch Massenvermehrung. Es ist eine lückenlose wissenschaftlich fundierte und durch ein gewaltiges und erschütterndes Beweismaterial untermauerte Revue jener Vernichtungsgewalten, die der Mensch durch Überheblichkeit, Profitgier und Machtwahn gegen sich selbst aufgerufen hat."
Zu diesen literarischen Dokumenten des zur Geltung drängenden Gefühls einer über das bloß Menschliche hinaus ins Kosmische sich ausweitenden moralischen Verantwortung kommen, sie ergänzend, die Fragen und Bedenken hinzu, die in den letzten Jahren in der Tagespresse, in Vorträgen und Diskussionen immer wieder laut geworden sind gegenüber der technischen Eroberung der außerirdischen Welt, die seither im Gange ist. Es sind Fragen wie diese, ob dergleichen dem Menschen zukomme und erlaubt sei, oder ob nicht in all dem eine vor keiner Vergewaltigung der (S115) menschlichen Natur zurückscheuende, frevlerische, im wahren Sinne "himmelstürmerische" Raserei der Überheblichkeit sich austobe - gleichsam ein modernes Analogon zu jenem babylonischen Turmbau, den einstmals eine ältere Menschheit gemäß ihren damaligen technischen Möglichkeiten errichten wollte und der ja auch "bis in den Himmel reichen" sollte. Wie aber jene Überhebung mit der Verwirrung der Sprachen bestraft wurde - haben wir nicht auch von der jetzigen eine analoge, nur den jetzigen Dimensionen unseres Könnens entsprechend uns noch schwerer treffende Rückwirkung zu befürchten? Ähnliche Fragen drängten sich schon seit längerer Zeit unzähligen Menschen auf gegenüber den atomischen Versuchsexplosionen, die ja, abgesehen von ihrer Gefährlichkeit für die Menschheit selber, offensichtlich - man denke an das Bikini-Experiment von 1954, durch welches eine Energiemenge von ca. 20 Millionen Tonnen Dynamit freigesetzt wurde - ungeheuerliche Zerstörungswirkung auch im Leben des Erdorganismus hervorgerufen haben.
Älteren Zeiten wären alle diese Unternehmungen, wenn sie sie hätten ausdenken können, als der ungeheuerste Frevel gegen Gottes Schöpfung bzw. gegen die die ganze Natur bevölkernden Götter und Geister erschienen. Denn für ihr Erleben - darin hat Klages recht - waren Erde und Kosmos noch durch und durch belebt und beseelt; sie bildeten die Wohnstätten einer unübersehbaren Stufenordnung von göttlichen Geistern. Aber für sie lagen ja derartige Aktionen noch völlig außerhalb der dem Menschen zugemessenen Möglichkeiten. Dennoch macht gerade der Vergleich mit ihnen das eigentliche Problem sichtbar, das hier vorliegt. Die naturwissenschaftlich-technische Entwicklung hat, indem sie der modernen Menschheit solche Möglichkeiten der Zerstörung in die Hand spielte, ihr eine Verantwortung gegenüber der Erde aufgebürdet, wie sie eine frühere Menschheit noch nicht zu tragen hatte. Diese selbe Naturwissenschaft hat aber, indem sie für die menschliche Auffassung die Natur entgötterte und entseelte und damit Erde und Sterne zu bloßen Materieklumpen ersterben ließ, der Menschheit es zugleich fast unmöglich gemacht, ein Gefühl für eben diese von ihr begründete Verantwortung zu entwickeln.
Hierin liegt der Grund, warum dieses Verantwortungsgefühl sich heute noch kaum zur Geltung bringen kann. Es scheint zur völligen Ohnmacht verurteilt zu sein gegenüber den Argumenten, mit denen die Naturwissenschaft Atomexplosionen und Weltraumraketenabschüsse rechtfertigt. Darum flüchten sich diejenigen, die es empfinden, vielfach - Günther Schwab - in aus der Vergangenheit überkommene religiöse Vorstellungen. Aber sie müssen diese dann den heutigen Tatsachen durch dichterische Um- oder Weiterbildung anpassen. Sofern man jene Vorstellungen einer solchen umbildenden Anpassung nicht zu unterwerfen wagt, sondern in ihrer ursprünglichen Gestalt festhält, wie dies die kirchlichen Konfessionen zu tun pflegen, bleibt man auch mit (S116) ihnen diesen Tatsachen gegenüber ratlos. Denn in jenen Vorstellungsbildern von Welt und Mensch kommen diese Tatsachen schlechterdings nicht vor. Daher sehen wir die religiösen Bekenntnisse den Unternehmungen der modernen Technik gegenüber auch größtenteils in Verlegenheit, ja es wird von ihnen sogar vielfach die atomische Rüstung "zum Schutz für Christentum und Freiheit" befürwortet.
Diese Blindheit auch gerade des kirchlich-konfessionellen Christentums für die moralische Verantwortung, die der Mensch überhaupt und zumal heute gegenüber der Natur trägt, hat freilich noch eine andere Ursache. Diese liegt darin, daß innerhalb der bisherigen Entwicklung des Christentums eine Strömung tonangebend geworden ist, die, sinnenfeindlich und weltflüchtig, in der asketischen Abwendung von allem Natürlichen die unerläßliche Bedingung zur Erlangung des Seelenheils erblickt und jegliche Art von Naturverehrung als einen Rückfall ins Heidentum perhorresziert. "Natur ist Sünde...", so läßt Goethe den Kanzler am Kaiserhof in Faust II als den Vertreter dieser Auffassung sagen. Im modernen Protestantismus hat diese naturentfremdete Ethik ihre extremste Form erlangt. In einem in der Vierteljahresschrift "Natur und Kultur" (April 1960) erschienenen Aufsatz "Unsere Verantwortlichkeit gegenüber der Schöpfung", in welchem er diese Mißachtung der Natur durch die bisherige christliche und besonders die protestantische (kantische) Ethik schildert, läßt der Verfasser, Fritz Blanke, seine Ausführungen in die Auffassung ausklingen, daß "es in der zweiten Hälfte unseres 20. Jahrhunderte unsere Pflicht ist, auch die elementare Welt in den Bereich der christlichen Ethik hineinzunehmen... Das ist aber nur in der Atmosphäre eines neuen Naturgefühls möglich." Von diesem aber, meint er, es müsse "von einem neuen Naturbild begleitet und getragen werden".
Damit ist aber auf das hauptsächlichste Hindernis hingedeutet, das der Entwicklung eines Verantwortungsgefühls gegenüber der Natur heute im Wege steht. Es liegt, wie bereits angedeutet, darin, daß das moderne naturwissenschaftliche Weltbild nicht die Begriffe in sich enthält, mit denen sich eine moralische Verantwortung gegenüber Erde und Kosmos erkenntnismäßig begründen ließe. Woran liegt das? Man kann - mit Klages - den Grund dafür mit Recht darin sehen, daß es für die menschliche Auffassung den Kosmos in eine Unzahl von größeren und kleineren Anhäufungen von lebloser Materie verwandelt hat. Dieselbe Tatsache läßt sich aber auch so ausdrücken, daß die moderne Naturwissenschaft nichts mehr zu sagen weiß über das wesenhafte Verhältnis zwischen Mensch und Natur, zwischen Mensch und Kosmos. Denn über dieses Verhältnis vermöchte nur ein wirkliches Wissen über ihrer beider Ursprung und Entstehungsgeschichte Aufschluß zu geben. Mit den Erkenntnismitteln der Naturwissenschaft läßt sich hierüber aber nichts erfahren. Sie vermag in dieser Beziehung nur vage und wechselnde Hypothesen zu (S117) bieten. Wenn etwa hinsichtlich der "Abstammung" des Menschen auch da und dort schon die Erkenntnis zum Durchbruch gekommen ist (siehe erster Band), daß die darwinistische Hypothese nicht haltbar ist - "wie es eigentlich gewesen" (um dieses Rankesche Wort einmal nicht auf die Geschichte, sondern auf das Welten- und Menschenwerden anzuwenden), kann durch naturwissenschaftliche Forschung nicht ergründet werden. Damit verbleibt aber das wesenhafte Verhältnis zwischen Mensch und Natur vom Schleier des Geheimnisses bedeckt.
Hier können wir nun an die Ausführungen der vorangehenden Kapitel anknüpfen. Wir schilderten dort, wie diejenigen, die in vor- und frühgeschichtlichen Zeiten in den damaligen Mysterienstätten die Einweihung (Initiation) erlangten, durch diese zur Anschauung der göttlich-geistigen Welt erhoben und damit in die Gegensätzlichkeit jener kosmisch-göttlichen Repräsentanten des Guten und des Bösen hineingestellt wurden, zwischen denen die ganze Menschheit einstmals als Gattung in Urzeiten, als sie den "Sündenfall" erlitt, drinnengestanden hatte. Diese Wesenheiten waren aber zugleich diejenigen, die als demiurgische Mächte sich schöpferisch am Welten- und Menschenwerden mitbeteiligt hatten. Aus dem geistigen Umgang mit ihnen konnten daher die Eingeweihten ihren Mitmenschen nicht nur mitteilen, was diese als den für die jeweilige Gegenwart geltenden Willen der guten Götter anzusehen hatten, sondern auch wie die Geburt der Welt und des Menschen aus dem Schoße der Götter einstmals sich abgespielt hatte. Soweit sie die Enthüllung dieser Geheimnisse für notwendig oder zweckmäßig hielten, ließen sie diese der damaligen Menschheit, je nach den Anlagen der einzelnen Völker in verschiedener Darstellungsweise, in den symbolischen Bildern der Weltschöpfungsmythen zuteil werden. Was von diesen in Indien, Babylonien, Griechenland, Palästina, Nordeuropa sich bis in die geschichtliche Zeit hinein erhielt, ist zu bekannt, als daß es hier wiedergegeben zu werden brauchte. All das vermittelte aber den verschiedenen Völkern ganz bestimmte Empfindungen bezüglich des Verhältnisses zwischen Mensch und Natur, die im Einklang standen mit den sittlichen Geboten, die sie von den Eingeweihten ihrer Mysterien empfingen und diese in gewisser Weise begründeten. Wenn wir uns im ersten Teil dieses Bandes bezüglich des urzeitlichen "Sündenfall"-Geschehens an die mosaische Genesis hielten, so erweist sich dieses Vorgehen hier darin begründet und dadurch berechtigt, daß dieser Bericht - wie aber auch die Bilder anderer Weltschöpfungsmythen - nicht die Ausgeburt einer kindlichen Vorstellungsweise oder dichterischer Phantasie (wie das 19. Jahrhundert glaubte), sondern das sinnbildliche Kleid darstellt, in das ein durch Initiation erworbenes, das heißt aus Götteroffenbarung erflossenes Wissen von jener Urzeit gehüllt worden ist.
Wir haben an späterer Stelle sodann darauf hingewiesen, daß, wenn heute dank den Ereignissen, die sich am Beginn (S118) unserer Zeitrechnung in Palästina abgespielt haben, für den Einzelmenschen die Möglichkeit besteht, sein höheres Ich voll in sich zu erwecken, er dadurch auf eine gegenwartsgemäße Weise wieder dessen teilhaftig werden kann, was als Einweihung bezeichnet werden darf. Denn sein höheres Ich, das sich gleichsam als Abkömmling jenes neuen, zweiten Adam erweist, der in Jesus Christus auf Erden wandelte, ist, wie dieser, ein nicht nur irdisches, sondern kosmisches Wesen. Darum erfährt sich der Mensch mit diesem in das Erleben der geistigen Welt überhaupt und damit auch in den Gegensatz jener kosmischen Mächte des Guten und des Bösen hineingestellt, die zugleich demiurgischer Natur sind. Dadurch aber erschließt sich ihm aus dem geistigen Umgang mit diesen Mächten, auch wieder - wie dies in beispielhafter Weise bei Rudolf Steiner der Fall war - ein Einblick in die Kosmo- und Anthropogenie. Nur beschränkt sich dieser Einblick jetzt nicht auf die Weltvergangenheit im eigentlichen Sinne des Wortes, sondern betrifft auch alles das, was als Fortsetzung des Welten-Menschen-Werdens bis in die Gegenwart herein geschehen ist. Wie aus allen unseren bisherigen Ausführungen hervorgeht, stellt das wichtigste, ja entscheidende Geschehen in dieser Beziehung das Christusereignis dar. darum hatten wir auch zu erwähnen, daß das zentrale Erlebnis, das Rudolf Steiner auf seinem Einweihungswege zuteil wurde, die von allen äußeren Urkunden unabhängige rein geistige Schau desjenigen darstellte, was durch das Mysterium von Golgatha geschehen ist. Darin ist aber auch eingeschlossen die Erkenntnis all der Keime von zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten, die durch das Christusereignis der Menschheit eingepflanzt worden sind. Und diese Möglichkeiten sind nicht von unbestimmter, sondern ebenso von ganz bestimmter Art, wie es - auf einem ganz andern Wirklichkeitsgebiet - die Entwicklungsmöglichkeiten sind, die zum Beispiel einem Pflanzensamen innewohnen. In diesem Sinne verstanden, gestaltet sich der durch Initiation zu gewinnende Einblick in das Welten-Menschen-Werden zugleich als eine Zukunftsschau.
Das Ganze einer solchen Erkenntnis fand seinen ersten literarischen Niederschlag in der Gesamtheit der Heiligen Schrift. Durch die Verbindung des Alten und des Neuen Testamentes bewahrt sie bezüglich der Weltvergangenheit in den fünf Büchern Mosis den Niederschlag des alten, vorchristlichen Einweihungswissens. Doch gibt Johannes im Prolog seines Evangeliums ebenfalls wenigstens eine Skizze des Weltenwerdens aus den Quellen der neuen, christlichen Einweihung. Im Mittelpunkt der Heiligen Schrift steht sodann die Darstellung die Charakteristik des Christusereignisses durch die Evangelien und die Paulusbriefe, welch letztere bereits auch aus der von äußerer Überlieferung unabhängigen rein geistigen Anschauung dieses Ereignisses, wie sie Paulus vor Damaskus zuteil geworden, verfaßt sind. Und den Abschluß des Ganzen bildet die kosmische Zukunftsschau der Apokalypse.
(S119) Die Verfasser der biblischen Schriften bedienten sich, insbesondere für die Genesis und die Apokalypse, noch der sinnbildlichen Darstellung. Für Rudolf Steiner, als er sich veranlaßt sah, der gegenwärtigen Menschheit den Inhalt seiner Initiations-Erkenntnis zu vermitteln, konnte eine solche Darstellungsweise nicht mehr in Frage kommen. Denn die Menschheit ist heute in solchem Maße in das abstrakte intellektuelle Denken hineingewachsen, daß eine sinnbildliche Darstellungsform ihr völlig unverständlich geblieben wäre. Steiner sah sich daher genötigt, eine begrifflich-wissenschaftliche Darstellungsform zu entwickeln. Durch entsprechende Um- und Weiterbildung von wesentlichen Begriffen, wie sie teils Goethe in seinen naturwissenschaftlichen Forschungen, teils die Evolutionstheorie des 19. Jahrhunderts ausgebildet hatte, gelang es ihm, die Begriffsgefäße zu schmieden, in welche sich der Inhalt seiner Initiations-Erkenntnis so hineingießen ließ, daß er für den Gegenwartsmenschen erkenntnismäßig durchdringbar wird. So entstand jenes erweiterte Bild des Menschenwesens, das den Inhalt der von ihm begründeten "Anthroposophie" bildet und von dem wir in diesem Werke zu zeigen versuchen, daß es die unerläßliche Grundlage bildet auch für diejenige Wissenschaft von der Geschichte, die zu entwickeln der Gegenwart zur Aufgabe geworden ist. Seine erste literarische Gesamtdarstellung erfuhr dieses Bild in Steiners 1910 erschienener "Geheimwissenschaft".
Wer die Erkenntnisart der modernen Naturwissenschaft für die dem Menschen einzig mögliche und deshalb für die einzig berechtigte hält, wir mit dem Inhalte dieses Buches selbstverständlich nicht das Allergeringste anfangen können. Und so ist es denn auch von dern gesamten wissenschaftlichen Forschung unserer Zeit bisher so gut wie völlig ignoriert geblieben. Aber auch unter denjenigen, die im Prinzip die Möglichkeit einer Erkenntnis durch Initiation anerkennen, konnten und können viele zu seinem Inhalte kein Verhältnis finden. Sie sehen nicht, was aus seinen ausführlichen Schilderungen von Entwicklungsvorgängen und -zuständen urferner Weltvergangenheiten sich soll gewinnen lassen für die Beantwortung der Lebensrätsel und Seelenfragen, die sie unmittelbar bewegen. Und sie vermögen nicht zu erkennen, welcher Nutzen aus diesen Darstellungen gezogen werden könnte für die Bewältigung der brennenden kulturellen, politischen und sozialen Probleme, welche der Gegenwartsmenschheit gestellt sind. So erscheint ihnen der Inhalt dieses Buches als das Allerfernliegendste und Unaktuellste, was sich denken läßt. Der Grund für dieses Urteil liegt aber nur darin, daß in ihnen die Empfindung für die kosmisch-moralische Verantwortung noch nicht erwacht ist, die der heutigen Menschheit zugewachsen ist. Sonst würde es ihnen aufgehen, daß dieses Buch gerade zur rechten Zeit erschienen ist, und daß sein Inhalt seit seinem Erscheinen mit jedem Jahre an Aktualität gewonnen hat und in die Zukunft hinein noch immer mehr zunehmen wird. Denn in bestürzend (S120) kurzer Zeit hat die technische Entwicklung unseres Jahrhunderts die Menschheit vor Tatsachen und Probleme gestellt, zu denen die rechte innere Stellung zu finden ihr nurmehr durch solche Erkenntnisse möglich werden wird, wie sie in diesem Buche niedergelegt worden sind. Denn was wird in ihnen dargestellt?
Fürs erste und in der Hauptsache wird darin das Welten-Menschen-Werden in einer Weise geschildert, die zeigt, wie an diesem die göttlich-geistigen Wesen beteiligt waren und sind, die dann in ihrem Verhältnis zum Erdenmenschen als die kosmischen Repräsentanten des Guten und des Bösen erscheinen. Insofern stellt sich dieses Werden selbst als ein Geschehen dar, das in seinem tiefsten Wesen nur mit moralischen, allerdings "kosmisch-moralischen" Begriffen erfaßt werden kann. Und was dieses Geschehen offenbart, das schließt sich mit dem zu einem umfassenderen Ganzen zusammen, was als gegenwärtige und als auf die Zukunft bezogene Wirksamkeit dieser Repräsentanten eines kosmischen Guten und Bösen erfahren wird.
Wir werden - auf Grundlage der Steinerschen "Geheimwissenschaft" - im zweiten Teil dieses Buches einiges hiervon darstellen, soweit es in den Rahmen der Zielsetzung derselben gehört. Bevor wir dazu übergehen, wollen wir zum Abschlusse dieses Kapitels aber zunächst noch einiges wenige darüber ausführen, was sich aus dieser Schau ergibt über das wesenhafte Verhältnis zwischen Mensch und Natur so, wie diese sich heute gegenüberstehen. Die Art, wie beide im Verhältnis zueinander entstanden sind, haben wir im grundsätzlichen bereits im 4. Kapitel (Urzeit und Menschengestalt) des ersten Bandes skizziert. Hier soll diese Skizze nur in dem Sinne vervollständigt werden, daß herausgearbeitet werden wird, was sich auf Grund derselben ergibt, hinsichtlich des Verhältnisses und der Aufgaben, die dem Menschen gegenüber der Natur für Gegenwart und Zukunft erstanden sind.
Wir zeigten bereits an der erwähnten Stelle (1.Band, S83ff), daß zufolge dieser modernen Initiations-Erkenntnis Mensch und Welt sich so zueinander verhalten wie in einem Buch das Inhaltsverzeichnis und der Inhalt desselben. Wie das erstere die Zusammenfassung des letzteren bildet, so ist der Mensch das Compendium der Welt. Wie aber bei der Abfassung eines Buches Inhalt und Inhaltsverzeichnis in ihren einzelnen Teilen gleichzeitig entstehen, so sind auch Mensch und Welt gleichzeitig miteinander entstanden. Der Mensch ist so alt wie die Welt, und umgekehrt. Genauer gesagt: aus dem Schoße der weltschöpferischen Potenzen sind in einem auf zwei divergierenden Linien sich entfaltenden Werdeprozeß einerseits der menschliche Leib (Mikrokosmos), andererseits die gesamte irdisch-außerirdische Welt (Makrokosmos) als einander zugeordnete Gegenstücke hervorgegangen. Dieses Hervorgehen bedeutete für beide das Eintreten in eine stufenweise stoffliche Verdichtung. Während aber aus dem Makrokosmos (S121) im Maße seiner physischen Verkörperung und Differenzierung der ihm zugrunde liegende schöpferische Geist sich schrittweise herauszog, tauchte in den Mikrokosmos des Menschenleibes der ursprünglich im Weltengeiste beschlossen gewesene Menschengeist im selben Maße ein. Das eine war durch das andere bedingt und wäre ohne es nicht möglich geworden. Es darf daher behauptet werden, daß der Mensch die stufenweise Durchdringung seiner Leiblichkeit mit seinem Geiste, das heißt aber seine stufenweise Menschwerdung der umgekehrt verlaufenden stufenweisen "Entgeistigung" der Welt verdankt. Die Phasen dieser "Entgeistigung" kennzeichnete Steiner einmal mit den Ausdrücken: Wesen, Offenbarung, Wirksamkeit, Werk. Auf der ersten, noch geistigen Stufe ihres Werdens enthielt die Welt noch unmittelbar göttliches Wesen in sich; auf der zweiten offenbarte sich dieses durch sie nurmehr wie durch ein Medium; auf der dritten war sie bloß noch Ausdruck seiner lebendigen Wirksamkeit, und zuletzt erstarb sie zu seinem toten Werk. Auf dieser letzten Etappe war es auch, wo die Erde sich aus dem Kosmos zu ihrer heutigen Gestaltung herausdifferenzierte. Wenn sie in früheren Epochen der Geschichte vom Menschen noch in allen ihren Erscheinungen belebt und durchseelt erlebt wurde, so wurde damit gleichsam nur erinnerungsmäßig nacherlebt, was auf früheren Etappen ihres Werdens einmal volle Realität gewesen war, aber jetzt nicht mehr ganz den Tatsachen entsprach. Nur dadurch, daß Erde und Kosmos so stückweise des Geistes verlustig gingen, konnte der Mensch desselben als seines menschlichen Geistes teilhaftig werden. Damit ist aber der Mensch gegenüber der Natur in eine im kosmischen Sinne zu verstehende Schuld geraten. Und diese Schuld hat dadurch noch eine letzte Steigerung erfahren, daß der Mensch im Sündenfall (der ja, wie wir zeigten, auch noch ein nicht bloß menschliches, sondern kosmisch-kosmogonisches Ereignis war) mit seinem Sturz in die "Sündhaftigkeit" die ganze Natur vollends von der göttlich-geistigen Welt losriß.
Durch all das ist ihm für die Weltenzukunft die Aufgabe erwachsen, diese Schuld abzutragen. Dazu wird er freilich erst in dem Maße fähig werden, wie er sich als Erdenmensch mit dem Geiste, der das weltschöpferische Wort im Urbeginn gewesen und in Christus Fleisch, das heißt Mensch geworden ist, durchdringt. Dann kann er diesen Geist der Natur einverleiben und ihr dadurch zurückzahlen, was ihr zunächst um seiner Menschwerdung willen genommen werden mußte. Dieses Zurückzahlen erfolgt durch alles, was der Mensch aus durchchristetem Wesen heraus an Erkenntnis-Entfaltung, künstlerischem Schaffen, religiös-moralischem Handeln entwickelt. Durch all das wird in geheimnisvoller Art die Natur gleichsam mit Geist befruchtet. Und aus dieser Befruchtung werden, wenn Erde und Kosmos in ihrer gegenwärtigen Gestalt vergangen sein werden, jener "neue Himmel und jene neue Erde" geboren werden, von denen die Zukunftsschau des Apokalyptikers spricht.
(S122) In anderer Weise deutet Paulus auf diese Zukunftsaufgabe im Römerbrief (8,19ff) durch die Sätze hin: "Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet auf die Offenbarung der Kinder Gottes. Sintemal die Kreatur unterworfen ist der Eitelkeit ohne ihren Willen, sondern um deretwillen, der sie unterworfen hat, auf Hoffnung. Denn auch die Kreatur wird freiwerden von dem Dienste des vergänglichen Wesens zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes."
In all dem liegt das Mysterium der Auferstehung, der Überwindung des Todes, welches, wie ebenfalls schon Paulus zum Ausdruck brachte, die entscheidende Tatsache des Christuslebens darstellt und sein tiefstes Geheimnis in sich schließt. Dieses besteht darin, daß durch das Ostergeschehen nicht nur dem Menschen, sondern durch ihn auch der ganzen Natur der Keim eines neuen, dem Tode entrungenen Lebens eingepflanzt worden ist.
Aus den Erkenntnisquellen der urchristlichen Gnosis hat Origenes auf dasselbe Geheimnis hingedeutet durch die von ihm entwickelte Vorstellung der "Wiederbringung aller Dinge" (Apokatastasis panton). Ein moderner Religionshistoriker charakterisiert diese dahin, daß Origenes "diese Entwicklung erwartet als Ende eines gewaltigen Prozesses der Vergeistigung des Universums, der nicht auf diese gegenwärtige Erde und Weltzeit beschränkt ist, sondern der sich in einer Kette von Äonen abspielt, wobei auf immer neuen Erden eine fortgesetzte Läuterung stattfindet und die Gott entfremdeten Kreaturen in einem unendlichen Prozesse der Wandlung und Reinigung allmählich zu Gott zurückfinden, bis die Harmonie aller Dinge wiederhergestellt ist" (Ernst Benz: Der Mensch und die Sympathie aller Dinge am Ende der Zeiten. Eranos-Jahrbuch, Bd.24, Zürich 1956).
Diese Vorstellung wurde freilich von der offiziellen Lehre der christlichen Kirchen, die immer mehr das Seelenheil des einzelnen Menschen in den Mittelpunkt ihrer Verkündigung rückte, verketzert; sie hat sich aber dennoch durch die ganze christliche Entwicklung hindurch, wenn auch zeitweise in Verborgenheit, forterhalten und immer wieder erneuert, namentlich durch Jakob Böhme und seine Schule, und hat noch im 19. Jahrhundert in Schleiermacher, Schelling, Michael Hahn und Johann Jakob Wirz ihre Vertreter gefunden. In einer bestimmten Weise lebte sie auch wieder auf in den herrlichen Worten, mit denen Goethe in "Wilhelm Meisters Wanderjahren", im Kapitel über die "pädagogische Provinz", im Zusammenhang mit der dort entwickelten Lehre von den drei Ehrfurchten, die christliche Religion als diejenige charakerisiert, die sich gründet "auf Ehrfurcht vor dem, was unter uns ist..., es ist ein Letztes, wozu die Menschheit gelangen konnte und mußte. Aber was gehörte dazu, die Erde nicht allein unter sich liegen zu lassen und sich auf einen höheren (S123) Geburtsort zu berufen, sondern Niedrigkeit und Armut, Spott und Verachtung, Schmach und Elend, Leiden und Tod als göttlich anzuerkennen, ja Sünde selbst und Verbrechen nicht als Hindernisse, sondern als Fördernisse des Heiligen zu verehren und liebzugewinnen. Hiervon finden sich freilich Spuren durch alle Zeiten, aber Spur ist nicht Ziel, und da dieses einmal erreicht ist, so kann die Menschheit nicht wieder zurück..."
Wir erwähnten schon an früherer Stelle, wie die hierin sich manifestierende tiefste Bedeutung des Christusereignisses in neuerer Zeit auch dichterische Gestaltung erfahren hat durch Richard Wagner im Motiv des Karfreitagszaubers, mit dessen Konzeption am Karfreitag des Jahres 1857 in Zürich der Keim seiner Parsifal-Dichtung sich in seine Seele senkte.
Parsifal:
Wie dünkt mich doch die Aue heut so schön
Gurnemanz:
Das ist Char-Freitags-Zauber, Herr!
Parsifal:
O weh', des höchsten Schmerzenstags!
Da sollte, wähn' ich, was da blüht,
was atmet, lebt und wieder lebt,
nur trauern, ach! und weinen?
Gurnemanz:
Du siehst, das ist nicht so.
Des Sünders Reuetränen sind es,
die heut' mit heil'gem Tau
beträufelt Flur und Au':
der ließ sie so gedeihen.
Nun freut sich alle Kreatur
auf des Erlösers holder Spur,
will ihr Gebet ihm weihen.
Ihn selbst am Kreuze kann sie nicht erschauen:
da blickt sie zum erlösten Menschen auf;
der fühlt sich frei von Sünden-Angst und Grauen,
durch Gottes Liebesopfer rein und heil:
Das dankt dann alle Kreatur,
was all da blüht und bald erstirbt,
da die entsündigte Natur
heut' ihren Unschuldstag erwirbt.
(S124)
Nun nimmt allerdings, wie schon öfter betont, jene Durchchristung der Menschheit, die sie dazu befähigt, dereinst der "Messias der Natur" (Novalis) zu werden, Zeitepochen ihrer Erdenentwicklung in Anspruch, die in den gesetzmäßigen Rhythmen der letzteren begründet sind. Diese Durchchristung bedeutet ja den weiteren Fortgang ihrer Menschwerdung, die heute noch keineswegs abgeschlossen ist. Sie wird ihre volle Reife erst erreicht haben, wenn der Mensch sich in allen Kräften und Gliedern seines Wesens zum Ausdruck seines höheren Ichs, in welchem der Christus lebt, umgeschaffen haben wird. Bis dieses Ziel von der Menschheit erreicht ist, muß die Erde in ihrer gegenwärtigen Gestaltung als die Grundlage des Lebens erhalten bleiben. Würde sie durch den Menschen vorzeitig zerstört mittels Katastrophen, die er unmittelbar im Erdenbereiche oder durch Rückwirkungen von der außerirdischen Welt her anrichtete und durch die er sein eigenes Leben auf der Erde mit auslöschte, so vermöchte er nicht nur seine Menschwerdung nicht zu vollenden, sondern auch der Natur die Schuld nicht zurückzuzahlen, die er im Laufe der kosmischen Evolution gemacht hat. Der Weltprozeß würde, als Erden-Menschen-Werden, dadurch nicht einfach früher aufhören, als es unter andern Umständen der Fall wäre, sondern es würden dadurch die ganz bestimmten Keime künftiger Entwicklungsstufen vernichtet, die er in sich trägt.
Damit ist, freilich erst in abstraktester Art, auf das wesenhafte Verhältnis des Menschen zur Natur hingedeutet. Dieses Verhältnis erweist sich als eine moralische Beziehung, als eine moralische Verantwortung ihr gegenüber, die allerdings kosmischen Charakter und Umfang hat. Damit ist aber auch schon angedeutet, daß die Aufgabe, welche diese Verantwortung in sich schließt - denn alles, was der Mensch moralisch zu verantworten hat, ist in seine Freiheit gestellt -, eine Auseinandersetzung mit jenen Mächten des Bösen bedeutet, die oben als die kosmischen Repräsentanten desselben bezeichnet wurden. Um diese Auseinandersetzung im konkreten kennzeichnen zu können, werden wir zunächst zu schildern haben, wie vom Gesichtspunkte der Wirksamkeit der kosmischen Mächte des Guten und des Bösen aus Welten-Vergangenheit und Welten-Gegenwart sich darstellen. Wir wenden uns daher im folgenden diesem Thema zu.
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