Kap. II+III des Buches:
Inhaltsübersicht:
I. Alchymie und Menschheits-Vergangenheit: S7
Rosenkreuzertum, Jungfernerde, Stein der Weisen
II. Alchymie und Menschheits-Gegenwart: S25
Chemie und Chymie. Der 'Aufbau der Atome'.
Sal, Mercur, Sulfur und das Mysterium des dreigliedrigen Menschen
III. Alchymie und Bibel (Altes Testament): S41
Schöpfung, Paradiesesstrom, Sündflut
Das Geheimnis des Goldes und des Edelsteins
Chaos und Astra, Prima Materia, der chymische Prozeß
IV. Alchymie und Mythologie: S65
Isis; Rheingold; das Goldene Vließ; Venus, Urania
V. Alchymie und Menschheits-Zukunft: S88
Johannes-Evangelium und Johannes-Apokalypse.
Mysterium von Kana (Chymische Hochzeit) und Neues Jerusalem.
Das Geheimnis der zwölf Edelsteine
II. Alchymie und Menschheits-Gegenwart
Chemie und Chymie. Der 'Aufbau der Atome'
Sal, Mercur, Sulfur und das Mysterium des dreigliedrigen Menschen
An dem hier erreichten Punkte, wo von den bis ins Stoffgebiet sich erstreckenden angeblichen Errungenschaften der Alchymie - mögen wir ihr eigentliches Wesen auch noch so tief im Geistigen suchen - die Rede war, hat sich die Betrachtung mit allem auseinanderzusetzen, was von naturwissenschaftlicher Seite als Einwand hier erhoben werden könnte. Schon im 19. Jahrhundert war man und noch heute ist man in fachwissenschaftlichen Kreisen überwiegend geneigt, Alchymie als erwiesenen Betrug oder überwundenen Aberglauben hinzustellen, sie nicht einmal als Problem gelten zu lassen. Nur bei Karl Christof Schmieder, dessen "Geschichte der Alchymie" im Jahre 1832 - im Todesjahr Goethes - erschien (jetzt neu herausgegeben und eingeleitet von Franz Josef Strunz, im Otto-Barth-Verlag, München-Planegg 1927), finden wir noch aus fachmännischen Kreisen eine positivere Einstellung, die schon der Anfang des Vorworts eindrucksvoll erkennen läßt: "Gerechter Mißbilligung würde verfallen sein, wer eine ausgemachte, längst abgetane Sache noch in Frage stellen wollte, und das dürfte Vielen hier der Fall zu sein scheinen. Es ist wahr, die Alchemie hat ihren Prozeß in erster Instanz verloren; wenn sie jedoch seitdem neue Rechtsgründe gefunden haben sollte, so wird ihr unbenommen sein, auf Revision anzutragen. Möchten unterdessen Jahrhunderte verflossen sein, ihr Recht kann nicht verjähren; denn die Wahrheit ist ewig und darf nicht verurteilt werden." Den in diesen Sätzen noch spürbaren spirituellen Hauch vermissen wir schon gänzlich in dem ein halbes Jahrhundert später erschienenen Buche des Chemikers Prof.Dr.Hermann Kopp "Alchemie" (Heidelberg 1868, 2Bd.), obwohl sich auch da mit der Ablehnung der Tatsache Alchymie im Bewußtsein ein gewisses Hintendieren zu ihr im Unterbewußtsein verbindet. Wie nicht selten gerade beim modernen Gelehrten, übt das im Bewußtsein nicht Durchschaute einen gewissen magisch-sensationellen Reiz auf die Seele, und wir können beobachten, wie Kopp durch sein ganzes Lebensschicksal doch immer wieder auf das Problem der Alchymie hingeführt wird, wie er schicksalsmäßig damit verbunden ist. Und wenn er sich dann über eine der historisch berühmt gewordenen Metall-Transmutationen - die auch in dem Buche von Schmieder S422aaO erwähnte bei Dr,Schweitzer (genannt Helvetius) durch einen geheimnisvollen Fremden im Jahre 1666 -, wenn wir ihn recht verstehen, anscheinend positiv äußert, so liegt in einer solchen Zustimmung im Grunde doch wieder die Bejahung der (sonst von ihm in ihrer Tatsächlichkeit verneinten) Alchymie: auch Tausenden von Betrugsfällen gegenüber wäre durch einen einzigen erwiesenen Fall einer echten Transmutation die Tatsache der Alchymie selbst erwiesen.
Auf das Buch eines gewissen Adolf Helfferich: "Die neuere Naturwissenschaft, ihre Ergebnisse und Aussichten", Triest 1857, als ein letztes positives Eintreten für die Tatsächlichkeit der Alchymie im 19. Jahrhundert, weis hin der Romanschriftsteller und Okkultist, Gustav Meyrink in seiner Schrift "Thomas von Aquino. Abhandlung über den Stein der Weisen" (München 1925), wo er die Beziehungen dieser Persönlichkeit, die ein Schüler des Albertus Magnus war, zu den alchymistischen Bestrebungen der damaligen Zeit aufdeckt. Meyrink bezeichnet es als einen "brillanten Witz der Weltgeschichte", daß jener Anwalt der alchymistischen Metallverwandlung den gleichen Namen trug, wie derjenige, der nach dem Weltkrieg in der Inflation eine umgekehrte Metallverwandlung, nämlich diejenige von Gold in Papier, bewerkstelligte.
Für die in fachwissenschaftlichen Kreisen so lange herkömmliche Ablehnung des Alchymie-Problems entfallen heute immer mehr die Voraussetzungen. Schon das Mendeljeffsche System - das bei der Anordnung der chemischen Elemente nach ihren Atomgewichten zu einer Siebener-Skala kommt, bei der sich eine der Zahlenordnung entsprechende Verwandschaft und wechselseitige Beziehung der einzelnen Elemente ergibt - ließ ahnen, daß jene "Elemente" nicht letzte Urstoffe, sondern Ergebnisse einer höheren Synthese sind. Und durch die neueren Forschungen von Rutherford - siehe darüber z.B. Niels Bohr "Über den Bau der Atome" (Verlag Springer, Berlin) - ist diese Synthese - der "Aufbau des Atoms" - erwiesene Tatsache. (Es handelt sich hier für die Ziele dieser Betrachtung nicht um eine kritische oder erkenntnistheoretische Würdigung der Atom- Ionen und Elektronen-Theorie, sondern um ein Hinschauen auf diejenigen Tatsachen, für deren erkenntnismäßige Formulierung die fraglichen Theorien der heute in Fachkreisen übernommene wissenschaftliche Ausdruck sind.) Auch für den Naturwissenschaftler selbst streifen die Begriffe "Atom", "Elektron" usw. die ursprünglich damit noch verbundenen materiellen Vorstellungen immer mehr ab. Materie wird ihm immer mehr zu einem Kräftesystem, zur "Energie", und hinter diesem Kräftespiel beginnt er die Tatsache "Bewußtsein" als die für alles "Geheimnis der Stoffeswelt" letzten Endes entscheidende schon heute von ferne zu ahnen. Von dieser Tatsache "Bewußtsein" zu den "geistigen Wesenheiten", von denen okkulte Forschung und Beobachtung spricht, ist dann nur noch ein Schritt.
Gold, wenn auch vorläufig nur in verschwindenden Mengen, synthetisch zu gewinnen, gilt seit den Forschungsergebnissen von Rutherford als möglich. Damit ist das Problem der Alchymie von wissenschaftlicher Seite heute grundsätzlich bejaht. Freilich ist es im vollen Sinne noch nicht gelöst. Man hat den Stein der Weisen noch nicht gefunden. Und nur, weil man ihn selber noch nicht gefunden hat, will man nicht zugeben, daß irgendwann einmal - in einem andern Zeitalter und unter anderen Verhältnissen - ein Mensch ihn gefunden haben könnte. Natürlich wird durch rein persönliche Gesichtspunkte dieser Art, die dem Vergänglichen des Zeitalters angehören, über die Tatsachen selbst nichts entschieden.
Im landwirtschaftlichen Kursus - die Stelle ist schon angeführt bei Wilhelm Kaiser, Kosmos und Menschenwesen im Spiegel der platonischen Körper (Rudolf Geering, Basel, S18 oben) - hat Rudolf Steiner den Satz ausgesprochen: "Unsere Chemie spricht von den Leichnamen der Stoffe. Sie spricht nicht von den wirklichen Stoffen. Die muß man als empfindende, lebendige kennen lernen." Und er zeigt, wie die Verwendung und Funktion des Sauerstoffs im Haushalte der Natur mit Geheimnissen des Ätherisch-Lebendigen, die des Stickstoffs mit Geheimnissen des Astralisch-Empfindenden - in diesem Falle eines wirklichen "Erd-Empfindens" -, die des Kohlenstoffs mit den Geheimnissen des Ichhaft-Geistigen und des Aufbaus aller pflanzlichen und tierischen Formen aus der Weltengeistigkeit heraus zusammenhängt.
Dem Irdisch-Gewordenen, im Werden Erstorbenen, wie es von der heutigen Chemie erforscht wird, geht naturgemäß ein Werden voraus. In der hypothetischen Erforschung dieser Werdevorgänge kommt heutige naturwissenschaftliche Vorstellung bis zu Zuständen des Wässerigen, Feuerflüssigen, Gasförmigen, die dem festen Zustand der Erdrinde vorangegangen wären. Eine ins Wesenhafte dringende geistige Forschung kann dabei nicht stehen bleiben, der in sich erkraftete Gedanke dringt über den hier erreichten Punkt hinaus, vom Stofflichen ins Überstoffliche, vom Sinnlichen ins Übersinnliche, vom Physisch-Erstorbenen ins Ätherisch-Lebendige, ins Astralisch-Empfindende, und erst da, wo er, über Raum und Zeit, im Ichhaft-Geistigen sich weiß, vermag er seine Ruhe in sich selbst zu finden. Mit Urvorgängen des Weltenwerdens fließt Gedankenerleben da zusammen. Die Dynamik des in sich bewegten, erkrafteten und verlebendigten Denkens wird kosmische Dramatik, wie sie da lebt in Rudolf Steiners "Geheimwissenschaft". Sie trägt zwischen ihren Zeilen eine Chemie der kosmischen Geburtsvorgänge, eine Urchemie des Lebendigen. Dieses aber ist die Alchymie. (Hervorhebung Kaesebier)
Der naheliegende Einwand, das Geheimnis der Alchymie sei damit der Gegenwart entrückt, entschwinde in einer Urvergangenheit, wo wir es nicht mehr erfassen können, trifft nicht die Tatsachen. Sondern alle jene Wege Gottes im Reiche des Irdisch-Stofflichen, die die "Geheimwissenschaft" in ihren grandiosen Welt-Entwicklungs-Bildern von "Saturn, Sonne, Mond, Erde" vor uns aufrollt, sind etwas Allgegenwärtiges, in allem Lebenden, in Menschen, Pflanze und Tier auch heute noch Anzuschauendes. Im Wassermenschen, Luftmenschen, Wärmemenschen, den wir im Säftekreislauf, in Atem und Blutfeuer in uns tragen, leben Zusammenhänge des Ur-Ätherischden, des Ur-Astralischen, des Urgeistig-Ichhaften (Sonne, Mond, Saturn) als ein heute noch Gegenwärtiges. (Als ein Gegenwärtiges angeschaut übersetzen sich diese Vorgänge dem Hellseher dramatisch in jenes große kosmische Panorama, das wir dann, im eigenen Gedanken es durchdenkend, miterleben.) Und Zusammenhänge des Urphysischen, der Urerde, der für alle Alchymie so wesentlichen prima materia ("Anfangs-Stofflichkeit") offenbaren sich dann weiterhin in allen Vorgängen der Nahrungs-Aufnahme und des Stoffwechsels, über deren dem heutigen Menschen noch so tief verschleierte Geheimnisse Rudolf Steiner vor Landwirten und Theologen, Naturwissenschaftlern und Medizinern immer wieder gesprochen hat. Gerade hier, so hat er gezeigt, liegen die - zuerst im religiösen Kultus vor die Menschheit hingestellten - Geheimnisse der Wandlung, der Transsubstantiation, die mit denen der okkulten Alchymie sich überall aufs innigste berühren.
Wichtig ist hier vor allem eine Stelle aus den jetzt unter dem Titel "Anthroposophie" veröffentlichten Nach-Weihnachtsvorträgen (Dornach 1927) S34, die das Zentralgeheimnis der Alchymie berührt:
"Wenn wir unseren physischen Organismus ansehen als dasjenige, das die äußeren Stoffe aufnimmt, und sie wiederum abschiebt in Form von äußeren Stoffen, so ist dieser physische Organismus in einem gewissen Sinne also hinorganisiert auf die Aufnahme und Ausscheidung der heutigen Substanzen; aber in sich trägt er etwas, was im Erdenanfange vorhanden war, was heute die Erde nicht mehr hat, was aus ihr verschwunden ist, denn die Erde hat die Endprodukte, nicht aber die Anfangsprodukte. Wir tragen also etwas in uns, was wir suchen müssen in sehr, sehr alten Zeiten innerhalb der Konstitution der Erde. Und das, was wir so in uns tragen, was zunächst die Erde als Ganzes nicht hat, was wir so in uns tragen, das ist dasjenige, das den Menschen hinaushebt über das physische Erdendasein. Das ist dasjenige, was den Menschen dazu bringt, sich zu sagen: Ich habe in mir den Erdenanfang bewahrt. Ich trage, indem ich durch die Geburt ins physische Dasein hereintrete, immer etwas in mir, was die Erde heute nicht hat, aber vor Jahrmillionen gehabt hat."
Was Rudolf Steiner hier "Anfangsprodukte" und "Endprodukte" der Erde nennt, führt hin auf die materia prima und materia ultima der Alchymisten. Eine allerbedeutsamste Brücke zu den Geheimnissen eröffnet sich an diesem Punkte, eine Brücke, die sich von den Erkenntnissen und Lehre des altindischen Yoga hinüberspannt bis zu denjenigen vom dreigliedrigen menschlichen Organismus, wie sie lebten bei den alchymistischen Rosenkreuzern des Mittelalters, und dann wieder in einer zeitgemäß-modernen Form leben in der Anthroposophie Rudolf Steiners. Die rosenkreuzerisch-alchymistische Lehre von den drei Prinzipien oder Potenzen Sal, Mercur und Sulfur - worunter nicht einfach Salz, Quecksilber, Schwefel im Sinne der Chemie verstanden wird - spiegelt sich wider und findet ihre vorzüglichste Erklärung in der anthroposophischen Erkenntnis des dreigliedrigen Menschenwesens: des Nerven-Sinnes-Systems (Kopf), des rhythmischen Systems (Atmung und Blut-Zirkulation), des Stoffwechsel-Gliedmaßen-Systems (unterer Mensch) und ihrer wechselseitigen Durchdringung (zuerst von Rudolf Steiner dargestellt in dem Buche "Von Seelenrätseln"). An allen drei Systemen, nicht nur am unteren Menschen, ist der Nahrungsvorgang intim beteiligt. Alle "okkulte Entwickelung" - so zeigt Rudolf Steiner und so wußte es schon der indische Yoga - hängt zusammen mit einer Verfeinerung und Vergeistigung des Nahrungsprozesses. Dann ernährt mit ihren mineralischen, ihren Salz-Bestandteilen die physisch-leibliche Nahrung den Nerven-Sinnes-Menschen, den Ich-Punkt des menschlichen Hauptes (Haager Zyklus, 6.Vortrag). Darin liegt eine der verschiedenen Seiten des Grals-Mysteriums, das sich mit demjenigen der Astrologie, der durchchristeten, in Christus erneuerten Sternenweisheit, und demjenigen der Alchymie, der in Christus sich erneuernden Erden-Stoffes-Weisheit, überall so bedeutsam berührt. Ein verfeinerter Nahrungsprozeß liegt aber auch im "rhythmischen Menschen", im Atmungsprozeß, der die Mitte hält zwischen Ernährung und Wahrnehmung, der Funktion des Nerven-Sinnesmenschen. Für den indischen Yoga war alles "Erkennen des Göttlichen" noch ein Atmen im Göttlichen, ein Eratmen des Weltgeheimnisses. Wie diese Verfeinerung und Verwandlung des Atems in der okkulten Entwickelung, der "Arbeit mit dem Stein der Weisen" zusammenhängt mit einem Mysterium des Kohlenstoffes, wurde oben schon berührt. Im Sinne des rosenkreuzerischen Sprachgebrauchs handelt es sich hier um merkurialische Vorgänge, wie beim unteren, beim Stoffwechsel-Menschen um sulfurische, beim Nerven-Sinnes-Menschen um Salz-Vorgänge. Mit den physisch aus der leiblichen Nahrung nach oben hin aufgenommenen Salzbestandteilen verbindet sich da im Sinne des Haager Zyklus dasjenige, was aus verfeinerten Sinnes- und Wahrnehmungsprozessen als eine vergeistigte Nahrung von oben aufgenommen wird: das Christus-Wort Joh.6.51 "Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel (Uranos) herunterkommt" gewinnt da einen ganz chymisch-konkreten, okkult-wissenschaftlichen, natürlich-verständlichen Sinn. Auch in der Läuterung des Denkens im Meditieren lag für den Rosenkreuzer ein vergeistigter Salz-Prozeß. Reinheit des Gedankens, Liebe, Opfersinn - so hat Rudolf Steiner in den Neuchateler Vorträgen 1911 gezeigt - sind das spirituelle Gegenbild des Salzbildungs-Prozesses, des merkurialischen Prozesses (Auflösung) und des sulfurischen (Verbrennung). Und wie - um damit zugleich eine Brücke vom Chymischen zum Chemischen anzudeuten - mit dem Merkurialischen in der Atmung, im rhythmischen Menschen ein Mysterium des Kohlenstoffes, verbinden sich mit dem Sulfurischen in den Stoffwechselvorgängen die von Rudolf Steiner im Kreise der Landwirte so eingehend erörterten Mysterien des Stickstoffs, ebenso verbindet sich mit dem Salzprozeß (im chymischen Sinne), mit dem okkulten Prinzip Sal ein Mysterium des Sauerstoffs (angedeutet auch bei Schmieder a.a.O.S7).
So ist im Nahrungsprozeß, wenn wir ihn in seiner Verfeinerung und Vergeistigung über den ganzen dreigliedrigen Menschen hin richtig erfassen und betrachten, das in den drei Potenzen, Prinzipien oder Prozessen von Sal, Mercur, Sulfur sich selbst dreigliedrig entfaltende Geheimnis der Alchymie verborgen. Inmitten des "ersterbenden Erdendaseins", der im heutigen Zustande nur die Endprodukte (materia ultima) des Irdischen nach außenhin zeigenden Erdenwelt, der "toten Erde", trägt der Mensch in sich noch, in die Lebens- und Nahrungsprozesse hineingeheimnißt, die "lebende Erde" der Urbeginne, die das Geheimnis des Anfangsproduktes, der von den Alchymisten immer mit so heißem Bemühen gesuchten prima materia, der "Jungfernerde" in sich schließt. Einen Zugang zu diesen Geheimnissen im Wege stofflichen Experimentierens praktisch zu finden, war, wie es den Anschein hat, in alter Zeit, und dann auch noch einmal unter besonderen Zeitbedingungen - wobei auch die für die Alchymie überall so wichtigen Gestirnaspekte ein Rolle spielen - im Mittelalter in einzelnen seltenen Fällen (denen zahllose Schwindelfälle gegenüberstehen) möglich. Es war da noch möglich, wo sich mit dem äußeren Experimentieren das innere, mit der äußeren Stoffeswandlung und Stoffesläuterung die innere seelische Wandlung und Läuterung und zugleich die intime Kenntnis der Sternenstunde verband, wo dem Kosmischen wie dem Erdenstofflichen gegenüber noch ein religiöses Empfinden da war, wo Naturvorgänge noch gebetartig erlebt werden konnten. Unter den heutigen Zeitverhältnissen kommt zunächst alles darauf an, daß in hingebungsvoller geistiger Arbeit und Meditation der Punkt im Innern gefunden werde, auf den auch in dieser Betrachtung bei allem, was über den Nahrungsvorgang, über alle Vorgänge im dreigliedrigen Menschen gesagt wurde, immer hingewiesen wurde. Selbst den Landwirten, empfiehlt Rudolf Steiner eine gewisse Pflege des meditativen Seelenlebens als eine Voraussetzung für die Einfühlung in intimere Naturvorgänge, wie die mit dem unmittelbar Praktischen der Landwirtschaft so sehr verbundenen Mysterien es sind. Im Denken - und darum bemüht sich diese Betrachtung - müssen wir heute zuerst den Zugang zu den Geheimnissen finden, bis eine durchchristete Naturwissenschaft der Zukunft sie dann wieder ins Stoffliche wird hereinholen können. Das wird der Fall sein, wenn das zur Imagination und Inspiration erhobene Denken immer mehr auf die Stufe der Intuition gebracht wird. Und eine neue, durchchristete Sternenwissenschaft wird dann auch für alles ins Bereich der Erdengeheimnisse Führende die entscheidende Hilfe sein.
Auch heute noch können Worte uralter Weisheit uns eine Führung auf dem Wege sein, wie die Worte jener in frühen nachchristlichen Jahrhunderten entdeckten geheimnisvollen Tafel, die von den Alchymisten dem Hermes, dem Ur-Inspirator der altägyptischen Mysterien mit ihrer Sternen- und Stoffesweisheit zugeschrieben und Tabula Smaragdina Hermetis benannt wurde. Sie sind angeführt in den "Okkulten Figuren der Rosenkreuzer" (S17) wie auch in dem Schmiederschen Buche, und lauten, aus der überlieferten lateinischen Übersetzung (die, wenn an der Überlieferung etwas Wahres ist, nicht der Urtext sein kann) ins Deutsche übertragen, in Anlehnung an Schmieders Wiedergabe, etwa wie folgt.
"Es ist wahr, ohne Lüge und ganz gewiß: Das Untere ist wie das Obere und das Obere ist wie das Untere, zur Vollbringung des Einen Wunderwerks. Und so wie alle Dinge von Einem und seinen Gedanken kommen, so entstanden sie alle aus diesem Einen Dinge, durch Anneigung. Der Vater des Dinges ist die Sonne, seine Mutter der Mond. Der Wind hat es in seinem Bauche getragen, und die Erde hat es ernährt. Es ist die Ursache aller Vollendung in der Welt. Seine Kraft ist völlig, wenn es zur Erde wird. Es steigt von der Erde zum Himmel empor, und es steigt wiederum zur Erde hernieder, und empfängt die Kraft des Oberen wie des Unteren. So hast du das Herrlichste der Welt, und alles Dunkel wird von dir weichen. Es ist das Allerstärkste, was alle Stoffe überwältigen, alle Körper durchdringen mag. Darum nennt man mich Hermes den Dreimalgroßen, der die drei Teile alles Weltenwissens hat. Obiges ist das ganze Werk der Sonne."
Die in dem alten hermetischen Weisheitssatze "Wie oben, so unten" und der auf ihm beruhenden Tabula Smaragdina enthaltene Erkenntnismaxime finden wir dann in konkreterer Ausgestaltung in der "Güldenen Kette des Hermes" (Catena Aurea Hermetis), bildlich dargestellt, mit bemerkenswerten auf die chemischen Stoffeselemente bezüglichen Einzelheiten, in den "Geheimen Figuren der Rosenkreuzer, S33). Man schaute in diesem Bilde die ganze Abstufung kosmischer Kräftewirkungen vom Göttlich-Geistigen durch die Reiche des Astralischen (Planetarischen) und Elementarischen (Ätherischen) bis herunter ins Physische. Das läßt dann auch verstehen, warum der "Stein der Weisen" einmal wie etwas ganz Übersinnliches und Überstoffliches, und dann doch wieder wie etwas Greifbar-Materielles betrachtet wird. Es war diese Catena Aurea der Ausdruck dafür, wie alle Dinge im Kosmos, das Kleinste mit dem Größten, das Nächste mit dem Fernsten, das Feinste mit dem Dichtesten, das Stofflichste mit dem Geistigsten verbunden und verwoben, wie sie gleichsam durch eine unsichtbare goldene Kette untereinander verkettet sind. Im "Golde" dieser Kette selber liegt das Geheimnis, das die Stoffesfinsternis mit dem Geisteslichte verbindet - denn Gold ist die unmittelbare Offenbarung des Sonnenlichtes im Irdisch-Stofflichen -, und die "Kette" der auf- und absteigenden Kräfte wird für die geistige Schauung zuletzt zur großen Himmelsleiter, an der die geistigen Weltwesenheiten in ihrer himmlischen Stufenordnung auf- und niedersteigend sich offenbaren:
"Wie alles sich zum Ganzen webt,
Eins in dem andern wirkt und lebt!
Wie Himmelskräfte auf- und niedersteigen
Und sich die goldnen Eimer reichen!
Mit segenduftenden Schwingen
Vom Himmel durch die Erde dringen,
Harmonisch all' das All durchklingen!"
So schildert Goethe in dem, an alchymistischen Notiven überhaupt reichen Faust das chymische Geheimnis der "Güldenen Kette", der Catena Aurea Hermetis.
Wie alle diese Dinge bei den alten Mysterienlehrern lebten, und wie sie dann auch in der Anthroposophie wiederum leben, entnehmen wir, unter zahlreichen Beispielen, die sich hier anführen ließen, einer Stelle aus Rudolf Steiners Vortrag "Das Wesen der Farbe in Licht und Finsternis, Maß, Zahl und Gewicht" (Dornach 1930), die uns zugleich das Goldgeheimnis der Alchymie in seiner kosmischen Tiefe und in seinen kosmischen Hintergründen verstehen läßt (S74):
"Sie (die alten Mysterienlehrer) haben gesagt: Das menschliche Herz ist ein Ergebnis des Goldes, das im Lichte überall lebt, und das von dem Weltenall hereinströmt und eigentlich das menschliche Herz bildet. Sie haben die Vorstellung gehabt: Da webt durch das Weltenall das Licht, und das Licht trägt das Gold. Überall im Lichte ist das Gold. Das Gold webt und lebt im Lichte. Und wenn der Mensch im irdischen Leben steht, dann ist sein Herz... aus dem Golde des Lichtes aufgebaut. Und die... (von R.Steiner hier konkret aufgeführten irdischen Nahrungsstoffe) sind nur die Anregung dazu, daß das im Lichte webende Gold vom ganzen Weltenall das Herz aufbaut."
Nietzsches tiefinspiriertes Wort "Das Herz der Erde ist von Gold" liegt ebenfalls in der Richtung dieser Erkenntnisse, in denen das Erdengeheimnis mit dem von Sonne, Mond und Sternen, Alchymie mit Astrologie sich berührt.
Für die Art, wie diese Berührung zu denken ist, wie im Christuslichte einmal neue Sternen-Erkenntnis und Stoffes-Erkenntnis sich aufbauen wird, kann die Kosmogonie der Geheimwissenschaft - auf deren latente Beziehung zum Alchymie-Problem schon hingewiesen wurde - uns Führerin sein. Wenn Rudolf Steiner im Neuchateler Vortrag (1911) spricht von der "heiligen Naturwissenschaft" der alchymistischen Rosenkreuzer im Mittelalter, von dem, was die echten, die wirklichen Alchymisten bei ihren chymischen Experimenten und Prozessen da "erlebten an Opfergesinnungen, auch an großer Freude an Naturvorgängen, auch an großen Traurigkeiten, auch an erlösenden, befreienden Gefühlen", und wie alles dieses heute in unseren seelischen Untergründen sei, so liegt, wenn wir den von Rudolf Steiner bald darauf anderwärts (Zyklus "Die Evolution vom Gesichtspunkte des Wahrhaftigen", Berlin 1911) gegebenen Andeutungen folgen, in dieser ganzen Seelendramatik und der in ihr erlebten Gefühlsskala das der kosmogonischen Entwicklungs-Skala der Geheimwissenschaft: Saturn - Sonne - Mond - Erde genau zugeordnete seelische Erleben, das ihr entsprechende Initiations-Erleben, d.h. die Summe desjenigen, was der Schüler der Einweihung beim Schauen und gleichzeitigen inneren Durchmachen, Miterleiden der kosmischen Entwicklungsvorgänge an seelischen Erschütterungen im eigenen Innern erlebte. Es wird, im fortschreitenden Sicheinleben der christlichen Impulse in die Seelen der Menschen, einmal eine Zeit kommen, wo das in früheren Jahrhunderten bei der Stoffesformung, beim chymischen Stoffes-Experiment vom wahren Adepten an seelischen Spannungen und Lösungen Durchlebte sodann auch musikalisch erlebt werden wird, wo die in ihren Ausdrucksmöglichkeiten ungeahnt fortgeschrittene Musik das Stoffes-Drama, das dem Eingeweihten zugleich ein Seelen-Drama war, zum neuen Musik-Drama einer christlichen Mysterienkunst der Zukunft ausgestalten wird. Ja, in den Vorträgen "Umwandlungsimpulse für die künstlerische Evolution der Menschheit" (Dornach 1928, Heft 1,S35ff) hat Rudolf Steiner es ausgesprochen, daß wahre Musik letzten Endes im wesentlichen sei: in Tönen verlaufendes Daseinsgeschehen, welches ein äußeres Bild desjenigen ist, was bewußt die Seele durchlebt im Initiationsleben, und daß in der Darstellung dieser Initiationserlebnisse die eigentliche Aufgabe der Musik der Zukunft einhalten sei (darüber auch das Buch "Initiatenbewußtsein" im Schlußvortrag). Die Seele des Menschen wird einmal "so ergriffen werden in den Ereignissen des Kosmos, daß sie in sich Erschütterungen, Entbehrungen und Erlösungen erleben wird, die sie drängen werden, in Tonzusammenhängen dasjenige auszusprechen, was erlebbar ist an der Schilderung des Initationspfade" (A.a.O.S36). Und wir haben gehört, wie für den alchymistischen Rosenkreuzer auch die Stoffesformung mit solchen Erlebnissen verbunden war, wie es da eine Parallele von Stoffeserleben - kosmischem Erleben - seelischem Erleben - musikalischen Erleben und Ausdruck gibt. So hätte die Alchymie, ebenso, wie ihre hohe Schwester, die Astrologie (Siehe darüber das Buch des Verfassers "Der kosmische Rhythmus, das Sternengeheimnis und Erdengeheimnis im Johannes-Evangelium, Verlag Rudolf Geering, Basel 1930, S156), auch eine musikalische Seite, wo sie dann erst von ihrem innersten Wesen zu uns spricht. Und ohne daß wir das Wagnersche Musikdrama mit dem noch der Zukunft der christlichen Mysterien angehörenden Musikdrama identifizieren wollten, kann doch darauf hingewiesen werden, wie bei Wagner mehr oder weniger überall das Initiationserlebnis (meistens das noch nicht abgeschlossene, noch in irgendeiner Tragik auslaufende Initiationserlebnis) sich den musikalischen Ausdruck sucht (so schon im Holländer-Schluß, am vollkommensten später in "Tristan und Isolde"), und wie im "Ring des Nibelungen" gerade auch die alchymistische Seite des Initiations-Erlebens eigenartig zum Ausdruck kommt. Schon der Anfang des "Rheingold", mit dem Aufleuchten des Goldes in der Stromestiefe, läßt das erkennen, und dann vor allem wieder der Schluß der "Götterdämmerung", wo aus dem stürmischen Aufruhr chaotischer Finsternisse, der uns wie der musikalische Ausdruck chymischer Prozesse anmuten kann, zuletzt, nach der Wiedergewinnung des Ringes durch die Rheintöchter, im Motiv der erlösenden Liebe der reine Goldfluß sich herausringt. Bis in die Tonart hinein - das "goldene" Des-dur am Schlusse, (das mit einer andern, das "Goldgeheimnis der chymischen Hochzeit" in sich tragenden liebevollen Des-dur-Stelle im 2. Akt des Tristan sich offenbarend verbindet) - könnte dieses gezeigt werden. Und wir erinnern uns des Wortes Rudolf Steiners, wie das im Lichte lebende Gold makrokosmisch das menschliche Herz aufbaut, mit den Liebeserlebnissen des Herzens sich verbindet. Ein spiritueller Gesichtspunkt für die im äußeren Anblick so leicht im Stofflichen sich verlierende Alchymie ist damit angedeutet.
Der ganze hier aufgestellte Zusammenhang zwischen dem Chymischen und dem Musikalischen erscheint vollends einleuchtend, wenn wir uns aus der anthroposophischen Ätherlehre erinnern, wie der chemische Äther (der in Verbindung mit dem Lebensäther als der chymische Äther wirkt), zugleich der Klangäther, das höhere Element des Weltenmusikalischen ist. Schmieders "Geschichte der Alchymie" verzeichnet ein Buch 'Musique chiimique' "Chemische Musik" von Flamel (Nikolaus Flemellus, 14.Jhdt). Die kosmischen Klangeskräfte lernen wir in der Geheimwissenschaft zugleich als die am Aufbau der Stoffeswelt in erster Linie beteiligten, als die stoffordnenden und stoffgruppierenden Kräfte kennen, und Rudolf Steiner hat, um diese Tatsache verständlich zu machen, immer auf das Phänomen der "Chladnischen Tonfiguren", wie sie uns die Physik erklärt, hingewiesen. Auch bei dieser scheinbar so fernliegenden Beziehung handelt es sich also einfach um Tatsachen.
III.
Alchymie und Bibel (Altes Testament):
Schöpfung, Paradiesesstrom, Sündflut
Das Geheimnis des Goldes und des Edelsteins
Chaos und Astra, Prima Materia, der chymische Prozeß
Die im vorausgehenden beleuchtete Verwandschaft der chymischen Tatsachen und Vorgänge mit denjenigen des Weltenwerdens, der Kosmogonie, wie sie uns heute in einer dem Zeitbewußtsein entsprechenden Form durch Rudolf Steiners "Geheimwissenschaft" wieder nahegebracht wurde, lebte auch im Bewußtsein der alten Alchymisten. Der Zusammenhang dieser Kosmogonie der "Geheimwissenschaft" mit der, nur eben aus dem Bewußtsein eines anderen Zeitalters geschöpften, Kosmogonie der Bibel ist im Zyklus "Die Geheimnisse der biblischen Schöpfungsgeschichte" von Rudolf Steiner im einzelnen klargelegt worden. Wir werden daher nicht überrascht sein, wenn die einem früheren Zeitalter angehörenden Alchymisten bei der Schilderung ihres chymischen Prozesses eine Anlehnung an die biblische Kosmogonie, an die Bibel überhaupt, suchen. In alchymistischen und rosenkreuzerischen Schriften des frühen und späteren Mittelalters und der beginnenden Neuzeit begegnen wir dieser, aus dem ganzen Wesen der Alchymie so wohl verständlichen, Anlehnung auf Schritt und Tritt. Unter zahllosen Beispielen sei hingewiesen auf die "Geheimen Figuren der Rosenkreuzer" und Oetingers Schrift vom Geheimnis des Salzes. Bemerkenswerte Ausführungen über das Verhältnis von Alchymie und Bibel enthält ein alchymistisches Buch auf dem 18. Jahrhundert "Das Gülden Vließ", dessen Verfasser sich "Ichsagsnicht" nennt. (Der genaue Titel der Schrift ist: "Das Gülden Vließ, oder das allerhöchste, edelste, kunstreichste Kleinod, und der urälteste verborgene Schatz der Weisen. In welchem da ist die allgemeine Materia Prima, derselben notwendige Präparation und überaus reiche Frucht des Philosophischen Steines augenscheinlich gezeiget und klärlich dargetan. Philosophischer und theologischer Weise beschrieben und zusammen verfasset durch einen ungenannten, doch wohlbekannten Ich-Sags-Nicht. Nürnberg, bei Johann Adam Schmidt, 1737) Anschaulich erzählt der ungenannte Verfasser, wie ihm die alchymistische Auffassung der Bibel ursprünglich ganz ferngelegen habe, bis ihn die schicksalsmäßige Begegnung mit einem Kenner des Gebiets und die aus dieser Begegnung ihm gewordene eigene Erfahrung eines andern belehrt habe. Nicht, als ob die Bibel nur den alchymistischen Sinn hätte, aber auch dieser Sinn, so weiß er jetzt, ist im Bibelworte enthalten. Und fürwahr, wer das fragliche Gebiet und Schrifttum ernst und unbefangen erforscht, wird - mag im einzelnen auch vieles rätselhaft oder problematisch erscheinen - sich dem Eindruck nicht verschließen können, daß in der Auffassung jener Schriften das Bibelwort eine Tiefe des Gehaltes gewinnt, der gegenüber die nur-theologische Bibelerklärung älterer und neuerer Zeiten als oberflächliche Unwissenheit erscheint. Zu einer erhabenen, das Weltgeheimnis von Sternenhöhen bis in Stoffestiefen bergenden Chiffren-Schrift wird solchen Autoren die Bibel. Ahnen lassen uns ihre Schriften, wie in der Bibel, außer dem vielen, was sie uns sonst noch zu sagen hat, mit einem Ur-Sternen-Sinn ein Ur-Stoffes-Sinn sich verbindet, und wie zwischen jenem Sternensinn und diesem Soffessinn eine allerbedeutsamste Beziehung besteht. In den, im gleichen Verlage erschienenen, beiden Büchern des Verfassers über das Markus-Evangelium und über das Johannes-Evangelium ist versucht, aus dem Bewußtsein und Denken der Gegenwart heraus auf diesen Ur-Sternen-Sinn und Ur-Stoffes-Sinn der Bibel, zunächst des Evangeliums, wiederum hinzuführen.
Neben dem Neuen Testament war für die Alchymisten von größter Bedeutung das Alte, in erster Linie die Schöpfungsgeschichte im Anfang der Genesis. Denn sie stellt uns, wie keine anderer biblischer Text, vor das Geheimnis der Anfangs-Stofflichkeit, der alchymistischen prima materia, da wo im Anfang vom Chaos, von der noch ungeordneten Urstofflichkeit (tohu va bohu) die Rede ist. Wie sich schon in dieser biblischen Schilderung des Chaos und der göttlichen Urzeugung Ur-Sternen-Sinn und Ur-Stoffes-Sinn der Bibel berühren, wird durch die Anthroposophie in ein deutliches Licht gerückt
Im landwirtschaftlichen wie im astronomischen Kursus ("Das Verhältnis der verschiedenen naturwissenschaftlichen Gebiete zur Astronomie") - beide sind tief und bedeutsam miteinander verbunden - spricht Rudolf Steiner über das Geheimnis des Befruchtungsvorgangs bei Mensch und Tier so, daß er zeigt, wie in aller Samenbildung "Chaos" liegt, wie in der Eiweißsubstanz der Geschlechtszelle die irdische Stofflichkeit gleichsam an ihren Nullpunkt gekommen, "in ihr Chaos gebracht ist". Wir erinnern uns des oben aus rosenkreuzerischen Schriften angeführten Ausdrucks "an dem die Natur hat aufgehört". Die bis zum nicht mehr rational zu Erfassenden sich steigernde, in sich selbst zerbrechende Kompliziertheit der chemischen Formel der Eiweißkörper läßt denselben Tatbestand von der naturwissenschaflichen Seite her erkennen. Rudolf Steiner zeigt weiterhin, wie die Materie - man beachte den Zusammenhang dieses Wortes mit den kosmischen Mutterkräften - an diesem Punkte, wo sie in ihr irdisches Chaos gekommen ist, wieder empfänglich wird für das Hereinkommen des Kosmischen, der Sternenkräfte, wie alle Zeugungs- und embryonalen Vorgänge auf diesem Zusammenwirken des Chaos im Samen mit dem Sternenhaften des Weltenumkreises besteht. Astrologie und Embryologie erscheinen da wie zwei entgegengesetzte, aber zugleich sich gegenseitig bedingende Pole einer Wissenschaftsbetrachtung, die zum Geheimnis des Lebens und der Entstehung des Lebens vordringen will (Astronomischer Kursus S15). In eben demselben Sinne bildet die Gegenüberstellung von Chaos und Astra ("Gestirne") ein Grundmotiv alchymistischer Schriften, dem wir auch in den "Geheimen Figuren der Rosenkreuzer" auf Schritt und Tritt begegnen. Wie an dem Punkte, wo die Zusammenhänge der Erdenstofflichkeit aufhören, "ins Chaos kommen", wo irdisches Wesen "verwest", die Sternenzusammenhänge hereinwirken, ist ein Grundgeheimnis der Alchymie. Daher die Bedeutung des absteigenden Prozesses im chymischen Verfahren, der die Ausgangs-Stofflichkeit in die "Fäulung" oder Putrefaktion, in die Verwesung bringt, und in ihr die Voraussetzung schafft für den andern, aufsteigenden Prozeß der Belebung, den "Auferstehungs-Prozeß" der Materie. Auf die rein sprachlich in dem Worte "verwesen" sich offenbarenden Tiefen ist von Rudolf Steiner immer hingewiesen worden.
So ist der einfachste Geburts- oder Befruchtungsvorgang, ist das Werden des Hühnchens aus dem Ei, ist das Geheimnis der Menschengeburt nicht ohne das Dasein der Sternenwelten und das Wirken der Sternenkräfte zu verstehen. Über dem Geheimnis der Geburt leuchtet wirklich immer der Stern, der Stern der Geburt, das Sternengeheimnis. Als die Menschen im Begriffe waren, dieses Sternengeheimnis zu vergessen, es schon im Bewußtsein verloren hatten, schenkte es sich der Erdenwelt aus Himmelshöhen in der Geburt von Betlehem neu. Astrologie - das Rudolf Steiner in dem Leipziger Weihnachts-Zyklus und Grals-Zyklus 1913/14 "Christus und die geistige Welt" eindrucksvoll gezeigt - wurde da wiederum möglich, wurde von einem neuen und tiefen Gesichtspunkt verständlich. Und wenn wir Alchymie, wie schon im Eingang dieser Betrachtung, als "Chemie der kosmischen Geburtsvorgänge" nehmen, wir ihr Zusammenhang mit der Astrologie immer deutlicher und offensichtlicher. Nur der in höhere Sternenweisheit Eingeweihte vermochte ein wahrer Adept chymischer Kunst zu werden, wor nur der in feinfühliger Wahrnehmung der jeweiligen Sternkonstellation und ihrer wechselnden Einflüsse erfahrene Laborant durch die mannigfachen Schwierigkeiten, Hindernisse und Gefahren des chymischen Prozesses hindurchzufinden vermochte. (Siehe darüber auch die Studien von Frau L.Kolisko "Das Silber und der Mond", Or.Occ.Verlag Stuttgart 1929, Einl.S26, in dem größeren Werke "Sternenwirken in Erdenstoffen".) Sternenwirken in Erdenstoffen - das war es, was ein solcher Laborant zu beobachten in der Lage sein mußte, was er ohne gewisse Grade hellsichtigen Spürsinns nicht hätte beobachten können. In den genannten, von anthroposophischer Geisterkenntnis inspirierten experimentellen Forschungen und Arbeiten ist ein Weg beschritten, der einmal in der Zukunft in einer dem wissenschaftlichen Gewissen der Zeit Rechnung tragenden Art wichtige Teile des heute noch wie von einem Schleier verhüllten Gebiets dem suchenden Menschen erschließen kann.
Wir werden dann immer besser verstehen, wie schon die Bibel in ihrem Eingang dieses große Motiv "Sternenwirken in Erdenstoffen" (Chaos - Astra) vor uns hinstellt, und warum die Alchymisten bei der Schilderung ihrer Prozesse die Anlehnung an die biblische Erzählung suchten. Ein von Eliphas Levi mitgeteilter, auch von Rudolf Steiner gelegentlich angeführter, für das Alchymie-Problem überhaupt aufschlußreicher mittelalterlich-lateinischer Taufspruch läßt diese Beziehung von biblischer und chymischer Ausdrucksweise besonders deutlich erkennen. Und er zeigt, wie allem wahren Kultischen die chymischen Geheimnisse der Stoffeswelt zugrundeliegen. Die erwähnten drei chymischen Prinzipien oder Potenzen Mercur, Sal, Sulfur, als die Offenbarung des trinitarischen Urprinzips im Stofflichen, spiegeln sich dabei in der kultischen Dreiheit Wasser, Salz, Asche. Der Taufspruch lautet auszugsweise in einer schon in des Verfassers Schrift "Der Ursprung im Lichte" ("Christus aller Erde" Bd.7,S75) gegebenen Übersetzung:
"In jenem Salze ist Weisheit, und vor allem Verderb bewahre es unsere Seelen und unsere Körper, durch den Geist der göttlichen Weisheit und in der Kraft der göttlichen Weisheit; es weichen von ihm die Truggebilde der Stofflichkeit, auf daß zum himmlischen Salze werde das Salz der Erde und des Salzes Erde... Die Asche kehre zurück zum Quell der lebendigen Wasser (revertatur cinis ad fontem aquarum viventium) und werde zur fruchtenden Erde und lasse sprießen den Baum des Lebens durch die drei Namen Nezah Hod Jesod... Im Salze der ewigen Weisheit und im Wasser der Wiedererneuerung und in der Asche, die die neue Erde sprießen läßt, geschehe alles durch die Elohim Gabriel, Raphael, Uriel, in alles Zeitenkreise. Es werde ein Zwischenraum zwischen den Wassern, und scheide Wasser von Wassern, das Obere vom Unteren und das Untere vom Oberen, um die Wunder des Einen zu wirken. Die Sonne ist sein Vater, der Mond seine Mutter, und der Wind hat es in seinem Mutterschoß getragen. Es steigt von der Erde zum Himmel und vom Himmel kommt es wieder zur Erde hernieder. Ich beschwöre dich, Geschöpf des Wassers, daß du seiest ein Spiegel des lebendigen Gottes in seinen Werken, ein Quell des Lebens und eine Abwaschung der Sünden."
Wir beachten vor allem an der Stelle "Es werde ein Zwischenraum zwischen den Wassern" (wo manches auch in der angeführten Tabula Smaragdina Hermetis enthalten ist) die Anlehnung an den Wortlaut der biblischen Schöpfungsgeschichte (Gen.1,6). Im Zyklus "Geheimnisse der biblischen Schöpfungsgeschichte" zeigt Rudolf Steiner, wie in dieser "Scheidung des Oberen vom Unteren", in dieser Scheidung der Elemente der Klangäther wirkt, der zugleich der chemische Äther (und, wie wir gesehen haben, in Verbindung mit dem Lebensäther der Träger der chymischen Wirkung) ist.
Der Zusammenhang der kultischen Dreiheit Wasser - Salz - Asche mit der chymischen Dreiheit Mercur - Sal - Sulfur ist so zu verstehen, daß dem Mercur, als dem auflösenden Prinzip, das Wasser, dem Sulfur, als dem durch die Verbrennung zur Wiedererneuerung führenden, die Asche entspricht. Von der Zuordnung der drei Prinzipien zum Mysterium des dreigliedrigen Menschen war oben die Rede. Diese Zuordnung hat ihr Abbild wiederum im Pflanzenwesen, insofern in dem den menschlichen Haupteskräften entsprechenden Wurzelhaften das Salzartige (Sal), im Blatthaften das Merkurialische, im Blütenhaften das Sulfurische sich offenbart. In der irdischen Dreiheit offenbart sich wiederum die himmlische, und zwar, wenn wir von der Dreigliederung des menschlichen Organismus ausgehen, im Salzprinzip (Sal, Wurzelkräfte, Haupteskräfte) der Vater, im Merkurialisch-Rhythmischen der Sohn, im Sulfurischen, das den unteren Menschen beherrscht, der Geist. So auch Angelus Silesius:
Daß Gott dreieinig ist, zeigt dir jedes Kraut,
Da Schwefel, Salz, Merkur in einem wird geschaut.
Beachten wir den Zusammenhang der "Asche" mit dem Sulfurischen, das wiederum in Blüte und Blütenstaub da ist, so empfängt einen tiefen Sinn das Wort des Novalis "Alle Asche ist Blütenstaub, der Kelch ist der Himmel". Und es wird ein solches Wort aus der Sphäre des Scheinbar-Gefühlsmäßigen in die des Rein-Erkenntnismäßigen, des allerhöchsten Erkenntnismäßigen erhoben.
Im übrigen kreuzen sich bei der trinitarischen Zuordnung der drei chymischen Prinzipien die Gesichtspunkte. Wasser-Merkur, indem es das Salz noch in sich aufgelöst enthält - im Okkultismus, sagte Steiner einmal, gilt das Weltmeer als "kosmischer Quecksilbertropfen" - entspricht dann dem Vaterprinzip, Sal - im Sinne der Rosenkreuzer alles, was aus flüssiger Lösung sich niederschlägt -, dem Sohnesprinzip. Vom Salz-Würfel-Geheimnis der Raumeswelt in der Christus-Offenbarung des "Neuen Jerusalem" (Apok.21) und seiner Beziehung zum "Stein der Weisen" war oben die Rede. Die Vorstellung der die Fäulnis hintanhaltenden, Verwesung überwindenden Kräfte des Salzes - die in der läuternden Kraft des reinen, sinnlichkeitsfreien Gedankens ihr geistiges Urbild haben - spielt dabei mit herein. Und wir gedenken des an die Jünger gesprochenen Christus-Wortes im Evangelium (Matth.5,13): "Ihr seid das Salz der Erde". So verband sich das Salz-Würfel-Geheimnis der die Zukunfts-Erde aufbauenden Kräfte - auch Matthäus (5,14) erwähnt bedeutungsvoll die "Stadt auf dem Berge" - den Alchymisten mit dem des "geistigen Ecksteins Christus". Auch in rein-chemischer Beziehung erscheinen die "Salze", als die Verbindung der metallischen "Basen" mit den nichtmetallischen "Säuren", wie eine Art Mittlerwesenheit, wie ein Ausgleich der zwischen beiden Arten von Sauerstoffverbindungen waltenden Polarität. In seinem Buche "Vorboten des Geistes" (Stuttgart 1929, Verlag der Christengemeinschaft) führt Emil Bock ein an das Christuswort "Ihr seid das Salz der Erde" anknüpfendes Wort Oetingers in seiner Schrift "Das Geheimnis von dem Salz" an: "Die Tinktur oder der Stein der Weisen ist nichts anderes, als ein höchst wiedergeborenes Salz, das als Erde größere Kraft hat, als wenn es so dünn wäre als die magnetische Luft. Erde war anfangs der Mensch, er muß aus dem Staub der Erde ein wiedergeborenes Salz werden."
Die trinitarische Zuordnung der drei chymischen Prinzipien Sulfur, Mercur, Sal erscheint, unter unmittelbarer Bezugnahme auf den chymischen Prozeß, bei Angelus Silesius in dem Spruch:
"Der heilge Geist, der schmelzt, der Vater, der verzehrt,
Der Sohn ist die Tinktur, die Gold macht und verklärt",
wobei ebenfalls das Christus-Sohnes-Prinzip zum Sal in Beziehung gesetzt ist.
Wie im Schöpfungsberichte der Bibel, von dem wir hier für die Betrachtung des Chymischen ausgehen, selber das Trinitarische sich offenbart, wurde in der Schrift "Der Ursprung im Lichte" (S16) auseinandergesetzt (darauf bezugnehmend Dr.Karl König "Versuch einer Darstellung der jüngsten menschlichen Embryonalentwicklung", Gäa Sophia 1927,S221).
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Vom ersten Kapitel der Genesis, vom Schöpfungskapitel, wenden wir uns zum zweiten, dem Paradieses-Kapitel, wo der Paradieses-Schilderung die Erzählung von der zweiten Schöpfung, der Erschaffung des (zuerst nur geistig erschaffenen) Menschen aus dem Erden-Staub-Elemene (haphar min ha adamah) vorangeht. Schon dieses "Erden-Staub-Element" ist den Alchymisten interessant, die es mit ihrer prima materia, dem geheimnisvollen Ursalz (oder Licht-Ursalz) Oetingers, in Beziehung bringen.
Von einer chymisch tiefen Bedeutung, die man schon in alten Zeiten empfunden hat, ist dann vor allem die Schilderung des Paradieses und der Paradiesesströme.
Wir finden darüber bei Oetinger (aaO§34) in dem Kapitel "Von dem Strome in Eden" das Folgende: "O köstliche Kleinodien, o herrliche Edelgestein, die nur in dem Fluß Pison gefunden werden... das köstliche Gold mit den zwei unschätzbaren Edelgesteinen... das wahrhafte Sal metallorum, das Salz der Natur, das Salz der Weisen, die Wissenschaft der Alten... das Gold Gottes, das Gold der Natur, das Gold aus dem Lande der Edlen, dieweil das besagte Gold etwas Göttliches ist... ein Bronn der Weisheit, ein Fluß der Wissenschaften, und eine Quelle der Wahrheit... Es ist die Materie, davon Gott den Adam gebildet hat, den erstn Menschen... ein Arcanum mysticum, das edle Leben der ganzen Natur und aller Kreatur... die Quintessenz der Natur."
Daß man die biblische Schilderung des Paradieses und der Paradiesesströme nicht einfach als etwas Irdisch-Geographisches nehmen darf, daß hier alles noch im Übersinnlichen, in dem - für die Alchymie so wichtigen - Grenzgebiete des Physischen und Ätherischen liegt, wurde bereits in der Schrift "Der Ursprung im Lichte" gezeigt. Nur Bild für Übersinnlich-Physisches und Übersinnlich-Ätherisches ist hier, was wie eine irdisch-geographische Schilderung sich ausnimmt. So ist, wie das Paradies selber das Übersinnlich-Physische, der vierfache Paradiesesstrom nichts anderes als der Ur-Ätherstrom der Welt, der das Geheimnis der "vier ätherischen Bildekräfte" in sich schließt. Wir kennen die Beziehung dieser "vier Ätherarten" zu den "vier Elementen" (von denen wir wissen, daß es nicht die chemischen Elemente sind). Und zwar entspricht dem höchsten Äther, dem Lebensäther, das niederste Element: das Irdisch-Feste, das "Element Erde", und so fort in stufenweiser Umkehrung: dem Klangäther (chemischer Äther) entspricht das Wasser-Element, dem Lichtäther das Luft-Element, der Wärmeäther bleibt als feuriges Element im Mittelpunkte. Schauen wir von hier auf die "vier Paradiesesströme", so müßte der erste dieser Ströme als der oberste Äther, der Lebensäther, zugleich die Beziehung zum Physischen, die eigentlichen Erdengeheimnisse in sich tragen. Das ist in der biblischen Schilderung (Gen.2,10-12) auch wirklich der Fall:
"Und es ging aus von Eden ein Strom, zu wässern den Garten, und teilte sich von dannen in vier Hauptwasser. Das erste heißt Pison, das fließt um das ganze Land Hevila; und daselbst findet man Gold. Und das Gold des Landes ist köstlich; und da findet man Bedellion (bedollah) und den "Edelstein Soham".
Im geistig-ätherischen Urgebiete des Irdisch-Physischen, finden wir beim Pison, dem am meisten aufs Physische hindeutenden der vier ätherischen Paradiesesströme, auch wirklich die Urgeheimnisse des Physischen, das Geheimnis des Goldes und des Edelsteins. So wenig wir bei jenem Paradiesesstrom an einen irdisch-geographischen Strom zu denken haben, wo wenig ist das dort gemeint Gold gewöhnliches irdisches Gold. Die Bibel sagt ja selber, daß es mit diesem Golde noch eine besondere Bewandtnis hatte: "Und das Gold des Landes ist köstlich" - wir könnten auch übersetzen: "...ist kein gewöhnliches Gold". Nicht gewöhnliches Erdengold, sondern das "Wunder des Goldes", das Ur-Lichtgeheimnis des Goldes, das was zwischen ätherischem Sonnen-Golde und physischem Erdengolde als das "Herz der Erde" noch inmitteliegt, ist hier gemeint. Das Ur-Gold-Geheimnis der Alchymie klingt in der biblischen Paradiesesschilderung bedeutsam an. Wie der irdische Strom mit dem Wunder des irdischen Goldes - man denke an das Gold im Rheinsand -, ist der ätherische Paradiesesstrom mit dem Lichtwunder des Urgoldes, im Grenzgebiete zwischen dem Physischen und dem Ätherischen, verknüpft.
So wenig das Gold des Paradiesesstromes nur gewöhnliches, irdisch-mineralisches Gold, so wenig ist der "Edelstein Soham" nur der gewöhnliche "Onyx", den die Wörterbücher hier ausweisen. Viel eher liegt das Geheimnis des Edelsteins, das sich hier mit dem chymischen Geheimnis des Goldes verbindet, beim Diamanten, beim kristallisierten Kohlenstoff (von dessen Beziehung zum "Stein der Weisen" oben die Rede war). Schon die rein-naturwissenschaftliche Tatsache, daß auch Gold, wennschon es nur selten so vorkommt, in der Okatederform des Diamanten kristallisiert, deutet auf eine solche Beziehung. Wie reines Gold, das Planetarische der Sonne, ein Geheimnis des geläuterten Seelisch-Innern, den "reinen Goldfluß des Ätherisch-Astralischen" physisch offenbart, so der durchsichtige Kohle-Kristall, der Diamant - wie jeder mineralische Kristall, ein Ausdruck der Kräfte des überplanetarischen "Kristallhimmels" - ein Geheimnis des Ichhaft-Geistigen in seiner unmittelbaren Beziehung zum Physischen des Menschen. Er, der Diamant (bzw. die Verwandlung der finstern Kohle in den durchsichtigen Diamanten), spricht uns von der Verwandlung und Erhöhung des Physisch-Organischen durch das erkraftete höhere Ich, vom chymischen Geheimnis des Geistesmenschen. Wie dieser vom Ich geleitete, im Physischen wirkende Läuterungs- und Umwandlung-Prozeß, der auch die "Arbeit mit dem Stein der Weisen" genannt wird (Rudolf Steiner), mit dem Atem-Prozeß und dem Atem-Mysterium (Yoga) zusammenhängt, wurde oben schon entwickelt. Und wir verstehen von hier aus, wie das mit "Atmen" verwandte indische Wort Atman (Nominativ Atma) das Physisch-Leibliche und zugleich den Geistesmenschen (als die Umwandlung des Physisch-Leiblichen vom Ich aus) bedeuten kann.
Wie mit der Uranlage des Physischen in der Saturn-Entwicklung ein Geheimnis des Wassersoffs (H), mit der Uranlage des Ätherischen, dem ätherischen Urleben in der alten Sonnen-Entwicklung ein Geheimnis des Sauerstoffs (O), mit dem Astralischen in der Monden-Entwicklung ein Geheimnis des Stickstoffs (N), ist mit der Uranlage des Ich in der Erden-Entwicklung, mit der da sich entfaltenden Wirkung des Ichhaft-Geistigen in der Gestaltung des Organisch-Lebendigen und Organisch-Physischen ein Geheimnis des Kohlensoffs (C) verbunden. Darum verwebt so bedeutungsvoll die Bibel in ihre Schilderung des paradiesischen Ur-Erdenseins mit dem Geheimnis des Urgoldes dasjenige des Ur-Edelsteins, das zwischen dem Ichhaft-Geistigen und dem Physisch-Leiblichen liegende Geheimnis des Kohlenstoff-Diamanten. Es darf hier noch daran erinnert werden, daß Soham, der Name jenes paradiesischen Edelsteins (der "Onyx" der Wörterbücher), in einer andern dem Ursprachlichen nahestehenden, alten heiligen Sprache der Menschheit, im Sanskrit, heißt "ich bin" (oder: "der ich bin", so'ham). Das Wort spielt auch im indischen Yoga (auf dessen Atemgeheimnisse wir gerade durch den Diamanten gekommen sind) eine Rolle. Umkehrung der Silben ergibt das Wort hamso "Schwan", in der indischen und in der Grals-Mysik der Name des Eingeweihten, des Geistesmenschen, der das Ich-Bin in sich verwirklicht hat.
Nun nennt bei ihrer Schilderung der Geheimnisse des Paradiesesstroms Pison, des Trägers des Lebens-Ätherischen und des Ur-Physischen, die Bibel zwischen Gold und Edelstein als Drittes noch eine geheimnisvolle Substanz Bedolah (von Luther "Bedellion" übersetzt). Das wäre nach den Wörterbüchern nun einfach wieder nur ein Harz. Aber so wenig das dortige Gold - die Bibel deutet es ja selber an - gewöhnliches irdisches Gold, und so wenig der dortige Edelstein Soham gewöhnlicher Onyx - auch nicht heutiger irdischer Diamant, sondern der überphysisch-ätherische Ur-Kohlenstoff und Ur-Diamant - ist, so wenig kann es sich bei Bedolah-Bedellion um gewöhnliches Baumharz, und wäre es auch das kostbarste der Edelharze, handeln. Auch hier gibt uns die Bibel selber wieder den Schlüssel, zeigt selber uns, in welcher Richtung das Geheimnis zu suchen ist. Das Wort bedolah kommt nämlich nur an zwei Stellen in der Bibel vor, und zwar außer im Paradieseskapitel nur noch Num 4 Mos, 11,7, da wo von der geheimnisvollen Himmelsspeisung der nach dem gelobten Lande wandernden Hebräer, vom Manna in der Wüste, gesagt wird, daß es anzusehen war wie Bedellion (bedolah). Wir befinden uns also bei dieser paradiesischen Substanz Bedellion - die Bibel sagt es uns selbst - in unmittelbarer Nähe der Manna-Sternen-Geheimnisse, über die in dem Buche "Der kosmische Rhythmus, das Sternengeheimnis und Erdengeheimnis im Johannes-Evangelium" (Basel 1930, Rudolf Geering, S132ff) Näheres ausgeführt wurde. Auch auf den Sternensinn des mit der Menschheits- und Sternen-Wurzel man denken (davon im Indischen manushya "Mensch") gleichen hebräischen Wortes man ("Manna") wurde damals hingewiesen. Das Motiv Sternenwirken in Erdenstoffen hören wir in allen diesen Geheimnissen des biblischen Manna anklingen, von denen uns die Bibel selbst wieder sagt, daß sie sich mit denen des paradiesischen Bedellion berühren. Hier wie dort befinden wir uns in dem Grenzgebiete zwischen dem Ätherischen und dem Physischen.
Wir können, im Hinblick auf die Geheimnisse des Himmelszeichens Jungfrau, in dem sich die Wesenheit des Lebensätherischen, der Stern, mit derjenigen des Irdisch-Physischen berührt (weshalb die Jungfrau vor allem das alchymistische Zeichen ist), das hier gemeinte Grenzgebiet auf das Jungfrauen-Gebiet nennen. Nichts anders, als was wir im Eingang dieser Betrachtung das "jungfräuliche Geheimnis der Stoffeswelt" nannten, die Jungfern-Erde des Angelus Silesius, der Stein der Weisen, insofern wir damit nicht die Tinktur, sondern den Ausgangspunkt ihrer Gewinnung, die geheimnisvolle prima materia der Alchymisten meinen, steht in jener Paradieses-Substanz Bedolah, Bedellion im ätherischen Urbilde vor uns. Mit dem Geheimnis des Goldes und des Edelsteins verbindet die biblische Paradiesesschilderung dasjenige des Steines der Weisen, der von vielen mit so heißem Sehnen gesuchten prima materia. In dem geistig noch immer aufzufindenden paradiesischen Urgebiet muß sie noch heute irgendwie zu entdecken sein, und nur wer noch irgendeinen Zusammenhang mit dieser verlorenen Welt in sich findet, kann dem Geheimnis auf die Spur kommen.
Alles dieses sind nicht unsere Kombinationen, sondern Dinge, über die in den alchymistischen Schriften und in ihrer Bibelerklärung Übereinstimmung herrscht. (Vgl. Oetingers Kapitel "Vom Strom in Eden" §34). In der schon einmal angeführten Schrift des ungenannten Verfassers "Das Gülden Vließ" fand das hier über "Bedellion" und seine chymische Bedeutung selbständig Gefundene und unabhängig von dort Ausgesprochene eine überraschende Bestätigung. Es beziehen sich diese Verse auf die prima materia des Steines der Weisen, der mit dem biblisch-paradiesischen "Bedellion" identifiziert wird. Bemerkenswert erscheint dabei, wie dieselbe Substanz zugleich einfach "Thon" genannt wird, wie dieses Wort hier in einem ganz bestimmten chymischen Sinn steht, der uns, im Hinblick auf die Wesenheit des Klangäthers, der zugleich der chemische, der chymische Äther ist, an eine mögliche Beziehung des Wortes Ton (Ton-Erde) zu Ton (Klang) denken läßt:
Ein gemein Ding uns Gott geben tut,
Welches ist der Natur höchstes Gut,
Der Welt bisher blieben unerkannt,
Die es doch täglich bei der Hand,
Vor Augen allzeit an dem G'statt
Allenthalben da Thon liegen hat;
...
Sein Nam wird etwa genennet Thon,
In heiliger Schrift Bedellion.
...
Rührt her vom Mond- und Sonnenschein.
An der Farb grün, grau, weiß und rot.
Wenn du kennst solch edel Kleinod,
Das ich genennet in der Summ,
So hast du das recht Subjektum.
Dieses Steins Geschlecht ist allenthalben;
Seine Empfängnis geschieht in der Höllen;
Seine Geburt hat er auf Erden;
Sein Leben führt er im Himmel;
Sein Sterben erreicht er in der Zeit;
Nachem erlangt er die Seligkeit.
Ich Sag Nichts mehr.
***
Chymische Urtatsachen stellt die Paradiesesschilderung der Genesis vor uns hin, das Ur-Licht-Geheimnis aller Erdenstofflichkeit, ihren "Ursprung im Lichte", die Ur-Licht-Verwandtschaft insbesondere des Goldes und der Kohle (des Diamanten) läßt sie uns ahnen, und bedeutsam stellt sie zwischen das chymische Geheimnis des Goldes und des Edelsteins dasjenige der "jungfräulichen Erde", des Steines der Wesen. Auf die Paradiesesgeschichte folgt die vom Sündenfall, der "Sündenfall" wiederum hat seine Auswirkung in jener großen Entwicklungskrise der Erde, die in der okkulten Überlieferung die atlantische Katastrophe, in der Bibel die Sündflut genannt wird, und in der mythischen, mythenbildenden Erinnerung fast aller Völker des Erdkreises weiterlebt. Wie in den Vorgängen der Urschöpfung selbst, finden auch in dieser großen, eine neue Konfiguration der Erdenstoffe und Elemente schaffenden Entwicklungskrise und Entwicklungskatastrophe der Erde die Alchymisten ein Urbild aller derjenigen Krisen der Stoffeselemente, die sie in der Durchführung des chymischen Prozesses durchlebten. Ja, es schien gerade hier die Beziehung des Chymischen zum Kosmogonischen eine in allen Einzelheiten besonders deutliche.
Eine Art Erneuerung und Verjüngung des Irdischen bis in die Stoffeselemente hinein findet durch die große Flutkatastrophe statt. Die ins Chaos gekommene Atlantis erneuert und verjüngt sich in der Jugendepoche der ersten nachatlantischen Zeit. In der Art, wie okkulte Forschung die Nebelatmosphäre der alten Atlantis schildert, wo das Wasser noch leichter und luftartiger, die Luft wasserdurchsetzter war, als heute, erinnert vieles an die Beschreibung, die die Alchymisten von dem Stoffeschaos ihrer Ausgangs-Substanz (prima materia) geben, wobei das Prädikat "nebelwässerig" eine Hauptrolle spielt. Wie aus dem wässerigen Chaos der Flutkatastrophe eine neue Scheidung des Wässerigen, Luftartigen und Erdig-Festen sich herausbildete, so suchte auch der Alchymist sein "Stoffeschaos des Nebelwässerigen" einer neuen Scheidung und Gruppierung der Elemente entgegenzuführen, und er bediente sich in seiner technischen Beschreibung des Vorgangs mit besonderer Vorliebe der Bilder der Noah-Geschichte.
Fassen wir bei dieser Gelegenheit den "chymischen Prozeß" ins Auge, wie er sich vollzieht durch die sechs oder sieben Stufen der Mortificatio (Ertötung des Stoffes), Putrefactio ("Fäulung", das Heranbringen des Stoffes an die Verwesungskräfte), Solutio ("Lösung"), Animatio ("Belebung"), Purefactio ("Reinigung, Läuterung, Klärung"), Perfectio ("Vollendung") und Fixatio ("Heftung"), die beiden letzten Vorgänge wohl auch in einem gedacht. Wie nach innen in einer Skala von Seelenerlebnissen, die im Musikalischen ihren Ausdruck suchen könnten, offenbarte sich nach außen der chymische Prozeß in einer Skala von Farbenerlebnissen, einem charakteristisch wechselnden Farbenspiel der Stoffes. Da wo die Stofflichkeit in ihr "Sterben", ihre Verwesung gebracht war, bildete sich eine schwarze Farbe, das "Rabenhaupt". Und wenn zuletzt, nach der Lösung, Wiederbelebung und Läuterung aus dem "Brautbett der chymischen Hochzeit" das Wunder des "roten Löwen", der "königliche Stein" der roten Tinktur erstand, ging es dabei durch gewisse Farben-Offenbarungen des Weißen und des Roten, auf die auch Goethe in seiner "Farbenlehre" anspielt: "Das höchste Weiß verklärt sich im Roten". Vorher erschien eine Art Regenbogen (auch "Pfauenschweif" genannt), ein durch die ganze Skala des Regenbogens sich erstreckender Farbenzauber, der nach langem, oft gefahrvollen Experimentieren dem Laboranten die Hoffnung auf des endliche Gelingen gab. Wie das schwarze "Rabenhaupt" mit dem Raben der Noah-Geschichte (Gen.8,7), hat man dann auch den chymischen "Regenbogen" mit dem der Noahgeschichte (Gen.9,12ff) zusammengebracht, der damals, als ein in der neuen Scheidung von Licht, Luft und Wolke erstmalig im Erdenwerden sich offenbarendes Phänomen der neu sich belebenden Menschheit-Zukunftshoffnung als lichtes Symbol erglänzte. Auch andere Bilder der Noahgeschichte fanden eine chymische Ausdeutung, vor allem die Taube (Gen.8,8ff), als das Bild des von oben, von den Himmelskräften kommenden neuen Lebens - das im Erdensein Ersterbende erneuert sich aus dem Kosmischen -, entsprechend der Taube im Gral-Mysterium, nach dem oben schon angeführten Gralssiegel ("Siegel und Säulen" Nr.7) in Rudolf Steiners Erklärung die rein geistige Weltwesenheit, für die der Mensch sich als irdisches Kelchgefäß bereitet.
Als die vornehmste unter allen zahlreichen, einander an rätselvoller Dunkelheit übertreffenden Darstellungen des hier eben erwähnten chymischen Prozesses in der alchymistischen Literatur erscheint die berühmte "Parabola" in den "Okkulten Figuren der Rosenkreuzer", die sich dort wie die letzte, in Worte gefaßte, Quintessenz jener Rosenkreuzer-Weisheit ausnimmt. Von Anfang an rein bildhaft, in dichterische Imaginationen gekleidet, gibt die Parabola durch ihren ganzen Stil deutlich zu erkennen, daß sie nicht das Geringste in sinnlicher Beschreibung äußerer Vorgänge dem Intellekte preisgeben kann und darf, sondern daß sie sich an die nur im Wege meditativer Anspannung zu erringenden imaginativen Seelenfähigkeiten wendet, daß nur dem durch die Imagination zur Inspiration und Intuition Hindurchschreitenden in der zuletzt genannten höchsten Erkenntnisart ein Schlüssel für das chymische Welträtsel sich darbietet. Schon der Anfang der Parabola schildert bildhaft-deutlich das Mysterium des den Erkenntnispfad Suchenden, der dann, auf rauhem Fußpfad von einem starken Wind unwiderstehlich vorwärts getrieben, auf einer lieblichen Wiese (pratum felicitatis) den Kreis der Wissenden findet, die untereinander sprechen "von einem hohen und großen Geheimnis, so in der Natur steckete, welches Gott vor der großen Welt verborgen hielte, und nur allein wenigen, welche ihn liebten, offenbarete". Da wird er zuerst auf seine Denkfähigkeit geprüft, dann vor den Löwen geführt, den er zerlegen und wieder lebendig machen muß. Dann ist von einer gefahrvollen Gratwanderung die Rede, bei der viele abstürzen. Aus Einzelheiten der Erzählung scheint hervorzugehen, daß das Mysterium des Männlichen und Weiblichen - das in den Rosenkreuzer-Figuren gleich als das erste der mystischen Bilder, in deutlichem Zusammenhang mit dem Problem der Ätherarten (die vier farbigen Dreiecke), erscheint - dabei eine Rolle spielt. Daran schließt sich weiterhin ein Bild von roten und weißen Rosen, die zumeist in einem durch eine Mauer verschlossenen Garten wachsen. Vor dieser Mauer drängen sich viele, die zwecklose und schmutzige Arbeit verrichten - auch er selbst, so weiß der Sucher des Geheimnisses jetzt, hat bis dahin in seinem Leben nichts anderes, nichts besseres getan -, nur eine kleine, mit gemeinen Augen nicht sichtbare Öffnung erschließt einen geheimen Zugang mit einem dafür besonders bereit gehaltenen Diederich (ist es die Ich-Waffe des Parsifal-Mysteriums?). Im großen Garten ist dann ein kleines viereckiges Gärtchen, darin blühen die Rosen, darüber spinnt sich im sonnenbeglänzten Tropfenspiel ein Regenbogen, und die schönste Jungfrau führt den stattlichen Jüngling an der Hand. Das bekannte Motiv von Bräutigam, Braut und chymischer Hochzeit -, die, statt eines Brautbetts, in einem durchsichtigen, klaren Kristall-Gefängnis, das einer Himmelskugel gleicht, vollzogen wird-, macht den Beschluß. Durch ein Mysterium von Tod und Auferstehung gehen die Liebenden, in Liebe zerschmelzend Hinsterbenden, hindurch. Vorher ist noch von einem Wasser des Lebens die Rede, das einer geheimnisvollen Mühle mit zehn Wasserrädern entströmt, und am Schlusse den in neuer Herrlichkeit wieder erstandenen König erquickt (das ist für die Alchymisten der König der roten Tinktur, der wieder erstandene rote Löwe). Es liegt nahe, hier an das okkulte (auch von Rudolf Steiner in "Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten" beschriebene" Seelen-Organ der "zehnblättrigen Lotosblume" zu denken, das die Inder Manipura ("Kristallschacht") nannten, das Organ, das mit verborgenen Kräften und Eigenschaften der Natur, also mit dem "Chymischen" zusammenhängt. Auch an das Christuswort "Wer an mich glaubt (wer seines Herzens Sicherheit in das Ich versenkt), von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen" (Joh.7,38) lassen uns alle diese Zusammenhänge denken. Physiologisch ist dieses Organ nach der Jungfrau (Sonnengeflecht) hin orientiert, nach jenem Zeichen also, das, als Zeichen des Erdgeheimnisses, das alchymistische Zeichen, das Zeichen der im Irdischen sich offenbarenden Himmelskräfte ist. (Der planetarische Herr dieses Zeichens Jungfrau ist der gleichfalls die Alchymie beherrschende Merkur, Mitherrscher sind Saturn und Venus; darin liegen Zusammenhänge, die sich im nächsten Abschnitt noch deutlicher offenbaren werden.)
Außer dem Regenbogen erscheint auch in dieser Parabola noch manches andere Motiv der Noah-Geschichte (von der wir hier ausgehen), so die vierzig Tage bei der "Abnahme der Gewässer" (Gen.8,6). Alle Bilder sind so gegeben, daß der chymisch-chemische Sinn, der reine Stoffesinn, der auch in ihnen enthalten ist, (so deutet das "Hinschmelzen der Liebenden" auf die beim chymischen Prozeß wichtige Erwärmungsprozedur), nicht gefunden werden kann, ohne daß sich zugleich ein anderer, ein spiritueller Sinn, mit erschließt. Das ist ein Kennzeichen der echten rosenkreuzerischen Alchymie, zu deren vorzüglichsten Dokumenten die "Parabola" gehört. Das Kristall-Gefängnis der Liebenden, das dann zum Kristallsarg und Auferstehungs-Sarg wird und uns an den "kristallhellen Stein der Weisen" denken läßt, erinnert anz an den "Glassarg" (d.i. "Kristall-Sarg") im Märchen von Schneewittchen, wo wir ja auch die chymischen Motive des Raben und des Töubchens der Noah-Geschichte wieder finden. Wir erkennen plötzlich, wie auch unsere Märchen von chymischen Motiven durchdrungen sind, ja wie einige unmittelbar von alchymistisch-rosenkreuzerischer Seite inspiriert zu sein scheinen. Das gilt auch für Goethes Märchen von der schönen Lilie, das mit der Parabola der Rosenkreuzer viele Motive gemeinsam hat. Das Motiv der "chymischen Hochzeit" findet sich, wie in der Parabola, so vor allem im "Schneewittchen" und in vielen anderen Märchen, z.B. in der "Kristallkugel", bei der schon der Name das chymische Hauptmotiv der Parabola enthält, und eine auch in der märchenhaften Verkürzung noch höchst interessante Darstellung des chymischen Prozesses - die Geschichte vom Feuervogel und vom goldenen Ei usw. - erscheint, so daß wir hier wohl das vorzüglichste der "chymischen Märchen" vor uns haben. Das "Motiv der weißen und roten Rosen" - in ihm verborgen dasjenige der "weißen und roten Tinktur" - erscheint im Märchen von "Schneeweißchen und Rosenrot", das in chymischer Beziehung überhaupt tief bedeutsam ist. Auch die "sieben Raben" werden von den Rosenkreuzern selbst als "chymisches Motiv" angeführt. Wir werden alles dieses dann richtig verstehen und der natürlichen Schlichtheit unserer Märchen nicht zu nahe treten, wenn wir bedenken, wie gerade im Chymischen ein Allergeistigstes mit dem Allernatürlichsten sich verbindet.
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Enthalten in der Bibel auch die kosmogonischen Abschnitte am Anfang - einschließlich der Noah-Geschichten - die eigentlichen chymischen Hauptmotive, so finden die Alchymisten´doch auch im Späteren überall ihre Anknüpfungspunkte. Nur einiges wenige sei hier noch berührt. Ein berühmtes, von den Alchymisten immer für ihre prima materia in Anspruch genommenes Motiv sind die Wort des Isaak-Segens von Tau des Himmels und der Fettigkeit der Erde (Gen.27,28). Vergl. dazu "Geheime Figuren der Rosenkreuzer" (S48):
"Der Tau des Himmels und die Fettigkeit der Erde ist unserer Kunst Subjectum oder Materia. Es ist also weder Mineral nocht Metall... Es ist ein (alchymistisches Sal-Zeichen) Tau (Salz-Tau) des Himmels, aber ein Mineral- und metallischer Tau des Himmels, darinnen alle Farben der Welt liegen, welcher mag durch Kunst koagulieret werden in ein süßes Salz, Manna genannt, zur Arzenei; Sol Pater, Luna Mater, aus diesen beiden empfängt er sein Licht, Leben und Glanz, aus der Sonne sein feuriges, aus der Luna sein wässeriges Lichtwesen. Wir finden ihn koagulieret und solvieret. Dieser Tau fällt von oben in die Tiefe der Erden, und von dem subtilesten Teil der Erden ist sein Körper, von oben kommt seine Seele und Geist, Feuer und Licht, und gehet in einen salzigen Leib, und empfängt die Kräfte der oberen und unteren Dinge. Unseren Augen erscheinet dieser Mineral-Tau an Farben weiß, gelb, grün, rot und schwarz, mehr Farben hat er den äußeren Augen nach nicht. Denn er erscheinet den äußeren Augen corporalisch; in den Bergen wird er von den Bergleuten zuweilen gesehen, den äußeren Agens nach dick, wässerig abtriefend... Ich weiß nicht, wozu ihn die Welt brauchte, und er ist doch mit seinen Kräften in allen Dingen. Er selbst aber ist von ihnen verachtet und verworfen; er scheidet sich in zwei Äste, weiß und rot, aus der einigen Wurzel Y, wie eine weiße und rote Rose von Jericho, und blühet wie eine Lilie im Tal Josaphat stehende von den Bergleuten vielmal unzeitig abgebrochen, von unverständigen Arbeitern gemartert. Der rechte Künstler merkt seine Influenz, und bricht ihn selbst in seiner Reife, mit Blüte, Same, Wurzel, Stamm und Zweigen, nämlich der Reife durchs Gesicht der innern geöffneten Augen..."
Auch hier ist im einzelnen noch mannigfache Anlehnung an Bibelstellen und biblische Sprache bemerklich. In den Büchern Mosis ist es dann vor allem noch die Geschichte von der Verbrennung und Zerstäubung des goldenen Kalbes (2Mos.32,20), die von den Alchymisten hartnäckig für ihre Dinge (Umkehrung des chymischen Prozesses, Aurum potabile usw.) in Anspruch genommen wird, mit der Begründung, daß ja Moses ein Schüler und Eingeweihter ägyptischer Weisheit und chymischer Kunst war. Doch sind die Zusammenhänge hier nicht vollständig klar, und auch Schmieder in seiner "Geschichte der Alchemie" (S46) macht vor diese Geschichte ein Fragezeichen.
Wichtiger ist vom chymischen Gesichtspunkt die Geschichte des salomonischen Tempelbaus und des Baumeisters Hiram. Die bedeutsamen chymischen Motive des "ehernen Meeres" vor allem (1.Kön.7,23ff;2Chron.4) hat Albert Steffen in seinem Mysteriendrama "Hieram und Salomo" dichterisch verarbeitet. Ein deutlich chymisches Motiv enthält die an die Oetinger'schen "Geheimnisse von dem Salze" unmittelbar erinnernde Wundergeschichte von Elisa 2Kön.2,19-22. Das "Motiv der weißen und roten Rosen", der weißen und roten Tinktur" finden die Alchymisten vor allem in der blühenden Bildersprache des von ihnen ganz und gar chymisch ausgedeuteten Hohenliedes: "Ich bin eine Blume zu Saron und eine Rose im Tal" (2,1) - dieser Spruch, in Verbindung mit der Christusgetalt und einer roten Rose, findet sich schon auf dem Titelblatt der "Geheimen Figuren der Rosenkreuzer" ; "mein Freund ist weiß und rot" (5,10). Auch im Buch Hiob und in den Apokryphen finden die Alchymisten viele ihrer Geheimnisse.
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