Anthroposophie        =           Dreigliederung
Impuls - Reaktion - Inkarnation   1919 - 1969 - 2019    Geschichte - Quellen - Material


Aus dem Vortragszyklus Rudolf Steiners für Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft:
Inneres Wesen des Menschen und Leben zwischen Tod und neuer Geburt
Wien, 9. April 1914, Gesamtausgabe Nr. 153

Die vier inneren Sphären des menschlichen Seelenlebens: Wahrnehmen, Denken, Fühlen und Wollen. Die geistigen Erfahrungen durch ihr Erkraften im Raume außerhalb des Leibes


Dieser Vortragszyklus wird das Ziel haben, das menschliche Innenleben zu schildern im Zusammenhang mit dem Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, um zu zeigen, wie innig diese beiden Gebiete des Daseins zusammenhängen. Und er wird daneben das Ziel haben, Richtlinien zu entwickeln aus der Erkenntnis des Angedeuteten heraus, die den Menschen wirklich orientieren können in manchen schwierigen Lebenslagen, die geeignet sind, in mancher Beziehung einen sicheren Halt des Seelenlebens durch ein gewissermaßen gründliches Verständnis dieses Seelenlebens zu geben. Dazu wird notwendig sein, daß Sie sich, meine lieben anthroposophischen Freunde, durch die ersten Vorträge, die ein Fundament, eine Grundlage aufrichten sollen, hindurcharbeiten; sie werden in esoterisch wissenschaftliche Gebiete führen, die vielleicht manchem zunächst abgelegen erscheinen könnten, weit weg von dem, was das menschliche Gemüt gerne unmittelbar ergreifen möchte. Aber wenn wir zu dem gelangen werden, worin diese Vorträge eigentlich ihr Ziel erblicken, dann werden Sie sehen, daß dieses Ziel in einer sicheren Form doch nur zu erreichen ist, wenn man sich zuerst durch die scheinbar entlegenen esoterischen Erkenntnisse, die geboten werden sollen, hindurcharbeitet.
   Wenn man das menschliche Innenleben zunächst abstrakt betrachtet, so tritt es einem in drei Formen entgegen, auf die wir oftmals aufmerksam gemacht haben: in den Formen des Denkens, des Fühlens und des Wollens; aber um dieses Innenleben vollständig zu betrachten, muß man noch ein Viertes dazurechnen. Eigentlich gehören nicht nur diese drei genannten Gebiete zum Innenleben des Menschen, sondern es gehört auch schon das dazu, was er aus der bloßen Sinnesempfindung macht. Wir lassen ja Farben und Töne, Wärmeeindrücke und dergleichen nicht nur vor unserem Bewußtsein vorüberhuschen, sondern wir fassen diese Eindrücke auf, wir machen sie zu unseren Wahrnehmungen. Und die Tatsache, daß wir uns an diese Eindrücke erinnern können, daß wir sie behalten können, daß wir nicht nur (S74) dann wissen: eine Rose ist rot, wenn wir der Rose unmittelbar gegenüberstehen, sondern daß wir sozusagen die Röte der Rose mit uns herumtragen können, die Farben als eine Erinnerungsvorstellung bewahren können, das bezeugt uns, daß das Empfindungsleben, das Wahrnehmungsleben, durch das wir uns mit der Außenwelt in Berührung bringen, auch schon zu unserem Innenleben gehört. So daß wir sagen können: Zu unserem Innenleben müssen wir zählen die Wahrnehmung der Außenwelt, insofern wir sie im Wahrnehmen selber verinnerlichen. Ferner müssen wir die Gedankenwelt dazuzählen, durch die wir uns zunächst Erkenntnisse verschaffen von dem Nächstliegenden und in der Wissenschaft von dem Fernerliegenden, durch die wir in einem noch viel weiteren Sinn noch als die Wahrnehmung die Außenwelt zu unserer Innenwelt machen. Wir leben ja nicht nur in unseren Wahrnehmungen, wir denken über sie nach und haben das Bewußtsein, daß wir durch unser Nachdenken etwas über die Geheimnisse des Wahrgenommenen erfahren können.
   Wir müssen dann zu unserem Innenleben nehmen unsere Gefühle, und wir sind mit den Gefühlen sogleich in demjenigen Gebiete des menschlichen Innenlebens, das sozusagen in sich alles einschließt, was uns als Menschen selbst mit der Welt in eine der Menschenwürde entsprechende Berührung bringt. Daß wir über die Dinge fühlen können, daß wir uns freuen können an der Umgebung, das ist ja erst die Grundlage unseres wahren Menschendaseins, in gewisser Beziehung auch alles das, was unser Glück und unser Leid ausmacht. Es spielt sich ja das alles ab in auf und ab wogenden Gefühlen: Gefühle, die unser Leben erhöhen, in denen wir uns glücklich und zufrieden finden, drängen sich herauf oder heran an uns, erstarken. Andere Gefühle drängen sich heran durch die Ereignisse des Lebens, durch unser Schicksal, auch durch unser Innenleben, die unser Leid, unseren Schmerz bedeuten. Und indem man das Wort Gefühl ausspricht, deutet man auf das Gebiet hin, das in der Tat eben Glück und Leid des Menschenlebens einschließt.
   Wenn man auf das vierte hinweist, auf den Willen, so handelt es sich um etwas, was uns wiederum wertvoll für die Welt macht, was uns so in die Welt hineinstellt, daß wir nicht nur erkennend, nicht nur (S75) in uns fühlend für uns leben, sondern daß wir auf die Welt zurückwirken können. Was ein Mensch will, wollen kann, und was vom Willen in die Handlungen ausfließt, das bildet seinen Wert für die Welt. Wir können uns also sagen: Indem wir auf das Gebiet des Willens hinweisen, haben wir es mit jenem Elemente zu tun, das uns den Menschen als ein Glied der Welt zeigt,  und es ist unser Innenleben, das da als ein Glied in die Welt ausfließt. Ob es die egoistischen, die sozial feindlichen Affekte und Leidenschaften der verbrecherischen Naturen sind, die in den Willen einfließen und von da aus Glied werden zum Verderben der Welt, oder ob es die hohen reinen Ideale sind, die der Idealist herunterholt aus seiner Berührung mit einer geistigen Weltenordnung und einfließen läßt in sein Handeln, einfließen läßt vielleicht nur in Worte, welche, anfeuernd oder auch Menschenwürde zeigend, auf die Menschen wirken -, immer haben wir es auf dem Gebiet des Willens mit dem zu tun, was dem Menschen seinen Wert gibt. So daß der ganze Reichtum, den der Mensch eigentlich als Seelenwesen haben kann, sich ausdrückt, wenn man diese vier Gebiete nennt: Wahrnehmung, Denken, Fühlen, Wollen.
   Für denjenigen, der nun etwas tiefer eingeht auf eine Betrachtung dieser vier, man möchte sagen inneren Sphären der menschlichen Seelennatur, zeigt sich ein bedeutungsvoller Unterschied zwischen zwei und zwei Gliedern dieser viergliedrigen menschlichen Wesenheit. Aber im gewöhnlichen Leben kommt dieser Unterschied eigentlich den Menschen nicht so sehr zum Bewußtsein, er kommt höchstens zum Bewußtsein, wenn wir in der folgenden Weise über diese vier Sphären der Menschennatur nachdenken.
   Wenn wir von der Wahrnehmung sprechen und über sie nachdenken, so können wir die Empfindung haben: mit der Wahrnehmung stehen wir unmittelbar in einer gewissen Beziehung zur Außenwelt. Wir verinnerlichen durch die Wahrnehmung die Außenwelt, sie liefert etwas, was dann zu unserem Innersten gehört, wenn wir die Empfindung verarbeiten. Aber wir haben das Gefühl, wir müssen unsere Empfindung so eingerichtet haben, daß sie uns in gewisser Beziehung treue Abbilder der Außenwelt gibt. Und jede Erkrankung des Wahrnehmungs-, des Empfindungslebens, jede Erkrankung der Sinne weist (S76) uns ja darauf hin, daß durch eine solche Erkrankung unser Innenleben verarmt, dadurch verarmt, daß wir eben immer ärmer werden an dem, was wir von der Außenwelt in uns hereinbekommen können.
   Gehen wir von dem Wahrnehmen zum Denken über, dann können wir gewahr werden, daß wir auch dem Denken gegenüber die Empfindung haben: es kann uns nicht genügen, wenn dieses Denken bloß in sich selber wühlt und sich in sich ergeht. Die Gedanken haben letzten Endes doch nur einen Wert, wenn sie uns etwas Objektives, außer uns Befindliches in uns vergegenwärtigen, wenn sie Aufschluß zu bringen vermögen von etwas, was außer uns ist. Unser Nachdenken könnte uns nicht befriedigen, wenn wir durch dieses Nachdenken nicht etwas erfahren könnten über die Außenwelt.
   Wenn wir aber zu unserem Gefühle vorschreiten und ein wenig über dieses Gefühl nachdenken, dann werden wir finden, daß dieses Gefühl, oder besser gesagt das Gefühlsleben, viel inniger zusammenhängt mit unserem unmittelbaren Innensein als Denken und Wahrnehmen. Wir haben die Vorstellung, daß wir uns selber, zunächst rein äußerlich, auf dem physischen Plan entwickeln müssen, wenn wir gewisse Feinheiten der Außenwelt in richtiger Weise empfinden wollen, fühlen wollen. Haben wir einen Gedanken und nennen wir den Gedanken wahr, so sagen wir von einem solchen wahren Gedanken: er muß eigentlich für alle unsere Mitmenschen gelten, und es muß, wenn wir nur die richtigen Worte finden, den Gedanken auszudrücken, die Möglichkeit geben, von diesem Gedanken auch andere zu überzeugen. Wenn wir einer Naturerscheinung oder aber, sagen wir, einer menschlichen Kunstschöpfung gegenüberstehen und unser Gefühl daran entwickeln, so wissen wir, daß im Grunde genommen zunächst unsere Menschennatur, so wie sie ist, uns nichts hilft, um gleichsam völlig auszuschöpfen, was uns da entgegentreten kann. Es könnte sein, daß wir völlig stumpf bei einer musikalischen oder bei einer malerischen Schöpfung bleiben, einfach weil wir unser Gefühl nicht so erzogen haben, daß wir die Feinheiten wahrnehmen können. Und wenn wir diesen Gedankengang verfolgen, dann finden wir, daß dieses Gefühlsleben etwas sehr Innerliches ist, daß wir es auch so, wie wir es innerlich erleben, nicht gleich in Gedanken übertragen (S77) können auf andere Menschen. Wir sind in unserem Gefühlsleben unter allen Umständen in gewissem Sinne allein, aber wir wissen gleichzeitig, daß dieses Gefühlsleben die Quelle eines ganz besonderen inneren Reichtums, einer inneren Entwickelungstatsache gerade dadurch ist, daß es etwas Subjektives ist, daß es nicht unmittelbar so ins Objekt hinausfließen kann, wie es innerlich lebt.
   Ein Gleiches müssen wir sagen in bezug auf den Willen. Wie sind wir Menschen doch verschieden in bezug auf das, was wir wollen können, auf das, was durch den Willen in unsere Handlungen hinausfließen kann! Nur dadurch kommt ja eigentlich die Mannigfaltigkeit des menschlichen Handelns zustande, daß der eine dies, der andere jenes wollen kann. Wenn wir beim Gefühl uns freuen können, daß wir etwa einen Genossen im Leben finden, der rein innerlich, subjektiv, zu einem ebensolchen Gesichtspunkt des Fühlens gekommen ist wie wir selbst, der gewisse Feinheiten der Außenwelt durch sein Gefühl so verinnerlichen kann, daß ein von uns unabhängiges und doch mit uns zusammenhängendes Verständnis vorhanden ist, dann fühlen wir unser Leben gehoben in solcher Gemeinschaft. Wir müssen unser Fühlen jeder allein in uns entwickeln, aber wir können Menschen finden, mit denen dieses Fühlen zusammenklingen kann. Denn obzwar das fühlende Leben innerlich ist, so ist es doch möglich, daß die Menschen in ihrem Fühlen zusammenklingen. Zwei Willen, die sich auf ein und dasselbe Objekt richten würden, zwei Menschen also, die in demselben Zeitpunkt ein und dasselbe tun wollen, kann es nicht geben. Die Willen können nicht in ein einziges Objekt zusammenfliessen. Die Kurbel selbst, die wir angreifen, durch die wir eine Maschine drehen, sie können wir nur allein angreifen. Und selbst wenn der andere uns hilft dabei, so ist der Teil der Arbeit, den wir durch unseren Willen vollbringen, eben die Hälfte der ganzen Arbeit, wir machen unsere Hälfte, der andere die andere Hälfte. Zwei Willensimpulse können nicht in einem Objekt zusammen sein. Obzwar wir uns in gemeinsame Welten hineinstellen durch unseren Willen, sind wir gerade durch diesen Willen so in die Welt hineingestellt, daß wir jeder eine einzelne Individualität für uns sind durch den Willen. So werden wir gerade dadurch hingewiesen darauf, wie der Wille den (S78) ganzen individuellen Wert des Menschen ausmacht, wie der Wille sozusagen von diesem Gesichtspunkt aus das Innerste ist. Wir können daraus entnehmen, daß Wahrnehmung und Gefühl mehr äußerlich sind im Innenleben des Menschen, daß Gefühl und Wille das Tiefste, das eigentlich Innere ausmachen. Aber noch ein anderer Unterschied ergibt sich durch eine ganz äußerliche, exoterische Betrachtungsweise für diese vier Kreise des menschlichen Seelenlebens.
   Wenn wir mit unseren Wahrnehmungen der Welt gegenüberstehen, dann sagen wir uns doch ganz gewiß: Dieses Wahrnehmen vermittelt uns zwar die Welt, aber nur immer von einem einzelnen Gesichtspunkt aus. Wie klein ist der Ausschnitt der Welt, den wir durch unser Wahrnehmen zu unserem Innenleben machen können! Wir sind abhängig von Ort und Zeit in diesem Wahrnehmen; wir müssen sagen, das wenigste von dem, was wir erahnen in der Welt, kommt durch unsere Wahrnehmung in unser Innenleben herein. - Und gegenüber unseren Gedanken haben wir das Gefühl: wenn wir uns auch noch so sehr bemühen, es kann immer noch weitere Schritte geben, wir können immer noch weiter dringen durch unsere Gedanken. - Kurz, wir haben die Empfindung, die Welt liegt da draußen und du bemächtigst dich nur eines kleinen Stückes dieser Welt durch dein Wahrnehmen, durch dein Denken.
   Anders ist es schon mit dem Fühlen. Mit dem Fühlen ist es so, daß man sich sagt: Oh, was alles wäre eigentlich an Möglichkeiten des Fühlens, an Glücks- und Leidensmöglichkeiten in mir selbst!  Was könnte ich aus den Tiefen meiner Seele alles heraufholen! Und wenn ich es heraufholte, wie viel feiner, wie viel höher würde ich fühlen über die Dinge der Welt! Während man gegenüber dem Wahrnehmen und Denken die Empfindung hat: da draußen ist viel in der Welt und nur einen kleinen Teil kann man erleben in dem Wahrnehmen und Denken, muß man dem Fühlen gegenüber die Empfindung haben: da unten sind unendliche Tiefen; würde ich sie heraufbringen, so würde mein Fühlen reicher und immer reicher werden. Ich kann nur den kleinsten Teil heraufbekommen und in mein wirkliches Fühlen verwandeln. Während ich also durch mein Wahrnehmen und Denken nur einen kleinen Teil der Welt zu meiner Innenwelt machen kann, (S79) kann ich durch mein Fühlen in die Sphären des wirklichen Erlebens nur einen Teil dessen wirklich zum Dasein bringen, was als Möglichkeiten in mir ruht.
   Und in viel höherem Maße ist das beim Willen der Fall. Ich will nur das eine andeuten. Wie sehr müssen wir empfinden, daß wir zurückbleiben mit dem, was wir vollbringen, gegenüber dem, was wir tun könnten, was in uns veranlagt ist.
   So empfinden wir, daß wir durch unser Wahrnehmen und Denken nur einen kleinen Teil der Außenwelt hereinbringen in unser Innenleben, und wir empfinden, daß wir von dem, was da im tiefen Schacht der Seele liegt, nur einen Teil heraufholen können durch unser Fühlen und unser Wollen. Dadurch gliedern sich sozusagen in zwei Partien die vier Kreise unseres Seelenlebens: das Wahrnehmen und Denken auf der einen Seite, das Fühlen und Wollen auf der anderen Seite.
   Ein noch ganz anderes Licht wird auf diese vier Kreise unseres Innenlebens geworfen, wenn wir das, was sich so der Mensch durch Nachdenken exoterisch klarlegen kann, nun esoterisch zu beleuchten versuchen.
   Sie wissen, meine lieben Freunde, in der Nacht, wenn der Mensch schläft, ist in einer gewissen Weise der Zusammenhang zwischen seinem Ich, seinem astralischen Leibe auf der einen Seite und seinem physischen Leibe, seinem Ätherleibe auf der anderen Seite, ein anderer als beim Tagwachen. Beim Tagwachen sind, man möchte sagen, in normaler Weise zusammengekoppelt physischer Leib, Ätherleib, astralischer Leib und Ich. Dieser Zusammenhang ist beim Schlafe gelockert, so gelockert, daß aus der Sphäre der Sinne und aus der Sphäre des Denkens, also aus der ganzen Sphäre der Bewußtseinswerkzeuge, der astralische Leib und das Ich heraus sind, und daher die Dunkelheit der Nacht sich zunächst über das normale Bewußtsein ausbreitet: die Bewußtlosigkeit. Wenn nun der Mensch durch seine esoterischen Übungen seine Seele so erstarkt, daß er in der geistig-seelischen Wesenheit, die in der Nacht bewußtlos außerhalb des Leibes ist, erkennend, wahrnehmend, also geistig erkennend und wahrnehmend wird, wenn er das Geistig-Seelische wirklich erlebt als sein Menschliches außerhalb des Leibes, dann tritt für ihn eine neue (80) Welt auf, eine geistige Umwelt, so wie für den Menschen eine physische Umwelt vorhanden ist, wenn er sich der Sinne und seines Gehirns bedient, das ja dem Denken dient. Diese geistige Umwelt, die man dann betrachten kann, ist durchaus nicht immer dieselbe. Der Mensch kann sich sozusagen in die Lage des Geistesforschers versetzen zu verschiedenen Zeiten, in verschiedener Weise. Und es wirkt eigentlich immer auf das, was der Mensch sieht, die Absicht mit - aber die nicht eigentlich verstandesmäßige Absicht, sondern die in seinem ganzen Seelenleben mehr unbewußt instinktiv liegende Absicht -: was er eigentlich erkennen will. Wenn der Mensch zum Beispiel aus seinem Leibe herausgeht, um eine Beziehung zu finden zu einem verstorbenen Menschen, dann wirkt diese Absicht auf sein ganzes geistiges Bewußtseinsfeld. Er übersieht gleichsam alles, was nicht zu dieser Absicht gehört. Er steuert, wenn ihm die Sache überhaupt gelingt, auf den Toten los und dessen Geschick, um das zu erkennen, was er an dem Toten eben erschauen will. Die übrige geistige Welt bleibt gleichsam - nun, der Ausdruck ist ungeschickt - unbeachtet, bleibt unaufgehellt, und der Mensch erlebt eben dann nur den Zusammenhang mit dem Toten. So hängt es von seinen Absichten ab, was der Mensch gerade in der geistigen Welt sieht. Daher ist es begreiflich, daß das, was das hellsichtige Bewußtsein beschreibt von dem, was es in der geistigen Welt gesehen hat, in unendlicher Weise verschieden sein kann bei den verschiedenen hellseherischen Individuen. Jeder kann ganz richtig gesehen haben, was er eben sehen mußte nach der Tendenz, die in ihm lag, als er sich mit seinem Seelisch-Geistigen aus dem Physisch-Leiblichen herausgebracht hatte.
   Ich will nun heute, und in diesen Vorträgen überhaupt, dasjenige schildern, was das hellseherische Bewußtsein sieht, wenn es sich in die geistige Welt begibt mit der Absicht, das menschliche Innenleben zu erkennen, diese vier Seelenkreise des Wahrnehmens, des Denkens, des Fühlens, des Wollens, um dahinterzukommen, was eigentlich in dieser Menschenseele auf und ab wogt und Glück und Leid dieser Menschenseele bewirkt.
   Nehmen wir also an, ein hellseherisches Bewußtsein hätte es dahin gebracht, mit dem Geistig-Seelischen wirklich aus dem Physisch-Leiblichen (S81) so herauszukommen, wie das der Mensch sonst nur im bewußtlosen Zustande im Schlafe tut, und er vollzieht dieses Herausbewegen mit der entschiedenen Tendenz, mit dem Impuls, des Menschen Innenleben erkennenzulernen, sich entgegentreten zu fühlen das menschliche Innenleben, dann wird sich ihm das ergeben, was ich zu schildern versuchen werde.
   Das nächste, was da dem hellseherischen Bewußtsein entgegentritt, ist eigentlich eine vollständige Umkehrung alles Weltanschauens. Solange wir im Leibe sind, schauen wir mit den Sinnen um uns herum, denken mit unserem Verstande. Wir schauen eine Welt von Bergen, Flüssen, Wolken, Sternen und so weiter um uns herum, und an einem Punkte dieser Welt erblicken wir uns dann selber, man möchte sagen als etwas Kleinstes gegenüber dieser großen Welt. Indem das hellseherische Bewußtsein außer dem Leibe zu wirken beginnt, kehrt sich dieses Verhältnis geradezu um. Die Welt, die sich sonst ausbreitet vor unseren Sinnen, über die wir nachdenken mit unserem an das Gehirn gebundenen Verstand, diese Welt, sie verschwindet der Anschauung, der Wahrnehmung. Sie gibt auch keine Gedanken her, wenn man so sagen will. Aber man fühlt sich wie in diese Welt ausgegossen, man fühlt wirklich, wenn man aus seinem Leibe herausgekommen ist, so, daß dieses Erfühlen in der richtigen Weise ausgesprochen ist, wenn man sagt: Die Welt, die du früher angeschaut hast, in die bist du nun ausgegossen, in der bist du darinnen. Du erfüllst bis zu einer gewissen Grenze den Raum und du webst selber in der Zeit.
   Es ist das eine Empfindung, an die man sich erst gewöhnen muß. Es ist eine Empfindung, die man auch so ausdrücken kann, daß man sagt: Was früher Außenwelt war, ist jetzt Innenwelt geworden. Nicht als ob man diese frühere Außenwelt jetzt im Inneren trüge, aber das Gefühl, die Empfindung ist da: Innenwelt ist es geworden. Du lebst in dem Raum, in dem früher deine Sinneswahrnehmungen ausgebreitet waren, über dessen Dinge und Vorgänge du dachtest, da lebst du darinnen. - Und das kleine Wesen, das gleichsam im Mittelpunkt des Sinneshorizontes gestanden hat, der Mensch, das wird, wenn man in einer gewissen Weise das hellseherische Bewußtsein entwickelt, (S82) eigentlich jetzt die Welt. Auf die schauen wir so hin, wie wir früher hingeschaut haben auf die ganze im Raum ausgebreitete und in der Zeit verlaufende Außenwelt. Wir sind uns gewissermaßen Welt geworden.
   Denken Sie nur, meine lieben Freunde, was das für ein Umkehren des menschlichen Welt-Erschauens ist, wenn das, was früher so gar nicht Welt war, wozu man Ich gesagt hat, wenn das da draußen eigentlich jetzt die Welt ist, auf die alles hintendiert. Es ist, wie wenn man von allen Punkten des Raumes nach einem einzigen Mittelpunkte schauen würde - und da sieht man sich selber. Es ist, wie wenn man in der Zeit vor- und rückwärts schwimmen würde - und an einem Punkte in einer Woge dieses Zeitstromes findet man sich selber. Man ist sich selbst die Welt geworden.
   Das ist der erste Eindruck, wenn man, ich sage es ausdrücklich noch einmal, mit dieser Tendenz, das menschliche Innenleben kennenzulernen, das hellseherische Bewußtsein entfaltet. Dann ist dieses der erste Eindruck. Merkwürdig: Man geht aus dem Leibe heraus mit der Tendenz, das menschliche Innenleben kennenzulernen, und das erste, was einem entgegentritt, ist die menschliche Gestalt selber. Aber wie verändert ist diese menschliche Gestalt! Man kann das nicht oft genug sagen: Man muß mit der Absicht, das menschliche Innenleben kennenzulernen, herausgehen aus dem Leibe. Dann tritt das alles ein, was ich jetzt sagen werde. Es braucht deshalb beim Hellsehendwerden natürlich nicht immer einzutreten.
   Diese Menschengestalt, wie anders stellt sie sich dar! Man weiß, das, worauf man hinschaut, das, was man da schaut, das bist du. Ja, du bist es, du, der du dich früher von innen erfühlt hast in deiner Haut, in deinem Blut, du stehst draußen. - Aber man sieht eigentlich von dem, was da steht, zunächst nur, man möchte sagen, die äußere Gestalt, jedoch verwandelt. Die Augen, das, was Auge war, leuchtet gewissermaßen wie zwei Sonnen, aber innerliche, in Lichtglanz vibrierende Sonnen, funkelnde, auffunkelnde und im Funkeln abdämmernde Sonnen, die strahliges Licht verbreiten. So erscheinen an der verwandelten Menschengestalt die Augen. Die Ohren beginnen in einer gewissen Weise zu tönen; das, was man in der physischen (S83) Welt von den Ohren sieht, sieht man ja nicht, aber man fühlt ein gewisses Tönen. Die ganze Haut erstrahlt in einer Art von Strahlen, die man mehr erfühlt, als daß man sie erschauen könnte. Kurz, die menschliche Gestalt erscheint einem wie ein Leuchtendes, Tönendes, Magnetisch-Elektrisches, Strahlungen Aussendendes. Aber die Ausdrücke sind natürlich ungeschickt, weil sie eben der physischen Welt entnommen sind.
   So steht die Welt vor uns. Und das ist nun unsere Welt in dem geschilderten Anfang des hellseherischen Erlebens: der lichterglänzende Mensch, die ganze Haut in einem fühlbaren Erglänzen, schaubar die Augen, hörbar die Ohren! Und jetzt weiß man, wenn man diesen Eindruck hat: Du hast von außerhalb des Leibes deinen Leib, deinen physischen Leib geschaut. Man weiß: vom Gesichtspunkt des Geistes aus ist der physische Leib so.
   Wenn man dann versucht, eine innere Tätigkeit auszuüben da draußen, aber außer dem Leibe, die sich vergleichen läßt mit dem Nachdenken - aber es ist eben etwas anderes als das gewöhnliche Denken, es ist ein Entfalten einer inneren schöpferischen Seelenkraft-, wenn man die entwickelt, so sieht man in diesem Leuchtewesen da drinnen mehr: man sieht da drinnen bewegende Kräfte, die, man möchte sagen, wie eine Art von Kraftzirkulation diese Leuchtegestalt durchsetzen. Und jetzt weiß man: Das, was du da drinnen wie ein Art Einschluß in deinem Leuchteleib erschaust, das ist dein Gedankenleben von außen gesehen. Man kann es nun erkennen als einen Teil des Ätherleibes, den man eben sieht. Man sieht den Ätherleib als das webende Gedankenleben.  Es ist wie ein Zirkulieren von dunklen Wellen, eine geistige Blutzirkulation könnte man sagen, dunkle Wellen in dem Leuchteleib, die dem Ganzen ein eigentümliches Ansehen geben und die einem eben die Erkenntnis aufdrängen: Da wellt und wallt in deinem physischen Leib der Ätherleib drinnen, den du jetzt von außen anschaust, der dir jetzt sichtbar wird.
   Sehen Sie, so erlangt man außerhalb seines Leibes stehend die Erkenntnis, daß es wirklich den physischen und den Ätherleib gibt, und wie sie aussehen, von außen gesehen.
   Nun kann aber das innerliche Erkraften noch weitergehen. Würde (S84) man nämlich nur das anschauen, was ich jetzt angeführt habe, dann würde man sich eigentümlich vorkommen in der geistigen Welt. Man würde sich dann vorkommen wie ein Wesen, das aus dem physischen Plane zwar die Eindrücke der Außenwelt empfangen kann, aber innerlich ganz gefühlsleer wäre, das gar nicht fühlen könnte. Aber auch das, was diesem Gefühle des physischen Planes entspricht, das kann innerlich sich nun aufwecken da draußen außer dem Leibe. Es ist das nicht das Fühlen selbst, denn dieses Fühlen hat nur eine Berechtigung, ist nur vorhanden innerhalb des physischen Leibes; aber es ist das, was innerhalb der geistigen Welt dem Fühlen entspricht. Vorher hat man nämlich bloß empfunden: Du bist in dem Raume darinnen und wogst hin in der Zeit. Du bist in dem Raume, in dem du früher die Vorgänge, die Wesen gesehen hast, und in der Zeit, in der du wahrgenommen hast, da bist du darinnen. Wenn aber das dem Fühlen entsprechende innere Seelentum nun da draußen außer dem Leibe auferweckt wird, dann beginnt dieses Seelische ein Wissen zu entfalten, wodurch allerlei aufleuchtet da draußen, wodurch man nicht nur sich fühlt wie über den Raum verbreitet, sondern wodurch man etwas wahrnimmt, was in diesem Raume darinnen ist, was in diesem Zeitenstrom als Wesen wogt. Und man findet jetzt nicht das, was man früher durch den Leib und seine Organe schauend in der Außenwelt gesehen hat, sondern man findet sich erlebend in dem Inneren dieser Außenwelt, in dem Geistigen, das diese Außenwelt durchwallt und durchwogt. Es ist, wie wenn der Raum, in dem man sich früher nur gefühlt hätte, nun von unzähligen Sternen angefüllt würde, die sich alle bewegen und zu denen man selber gehört. Und jetzt weiß man: Du erlebst dich in deinem astralischen Leib. Man erlebt sich so in seinem astralischen Leib außerhalb des physischen Leibes, daß auflebt inhaltlich das, worin man sich früher nur fühlte.
   Wenn man jetzt zurückschaut auf das, was man früher von sich selbst gesehen hat, was vorhin sozusagen als die Außenwelt geschildert worden ist, auf diesen Leuchteleib mit der dunklen Gedankenzirkulation des Ätherleibes drinnen, dann erscheint einem in dem Augenblick, wo man sich außer dem Leibe eben auf das Astrale, auf das (S85) Sternenleben des astralischen Leibes konzentriert, das was man verlassen hat, der verlassene Leib, anders. Und man kann nun genau den Unterschied merken, der durch folgendes ausgedrückt werden kann: Du kannst dich konzentrieren auf dich zurück, dann siehst du deinen Leuchteleib und Gedankenätherleib. Kannst du dich aber so auf dich selbst konzentrieren, daß eine innere Sternenwelt, von der du weißt, du füllst sie aus, sich in dir auslebt, und du schaust nun zurück auf deinen physischen Leib, den du verlassen hast, dann kann das Leuchten aufhören, dann hört die Gedankenzirkulation auf. Es ist das in gewisser Weise willkürlich zu machen, aber es tritt an die Stelle dessen ein Bild unserer eigenen Wesenheit, das uns erscheint - ja es kann nicht anders gesagt werden - als unser personifiziertes Karma. Dasjenige in uns, was wir als Menschen in uns tragen, weswegen wir uns dieses oder jenes Schicksal bereiten, das ist wie zusammengerollt. Unser Karma, unser Schicksal, personifiziert, steht vor uns. Und wir wissen, wenn wir dieses nun anschauen: Das bist du, aber so, wie du eigentlich in deiner moralischen inneren Wesenheit bist. Das bist du, so wie du darinnen stehst in der Welt als eine Individualität; das bist du ganz selbst.
   Noch ein anderes Bewußtsein tritt auf. Dieses Bewußtsein, das da noch hinzukommt, hat etwas sehr Bedrückendes. Man erblickt nämlich dieses ganze personifizierte Schicksal so, daß man es im innersten Zusammenhang mit seiner Leiblichkeit, mit seinem Erdenmenschen erfühlt. Und zwar so, daß man die unmittelbare Erkenntnis hat: Wie in deinem Erdenleibe deine Muskeln aufgebaut sind, wie dein ganzes Muskelsystem ist, ist es eine Schöpfung dieses deines Schicksals, deines Karmas. Jetzt kommt die Zeit, so man sich sagt: Wie verschieden ist manchmal die Maja von der Wahrheit. Da glauben wir, solange wir auf dem physischen Plane stehen, dieser Muskelmensch bestehe eben aus den fleischigen Muskeln; in Wahrheit sind diese Fleischesmuskeln das kristallisierte Karma. Und sie sind so gestaltet im Menschen, so kristallisiert, daß der Mensch bis auf die feinste chemische Zusammensetzung hinein in seinem Muskelsystem sein kristallisiertes Karma trägt. So sehr trägt er es, daß sich nun der geistige Erbauer ganz klar wird darüber: Wenn ein Mensch zum Beispiel seine Muskeln (S86) so bewegt hat, daß er sich auf eine Stätte begeben hat, auf der ihm ein Unglück geschehen ist,  so ist das aus dem Grunde geschehen, weil in den Muskeln die geistige Kraft darinnen lag, die ihn aus sich selbst heraus an die Stätte getrieben hat, an der ihm das Unglück passierte. Die Weltenordnung hat unser Schicksal kristallisiert in unserem Muskelsystem. Und in unserem Muskelsystem lebt der Geist, für den äußeren physischen Plan kristallisiert, der ohne unser offenbares Wissen uns überall dahin führt, wohin wir eben in Gemäßheit unseres Karmas gehen müssen, kommen müssen.
   Wenn diese innere Erkraftung noch weiter geht, wenn der Mensch außer seinem Leibe sozusagen sein Inneres weiter erlebt, dann tritt in ihm dasjenige auf, was sonst im physischen Leben, auf dem physischen Plane dem Willensimpuls entspricht. Sobald dieses Willensleben innerlich auftaucht - aber außer dem Leibe -, da fühlt sich der Mensch nicht nur wie in einem Sternensystem darinnen, er weiß sich eins mit der Sonne seines Planetensystems. Man möchte sagen, wenn man seinen astralischen Leib innerlich erlebt, weiß man sich eins mit den Planeten seines Planetensystems; wenn man sich mit seinem Ich außer dem Leibe erlebt, weiß man sich eins mit der Sonne seines Sternensystems, auf die alles hingerichtet ist, auf die alles hintendiert.
   Wenn man jetzt zurückschaut auf das, was nun nicht innen, sondern außen ist - denn das, was außen ist, solange man im physischen Leibe ist, das ist, wenn man außer dem Leibe ist, innen, und das, was innen ist, wenn man im physischen Leibe ist, das ist, wenn man außer dem Leibe ist, außen -, wenn man also jetzt auf sich selber zurückschaut, dann tritt einem ein anderes entgegen, dann tritt einem die Notwendigkeit entgegen im Hinblicken auf sich selbst, daß das, was da draußen in der physischen Welt als die eigene Leiblichkeit sich befindet, entstehen mußte und vergehen muß: Entstehen und Vergehen des physischen Leibes tritt einem entgegen. Man wird gleichsam gewahr, wie geistige Mächte und Wesenheiten vorhanden sind, die da die Entstehung dieses physischen Leibes lenken und leiten, und wie andere wieder da sind, die ihn abbauen, diesen physischen Leib. Und man (S87) wird sich bewußt, worin sich dieses eigentliche Entstehen und Vergehen in der physischen Welt wiederum kristallisiert. Denn man weiß: dieses Entstehen und Vergehen ist im Grunde genommen an das Knochensystem des Menschen gebunden. Mit dem Einbauen des Knochensystems in den menschlichen physischen Leib ist sozusagen über die Form, in der der Mensch Geburt und Tod in der physischen Welt erlebt, das Urteil gesprochen. Wie das Knochensystem einkristallisiert ist in den Menschen, so ist durch diese Formung bestimmt, wie der Mensch als Wesen entsteht und vergeht. Man weiß: Du könntest im physischen Dasein nicht das Wesen sein, das du bist, wenn nicht die ganze Welt zusammengewirkt hätte, um innerhalb deines physischen Daseins deine physische Natur so zu verhärten, daß es als Knochensystem dir entgegentritt. Und man lernt verehren im Knochensystem, so sonderbar das auch klingt, die waltenden Universalmächte, die ihren geistigen Ausdruck in all jenen Wesen finden, die im Sonnenleben konzentriert sind. Man lernt gleichsam erkennen, wie hineingezeichnet worden ist in die Weltenordnung der Grundplan des Menschen, dieses sein Knochensystem, und wie das andere, was seine physischen Organe sind, gleichsam daran aufgehängt worden ist.
   So endet das hellseherische Anschauen dessen, was jetzt Außenwelt wird, mit der Anschauung des Symbol des Todes, man möchte sagen, mit der Anschauung des Knochenmenschen von außen. Denn man gelangt durch diese hellseherischen Vorgänge zuletzt zu der Erkenntnis, wie die geistigen Welten sich gleichsam ein physisches äußeres Symbol erbildet haben, diese geistigen Welten, denen man mit seinem Inneren in Wahrheit angehört, und in die man sich gestellt hat, indem man außerhalb seines Leibes gegangen ist. Man lernt sich mit seinem Wesen außer seinem Leibe kennen. Und jetzt lernt man auch erkennen, gerade bei diesem vierten Stadium: Wenn wir in der Welt unsere Handlungen vollziehen, wenn wir unseren Willen entfalten, dann ist das die Kraft in uns, die unbewußt auf dem physischen Plan wirkt, die wir eigentlich erst jetzt kennen: Wenn wir nur einfach vorwärtsgehen und uns zu dieser Vorwärtsbewegung der Mechanik unseres Knochensystems bedienen, so wirken in diesem Vorgang des Gehens (S88) universelle, kosmische Kräfte mit, Kräfte, in denen wir erst dann wirklich darinnen sind, wenn wir uns also auf der vierten Stufe außerhalb unseres Leibes erleben.
   Denken Sie einmal, meine lieben Freunde: der Mensch macht einen Spaziergang und er bewegt mit Hilfe der Knochenmechanik seine Glieder vorwärts; er denkt, daß er das zu seinem Vergnügen mache. Daß das geschehen kann, daß es Kräfte gibt, durch die wir uns vorwärtsbewegen können mit unserer Knochenmechanik, dazu muß die ganze Welt da sein, und die ganze Welt von göttlich-geistigen Kräften durchwellt sein, von göttlich-geistigen Kräften, von denen wir erst ein Wissen bekommen, wenn wir uns auf dieser vierten Stufe befinden. In jedem unserer Schritte lebt der göttlich-geistige Kosmos mit, und während wir glauben, daß wir es sind, die unsere Füße vorwärtssetzen, könnten wir das nicht, wenn wir nicht lebten in dem geistigen Kosmos, in der göttlichen Welt.
   Wir richten, solange wir im physischen Leib sind, unsere Blicke rings um uns herum. Da sehen wir die Wesen des mineralischen, des pflanzlichen, des tierischen Reiches, sehen Berge, Flüsse, Meere, Seen, Wolken, sehen Sterne, Sonne, Mond; was wir da äußerlich sehen, hat ein Inneres, und in dieses Innere treten wir selber ein, wenn wir in der geschilderten Weise außerhalb unseres Leibes leben. Wenn wir da drinnen leben, wissen wir: Was in ihnen geistig ist, was sich verbirgt hinter der strahlenden Sonne, hinter den glänzenden Sternen, hinter den Bergen, Flüssen, Meeren, Seen, Wolken, das lebt in unserer Knochenmechanik, wenn wir sie bewegen, und das muß alles da sein. Dann fassen wir auch mehr Verständnis für das, was vorangegangen ist. So wie unser Wille mit unserer Knochenmechanik im innigen Zusammenhange steht, stehen unsere Gefühle im innigen Zusammenhang mit unserem Muskelsystem; dieses Muskelsystem ist ein symbolischer Ausdruck für unser Gefühlssystem. So wie unsere Muskeln gebaut sind, so wie unsere Muskeln uns gestatten, sich zu verkürzen und zu verlängern, um dadurch wiederum die Knochenmechanik hervorzurufen, so ist dazu das Planetensystem notwendig, das wir erkunden, wenn wir uns in unserem astralischen Leib befinden. In unserem Muskelsystem lebt das ganze Planetensystem, wie der ganze (S89) Kosmos in unserer Knochenmechanik. Was in entsprechender Weise über die Gedanken und Sinnesempfindungen zu sagen ist, wird noch in den folgenden Vorträgen kommen.
   Solche Dinge liefert die geistige Erkenntnis. Wir sehen daraus, daß diese geistige Erkenntnis wahrhaftig nicht bloß etwas ist, was uns Gedanken und Ideen gibt, sondern was uns in unserer ganzen Seele durchdringen kann, so daß wir uns dadurch wirklich selbst erkennen lernen, daß wir ein anderer Mensch werden in unserem ganzen Erfühlen und Denken. Denn wenn man das, was jetzt auseinandergesetzt worden ist als die Erfahrung des hellseherischen Bewußtseins, auf sein Gemüt wirken läßt und zusammendrängt in eine Grundlebensempfindung der Seele, wie läßt sich dann diese Grundlebensempfindung der Seele ausdrücken? Wir muß man sagen, wenn man mit einem kurzen Worte das bezeichnen will, was als ein inneres Lebensgefühl in uns angefacht ist durch ein solches Wissen der hellseherischen Forschung?
   Man schaut hin auf das, was scheinbar das alltäglichste ist, was der Ausdruck unserer alltäglichsten Launen ist, und man bekommt etwas wie einen Eindruck von dem, was Sie in den ersten Sätzen der <<Prüfung der Seele>> durch den Mund des Capesius und des Benedictus geschildert finden: wie im Menschen gleichsam zusammenrinnen die Ziele, die sich die göttlich-geistigen Wesen gesetzt haben, wie hineinfließt in das, was Menschennatur ist, dasjenige, was göttlich-geistige Wesen durch die Welten hindurch gedacht haben. Und nun will man das zusammenfassen in einer Lebensempfindung: man schaut anders auf die ganze Menschennatur hin als vorher, man weiß jetzt diese menschliche Natur ganz anders von dem göttlichen Kosmos durchdrungen als vorher. Und das Bewußtsein davon entflammt sich, erstarkt sich, erkraftet sich und sagt mit innerstem Gemüts- und Gefühlsverständnis: Will man den Menschen versteh, so kann man es nicht anders als dadurch, daß man wissen lernt, aus dem Göttlich-Geistigen heraus ist dieser ganze Mensch!
   Wenn wir ihn anschauen, wie sein Fühlen hineinfließt in seine Muskeltätigkeit, wie Göttlich-Geistiges, Kosmisches hineinfließt in seine Knochen, wie die ganze Welt lebt in der Bewegung seiner (S90) Knochen, wie das ganze Planetensystem lebt in dem Zusammenziehen und Ausdehnen und Erschlaffen der Muskeln, wenn man das durchdenkt und durchfühlt, dann sagt man mit vollem Verständnis: Ja, aus dem Göttlichen ist dieser Mensch geboren.

Ex deo nascimur.

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Zweiter Vortrag, 10. April 1914