Inneres Wesen des Menschen und Leben zwischen Tod und neuer Geburt
Dritter interner Vortrag, Wien, 11. April 1914, Gesamtausgabe Nr. 153
Der Unterschied des Erlebens in der geistigen Welt und auf dem physischen Plan.
Die Umwandlung der Weisheit in Lebenskräfte; die schöpferische Kraft des fühlenden Wollens; das Gefragtwerden von den Dingen.
Vorbereitung im Irdischen auf die Impulsierung des Lebens im Geistigen.
Bei dem zweiten hier gehaltenen öffentlichen Vortrage habe ich in großen Zügen zu schildern versucht, soweit das eben bei einem öffentlichen Vortrage möglich ist, das Leben, wie es für den Menschen zwischen dem Tod und einer neuen Geburt verfließt. Das, was uns da entgegengetreten ist, soll uns in den beiden nächsten Vorträgen in einer vertiefteren Art noch beschäftigen, vertieft namentlich dadurch, daß es uns so erscheinen soll, daß es das Leben auch hier in der physischen Welt immer mehr und mehr erklärt. Um aber zu einer solchen Vertiefung der Darstellung zu kommen, bedarf es der Vorbereitung, die in den drei vorhergehenden Vorträgen gegeben wurde und in dem heutigen wiederum gegeben werden soll. Gerade diese Vorträge sollen uns die Mittel liefern, das öffentlich Vorgetragene weiter zu vertiefen.
Es ist von mir da oder dort unseren Freunden öfter gesagt worden, daß der Mensch, wenn er die geistigen Welten kennenlernen und verstehen lernen will - und in den geistigen Welten leben wir ja zwischen dem Tod und einer neuen Geburt -, in vieler Beziehung sich Begriffe und Vorstellungen aneignen muß, die man gar nicht aus den Erlebnissen und Erfahrungen des physischen Planes heraus haben kann, die aber, wenn sie sich die Menschheit immer mehr und mehr aneignen wird, von unendlicher Wichtigkeit, von einer immer größer werdenden Wichtigkeit sein werden gerade auch für das Leben auf dem physischen Plan. Zunächst wollen wir uns heute einmal einen Unterschied des Erlebens in der geistigen Welt und des Erlebens auf dem physischen Plane klarmachen, welcher im Grunde genommen, wenn er uns zum ersten Male vor die Seele tritt, im höchsten Maße frappieren und sonderbar erscheinen muß, so daß es sehr leicht sein kann, daß wir den Glauben haben, wir könnten solche Dinge nur schwer verstehen. Je mehr wir uns aber in die Geisteswissenschaft einleben, desto mehr werden wir sehen, daß uns solche Dinge immer verständlicher und verständlicher werden.
Wenn wir durch den physischen Plan gehen, wenn wir die Erlebnisse des physischen Planes auf uns wirken lassen, so muß uns ja, wenn wir darüber nachdenken, eines ganz besonders auffallen. Das ist, daß wir auf diesem physischen Plane dasjenige vor uns haben, was wir die Realität nennen, was wir das Dasein, das Sein, die Wirklichkeit nennen. Man möchte sagen: je ungeistiger ein Mensch ist, desto mehr baut er auf das, was er auf dem physischen Plan als die sich aufdrängende Realität vor sich hat. Anders steht es mit dem, was wir uns aneignen wollen auf dem physischen Plan als unser Wissen, unsere Erkenntnis von der Wirklichkeit. Wir müssen zunächst als Kinder überhaupt erst dazu erzogen werden, Fähigkeiten zu entwickeln, um uns ein Wissen, eine Erkenntnis von dem physischen Plane anzueignen, und wir müssen dann immer weiter und weiter arbeiten. Das Erwerben von Kenntnissen setzt geistige Arbeit voraus. Die Natur, das heiß die äußere Wirklichkeit, gibt nicht von selber her, was in ihr als Weisheit steckt. Wir müssen uns die Kenntnis dieser Weisheit, dieser Gesetzmäßigkeit aneignen. Und darin besteht ja alles menschliche Wissensstreben, aktiv sich anzueignen aus den passiv empfangenen Erlebnissen und Erfahrungen dasjenige, was als Weisheit, als Gesetzmäßigkeit in den Dingen steckt. Ganz anders sind nun die Dinge, wenn man sich entweder durch die zur Geistesforschung führenden Übungen oder durch den Durchgang durch die Pforte des Todes in die geistige Welt hineinbegibt. Es ist allerdings das Verhältnis des Menschen zur geistigen Umwelt nicht unter allen Umständen so, wie ich es jetzt schildern werde; aber in wichtigen Momenten, bei wichtigen Erlebnissen ist es so. Es ist ja auch bei unserem Leben auf dem physischen Plan so, daß wir nicht immer uns abarbeiten nach Erkenntnissen, sondern wir setzen auch in diesem Arbeiten aus. So ist auch das, was ich jetzt schildern werde, nicht eine fortwährende Nötigung in der geistigen Welt, sondern es ist zuzeiten in der geistigen Welt für uns erforderlich.
Das nämlich ist das Überraschende, daß es dem Menschen in der geistigen Welt nicht an Weisheit fehlt. Man kann ein Tor sein in der Sinneswelt, und die Weisheit strömt einem in der geistigen Welt nur (S126) so zu in ihrer Realität, wenn man einfach in diese geistige Welt hineinversetzt wird. Weisheit, dasjenige, was wir uns in der physischen Welt mit Mühe aneignen, was wir uns erarbeiten müssen von Tag zu Tag, wenn wir es haben wollen, das haben wir in der geistigen Welt so, wie wir in der physischen Welt um uns herum die Natur haben. Es ist immer da und es ist in reichlichstem Maße da. Gewissermaßen können wir sagen: Je weniger Weisheit wir uns auf dem physischen Plan angeeignet haben, desto reichlicher strömt uns diese Weisheit auf dem geistigen Plane zu. Aber nun haben wir gegenüber dieser Weisheit auf dem geistigen Plane eine bestimmte Aufgabe.
Ich habe Ihnen in den letzten Tagen davon gesprochen, daß man auf dem geistigen Plane das Menschheitsideal, den Inhalt der Götterreligion vor sich hat, daß man sich dahin durcharbeiten muß. Das kann man nicht, wenn man nicht in die Lage kommt auf dem geistigen Plan, sein Wollen dort - also jetzt das Wollen, das fühlende Wollen, das wollende Fühlen -, Wollen und Fühlen so anzuwenden, daß man die Weisheit, die einem immer fort und fort zuströmt, die da ist wie die Erscheinungen der Natur in der physischen Welt, fortwährend vermindert, daß man fortwährend von ihr etwas wegnimmt. Man muß diese Fähigkeit haben, von der Weisheit, die dort einem entgegentritt, immer mehr und mehr wegzunehmen. Hier auf dem physischen Plan müssen wir immer weiser und weiser werden, dort müssen wir uns bemühen, unser Wollen, unser Fühlen so anzuwenden, daß wir von der Weisheit immer mehr und mehr wegnehmen, sie verdunkeln. Denn je weniger wir dort von der Weisheit wegnehmen können, desto weniger finden wir die Kräfte, um uns so mit diesen Kräften zu durchsetzen, daß wir uns als reale Wesen dem Menschheitsideale annähern. Dieses Annähern muß darin bestehen, daß wir immer mehr und mehr von der Weisheit wegnehmen. Was wir da wegnehmen, das können wir umwandeln in uns selber, so daß die umgewandelte Weisheit die Lebenskräfte sind, die uns zu dem Menschheitsideale hintreiben. Diese Lebenskräfte müssen wir uns in dieser Zeit zwischen dem Tod und einer neuen Geburt erwerben. Nur dadurch kommen wir in einer regelrechten Weise der neuen Verkörperung entgegen, daß wir die Weisheit, die uns reichlich zufließt, in Lebenskräfte (S127) umwandeln. Und wir müssen, wenn wir wieder auf der Erde ankommen, soviel Weisheit in Lebenskräfte umgewandelt haben, müssen so viel von Weisheit vermindert haben, daß wir genug Lebenskräfte haben, um die Vererbungssubstanz, die wir von Vater und Mutter bekommen, mit genügend organisierenden geistigen Lebenskräften zu durchdringen. Wir müssen also von der Weisheit immer mehr und mehr wegnehmen.
Wenn man einen rechten Materialisten, der dem Geiste gar keine Realität zuerkennt auf dem physischen Plane, nach dem Tode wieder auffindet, einen solchen Materialisten, der während seines Lebens gesagt hat: Das ist ja alles Torheit, was ihr da über den Geist sprecht, eure Weisheit ist die reinste Phantasterei, die weise ich ganz von mir, ich lasse gar nichts anderes gelten als die Beschreibung dessen, was äußere Natur ist -, bei einem solchen Menschen, wenn er nach dem Tode getroffen wird, sieht man so reichlich Weisheit zuströmen, daß er sich gar nicht retten kann. Von überallher strömt ihm der Geist zu. In demselben Maße, als er hier nicht geglaubt hat an den Geist, in demselben Maße ist er dort überall vom Geist umflutet. Jetzt tritt an ihn die Aufgabe heran, diese Weisheit in Lebenskräfte umzuwandeln, so daß er eine physische Realität schaffen kann in der nächsten Inkarnation. Er soll das, was er Realität genannt hat, heraus erzeugen aus dieser Weisheit, er soll diese Weisheit vermindern. Sie will sich aber von ihm nicht vermindern lassen, sie bleibt wie sie ist. Er bekommt es nicht fertig, Realität daraus zu machen. Die ungeheure Strafe des Geistes steht vor ihm, daß er, während er hier auf dem physischen Plan nur auf Realität gebaut hat in seinem letzten Leben, während er den Geist ganz geleugnet hat, er sich sozusagen vor dem Geist nicht retten kann, und er nichts von diesem Geiste realisieren kann. Er steht immer vor der Gefahr, daß er gar nicht in die physische Welt wiederum hereinkommen kann durch Kräfte, die er selbst erzeugt. Er lebt fortwährend in der Furcht: Der Geist wird mich hereindrängen in die physische Welt, und ich werde dann ein physisches Dasein haben, das alles das verleugnet, was ich im vorhergehenden Leben als das Richtige anerkannt habe. Ich werde mich hereinstoßen lassen müssen von dem Geist in die physische Realität, ich werde es nicht selbst zu einer Realität bringen.
(S128) Das ist allerdings etwas Frappierendes, aber die Sache ist so. Um sozusagen in dem Geiste zu ersticken nach dem Tode und keine Realität, wie man sie allein verehrt hat vor dem Tode, in ihm zu finden, dazu ist der Weg der, vor dem Tode ein rechter Materialist zu sein und den Geist abzuleugnen. Dann erstickt man oder ertrinkt man im Geiste.
Das sind allerdings Vorstellungen, die wir uns im Laufe unseres Betriebes der geistigen Wissenschaft immer mehr und mehr aneignen müssen. Denn wenn wir uns solche Vorstellungen aneignen, führen sie uns auch im physischen Leben in einer harmonischen Weise weiter und zeigen uns gewissermaßen, wie die beiden Seiten des Lebens einander ergänzen und ausgleichen müssen. Wir begründen in uns den Instinkt, in unserer Lebensführung diesen Ausgleich wirklich herbeizuführen.
Noch einen anderen Fall möchte ich vom Zusammenhang des physischen Lebens mit dem geistigen Leben anführen. Nehmen wir jetzt einmal einen ganz konkreten, einzelnen Fall. Nehmen wir an, wir haben auf dem physischen Plane jemand angelogen. Nicht wahr, ich rede also von einzelnen Fällen. Wenn wir jemanden angelogen haben, so fällt das in einen bestimmten Zeitpunkt. Das, was ich jetzt als Entsprechendes in der geistigen Welt schildern werde, fällt wiederum in einen bestimmten Zeitpunkt zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Nehmen wir also an, wir hätten jemanden zu einer gewissen Zeit auf dem physischen Plan angelogen, dann kommt bei unserem Aufenthalt in der geistigen Welt, sei es, daß wir durch Initiation hineinkommen oder durch den Tod, ein Zeitpunkt, wo wir mit unserer Seele in der geistigen Welt ganz, ganz erfüllt sind von der Wahrheit, die wir hätten sagen sollen. Aber diese Wahrheit, die quält uns, diese Wahrheit steht vor uns, in demselben Maße uns quälend, als wir von ihr abgeirrt waren bei der Lüge. Man braucht also nur zu lügen auf dem physischen Plan, um einen Zeitpunkt herbeizuführen in der geistigen Welt, in dem wir durch die entsprechende Wahrheit, die der Lüge entgegengesetzt ist, gequält werden dadurch, daß diese Wahrheit in uns lebt und uns brennt und wir sie nicht ertragen können. Unser Leiden besteht namentlich darin, daß (S129) wir einsehen: das ist die Wahrheit. Wir sind aber so, daß uns diese Wahrheit keinen Genuß, keine Freude, keine Lust bereitet, sondern uns quält. Von den guten Sachen gequält zu werden, von dem, wovon man weiß, daß es einen erheben sollte, gequält zu werden, das gehört zu den Eigentümlichkeiten der Erlebnisse in der geistigen Welt.
Man braucht zum Beispiel nur einmal bei einer Sache, gegenüber welcher Fleiß uns Pflicht gewesen wäre, faul gewesen zu sein, dann kommt eine Zeit in der geistigen Welt, wo der Fleiß, der uns dazumal gefehlt hat, in uns lebt. Er ist da, der Fleiß, er kommt ganz sicher, er lebt in uns, wenn wir einmal so recht faul gewesen sind auf dem physischen Plan. Es kommt dann eine Zeit, wo wir durch die inneren Notwendigkeiten diesen Fleiß unbedingt in uns anwenden müssen. Wir geben uns ganz diesem Fleiß hin, und wir wissen, er ist etwas ungeheuer Wertvolles, aber er quält uns, wir leiden unter ihm.
Oder nehmen wir einen Fall, welcher vielleicht weniger in der menschlichen Willkür liegt, welcher in anderen Vorgängen des Lebens liegt, die mehr, ich möchte sagen, in den Untergründen des Daseins vor sich gehen und mit dem Verlauf unseres Karmas zusammenhängen; nehmen wir den Fall, wir seien durch eine Krankheit durchgegangen im physischen Leben. Wenn wir im physischen Leben durch eine Krankheit durchgegangen sind, die uns Schmerzen oder dergleichen bereitet hat, so erleben wir zu irgendeinem Zeitpunkt in der geistigen Welt die entgegengesetzte Stimmung, die entgegengesetzte Verfassung: die der Gesundheit, des Gesundseins. In demselben Maße, in dem uns die Krankheit geschwächt hat, stärkt uns diese Stimmung des Gesundseins bei unserem Aufenthalt in der geistigen Welt. Das ist ein Fall, der vielleicht nicht nur wie die anderen Dinge, die vorgebracht worden sind, unseren Verstand schockiert, sondern der viel tiefer in das Empfindungsgemäße unserer Seele eindringt, diese Seele irritiert. Wir wissen ja, daß geisteswissenschaftliche Dinge immer mit der Empfindung aufgefaßt werden müssen. Aber wir müssen bei diesem Fall das Folgende bedenken: Wir müssen uns klarmachen, daß ja hier gleichsam etwas wie ein Schatten ist über dem Zusammenhang zwischen der physischen Krankheit und der uns stärkenden Gesundheit in der geistigen Welt. Wahr ist der Zusammenhang, aber (S130) es gibt etwas in der Menschenbrust, was dem Gefühle nach mit diesem Zusammenhang nicht recht einverstanden sein kann. Das muß durchaus zugegeben werden. Dafür aber hat dieser Zusammenhang noch eine andere Wirkung, wenn er wirklich von uns erfaßt wird. Und diese Wirkung kann in der folgenden Weise charakterisiert werden.
Nehmen wir einmal an, ein Mensch durchdringt sich mit Geisteswissenschaft, ein Mensch gibt sich ernstlich Mühe, Geisteswissenschaft wirklich in sich aufzunehmen, nicht so, wie man eine andere Wissenschaft aufnimmt. Die kann man theoretisch studieren, in bloßen Gedanken, Begriffen kann man sich aneignen, was sie gibt. Geisteswissenschaft soll man niemals nur so aufnehmen. Sie soll wie eine geistiges Lebensblut in uns werden. Geisteswissenschaft soll in uns weben und leben, sie soll eigentlich in allen Begriffen, die sie uns gibt, in uns auch Empfindungen, Gefühle wachrufen. Ei gibt eigentlich für einen, der Geisteswissenschaft wirklich mit rechtem Ohr anhört, nichts in dieser Geisteswissenschaft, was uns nicht entweder auf der einen Seite erhebt oder auf der anderen Seite in die Abgründe des Daseins schauen läßt, um uns gerade auch in diesen Abgründen zurechtfinden zu lassen. Man kann sagen: Wer Geisteswissenschaft richtig versteht, verfolgt das, was sie sagt, überallhin auch mit diesen und jenen Gefühlen. Wer Geisteswissenschaft in sich aufnimmt, der wird einfach dadurch, daß die geisteswissenschaftlichen Begriffe in ihm leben, daß er sich diejenigen Vorstellungsgewohnheiten aneignet, die jetzt gerade angedeutet worden sind als notwendig gegenüber der Geisteswissenschaft, wirklich seine Seele schon in der physischen Welt umwandeln. Ich habe ja öfter darauf aufmerksam gemacht, wie zu den besten, eindringlichsten Übungen das Studium, das ernstliche Studium der Geisteswissenschaft selbst gehört.
Nun stellt sich allmählich bei dem Menschen, der also in die Geisteswissenschaft eindringt, etwas Eigentümliches heraus. Ein solcher Mensch, der vielleicht Übungen macht, vielleicht nicht einmal Übungen macht, um selbst Geistesforscher zu werden, sondern der sich nur ernstlich bemüht, Geisteswissenschaft zu verstehen, ein solcher wird vielleicht lange, lange nicht daran denken können, selber etwas hellseherisch zu schauen. Er wird es einmal können, aber das (S131) kann vielleicht noch ein fernes Ideal bei ihm sein. Aber wer Geisteswissenschaft in dem angedeuteten Sinne wirklich auf seine Seele wirken läßt, der wird sehen, daß sich die Instinkte des Lebens, die mehr unbewußten Triebfedern des Lebens ändern. Seine Seele wir wirklich anders. Man begibt sich nicht in den Bereich der Geisteswissenschaft hinein, ohne daß diese Geisteswissenschaft die Seele instinktiv beeinflußt, sie anders macht, ihr andere Sympathien und Antipathien gibt, sie gleichsam mit einem Licht durchgießt, so daß sie sicherer fühlt als sie vorher gefühlt hat. Das kann man auf jedem Gebiete des Lebens bemerken; auf jedem Gebiete des Lebens äußert sich die Geisteswissenschaft in der geschilderten Weise. Man kann ein ungeschickter Mensch sein im Leben und wird Geisteswissenschafter, und man wird sehen, ohne daß man irgend etwas anderes getan hat, als sich mit dieser Geisteswissenschaft zu durchdringen, man bis in die Handgriffe hinein geschickter wird. Sagen Sie nicht: Ich kenne sehr ungeschickte Geisteswissenschafter, die sind noch lange nicht geschickt geworden! - Versuchen Sie nachzudenken darüber, inwiefern diese doch nicht so, wie es eben nach ihrem Karma nötig ist, sich wirklich innerlich durchdrungen haben mit der Geisteswissenschaft. Man kann ein Maler sein, bis zu einem gewissen Grade die Malkunst handhaben. Wird man Geisteswissenschafter, so wird man sehen, daß das, was jetzt eben angedeutet worden ist, in die instinktive Handhabung der Malkunst einfließt Man mischt leichter die Farben, Ideen, die man haben will, kommen einem eher. Oder nehmen wir an, man sei Gelehrter, man solle irgendwie etwas Wissenschaftliches arbeiten. Gar mancher, der in diesem Falle ist, wird wissen, was es oft für Mühe kostet, die Literatur zusammenzusuchen, um irgendeine Frage zu lösen. Wird man Geisteswissenschafter, so geht man nicht mehr wie früher in die Bibliotheken und läßt sich erst fünfzig Bücher geben, die nichts nutzen, sondern man greift unmittelbar an das Richtige. Es greift wirklich Geisteswissenschaft in das Leben ein, macht die Instinkte anders, versetzt in unsere Seele Triebfedern, die uns geschickter ins Leben hineinstellen.
Natürlich muß das, was ich jetzt sagen werde, immer so betrachtet werden, daß es im Zusammenhang gedacht wird mit dem (S132) menschlichen Karma. Dem Karma ist der Mensch unter allen Umständen unterworfen; das muß stets berücksichtigt werden. Aber jetzt, mit Berücksichtigung des Karmas, ist doch das Folgende der Fall: Nehmen wir an, eine bestimmte Krankheit befällt denjenigen, der in die Geisteswissenschaft in der geschilderten Weise eingedrungen ist, und es liegt in seinem Karma, daß er geheilt werden kann. Es kann natürlich in seinem Karma liegen, daß die Krankheit nicht geheilt werden kann. Aber Karma spricht niemals, wenn wir eine Krankheit vor uns haben, so, daß unter allen Umständen im fatalistischen Sinn die Krankheit irgendeinen Verlauf nehmen müßte, sie kann geheilt werden oder kann nicht geheilt werden. Derjenige, der sich nun durchdrungen hat mit Geisteswissenschaft, der bekommt in seine Seele eingepflanzt einen Instinkt, welcher ihm verhilft, aus sich selbst heraus der Krankheit und ihren Schwächen das entsprechende Stärkende oder Richtige entgegenzusetzen. Was man sonst erlebt als Folgen der Krankheit in der geistigen Welt, das wirkt noch in die Seelen zurück, insofern man noch im physischen Leibe ist, wirkt als Instinkt. Man beugt entweder der Krankheit vor oder aber findet in sich die Wege zu den Heilkräften. Wenn das hellseherische Bewußtsein richtige Heilfaktoren findet für diese oder jene Krankheit, so geschieht dies auf folgendem Wege: Ein solcher Hellsehender hat die Möglichkeit, das Bild der Krankheit vor sich zu haben. Also nehmen wir an, er habe das Bild vor sich: das ist die Krankheit; so und so tritt sie schwächend an den Menschen heran. Dadurch, daß der Betreffende hellseherisches Bewußtsein hat, tritt ihm als Gegenbild das andere entgegen: die entsprechende Gesundungsstimmung und die Kräftigung, die aus der Stimmung herausquillt. Was über den Menschen, der krank war in der physischen Welt, dann als Ausgleich kommt in der geistigen Welt, das tritt dem Hellseher entgegen. Aus diesem kann er seine Ratschläge geben. Man braucht gar nicht einmal voll entwickelter Hellseher zu sein, sondern es kann das aus der Beobachtung des Krankheitsbildes instinktiv auftreten. Dasjenige aber, was in dem hellseherischen Bewußtsein das bewirkt, was als Ausgleich eben in der geistigen Welt wirklich kommt, das ist etwas, was zu dem Krankheitsbilde gehört, wie der Hinaufgang des Pendels auf der einen (S133) Seite zu dem Hinaufgang auf der anderen Seite. Gerade aus diesem Beispiel sehen Sie, wie das Verhältnis des physischen Planes zur geistigen Welt ist, und wie fruchtbar für die Lebensführung auf dem physischen Plan das Wissen, das Erkennen der geistigen Welt sein kann.
Gehen wir noch einmal zu dem zurück, was heute als ein konkreter Fall angeführt worden ist: daß, wie die Natur auf dem physischen Plan, so das Geistige, das weisheitsvoll Geistige uns umgibt in der geistigen Welt, das immer da ist. Nun, gerade wenn Sie dies in einer besonderen Weise noch verstehen, dann wird sich Ihnen auf die Vorgänge der geistigen Welt ein Licht werfen, das außerordentlich wichtig ist. In der physischen Welt können wir so an den Dingen vorbeigehen, daß wir, indem wir die Dinge betrachten, sagen: Was ist das Gesetz dieses Wesens, dieses Vorgangs? Oder aber, wir gehen stumpf vorbei und fragen überhaupt nicht. Wir werden niemals auf dem physischen Plan etwas Vernünftiges lernen, wenn wir nicht sozusagen von den Dingen veranlaßt werden, Erkenntnisfragen zu stellen, wenn uns nicht die Dinge Rätsel aufgeben, so daß diese Rätsel in uns entstehen. Beim bloßen Anschauen der Dinge und Vorgänge werden wir auf dem physischen Plane niemals zu einer sich selbst führenden Seele kommen können. Auf dem geistigen Plan ist das wieder anders. Auf dem physischen Plan stellen wir die Fragen an die Dinge und Vorgänge, und wir müssen uns bemühen, die Dinge zu untersuchen, herauszubekommen, wie wir die Antwort auf die Frage, die wir uns stellen, aus den Dingen heraus bilden können. Wir müssen die Dinge untersuchen. Auf dem geistigen Plane ist es so, daß die Dinge und Wesenheiten um uns herum geistig sind; und die Dinge, die fragen uns, nicht wir fragen die Dinge. Die Dinge fragen uns, sie stehen da, die Vorgänge und Wesenheiten, und wir stehen ihnen gegenüber und werden fortwährend von ihnen gefragt. Wir müssen jetzt die Möglichkeit haben aus dem unendlichen Meer von Weisheit das herauszugreifen, was auf die Fragen antworten kann, die uns da gestellt werden. Wir müssen nicht aus den Dingen und Vorgängen heraus die Antworten suchen, sondern aus uns heraus, denn fragen tun uns die Dinge, überall um uns herum sind die fragenden Dinge.
(S134) Dabei kommt noch das Folgende in Betracht: Nehmen wir an, wir stünden irgendeinem Vorgang oder Wesen der geistigen Welt gegenüber, wir treten eigentlich ihm gar nicht anders gegenüber, als daß es an uns eine Frage stellt. Nehmen wir an, es stellt die Frage. Wir stehen da mit unserer Weisheit.. Aber wir finden nicht die Möglichkeit, ein solches Wollen, fühlendes Wollen, wollendes Fühlen zu entwickeln, daß wir aus dieser Weisheit heraus die Antwort geben könnten, trotzdem wir wissen: die Antworten sind in uns. Unser Inneres ist von unendlicher Tiefe, alle Antworten sind in uns, aber wir finden nicht die Möglichkeit, wirklich die Antwort zu geben. Und die Folge davon ist, daß wir im Zeitenstrome vorbeisausen und die Möglichkeit, den rechten Zeitpunkt nämlich, versäumen, die Antwort zu geben, weil wir uns nicht die Fähigkeit erworben haben, vielleicht durch unsere vorangehende Entwickelung, die Reife zu haben, auf diese Frage schon in dem Zeitpunkt zu antworten. Wir haben uns in bezug auf das, was wir antworten sollten, zu langsam entwickelt: wir könnten erst später antworten. Aber die Gelegenheit kommt nicht wieder, wir haben sie versäumt. Wir haben nicht alle Gelegenheiten ausgenützt. So gehen wir vorbei an Dingen und Vorgängen, ohne ihnen Antwort zu geben. Solche Erlebnisse machen wir fortwährend in der geistigen Welt. Es kommt also vor, daß wir in dem Leben zwischen Tod und einer neuen Geburt vor einem Wesen stehen, das uns fragt. Wir haben es nicht dahin gebracht durch unsere Erdenleben und die dazwischenliegenden geistigen Leben, jetzt, wo es uns fragt, Antwort zu geben. Wir müssen vorbei, müssen in die nächste Inkarnation hinein. Die Folge davon ist, daß wir erst wiederum durch die guten Götter, ohne unser Bewußtsein, in der nächsten Erdenverkörperung die Impulse bekommen müssen, damit wir beim nächsten Male nicht wieder an derselben Frage vorbeigehen. So sind die Zusammenhänge.
Ich habe öfter erwähnt, daß, je weiter wir zurückgehen in der Menschheitsentwickelung, wir um so mehr gewahr werden, wie die Menschen die gegenwärtige Geistesverfassung nicht gehabt haben, sondern auf dem physischen Plan eine Art Hellsehen hatten. Aus einem dumpfen, traumhaften Hellsehen hat sich unser gegenwärtiges (S135) Anschauen der Dinge heraus entwickelt. Und je mehr wir Menschen finden, die noch auf primitiven Elementarstufen der Seelenentwickelung stehen, desto verwandter finden wir noch ihr Denken und Fühlen mit dem ursprünglichen Hellsehen. Obzwar wirkliches Hellsehen, ich meine primitives, atavistisches Hellsehen, immer seltener wird, so findet man doch, wenn man hinausgeht in elementare ländliche Zustände, immerhin Menschen, die sich etwas bewahrt haben aus früheren Zeiten, so daß man Anklänge an die Zeiten des früheren Hellsehens findet. Dieses Hellsehen zeigt uns, wenn auch eben in der dumpfen, traumhaften Form, weil es ja ein Schauen in die geistigen Welten hinein ist, Eigentümlichkeiten, die uns wieder entgegentreten beim entwickelten Hellsehen, nur daß es eben da nicht dumpf, traumhaft, sondern klar und deutlich uns entgegentritt. Geisteswissenschaft zeigt uns, daß der Mensch, wie er jetzt in dem gegenwärtigen Zeitenzyklus ist, wenn er durch das Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt geht, immerfort und immer mehr und mehr vor den fragenden Wesenheiten zur rechten Zeit Antwort geben muß. Denn davon, ob er Antwort geben kann, hängt seine richtige Fortentwickelung ab, seine Annäherung an das Ideal der Götter von dem vollkommenen Menschen. Wie gesagt, ins Traumhafte umgesetzt hatten das früher die Menschen, und es ist ein Überrest davon geblieben in zahlreichen märchenartigen, sagenartigen Motiven. Sie werden immer weniger im Volk. Aber diese märchenartigen, sagenartigen Motive, die erzählen uns dann etwa: Der oder jener begegnet einem geistigen Wesen, das stellt immer wieder und wieder Fragen an ihn, und er steht ihm gegenüber, muß antworten. Aber er hat das Bewußtsein: bis zu einem gewissen Glockenschlage oder sonst etwas muß er antworten. Dieses, was man das Fragemotiv der Märchen und Sagen nennen könnte, ist sehr verbreitet. Das ist in dem früheren traumhaften Hellsehen dasselbe gewesen, was nun wiederum in der geistigen Welt auftritt in der Form, wie ich es geschildert habe. Überhaupt kann dasjenige, was die geistige Welt charakterisiert, in allen Fällen ein wunderbarer Leitfaden sein, um Mythen, Sagen, Märchen und so weiter in der richtigen Weise zu verstehen und sie an ihren Ort hinzustellen, wohin sie gehören. Das ist gerade ein Punkt, wo man sieht, (S136) wie überall, auch in der Geisteskultur der Gegenwart, gewissermaßen die Entwickelung vor dem Tore der Geisteswissenschaft steht.
Ich habe Ihnen in den letzten Tagen davon gesprochen, daß man auf dem geistigen Plane das Menschheitsideal, den Inhalt der Götterreligion vor sich hat, daß man sich dahin durcharbeiten muß. Das kann man nicht, wenn man nicht in die Lage kommt auf dem geistigen Plan, sein Wollen dort - also jetzt das Wollen, das fühlende Wollen, das wollende Fühlen -, Wollen und Fühlen so anzuwenden, daß man die Weisheit, die einem immer fort und fort zuströmt, die da ist wie die Erscheinungen der Natur in der physischen Welt, fortwährend vermindert, daß man fortwährend von ihr etwas wegnimmt. Man muß diese Fähigkeit haben, von der Weisheit, die dort einem entgegentritt, immer mehr und mehr wegzunehmen. Hier auf dem physischen Plan müssen wir immer weiser und weiser werden, dort müssen wir uns bemühen, unser Wollen, unser Fühlen so anzuwenden, daß wir von der Weisheit immer mehr und mehr wegnehmen, sie verdunkeln. Denn je weniger wir dort von der Weisheit wegnehmen können, desto weniger finden wir die Kräfte, um uns so mit diesen Kräften zu durchsetzen, daß wir uns als reale Wesen dem Menschheitsideale annähern. Dieses Annähern muß darin bestehen, daß wir immer mehr und mehr von der Weisheit wegnehmen. Was wir da wegnehmen, das können wir umwandeln in uns selber, so daß die umgewandelte Weisheit die Lebenskräfte sind, die uns zu dem Menschheitsideale hintreiben. Diese Lebenskräfte müssen wir uns in dieser Zeit zwischen dem Tod und einer neuen Geburt erwerben. Nur dadurch kommen wir in einer regelrechten Weise der neuen Verkörperung entgegen, daß wir die Weisheit, die uns reichlich zufließt, in Lebenskräfte (S127) umwandeln. Und wir müssen, wenn wir wieder auf der Erde ankommen, soviel Weisheit in Lebenskräfte umgewandelt haben, müssen so viel von Weisheit vermindert haben, daß wir genug Lebenskräfte haben, um die Vererbungssubstanz, die wir von Vater und Mutter bekommen, mit genügend organisierenden geistigen Lebenskräften zu durchdringen. Wir müssen also von der Weisheit immer mehr und mehr wegnehmen.
Wenn man einen rechten Materialisten, der dem Geiste gar keine Realität zuerkennt auf dem physischen Plane, nach dem Tode wieder auffindet, einen solchen Materialisten, der während seines Lebens gesagt hat: Das ist ja alles Torheit, was ihr da über den Geist sprecht, eure Weisheit ist die reinste Phantasterei, die weise ich ganz von mir, ich lasse gar nichts anderes gelten als die Beschreibung dessen, was äußere Natur ist -, bei einem solchen Menschen, wenn er nach dem Tode getroffen wird, sieht man so reichlich Weisheit zuströmen, daß er sich gar nicht retten kann. Von überallher strömt ihm der Geist zu. In demselben Maße, als er hier nicht geglaubt hat an den Geist, in demselben Maße ist er dort überall vom Geist umflutet. Jetzt tritt an ihn die Aufgabe heran, diese Weisheit in Lebenskräfte umzuwandeln, so daß er eine physische Realität schaffen kann in der nächsten Inkarnation. Er soll das, was er Realität genannt hat, heraus erzeugen aus dieser Weisheit, er soll diese Weisheit vermindern. Sie will sich aber von ihm nicht vermindern lassen, sie bleibt wie sie ist. Er bekommt es nicht fertig, Realität daraus zu machen. Die ungeheure Strafe des Geistes steht vor ihm, daß er, während er hier auf dem physischen Plan nur auf Realität gebaut hat in seinem letzten Leben, während er den Geist ganz geleugnet hat, er sich sozusagen vor dem Geist nicht retten kann, und er nichts von diesem Geiste realisieren kann. Er steht immer vor der Gefahr, daß er gar nicht in die physische Welt wiederum hereinkommen kann durch Kräfte, die er selbst erzeugt. Er lebt fortwährend in der Furcht: Der Geist wird mich hereindrängen in die physische Welt, und ich werde dann ein physisches Dasein haben, das alles das verleugnet, was ich im vorhergehenden Leben als das Richtige anerkannt habe. Ich werde mich hereinstoßen lassen müssen von dem Geist in die physische Realität, ich werde es nicht selbst zu einer Realität bringen.
(S128) Das ist allerdings etwas Frappierendes, aber die Sache ist so. Um sozusagen in dem Geiste zu ersticken nach dem Tode und keine Realität, wie man sie allein verehrt hat vor dem Tode, in ihm zu finden, dazu ist der Weg der, vor dem Tode ein rechter Materialist zu sein und den Geist abzuleugnen. Dann erstickt man oder ertrinkt man im Geiste.
Das sind allerdings Vorstellungen, die wir uns im Laufe unseres Betriebes der geistigen Wissenschaft immer mehr und mehr aneignen müssen. Denn wenn wir uns solche Vorstellungen aneignen, führen sie uns auch im physischen Leben in einer harmonischen Weise weiter und zeigen uns gewissermaßen, wie die beiden Seiten des Lebens einander ergänzen und ausgleichen müssen. Wir begründen in uns den Instinkt, in unserer Lebensführung diesen Ausgleich wirklich herbeizuführen.
Noch einen anderen Fall möchte ich vom Zusammenhang des physischen Lebens mit dem geistigen Leben anführen. Nehmen wir jetzt einmal einen ganz konkreten, einzelnen Fall. Nehmen wir an, wir haben auf dem physischen Plane jemand angelogen. Nicht wahr, ich rede also von einzelnen Fällen. Wenn wir jemanden angelogen haben, so fällt das in einen bestimmten Zeitpunkt. Das, was ich jetzt als Entsprechendes in der geistigen Welt schildern werde, fällt wiederum in einen bestimmten Zeitpunkt zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Nehmen wir also an, wir hätten jemanden zu einer gewissen Zeit auf dem physischen Plan angelogen, dann kommt bei unserem Aufenthalt in der geistigen Welt, sei es, daß wir durch Initiation hineinkommen oder durch den Tod, ein Zeitpunkt, wo wir mit unserer Seele in der geistigen Welt ganz, ganz erfüllt sind von der Wahrheit, die wir hätten sagen sollen. Aber diese Wahrheit, die quält uns, diese Wahrheit steht vor uns, in demselben Maße uns quälend, als wir von ihr abgeirrt waren bei der Lüge. Man braucht also nur zu lügen auf dem physischen Plan, um einen Zeitpunkt herbeizuführen in der geistigen Welt, in dem wir durch die entsprechende Wahrheit, die der Lüge entgegengesetzt ist, gequält werden dadurch, daß diese Wahrheit in uns lebt und uns brennt und wir sie nicht ertragen können. Unser Leiden besteht namentlich darin, daß (S129) wir einsehen: das ist die Wahrheit. Wir sind aber so, daß uns diese Wahrheit keinen Genuß, keine Freude, keine Lust bereitet, sondern uns quält. Von den guten Sachen gequält zu werden, von dem, wovon man weiß, daß es einen erheben sollte, gequält zu werden, das gehört zu den Eigentümlichkeiten der Erlebnisse in der geistigen Welt.
Man braucht zum Beispiel nur einmal bei einer Sache, gegenüber welcher Fleiß uns Pflicht gewesen wäre, faul gewesen zu sein, dann kommt eine Zeit in der geistigen Welt, wo der Fleiß, der uns dazumal gefehlt hat, in uns lebt. Er ist da, der Fleiß, er kommt ganz sicher, er lebt in uns, wenn wir einmal so recht faul gewesen sind auf dem physischen Plan. Es kommt dann eine Zeit, wo wir durch die inneren Notwendigkeiten diesen Fleiß unbedingt in uns anwenden müssen. Wir geben uns ganz diesem Fleiß hin, und wir wissen, er ist etwas ungeheuer Wertvolles, aber er quält uns, wir leiden unter ihm.
Oder nehmen wir einen Fall, welcher vielleicht weniger in der menschlichen Willkür liegt, welcher in anderen Vorgängen des Lebens liegt, die mehr, ich möchte sagen, in den Untergründen des Daseins vor sich gehen und mit dem Verlauf unseres Karmas zusammenhängen; nehmen wir den Fall, wir seien durch eine Krankheit durchgegangen im physischen Leben. Wenn wir im physischen Leben durch eine Krankheit durchgegangen sind, die uns Schmerzen oder dergleichen bereitet hat, so erleben wir zu irgendeinem Zeitpunkt in der geistigen Welt die entgegengesetzte Stimmung, die entgegengesetzte Verfassung: die der Gesundheit, des Gesundseins. In demselben Maße, in dem uns die Krankheit geschwächt hat, stärkt uns diese Stimmung des Gesundseins bei unserem Aufenthalt in der geistigen Welt. Das ist ein Fall, der vielleicht nicht nur wie die anderen Dinge, die vorgebracht worden sind, unseren Verstand schockiert, sondern der viel tiefer in das Empfindungsgemäße unserer Seele eindringt, diese Seele irritiert. Wir wissen ja, daß geisteswissenschaftliche Dinge immer mit der Empfindung aufgefaßt werden müssen. Aber wir müssen bei diesem Fall das Folgende bedenken: Wir müssen uns klarmachen, daß ja hier gleichsam etwas wie ein Schatten ist über dem Zusammenhang zwischen der physischen Krankheit und der uns stärkenden Gesundheit in der geistigen Welt. Wahr ist der Zusammenhang, aber (S130) es gibt etwas in der Menschenbrust, was dem Gefühle nach mit diesem Zusammenhang nicht recht einverstanden sein kann. Das muß durchaus zugegeben werden. Dafür aber hat dieser Zusammenhang noch eine andere Wirkung, wenn er wirklich von uns erfaßt wird. Und diese Wirkung kann in der folgenden Weise charakterisiert werden.
Nehmen wir einmal an, ein Mensch durchdringt sich mit Geisteswissenschaft, ein Mensch gibt sich ernstlich Mühe, Geisteswissenschaft wirklich in sich aufzunehmen, nicht so, wie man eine andere Wissenschaft aufnimmt. Die kann man theoretisch studieren, in bloßen Gedanken, Begriffen kann man sich aneignen, was sie gibt. Geisteswissenschaft soll man niemals nur so aufnehmen. Sie soll wie eine geistiges Lebensblut in uns werden. Geisteswissenschaft soll in uns weben und leben, sie soll eigentlich in allen Begriffen, die sie uns gibt, in uns auch Empfindungen, Gefühle wachrufen. Ei gibt eigentlich für einen, der Geisteswissenschaft wirklich mit rechtem Ohr anhört, nichts in dieser Geisteswissenschaft, was uns nicht entweder auf der einen Seite erhebt oder auf der anderen Seite in die Abgründe des Daseins schauen läßt, um uns gerade auch in diesen Abgründen zurechtfinden zu lassen. Man kann sagen: Wer Geisteswissenschaft richtig versteht, verfolgt das, was sie sagt, überallhin auch mit diesen und jenen Gefühlen. Wer Geisteswissenschaft in sich aufnimmt, der wird einfach dadurch, daß die geisteswissenschaftlichen Begriffe in ihm leben, daß er sich diejenigen Vorstellungsgewohnheiten aneignet, die jetzt gerade angedeutet worden sind als notwendig gegenüber der Geisteswissenschaft, wirklich seine Seele schon in der physischen Welt umwandeln. Ich habe ja öfter darauf aufmerksam gemacht, wie zu den besten, eindringlichsten Übungen das Studium, das ernstliche Studium der Geisteswissenschaft selbst gehört.
Nun stellt sich allmählich bei dem Menschen, der also in die Geisteswissenschaft eindringt, etwas Eigentümliches heraus. Ein solcher Mensch, der vielleicht Übungen macht, vielleicht nicht einmal Übungen macht, um selbst Geistesforscher zu werden, sondern der sich nur ernstlich bemüht, Geisteswissenschaft zu verstehen, ein solcher wird vielleicht lange, lange nicht daran denken können, selber etwas hellseherisch zu schauen. Er wird es einmal können, aber das (S131) kann vielleicht noch ein fernes Ideal bei ihm sein. Aber wer Geisteswissenschaft in dem angedeuteten Sinne wirklich auf seine Seele wirken läßt, der wird sehen, daß sich die Instinkte des Lebens, die mehr unbewußten Triebfedern des Lebens ändern. Seine Seele wir wirklich anders. Man begibt sich nicht in den Bereich der Geisteswissenschaft hinein, ohne daß diese Geisteswissenschaft die Seele instinktiv beeinflußt, sie anders macht, ihr andere Sympathien und Antipathien gibt, sie gleichsam mit einem Licht durchgießt, so daß sie sicherer fühlt als sie vorher gefühlt hat. Das kann man auf jedem Gebiete des Lebens bemerken; auf jedem Gebiete des Lebens äußert sich die Geisteswissenschaft in der geschilderten Weise. Man kann ein ungeschickter Mensch sein im Leben und wird Geisteswissenschafter, und man wird sehen, ohne daß man irgend etwas anderes getan hat, als sich mit dieser Geisteswissenschaft zu durchdringen, man bis in die Handgriffe hinein geschickter wird. Sagen Sie nicht: Ich kenne sehr ungeschickte Geisteswissenschafter, die sind noch lange nicht geschickt geworden! - Versuchen Sie nachzudenken darüber, inwiefern diese doch nicht so, wie es eben nach ihrem Karma nötig ist, sich wirklich innerlich durchdrungen haben mit der Geisteswissenschaft. Man kann ein Maler sein, bis zu einem gewissen Grade die Malkunst handhaben. Wird man Geisteswissenschafter, so wird man sehen, daß das, was jetzt eben angedeutet worden ist, in die instinktive Handhabung der Malkunst einfließt Man mischt leichter die Farben, Ideen, die man haben will, kommen einem eher. Oder nehmen wir an, man sei Gelehrter, man solle irgendwie etwas Wissenschaftliches arbeiten. Gar mancher, der in diesem Falle ist, wird wissen, was es oft für Mühe kostet, die Literatur zusammenzusuchen, um irgendeine Frage zu lösen. Wird man Geisteswissenschafter, so geht man nicht mehr wie früher in die Bibliotheken und läßt sich erst fünfzig Bücher geben, die nichts nutzen, sondern man greift unmittelbar an das Richtige. Es greift wirklich Geisteswissenschaft in das Leben ein, macht die Instinkte anders, versetzt in unsere Seele Triebfedern, die uns geschickter ins Leben hineinstellen.
Natürlich muß das, was ich jetzt sagen werde, immer so betrachtet werden, daß es im Zusammenhang gedacht wird mit dem (S132) menschlichen Karma. Dem Karma ist der Mensch unter allen Umständen unterworfen; das muß stets berücksichtigt werden. Aber jetzt, mit Berücksichtigung des Karmas, ist doch das Folgende der Fall: Nehmen wir an, eine bestimmte Krankheit befällt denjenigen, der in die Geisteswissenschaft in der geschilderten Weise eingedrungen ist, und es liegt in seinem Karma, daß er geheilt werden kann. Es kann natürlich in seinem Karma liegen, daß die Krankheit nicht geheilt werden kann. Aber Karma spricht niemals, wenn wir eine Krankheit vor uns haben, so, daß unter allen Umständen im fatalistischen Sinn die Krankheit irgendeinen Verlauf nehmen müßte, sie kann geheilt werden oder kann nicht geheilt werden. Derjenige, der sich nun durchdrungen hat mit Geisteswissenschaft, der bekommt in seine Seele eingepflanzt einen Instinkt, welcher ihm verhilft, aus sich selbst heraus der Krankheit und ihren Schwächen das entsprechende Stärkende oder Richtige entgegenzusetzen. Was man sonst erlebt als Folgen der Krankheit in der geistigen Welt, das wirkt noch in die Seelen zurück, insofern man noch im physischen Leibe ist, wirkt als Instinkt. Man beugt entweder der Krankheit vor oder aber findet in sich die Wege zu den Heilkräften. Wenn das hellseherische Bewußtsein richtige Heilfaktoren findet für diese oder jene Krankheit, so geschieht dies auf folgendem Wege: Ein solcher Hellsehender hat die Möglichkeit, das Bild der Krankheit vor sich zu haben. Also nehmen wir an, er habe das Bild vor sich: das ist die Krankheit; so und so tritt sie schwächend an den Menschen heran. Dadurch, daß der Betreffende hellseherisches Bewußtsein hat, tritt ihm als Gegenbild das andere entgegen: die entsprechende Gesundungsstimmung und die Kräftigung, die aus der Stimmung herausquillt. Was über den Menschen, der krank war in der physischen Welt, dann als Ausgleich kommt in der geistigen Welt, das tritt dem Hellseher entgegen. Aus diesem kann er seine Ratschläge geben. Man braucht gar nicht einmal voll entwickelter Hellseher zu sein, sondern es kann das aus der Beobachtung des Krankheitsbildes instinktiv auftreten. Dasjenige aber, was in dem hellseherischen Bewußtsein das bewirkt, was als Ausgleich eben in der geistigen Welt wirklich kommt, das ist etwas, was zu dem Krankheitsbilde gehört, wie der Hinaufgang des Pendels auf der einen (S133) Seite zu dem Hinaufgang auf der anderen Seite. Gerade aus diesem Beispiel sehen Sie, wie das Verhältnis des physischen Planes zur geistigen Welt ist, und wie fruchtbar für die Lebensführung auf dem physischen Plan das Wissen, das Erkennen der geistigen Welt sein kann.
Gehen wir noch einmal zu dem zurück, was heute als ein konkreter Fall angeführt worden ist: daß, wie die Natur auf dem physischen Plan, so das Geistige, das weisheitsvoll Geistige uns umgibt in der geistigen Welt, das immer da ist. Nun, gerade wenn Sie dies in einer besonderen Weise noch verstehen, dann wird sich Ihnen auf die Vorgänge der geistigen Welt ein Licht werfen, das außerordentlich wichtig ist. In der physischen Welt können wir so an den Dingen vorbeigehen, daß wir, indem wir die Dinge betrachten, sagen: Was ist das Gesetz dieses Wesens, dieses Vorgangs? Oder aber, wir gehen stumpf vorbei und fragen überhaupt nicht. Wir werden niemals auf dem physischen Plan etwas Vernünftiges lernen, wenn wir nicht sozusagen von den Dingen veranlaßt werden, Erkenntnisfragen zu stellen, wenn uns nicht die Dinge Rätsel aufgeben, so daß diese Rätsel in uns entstehen. Beim bloßen Anschauen der Dinge und Vorgänge werden wir auf dem physischen Plane niemals zu einer sich selbst führenden Seele kommen können. Auf dem geistigen Plan ist das wieder anders. Auf dem physischen Plan stellen wir die Fragen an die Dinge und Vorgänge, und wir müssen uns bemühen, die Dinge zu untersuchen, herauszubekommen, wie wir die Antwort auf die Frage, die wir uns stellen, aus den Dingen heraus bilden können. Wir müssen die Dinge untersuchen. Auf dem geistigen Plane ist es so, daß die Dinge und Wesenheiten um uns herum geistig sind; und die Dinge, die fragen uns, nicht wir fragen die Dinge. Die Dinge fragen uns, sie stehen da, die Vorgänge und Wesenheiten, und wir stehen ihnen gegenüber und werden fortwährend von ihnen gefragt. Wir müssen jetzt die Möglichkeit haben aus dem unendlichen Meer von Weisheit das herauszugreifen, was auf die Fragen antworten kann, die uns da gestellt werden. Wir müssen nicht aus den Dingen und Vorgängen heraus die Antworten suchen, sondern aus uns heraus, denn fragen tun uns die Dinge, überall um uns herum sind die fragenden Dinge.
(S134) Dabei kommt noch das Folgende in Betracht: Nehmen wir an, wir stünden irgendeinem Vorgang oder Wesen der geistigen Welt gegenüber, wir treten eigentlich ihm gar nicht anders gegenüber, als daß es an uns eine Frage stellt. Nehmen wir an, es stellt die Frage. Wir stehen da mit unserer Weisheit.. Aber wir finden nicht die Möglichkeit, ein solches Wollen, fühlendes Wollen, wollendes Fühlen zu entwickeln, daß wir aus dieser Weisheit heraus die Antwort geben könnten, trotzdem wir wissen: die Antworten sind in uns. Unser Inneres ist von unendlicher Tiefe, alle Antworten sind in uns, aber wir finden nicht die Möglichkeit, wirklich die Antwort zu geben. Und die Folge davon ist, daß wir im Zeitenstrome vorbeisausen und die Möglichkeit, den rechten Zeitpunkt nämlich, versäumen, die Antwort zu geben, weil wir uns nicht die Fähigkeit erworben haben, vielleicht durch unsere vorangehende Entwickelung, die Reife zu haben, auf diese Frage schon in dem Zeitpunkt zu antworten. Wir haben uns in bezug auf das, was wir antworten sollten, zu langsam entwickelt: wir könnten erst später antworten. Aber die Gelegenheit kommt nicht wieder, wir haben sie versäumt. Wir haben nicht alle Gelegenheiten ausgenützt. So gehen wir vorbei an Dingen und Vorgängen, ohne ihnen Antwort zu geben. Solche Erlebnisse machen wir fortwährend in der geistigen Welt. Es kommt also vor, daß wir in dem Leben zwischen Tod und einer neuen Geburt vor einem Wesen stehen, das uns fragt. Wir haben es nicht dahin gebracht durch unsere Erdenleben und die dazwischenliegenden geistigen Leben, jetzt, wo es uns fragt, Antwort zu geben. Wir müssen vorbei, müssen in die nächste Inkarnation hinein. Die Folge davon ist, daß wir erst wiederum durch die guten Götter, ohne unser Bewußtsein, in der nächsten Erdenverkörperung die Impulse bekommen müssen, damit wir beim nächsten Male nicht wieder an derselben Frage vorbeigehen. So sind die Zusammenhänge.
Ich habe öfter erwähnt, daß, je weiter wir zurückgehen in der Menschheitsentwickelung, wir um so mehr gewahr werden, wie die Menschen die gegenwärtige Geistesverfassung nicht gehabt haben, sondern auf dem physischen Plan eine Art Hellsehen hatten. Aus einem dumpfen, traumhaften Hellsehen hat sich unser gegenwärtiges (S135) Anschauen der Dinge heraus entwickelt. Und je mehr wir Menschen finden, die noch auf primitiven Elementarstufen der Seelenentwickelung stehen, desto verwandter finden wir noch ihr Denken und Fühlen mit dem ursprünglichen Hellsehen. Obzwar wirkliches Hellsehen, ich meine primitives, atavistisches Hellsehen, immer seltener wird, so findet man doch, wenn man hinausgeht in elementare ländliche Zustände, immerhin Menschen, die sich etwas bewahrt haben aus früheren Zeiten, so daß man Anklänge an die Zeiten des früheren Hellsehens findet. Dieses Hellsehen zeigt uns, wenn auch eben in der dumpfen, traumhaften Form, weil es ja ein Schauen in die geistigen Welten hinein ist, Eigentümlichkeiten, die uns wieder entgegentreten beim entwickelten Hellsehen, nur daß es eben da nicht dumpf, traumhaft, sondern klar und deutlich uns entgegentritt. Geisteswissenschaft zeigt uns, daß der Mensch, wie er jetzt in dem gegenwärtigen Zeitenzyklus ist, wenn er durch das Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt geht, immerfort und immer mehr und mehr vor den fragenden Wesenheiten zur rechten Zeit Antwort geben muß. Denn davon, ob er Antwort geben kann, hängt seine richtige Fortentwickelung ab, seine Annäherung an das Ideal der Götter von dem vollkommenen Menschen. Wie gesagt, ins Traumhafte umgesetzt hatten das früher die Menschen, und es ist ein Überrest davon geblieben in zahlreichen märchenartigen, sagenartigen Motiven. Sie werden immer weniger im Volk. Aber diese märchenartigen, sagenartigen Motive, die erzählen uns dann etwa: Der oder jener begegnet einem geistigen Wesen, das stellt immer wieder und wieder Fragen an ihn, und er steht ihm gegenüber, muß antworten. Aber er hat das Bewußtsein: bis zu einem gewissen Glockenschlage oder sonst etwas muß er antworten. Dieses, was man das Fragemotiv der Märchen und Sagen nennen könnte, ist sehr verbreitet. Das ist in dem früheren traumhaften Hellsehen dasselbe gewesen, was nun wiederum in der geistigen Welt auftritt in der Form, wie ich es geschildert habe. Überhaupt kann dasjenige, was die geistige Welt charakterisiert, in allen Fällen ein wunderbarer Leitfaden sein, um Mythen, Sagen, Märchen und so weiter in der richtigen Weise zu verstehen und sie an ihren Ort hinzustellen, wohin sie gehören. Das ist gerade ein Punkt, wo man sieht, (S136) wie überall, auch in der Geisteskultur der Gegenwart, gewissermaßen die Entwickelung vor dem Tore der Geisteswissenschaft steht.
Ganz interessant ist es, daß ein in vieler Beziehung in der Absicht schönes Buch wie das meines verstorbenen Freundes Ludwig Laistner, <<Das Rätsel der Sphinx>>, deshalb ungenügend ist, weil, wenn es genügend hätte werden sollen, es die Motive dieses Fragens, die Ludwig Laistner besonders ausführlich behandelt, aus einem geisteswissenschaftlichen Wissen hätte behandeln müssen, weil also der Autor etwas hätte wissen müssen von dem Hineinspielen der geisteswissenschaftlichen Wahrheit in die Sache.
Wir sehen also, wenn wir uns gerade die charakterisierten aufgezählten Fälle vor Augen stellen, daß es auf etwas ganz Bestimmtes ankommt in dem Verhalten in der geistigen Welt. Erkenntnisse zu sammeln in der geistigen Welt, wie hier auf dem physischen Plane, darauf kommt es nicht an. Es kommt darauf an, sogar diese Erkenntnisse zu vermindern, nämlich die Erkenntniskraft umzuwandeln in Lebenskraft. Forscher kann man nicht sein in der geistigen Welt in dem Sinn, wie man es in der physischen Welt sein kann; das wäre dort sehr deplaciert. Denn wissen kann man dort alles, es ist alles um einen herum. Das, worauf es ankommt, ist, daß man den Willen und die Empfindung gegenüber dem Wissen, gegenüber der Erkenntnis entwickeln kann, so daß man im Einzelfalle aus dem ganzen Schatze seines Wollens das gerade herausbringt, wodurch man die Weisheit anwenden kann, sonst erstickt oder ertrinkt man in der Weisheit. Also während es hier in der physischen Welt auf das Denken ankommt, kommt es dort in der geistigen Welt an auf das entsprechende Ausbilden des Willens, des empfindenden Willens, des Willens, der zur kreativen Kraft wird, zu einer Art schöpferischen Kraft. Den Geist haben wir dort, wie wir hier die Natur haben; aber den Geist zur Natur zu führen, das ist unsere Aufgabe. Ein schöner Satz ist erhalten aus der theosophischen Literatur der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von Ötinger, der in Murrhardt in Württemberg gelebt hat, und der in seiner eigenen spirituellen Entwickelung so weit war, daß er ganz bewußt in gewissen Zeiten geistigen Wesenheiten, also Seelen, (S137) die nicht auf dem physischen Plane sind, hat Helfer sein können. Er hat den merkwürdigen Satz geprägt, der sehr schön und sehr richtig ist: Natur und Naturgestalt ist das Ende der geistigen Schöpferkraft. - Das, was ich jetzt aus der geistigen Welt selber herausentwickelt hab, liegt in diesem Satz. Es strebt in der geistigen Welt die Schöpferkraft dahin, das, was in Weisheit zunächst wallt und wogt, hinauf zur Realität zu bringen. Wie man hier aus der physischen Realität die Weisheit herausbringt, macht man das dort umgekehrt. Aus der Weisheit heraus hat man die Aufgabe, Realitäten zu schaffen, in Realitäten auszuleben das, was dort in Weisheit ist. Das Ende der Götterwege ist geformte Wirklichkeit.
So sehen wir also, es kommt auf willensdurchtränktes Fühlen an, auf von Gefühl durchtränkten Willen, die sich umwandeln in kreative Kraft, schöpferische Kraft, die wir dort in der geistigen Welt so anwenden müssen, wie wir uns hier auf der physischen Welt anstrengen müssen in unserem forschenden Denken, um in der physischen Welt zur Weisheit zu kommen.
Nun handelt es sich darum, daß wir für diese Möglichkeit in der geistigen Welt das Fühlen und Denken richtig entwickeln, daß wir uns dafür schon hier auf dem physischen Plane in einer Weise, wie es für den gegenwärtigen Zeitenzyklus richtig ist, vorbereiten. Denn alles das, was in der geistigen Welt geschieht zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, ist Folge desjenigen, was in der physischen Welt geschieht zwischen der Geburt und dem Tode. Zwar ist das, was in der geistigen Welt ist, wie wir gesehen haben, so anders, daß wir uns ganz neue Vorstellungen und Begriffe aneignen müssen, wenn wir die geistige Welt verstehen wollen. Aber dennoch: wie Ursache und Wirkung hängen die beiden gegenseitig zusammen. Nur dann verstehen wir die Zusammenhänge zwischen dem Geistigen und dem Physischen, wenn wir sie als Zusammenhänge von Ursache und Wirkung wirklich erkennen. Vorbereiten müssen wir uns in der physischen Welt. Deshalb möchte ich jetzt die Frage ein wenig betrachten: Wie bereiten wir uns im gegenwärtigen Zeitenzyklus in der richtigen Weise auf dem physischen Plane vor, so daß wir genügend innere Impulse haben in der geistigen Welt, sei es, daß wir durch Initiation, sei es, (S138) daß wir durch die Pforte des Todes hineinkommen, um wirklich die geistige Schlagkraft zu haben, aus der gegebenen Weisheit das herauszuholen, was wir brauchen, um Realitäten herauszuwandeln aus der strömenden, wogenden Weisheit? Woher kommt uns solche Kraft? Es kommt überall darauf an, daß wir solche Singe für unseren Zeitenzyklus beantworten. In den Zeiten, in denen die Menschen so dachten, daß die ersten ursprünglichsten Quellen der genannten Sagenmotive sich bildeten, da war es anders. Aber woher kommt uns solche Seelenkraft im gegenwärtigen Zeitenzyklus?
Wir sehen also, wenn wir uns gerade die charakterisierten aufgezählten Fälle vor Augen stellen, daß es auf etwas ganz Bestimmtes ankommt in dem Verhalten in der geistigen Welt. Erkenntnisse zu sammeln in der geistigen Welt, wie hier auf dem physischen Plane, darauf kommt es nicht an. Es kommt darauf an, sogar diese Erkenntnisse zu vermindern, nämlich die Erkenntniskraft umzuwandeln in Lebenskraft. Forscher kann man nicht sein in der geistigen Welt in dem Sinn, wie man es in der physischen Welt sein kann; das wäre dort sehr deplaciert. Denn wissen kann man dort alles, es ist alles um einen herum. Das, worauf es ankommt, ist, daß man den Willen und die Empfindung gegenüber dem Wissen, gegenüber der Erkenntnis entwickeln kann, so daß man im Einzelfalle aus dem ganzen Schatze seines Wollens das gerade herausbringt, wodurch man die Weisheit anwenden kann, sonst erstickt oder ertrinkt man in der Weisheit. Also während es hier in der physischen Welt auf das Denken ankommt, kommt es dort in der geistigen Welt an auf das entsprechende Ausbilden des Willens, des empfindenden Willens, des Willens, der zur kreativen Kraft wird, zu einer Art schöpferischen Kraft. Den Geist haben wir dort, wie wir hier die Natur haben; aber den Geist zur Natur zu führen, das ist unsere Aufgabe. Ein schöner Satz ist erhalten aus der theosophischen Literatur der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von Ötinger, der in Murrhardt in Württemberg gelebt hat, und der in seiner eigenen spirituellen Entwickelung so weit war, daß er ganz bewußt in gewissen Zeiten geistigen Wesenheiten, also Seelen, (S137) die nicht auf dem physischen Plane sind, hat Helfer sein können. Er hat den merkwürdigen Satz geprägt, der sehr schön und sehr richtig ist: Natur und Naturgestalt ist das Ende der geistigen Schöpferkraft. - Das, was ich jetzt aus der geistigen Welt selber herausentwickelt hab, liegt in diesem Satz. Es strebt in der geistigen Welt die Schöpferkraft dahin, das, was in Weisheit zunächst wallt und wogt, hinauf zur Realität zu bringen. Wie man hier aus der physischen Realität die Weisheit herausbringt, macht man das dort umgekehrt. Aus der Weisheit heraus hat man die Aufgabe, Realitäten zu schaffen, in Realitäten auszuleben das, was dort in Weisheit ist. Das Ende der Götterwege ist geformte Wirklichkeit.
So sehen wir also, es kommt auf willensdurchtränktes Fühlen an, auf von Gefühl durchtränkten Willen, die sich umwandeln in kreative Kraft, schöpferische Kraft, die wir dort in der geistigen Welt so anwenden müssen, wie wir uns hier auf der physischen Welt anstrengen müssen in unserem forschenden Denken, um in der physischen Welt zur Weisheit zu kommen.
Nun handelt es sich darum, daß wir für diese Möglichkeit in der geistigen Welt das Fühlen und Denken richtig entwickeln, daß wir uns dafür schon hier auf dem physischen Plane in einer Weise, wie es für den gegenwärtigen Zeitenzyklus richtig ist, vorbereiten. Denn alles das, was in der geistigen Welt geschieht zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, ist Folge desjenigen, was in der physischen Welt geschieht zwischen der Geburt und dem Tode. Zwar ist das, was in der geistigen Welt ist, wie wir gesehen haben, so anders, daß wir uns ganz neue Vorstellungen und Begriffe aneignen müssen, wenn wir die geistige Welt verstehen wollen. Aber dennoch: wie Ursache und Wirkung hängen die beiden gegenseitig zusammen. Nur dann verstehen wir die Zusammenhänge zwischen dem Geistigen und dem Physischen, wenn wir sie als Zusammenhänge von Ursache und Wirkung wirklich erkennen. Vorbereiten müssen wir uns in der physischen Welt. Deshalb möchte ich jetzt die Frage ein wenig betrachten: Wie bereiten wir uns im gegenwärtigen Zeitenzyklus in der richtigen Weise auf dem physischen Plane vor, so daß wir genügend innere Impulse haben in der geistigen Welt, sei es, daß wir durch Initiation, sei es, (S138) daß wir durch die Pforte des Todes hineinkommen, um wirklich die geistige Schlagkraft zu haben, aus der gegebenen Weisheit das herauszuholen, was wir brauchen, um Realitäten herauszuwandeln aus der strömenden, wogenden Weisheit? Woher kommt uns solche Kraft? Es kommt überall darauf an, daß wir solche Singe für unseren Zeitenzyklus beantworten. In den Zeiten, in denen die Menschen so dachten, daß die ersten ursprünglichsten Quellen der genannten Sagenmotive sich bildeten, da war es anders. Aber woher kommt uns solche Seelenkraft im gegenwärtigen Zeitenzyklus?
Um uns einer Antwort nähern zu können, möchte ich folgendes heranziehen. Man kann sich in verschiedenen Philosophien umsehen und kann bei den Philosophen suchen nach der Art, wie sie zu dem Gottesbegriffe kommen. Es müssen dann selbstverständlich solche Philosophen sein, die geistige Tiefe genug haben, um sich eben von der Welt überzeugen zu lassen, daß man von einem Göttlichen, das die Welt durchdringt, sprechen kann. Im 19. Jahrhundert braucht nur Lotze genommen werden, der in seiner Religionsphilosophie etwas zu schaffen suchte, was im Einklang steht mit seiner übrigen Philosophie. Aber es könnten auch andere Philosophen genommen werden, die eben wirklich tief genug waren, um sozusagen auch eine Religionsphilosophie zu haben. Eine Eigentümlichkeit wird man bei allen diesen Philosophen finden, eine ganz bestimmte Eigentümlichkeit. Ja, zu dem Göttlichen dringen diese Philosophen mit ihren Erwägungen aus dem physischen Plane denkend vor; sie denken nach, forschen auf philosophische Art, kommen darauf, wie es gerade bei Lotze der Fall ist, daß die Erscheinungen und Wesen der Wellt zusammengehalten werden von einem göttlichen Grund, der alles durchwebt und alles in eine gewisse Harmonie bringt. Wenn man aber näher auf solche Religionsphilosophien eingeht, so haben sie immer eine Eigentümlichkeit. Man kommt eben zu einem göttlichen Wesen, das alles durchtränkt und durchzieht, und wenn man dieses göttliche Wesen sich näher ansieht, diesen Gott der Philosophie, so kommt man darauf, daß es ungefähr der Gott ist, den die hebräische oder namentlich die christliche Religion den Vatergott nennt, Gottvater. Dazu kann die Philosophie kommen. Sie kann die Natur (S139) betrachten und tief genug sein, um nicht in hohlköpfiger materialistischer Weise alles Göttliche abzuleugnen, sie kann zu dem Göttlichen kommen, kommt aber dann zu dem Vatergott. Man kann ganz genau, wenn man die Philosophen verfolgt, zeigen, daß zu etwas anderem die bloße Philosophie als denkende Philosophie überhaupt nicht führen kann, als zu einem monotheistischen Vatergott. wenn bei einzelnen Philosophen, bei Hegel zum Beispiel und anderen, der Christus auftritt, so ist er nicht aus der Philosophie heraus - das läßt sich nachweisen -, er ist aus der positiven Religion herübergenommen. Die Leute haben gewußt, daß die positive Religion den Christus hat, dann konnten sie ihn besprechen. Der Unterschied ist der, daß man den Vatergott in der Philosophie finden kann; Christus kann man mit keiner Philosophie durch denkende Betrachtung finden. Das ist ganz unmöglich.
Das ist ein Satz, von dem ich Ihnen raten möchte, ihn wohl zu erwägen und viel darüber nachzudenken. Wenn man ihn richtig versteht, führt er in sehr bedeutsame Tiefen menschlichen Forschens und Seelenstrebens hinein. Aber er hängt allerdings zusammen mit etwas, was in der christlichen Religion sogar sehr schön symbolisch, bildhaft, zum Ausdruck gebracht ist: nämlich damit, daß man das Verhältnis dieses anderen Gottes, des Christus, zu dem Vatergott als das Verhältnis des Sohnes zum Vater auffaßt. Das ist sehr bedeutsam, obwohl es nur ein Symbol ist. Es ist interessant, daß damit zum Beispiel Lotze gar nichts anfangen kann. Daß man dieses Symbol nicht wörtlich nehmen kann, ist selbstverständlich, sagt Lotze, denn es kann nicht der eine Gott der Sohn des anderen Gottes sein, meint er. Nun, es ist aber doch etwas sehr Bezeichnendes in diesem Symbolum. Zwischen dem Vater und dem Sohn ist so etwas wie das Verhältnis von Ursache und Wirkung. Denn in gewisser Weise kann man im Vater die Ursache des Sohnes suchen. Der Sohn wäre nicht da, wenn der Vater nicht da wäre. Aber ein Eigentümliches muß man beachten: daß nämlich derjenige Mensch, der einen Sohn eventuell haben kann, durchaus auch die Möglichkeit hat, keinen zu haben, er kann sohnlos sein. Er würde derselbe Mensch sein. Die Ursache ist der Mensch A, die Wirkung ist der Mensch B, der Sohn. Aber die Wirkung (S140) braucht nicht einzutreten, die Wirkung ist eine freie Tat, die Wirkung folgt aus der Ursache als eine freie Tat. Deshalb muß man, wenn man eine Ursache studiert und sie mit ihrer Wirkung im Zusammenhang faßt, nicht bloß fragen nach dem Wesen der Ursache, denn damit hat man noch gar nichts getan, sondern danach muß man fragen, ob die Ursache auch wirklich verursacht, und darauf kommt es an. Nun hat alle Philosophie das Eigentümliche, daß sie am Gedankenfaden fortgeht, ein Glied aus dem anderen entwickelt, also gleichsam in dem Vorderen schon das Nachfolgende sucht. So haben sie recht als Philosophien. Aber man kommt dabei niemals auf dasjenige Verhältnis, welches sich ergibt, wenn man berücksichtigt, daß die Ursache gar nicht zu verursachen braucht. Die Ursache kann ihrem Wesen nach, in ihrem Wesen dasselbe sein, ob sie als Ursache etwas verursacht oder nicht. Das ändert nichts in dem Wesen der Ursache. Und dieses Bedeutungsvolle ist uns hingestellt in dem Symbolum von Gottvater und Gottsohn: daß der Christus hinzukommt als eine freie Schöpfung zu dem Vatergott, als eine Schöpfung, die nicht unmittelbar aus ihm folgt, sondern die sich als freie Tat neben die vorhergehende Schöpfung hinstellt; die auch die Möglichkeit hätte, nicht zu sein; die der Welt also nicht deshalb gegeben ist, weil der Vater den Sohn der Welt geben mußte, sondern der Sohn ist der Welt gegeben als eine freie Tat, durch Gnade, durch Freiheit, durch Liebe, die sich frei gibt in ihrer Schöpfung. Deshalb kann man niemals durch dieselbe Art von Wahrheit, durch die man zum Vatergott kommt wie die Philosophen, auch zum Sohnesgott, zu dem Christus kommen. Um zum Christus zu kommen, ist notwendig, daß man zu der philosophischen Wahrheit die Glaubenswahrheit hinzufügt, oder - weil die Zeit des Glaubens immer mehr und mehr abnimmt - die andere Wahrheit hinzunimmt, die durch hellseherische Forschung kommt, die sich als eine freie Tat ebenfalls erst in der menschlichen Seele entwickeln muß.
Daher muß man sagen: So wie man aus der Anordnung der Naturvorgänge beweist, daß es einen Gott überhaupt gibt, so kann man niemals äußerlich an der Kette von Ursachen und Wirkungen beweisen, daß es einen Christus gibt. Der Christus ist dagewesen und kann (S141) an den Menschenseelen vorbeigehen, wenn sie nicht aus sich selber heraus die Kraft empfinden, zu sagen: Ja, das ist der Christus. Es gehört ein aktives Sich-Aufraffen zum Wahrheitsimpuls dazu, um in dem, der da war als der Christus, den Christus zu erkennen. Zu den anderen Wahrheiten, die im Bereich des Vatergottes liegen, können wir gezwungen werden, wenn wir uns überhaupt nur in das Denken begeben und es konsequent anwenden, denn Materialist sein, heißt zu gleicher Zeit unlogisch sein. Religionsphilosophie im Sinne Lotzes, und wie überhaupt Religionsphilosophie sein kann, entsteht so, daß wir durch das Denken zu diesem Göttlichen der Religionsphilosophie gezwungen werden können. Niemals aber können wir in der gleichen Art durch bloße Philosophie dahin gebracht werden, den Christus anzuerkennen. Das muß unsere freie Tat sein. Da ist dann nur zweierlei möglich: entweder man zieht die letzte Konsequenz des Glaubens, oder man macht den Anfang mit der Erforschung der geistigen Welt mit Geisteswissenschaft. Die letzte Konsequenz des Glaubens zieht man, wenn man sagt, wie der russische Philosoph Solowjew: Ja, in bezug auf all die philosophischen Wahrheiten, die der Mensch über die Welt gewinnt, so daß er sich durch seine Logik zwingen läßt, steht der Mensch in keiner freien Wahrheit. Das ist eben gerade die höhere Wahrheit, die uns nicht zwingt, die unsere freie Tat ist: die höchste Glaubenswahrheit. Darin vollendet sich die höchste Würde für Solowjew, daß er sagt: Die höhere Wahrheit, die den Christus anerkennt, das ist die Wahrheit, die als freie Tat schafft, die sich nicht zwingen läßt. - Für den Geistesforscher und für den, der die Geisteswissenschaft versteht, entsteht wiederum das Wissen. Aber das ist ein aktives Wissen, das sich vom Denken zur Imagination, Inspiration, Intuition erhebt, das innerlich schöpferisch wird, das im Schaffen sich einlebt in die geistigen Welten und dadurch dem, was wir entwickeln müssen, ähnlich wird, sei es, daß wir durch Initiation oder durch den Tod in die geistige Welt hineinkommen.
Das ist ein Satz, von dem ich Ihnen raten möchte, ihn wohl zu erwägen und viel darüber nachzudenken. Wenn man ihn richtig versteht, führt er in sehr bedeutsame Tiefen menschlichen Forschens und Seelenstrebens hinein. Aber er hängt allerdings zusammen mit etwas, was in der christlichen Religion sogar sehr schön symbolisch, bildhaft, zum Ausdruck gebracht ist: nämlich damit, daß man das Verhältnis dieses anderen Gottes, des Christus, zu dem Vatergott als das Verhältnis des Sohnes zum Vater auffaßt. Das ist sehr bedeutsam, obwohl es nur ein Symbol ist. Es ist interessant, daß damit zum Beispiel Lotze gar nichts anfangen kann. Daß man dieses Symbol nicht wörtlich nehmen kann, ist selbstverständlich, sagt Lotze, denn es kann nicht der eine Gott der Sohn des anderen Gottes sein, meint er. Nun, es ist aber doch etwas sehr Bezeichnendes in diesem Symbolum. Zwischen dem Vater und dem Sohn ist so etwas wie das Verhältnis von Ursache und Wirkung. Denn in gewisser Weise kann man im Vater die Ursache des Sohnes suchen. Der Sohn wäre nicht da, wenn der Vater nicht da wäre. Aber ein Eigentümliches muß man beachten: daß nämlich derjenige Mensch, der einen Sohn eventuell haben kann, durchaus auch die Möglichkeit hat, keinen zu haben, er kann sohnlos sein. Er würde derselbe Mensch sein. Die Ursache ist der Mensch A, die Wirkung ist der Mensch B, der Sohn. Aber die Wirkung (S140) braucht nicht einzutreten, die Wirkung ist eine freie Tat, die Wirkung folgt aus der Ursache als eine freie Tat. Deshalb muß man, wenn man eine Ursache studiert und sie mit ihrer Wirkung im Zusammenhang faßt, nicht bloß fragen nach dem Wesen der Ursache, denn damit hat man noch gar nichts getan, sondern danach muß man fragen, ob die Ursache auch wirklich verursacht, und darauf kommt es an. Nun hat alle Philosophie das Eigentümliche, daß sie am Gedankenfaden fortgeht, ein Glied aus dem anderen entwickelt, also gleichsam in dem Vorderen schon das Nachfolgende sucht. So haben sie recht als Philosophien. Aber man kommt dabei niemals auf dasjenige Verhältnis, welches sich ergibt, wenn man berücksichtigt, daß die Ursache gar nicht zu verursachen braucht. Die Ursache kann ihrem Wesen nach, in ihrem Wesen dasselbe sein, ob sie als Ursache etwas verursacht oder nicht. Das ändert nichts in dem Wesen der Ursache. Und dieses Bedeutungsvolle ist uns hingestellt in dem Symbolum von Gottvater und Gottsohn: daß der Christus hinzukommt als eine freie Schöpfung zu dem Vatergott, als eine Schöpfung, die nicht unmittelbar aus ihm folgt, sondern die sich als freie Tat neben die vorhergehende Schöpfung hinstellt; die auch die Möglichkeit hätte, nicht zu sein; die der Welt also nicht deshalb gegeben ist, weil der Vater den Sohn der Welt geben mußte, sondern der Sohn ist der Welt gegeben als eine freie Tat, durch Gnade, durch Freiheit, durch Liebe, die sich frei gibt in ihrer Schöpfung. Deshalb kann man niemals durch dieselbe Art von Wahrheit, durch die man zum Vatergott kommt wie die Philosophen, auch zum Sohnesgott, zu dem Christus kommen. Um zum Christus zu kommen, ist notwendig, daß man zu der philosophischen Wahrheit die Glaubenswahrheit hinzufügt, oder - weil die Zeit des Glaubens immer mehr und mehr abnimmt - die andere Wahrheit hinzunimmt, die durch hellseherische Forschung kommt, die sich als eine freie Tat ebenfalls erst in der menschlichen Seele entwickeln muß.
Daher muß man sagen: So wie man aus der Anordnung der Naturvorgänge beweist, daß es einen Gott überhaupt gibt, so kann man niemals äußerlich an der Kette von Ursachen und Wirkungen beweisen, daß es einen Christus gibt. Der Christus ist dagewesen und kann (S141) an den Menschenseelen vorbeigehen, wenn sie nicht aus sich selber heraus die Kraft empfinden, zu sagen: Ja, das ist der Christus. Es gehört ein aktives Sich-Aufraffen zum Wahrheitsimpuls dazu, um in dem, der da war als der Christus, den Christus zu erkennen. Zu den anderen Wahrheiten, die im Bereich des Vatergottes liegen, können wir gezwungen werden, wenn wir uns überhaupt nur in das Denken begeben und es konsequent anwenden, denn Materialist sein, heißt zu gleicher Zeit unlogisch sein. Religionsphilosophie im Sinne Lotzes, und wie überhaupt Religionsphilosophie sein kann, entsteht so, daß wir durch das Denken zu diesem Göttlichen der Religionsphilosophie gezwungen werden können. Niemals aber können wir in der gleichen Art durch bloße Philosophie dahin gebracht werden, den Christus anzuerkennen. Das muß unsere freie Tat sein. Da ist dann nur zweierlei möglich: entweder man zieht die letzte Konsequenz des Glaubens, oder man macht den Anfang mit der Erforschung der geistigen Welt mit Geisteswissenschaft. Die letzte Konsequenz des Glaubens zieht man, wenn man sagt, wie der russische Philosoph Solowjew: Ja, in bezug auf all die philosophischen Wahrheiten, die der Mensch über die Welt gewinnt, so daß er sich durch seine Logik zwingen läßt, steht der Mensch in keiner freien Wahrheit. Das ist eben gerade die höhere Wahrheit, die uns nicht zwingt, die unsere freie Tat ist: die höchste Glaubenswahrheit. Darin vollendet sich die höchste Würde für Solowjew, daß er sagt: Die höhere Wahrheit, die den Christus anerkennt, das ist die Wahrheit, die als freie Tat schafft, die sich nicht zwingen läßt. - Für den Geistesforscher und für den, der die Geisteswissenschaft versteht, entsteht wiederum das Wissen. Aber das ist ein aktives Wissen, das sich vom Denken zur Imagination, Inspiration, Intuition erhebt, das innerlich schöpferisch wird, das im Schaffen sich einlebt in die geistigen Welten und dadurch dem, was wir entwickeln müssen, ähnlich wird, sei es, daß wir durch Initiation oder durch den Tod in die geistige Welt hineinkommen.
Die Weisheit, die sich uns auf Erden aufzwingt, die haben wir in der geistigen Welt in Hülle und Fülle, wie wir hier auf dem physischen Plane die Naturerscheinungen haben. Das, worauf es in der geistigen Welt ankommt, ist, daß wir den Impuls, die Kraft haben, aus dieser (S142) Weisheit heraus etwas zu machen, durch sie Realität zu schaffen. Freies Schaffen aus der Weisheit heraus, geistiges Wirken als Tat, das ist es, was in uns als Impuls leben muß. Das können wir nur haben, wenn wir das richtige Verhältnis zu dem Christus finden. Der Christus ist diejenige Wesenheit, die sich nicht durch die äußere Logik des Verstandes, der an das Gehirn gebunden ist, beweisen läßt, die sich aber erweist, die sich realisiert in uns, indem wir uns geistiges Wissen erwerben. So wie als freie Tat Geisteswissenschaft sich hinzugesellt zu der anderen Wissenschaft, so kommt hinzu das Wissen um den Christus, sobald wir uns derjenigen Welt nähern, in die wir durch die Geistesforschung hineinkommen, oder die wir betreten, indem wir durch die Pforte des Todes gehen. Im Augenblicke, wo wir im gegenwärtigen Zeitenzyklus in einer segensvollen Weise in die geistige Welt hineinkommen wollen, das heißt, wo wir der physischen Welt absterben wollen, brauchen wir ein solches Verhältnis zur Welt, wie wir es gewinnen, wenn wir uns in der richtigen Weise zum Christus verhalten. Einen Gott, der sozusagen ist wie der Vatergott der christlichen Religion, ihn können wir gewinnen durch die Betrachtung, die sich uns ergibt, indem wir im physischen Leibe leben. Den Christus recht zu verstehen ohne die Tradition, ohne die Überlieferung, rein aus der Erkenntnis selber heraus, ist nur möglich durch die Geisteswissenschaft. Sie führt in die Gebiete hinein, die der Mensch durch das Sterben betritt, sei es jenes Sterben, das ein symbolisches Sterben ist, das Herausgehen aus dem physischen Leibe, um in der Seele sich außerhalb des Leibes zu wissen, sei es das andere Sterben, durch die Pforte des Todes hindurch. Richtig statten wir uns aus mit den Impulsen, die wir brauchen, indem wir durch die Pforte des Todes gehen, wenn wir das rechte Verhältnis zum Christus finden. In dem Augenblick, wo es ans Verlassen des physischen Leibes geht, sei es, indem wir in die geisteswissenschaftliche Entwickelung eintreten, sei es, daß wir wirklich durch die Pforte des Todes gehen, in dem Augenblick, wo es ans Sterben, ans Verlassen des physischen Leibes geht, kommt es darauf an, daß wir im gegenwärtigen Zeitenzyklus in der rechten Art derjenigen Wesenheit gegenüberstehen, die in die Welt (S143) gekommen ist, damit wir das Verhältnis zu ihr finden. Den Vatergott können wir als Lebende finden. Den Christus finden wir, wenn wir das Hineingehen in den Geist, wenn wir das Sterben in der richtigen Weise verstehen. In Christus sterben wir.
In Christo morimur.
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