Anthroposophie        =           Dreigliederung

Impuls - Reaktion - Inkarnation   1919 - 1969 - 2019    Geschichte - Quellen - Material

Bilder und Texte zur Pflanzenmetamorphose

in der Beleuchtung durch Anthroposophie

Exkurs im Rahmen des 7. Kapitels

Die Pflanzenmetamorphose hat Rudolf Steiner als einen geeignetsten Inhalt für das Bemühen empfohlen, sich in meditative Anschauung einzuleben. Das Motiv dabei ist hier, zu zeigen, wie die Pflanzenbeobachtung übergehen kann von einer sinnlichen Betrachtung zur imaginativen Anschauung. Damit ist ein Weg von der physischen Welt in die ätherische Welt aufgezeigt.

 

 

1. Gerard Wagner: Pflanzenmetamorphose (mit Text),   2. Gerard Wagner: Wandlungen des Elementarischen im Jahreslauf (mit Text),   3. Karl-Heinz Flau: Die Pflanze im Jahreslauf,   4. Johann Wolfgang von Goethe: Pflanzenmetamorphose (Prosagedicht) 

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Gerard Wagner:

In den hier vorliegenden acht Bildern ist versucht worden, ein Motiv, das in einer gewissen Farbfolge besteht, auf eine einfache Art sich umgestalten zu lassen. Es ist zu betonen, daß der Ausgangspunkt hierbei nicht in der Natur genommen ist, sondern allein in der Farbe. Wer Interesse hat, zu verfolgen, wie hier Farbe und Form zusammenhängen, der mag in dem folgenden Versuch einer Betrachtungsweise eine Anregung finden.


Bild 1:

 

In ein aufrechtes Format ist versucht worden, ein reines Gelb als erste Farbe so einzumessen, daß ein schwebendes Gleichgewicht entsteht. Man findet diese gelbe Fläche, von anderen Farben überdeckt, im oberen Teil des Bildes, als Mitte der Blüte. Das im unteren Teil des Bildes auftretende Gelb kommt hierbei noch nicht in Betracht.

Bild 2:

Dem reinen Gelb des ersten Bildes ist ein wenig Violett beigemischt. Es bekommt dadurch ein klein wenig Schwere, welche bewirkt, daß es sich in der Ausdehnung etwas zusammenzieht.

Bild 2-8:

Stufenweise wird dem Gelb, der ersten Farbe, mehr und mehr Violett beigegeben, so daß es allmählich braun wird und sich immer stärker zusammenzieht, bis zu einer ganz kleinen Fläche, die etwa erbsengroß in der oberen Mitte des Bildes zu finden ist. Ein Absterbeprozeß im Bereiche des Gelb hat sich vollzogen. Dadurch ist in jedem Bild eine etwas geänderte Voraussetzung für die folgenden Farben geschaffen. Diese sind nun in ihrer Reihenfolge durch alle acht Bilder gleich.

 Man möge also versuchen, indem man Farbe für Farbe durchgeht, in einem vergleichenden Beobachten zu bemerken, welche Verwandlungen diese Farben in bezug auf Anordnung und Form durchmachen, wenn sie unter dem Einfluß des absterbenden Gelb danach streben, zu diesem ein Gleichgewichtsverhältnis herzustellen.


 Besonders deutlich zeigt uns diese Veränderung das Blau und in seiner Folge das Grün. Wir finden es im ersten Bild stark innen konzentriert. Die Form ist flächig, nach oben gerichtet und ruhig in sich geschlossen.


 Schon im zweiten Bild sehen wir, wie das Blau-Grün in der Mitte etwas schmaler wird. Gleichzeitig öffnet sich das Blattartige, ebenfalls ein wenig spitzer und schmaler werdend, nach außen.


 Im dritten Bild hat die Richtung des Grünen die Waagerechte erreicht. Die spitze, geschlossene Form spaltet sich auf und wendet sich stufenweise, immer tiefer gefurcht, in den folgenden Bildern nach unten (Bild 4 und 5). Dagegen zieht es sich in der Längsachse immer stärker zu einem Stengelartigen zusammen.

 

 Wir sehen also, wie sich das Grün-Blau im Zurückweichen vor dem absterbenden, braun werdenden Gelb, zugleich mit einem Verengen nach innen, in immer feinerer Gliederung nach außen wendet (Bild 4-8). Dabei wird ein immer stärkeres Wachstum nach unten ins Wurzelhafte sichtbar. Die anfängliche Richtung Innen-Oben hat sich umgekehrt in ein peripheres Außen-Unten.


 Hat man so die Umgestaltungen des Blau-Grün verfolgt, so kann man bei weiterem Interesse einen ähnlichen Versuch mit dem Rot und dem Gelb unternehmen. Durch öfteres Vollziehen und Nacherleben solcher Verwandlungen mag man erahnen, wie die Farbe zum Mittel werden kann, verborgene Gesetzmäßigkeiten der Natur sichtbar zu machen.

 

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Gerard Wagner

"Wandlungen des Elementarischen im Jahreslauf"

Eine künstlerisch-wissenschaftliche Studie (Text nach den Bildern s.u.)

Dia-Show und Bilder 


Wandlung des Elementarischen im Jahreslauf

Eine künstlerisch-wissenschaftliche Studie

 

 

Einführung von E.U.Schuberth und G.Wagner

 

Herausgegeben von der Sektion für Bildende Künste und der Naturwissenschaftlichen Sektion am Goetheanum - Philosophisch-Anthroposophischer Verlag Goetheanum Dornach/Schweiz 1974


Zur Einführung:

  Das Pflanzenwachstum ist durch den Jahreslauf hindurch von den verschiedenartigsten Wirkungen der Wärme, des Lichtes, der Luft, der Feuchtigkeit und Bodenbeschaffenheit umgeben und durchdrungen. Das Lagern des Samens unter einer Schneedecke im Winter oder die Blüte inmitten einer Sommerwiese zeigen die extremen Bedingungen, unter denen sich ein und dieselbe Pflanze im Wandel der Formen offenbaren kann.


 Wer die Reihe dieser (folgenden) 16 Bilder von Gerard Wagner vergleichend betrachtet, wird schon an den sich ändernden vorherrschenden Farbstimmungen etwas erleben können, das mit dem Erleben der Jahreszeiten korrespondiert. Von einem kühlen, frischen Blau geht die farbige Grundstimmung durch das Violett, Rot, Gelb und Grün wieder zurück in das Blau. Dieser einfache Gang durch den Farbkreis ist selbst schon eine Übung, die manche Empfindung gegenüber dem Jahreslauf sich deutlicher konturieren lässt.


 Bei einem tieferen Einleben in das Dargestellte sollte folgendes berücksichtigt werden: So überraschend es zunächst sein mag, trotz der deutlich ausgearbeiteten Motive liegt das Wesentliche für den Betrachter nicht in einer begrifflichen Deutung des Gesehenen. So naturnah etwa die Formen der <<Pflanze>> sind und so naturbezogen das Ganze gemeint ist, die wirkliche Beziehung liegt nicht auf der vorstellungsmässig-begrifflichen Ebene. Um sie zu finden, ist es geradezu notwendig, Farbe losgelöst von einer Dingvorstellung erleben zu können. Wer in den Übergängen von einem Bild zum anderen, im Zusammenziehen und Dehnen des Grün, in den Formverwandlungen der übrigen Farben eine innere Gesetzmässigkeit empfinden kann, wird in den Augenblicken bemerken, wie er Farbe begriffs- und vorstellungsfrei in sich wirksam werden lässt. Auf die Übung dieser Fähigkeit kommt zunächst alles an.


   Nun würde diese Fähigkeit durch sich zu keiner Formgestaltung führen. Dies ist wohl der Grund, warum Maler wie Klee und Kandinsky Farbe von den Dingvorstellungen lösten, aber weiterhin Farbe und Form als selbständige Elemente der Malerei ansahen. Es tritt aber im künstlerischen Schaffensprozess ein menschliches Ich in das Erleben ein. Dieses könnte durch das begriffsfreie <<Einsaugen>> der Sinnesqualitäten in dumpfen Erlebnissen fortgespült werden. Die Furcht vor diesem Sich-selbst-Verlieren hält uns gewöhnlich davor zurück, die Sinnesqualitäten in solch starker Weise in uns wirksam werden zu lassen. Wir bilden Dingvorstellungen (eine Pflanze usw.) und treten damit aus dem eigentlichen Farberleben heraus. Soll der Mensch innerhalb dieses Erlebens ein Selbstbewußtsein entwickeln, muss er durch ein In-Beziehung-Setzen der verschiedenartigen Farbwirksamkeiten Form schaffen, wobei das Formschaffen in Beziehung zur eigenen Wesenheit geschieht. Dieses Formschaffen gibt innerhalb des malerisch-künstlerischen Tuns die Ich-Erhärtung, die sonst im üblichen Dingbewusstsein die Vorstellungsbildung und damit das Erkennen der un umgebenden physischen Welt gibt. Indem wir in gesundem Zustand die äußeren Dinge im Raum als solche erkennen, setzen wir uns zugleich in eine räumliche Beziehung zu ihnen. Die Tätigkeit unseres Gleichgewichtssinnes hängt mit der Gewinnung des Ichbewusstseins inmitten der physischen Raumeswelt eng zusammen.


 Wird im Umgang mit der Farbe das äußere dreidimensionale Räumlichkeitsbewußtsein ausgelöscht, so ist die Entwicklung eines Ichbewusstseins in dieser neuen Erfahrungswelt auch durch ein Gleichgewichtsstreben zu gewinnen, das sich nun aber nicht nur auf die Einordnung des physischen Leibes in die Raumeswelt abstützt, sondern sich auch in Beziehung zu den Kräfteverhältnissen verschiedener Farbqualitäten setzt, die innerhalb des eigenen Lebensgefüges ihre Wirksamkeiten entfalten. Die Forderung Gleichgewicht zu bilden, ist für die Entfaltung einer Ich-Tätigkeit besonders charakteristisch. Natürlich ist hier Gleichgewicht nicht als platte Ruhe eines eben lagernden Steins zu verstehen, sondern vergleichbar dem physikalisch unwahrscheinlichsten Zustand des aufrechten menschlichen Leibes - ein Gleichgewicht, das in jedem Augenblick in höchster Aktivität neu erzeugt werden muss. Das Empfinden eines Gleichgewichtes zahlreicher gegeneinander oder miteinander wirkender Einflüsse kann auch eines der ersten Erlebnisse beim Betrachten der Bilder sein.


 Wissenschaftliche Erkenntnis entsteht, wenn es gelingt, die Erfahrungswelt mit dem zu durchdringen, was innerlich - oft in Auseinandersetzung mit der Erfahrungswelt - als Begriffszusammenhang entwickelt wurde. In den exakten Naturwissenschaften wurde deshalb dann die höchste Erkenntnisbefriedigung empfunden, wenn das Äußere mit dem innerlichst Gebildeten, der Mathematik durchdrungen werden konnte. Mathematik hat aber ihre wesentlichsten Erlebnisgrundlagen in dem Einordnen des physischen Leibes in die Raumesverhältnisse.


 Was hier in seinen Anfängen geleistet wird, ist nichts Geringeres als der Versuch, etwas in gleichem Masse völlig überschaubar und innerlich Errungenes wie die Fähigkeit zu Mathematisieren zu gewinnen, das seine Abstützung aber eben wesentlich in Qualitätserfahrungen hat. Nun zeigt die Erfahrung, dass dieser Weg, so wie die Mathematik zu dem klaren und überschaubaren Ergreifen des quantitativen Aspektes der äußeren Welt geführt hat, zu einem inneren Durchdringen der Lebensvorgänge führt. Es sind dieselben Lebensprozesse, die die Pflanzenform bilden und diejenigen, die der Maler auf diesem Wege in sich erschafft. Es wird also nicht an der Natur eine Form kopiert (woran meist derjenige hängen bleibt, der glaubt, durch begriffliche Interpretationen das Wesentliche eines Bildes zu treffen), sondern es wird innerlich etwas gebildet, womit das äußerlich in der Natur Erscheinende aus seinen gestaltenden Kräften heraus ergriffen werden kann. Dabei tritt Wesenhaftes in Erscheinung, das gar nicht in der äußeren Sinnesanschauung zu finden ist.


 Indem das Ich sich in dem lebendigen Weben der Farben finden und behaupten lernt, wird ein Erkenntnisbereich erschlossen, der so eine Bewusstseinserweiterung bedeutet, wie sie die mathematisch beschreibende Naturwissenschaft gegenüber dem bloßen Anschauen der Dinge brachte. Künstlerische Tätigkeit wird zugleich Erkennen. Das mag den Untertitel rechtfertigen.


 In der Gegenwart unterzieht sich eine ständig und rasch wachsende Zahl von Menschen einer Schulung, die in die Begriffsformen der formalen Logik einführt. Die zunehmende Anwendung von Rechenanlagen macht dies notwendig. Der nicht forschend tätige Benutzer wird dabei in ein Regelsystem eingeführt, dessen Zustandekommen er meist wenig durchschaut und in dem er eine mehr oder weniger hohe kombinatorische Geschicklichkeit entwickeln kann. Der Einfluss auf die allgemeinen Denkgewohnheiten wird vielleicht oft nicht hoch genug eingeschätzt.


 Was hier gesucht wird, möchte man als einen notwendigen Ausgleich sehen, der so weit ins Lebendige über das gewöhnliche Denken hineinführt, wie das formalisierte Denken darunter führen muss. Beide Wege gehören zur geistigen Signatur unserer Zeit.


 Wenn hier von Anfängen und Versuchen gesprochen wurde, so muss doch auch erwähnt werden, dass es sich um Früchte eines lebenslangen Ringens handelt und dass speziell diesen Blättern eine bald zwanzig Jahre währende intensive Arbeit am Rätsel der das Pflanzenleben durchdringenden Lebensprozesse wie Keimen, Reifen usw. vorangeht. Hunderte von Arbeiten beschäftigten sich mit den verschiedensten Einflüssen auf die Pflanzen (und auch Tier- und Menschen-) Gestalt.


 Das Gewonnene einmal für die Praxis (Ackerbau, Pflanzenzucht) so auszuwerten, wie die mathematische Beschreibung eines Kräftezusammenhanges in der Technik furchtbar ausgenützt werden kann, muss der Zukunft vorbehalten bleiben.

                                                                                       Ernst U. Schuberth


 

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  Farbe ist eine Sprache, die keiner weiteren Erklärung bedarf. Wer sich in sie einlebt, lebt sich ein sowohl in die objektive Welt der menschlichen Empfindungen, wie auch in die Kräfte, die die Natur durchziehen. Als Schlüssel zum Inneren des Menschen wie zum Inneren der Natur bietet sie eine Forschungsmöglichkeit, in welcher künftige Wissenschaftler und Künstler sich begegnen können.


 Durch eine Reihe von Jahren wurde ein Ferienmalkurs für die Lehrer einer Waldorfschule (Engelberg) gegeben. Der Wunsch einer Lehrerin, sich im folgenden Jahr mit Pflanzenmalen zu befassen, führte in der Zwischenzeit zu einer intensiven Beschäftigung mit der Frage, wie bei der Pflanze Form und Farbe zusammenhängen und wie die letztere die erst verursachen kann.


  Inwiefern die Farbe des <<Bodens>> und die der >>Umgebung>> auch noch die Form der Pflanze entscheidend mitbestimmen, kam als weiteres Problem hinzu. Auch die Verwandlungen der Blütenformen durch allmähliche Änderung der Blütenfarben und wieder deren Einfluss auf die Blattgestaltung wurde zum Anlass von immer neu gestellten Fragen und Farben-Versuchsreihen.


 Was die Einzelheiten zusammenfasste, gab der Versuch, die <<Urpflanze>> - so wie Rudolf Steiner sie gemalt hat - in ihrem künstlerischen Aufbau zu begreifen und, so gut dies zunächst geschehen konnte, selbständig zu gestalten, um dann ihren Weg in die Einzelpflanzenformen zu verfolgen. Es galt, immer neue Voraussetzungen prüfbarer, vergleichbarer Übungsreihen zu finden.


 Das langsame und konsequente Verändern oder auch Verdichten der einen oder anderen Farbe, das Verändern der Farbhintergründe, das Durchtragen der <<Urpflanze durch alle möglichen Farbstimmungen hindurch>>, das Verhältnis der <<Bodenfarbe>> zum Grün - alles immer als Farbproblem erlebt -, war der Weg. Das Interesse an der Einsicht, die sich aus diesen Arbeiten ergab: dass man es bei der Farbe wahrhaft mit Naturkräften zu tun hat, war der treibende Impuls.


 Eine mehrmals wiederkehrende Aufgabenstellung lautete: Wie kann aus einem Halm eine Ähre sich entwickeln? (als Farbproblem) und welches sind die hauptsächlichsten Einflüsse in der Pflanze (das Grün), unter der Pflanze (im Boden), und um die Pflanze (der Farbenhintergrund), die zum Reifen führen? Diese Entwicklung durch alle Stadien eines Jahres durchzuführen, besonders einbeziehend das wesenhaft Elementarische, ergaben Reihen, von denen die vorliegende eine ist.


 Zu ihrem Verständnis mag noch auf folgendes aufmerksam gemacht werden. Ein kühles Blaugrün wird in die Einflussbereiche allmählich sich ändernder Farbuntergründe gesetzt (Blau... Violett... Kühlrot; Warmrot... Gelb... Grün), welche an den die Bilder umgebenden schmalen Farbrändern noch sichtbar sind. Das heißt: ein Grün, das pflanzlich erlebt wird, kommt unter den Einfluss dieser verschiedenen Farben und ändert dadurch seine Gestalt. Wie in der Natur die Form der Pflanze weitgehend durch das Einwirken der verschiedenen Ätherarten bestimmt wird (Chemischer Äther, Lebensäther, Lichtäther, Wärmeäther), so hier die Form des Grün durch die entsprechenden Farbengrundierungen. Die übrigen Farben, die in allen Bildern in der gleichen Farbenreihenfolge erscheinen, machen die Formveränderungen des Grün auf ihre Weise mit.


 Wichtiger als der äußere Bildeindruck wird sein, sich des Erlebens der durchgehenden Verwandlung bewusst zu werden. Durch dieses öffnet sich ein Verständnis für die lebendige Natur auch da, wo man sie nicht sieht.

                                                                                  Gerard Wagner

Ergänzende Literatur:   Koch, Elisabeth und Gerard Wagner, Beiträge zur methodischen Schulung des Farberlebens, Heft I-IV, Sonderdruck aus "Der Staedtler-Brief", Nürnberg 1970-74   Schuberth, Ernst U., Farbe und Form. Das Goetheanum 45.Jhg.Nr.20v.15.5.1966    Steiner, Rudolf, Grenzen der Naturerkenntnis. Vorträge v.27.9. bis 3.10.1920 GA322    Steiner, Rudolf, Mass, Zahl und Gewicht. Vortrag v.29.7.1923, in "Das Wesen der Farbe" GA291 (zum Schaffen von Quantität aus Qualitativem)    Steiner, Rudolf, Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung GA2 (zum Verhältnis von Erfahrung und Begriff)    Wagner, Gerard, Pflanzenmetamorphose, Dornach 1968 (im Vorhergehenden auf dieser Web-Seite)  Wagner, Gerard, Tiermetamorphose, Dornach 1972

Wagner, Gerard, Dornröschen. Stuttgart 1972

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Die Metamorphose der Pflanzen

 

Johann Wolfgang von Goethe

 

Dich verwirret, Geliebte, die tausendfältige Mischung dieses Blumengewühl über dem Garten umher; viele Namen hörest du an, immer verdränget mit barbarischem Klang einer den andern im Chor. Alle Gestalten sind ähnlich, und keine gleichet der andern; und so deutet das Chor auf ein geheimes Gesetz, auf ein heiliges Rätsel. O könnt ich dir, liebliche Freundin, überliefern sogleich glücklich das lösende Wort! -

 

 Werdend betrachte sie nun, wie nach und nach sich die Pflanze, stufenweise geführt, bildet zu Blüten und Frucht. Aus dem Samen entwickelt sie sich, sobald ihn der Erde stille befruchtender Schoß hold in das Leben entläßt und dem Reize des Lichts, des heiligen, ewig bewegten, gleich den zärtesten Bau keimender Blätter empfiehlt. Einfach schlief in dem Samen die Kraft; ein beginnendes Vorbild lag, verschlossen in sich, unter die Hülle gebeugt. Blatt und Wurzel und Keim, nur halb geformet und farblos; trocken erhält so der Kern ruhiges Leben bewahrt, quillet strebend empor, sich milder Feuchte vertrauend, und erhebt sich sogleich aus der umgebenden Nacht. Aber einfach bleibt die Gestalt der ersten Erscheinung, und so bezeichnet sich auch unter den Pflanzen das Kind. Gleich darauf ein folgender Trieb, sich erhebend, erneuet, Knoten auf Knoten getürmt, immer das erste Gebild. Zwar nicht immer das gleiche; denn mannigfaltig erzeugt sich, ausgebildet, du siehst's, immer das folgende Blatt, ausgedehnter, gekerbter, getrennter in Spitzen und Teile, die verwachsen vorher ruhten im untern Organ.


 Und so erreicht es zuerst die höchst bestimmte Vollendung, die bei manchem Geschlecht dich zum Erstaunen bewegt. Viel gerippt und gezackt, auf mastig strotzender Fläche, scheinet die Fülle des Triebs frei und unendlich zu sein. Doch hält hier die Natur, mit mächtigen Händen, die Bildung an, lind lenket sie sanft in das Vollkommnere hin. Mäßiger leitet sie nun den Saft, verengt die Gefäße, und gleich zeigt die Gestalt zärtere Wirkungen an. Stille zieht sich der Trieb der strebenden Ränder zurücke, und die Rippe des Stiels bildet sich völliger aus. Blattlos aber und schnell erhebt sich der zärtere Stengel, und ein Wundergebild zieht den Betrachtenden an.


 Rings im Kreise stellet sich nun, gezählet und ohne Zahl, das kleinere Blatt neben dem ähnlichen hin. Um die Achse gedrängt entscheidet der bergende Kelch sich, der zur höchsten Gestalt farbige Kronen entläßt. 


 Also prangt die Natur in hoher, voller Erscheinung, und sie zeiget, gereiht, Glieder an Glieder gestuft. Immer staunst du aufs neue, sobald sich am Stengel die Blume über dem schlanken Gerüst wechselnder Blätter bewegt.


 Aber die Herrlichkeit wird des neuen Schaffens Verkündung. Ja, das farbige Blatt fühlet die göttliche Hand, und zusammen zieht es sich schnell; die zärtesten Formen, zwiefach streben sie vor, sich zu vereinen bestimmt. Traulich stehen sie nun, die holden Paare, beisammen, zahlreich ordnen sie sich um den geweihten Altar. Hymen schwebet herbei, und herrliche Düfte, gewaltig, strömen süßen Geruch, alles belebend, umher. Nun vereinzelt schwellen sogleich unzählige Keime, hold in den Mutterschoß schwellender Früchte gehüllt.


Und hier schließt die Natur den Ring der ewigen Kräfte; doch ein neuer sogleich fasset den vorigen an, daß die Kette sich fort durch alle Zeiten verlänge, und das Ganze belebt, so wie das Einzelne, sei.


 Nun, Geliebte, wende den Blick zum bunten Gewimmel, das verwirrend nicht mehr sich vor dem Geiste bewegt. Jede Pflanze verkündet dir nun die ew'gen Gesetze, jede Blume, sie spricht lauter und lauter mit dir. Aber entzifferst du hier der Göttin heilige Lettern, überall siehst du sie dann, auch in verändertem Zug.


 

 

 Kriechend zaudre die Raupe, der Schmetterling eile geschäftig,

 

bildsam ändre der Mensch selbst die bestimmte Gestalt.


 O, gedenke denn auch, wie aus dem Keim der Bekanntschaft nach und nach in uns holde Gewohnheit entsproß, Freundschaft sich mit Macht in unserm Innern enthüllte, und wie Amor zuletzt Blüten und Früchte gezeugt. Denke, wie mannigfach bald diese, bald jene Gestalten, still entfaltend, Natur unsern Gefühlen gelieh'n!


 Freue dich auch des heutigen Tags! Die heilige Liebe strebt zu der höchsten Frucht gleicher Gesinnungen auf, gleicher Ansicht der Dinge, damit in harmonischem Anschau'n sich verbinde das Paar, finde die höhere Welt. 

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Karl-Heinz Flau: Die Pflanze im Jahreslauf

12 Bilder

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