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"Die Ausgießung des Heiligen Geistes"
Hella Krause-Zimmer, Bildbesprechung in "Offenbare Geheimnisse der christlichen Jahresfeste" Verlag Freies Geistesleben
(S448, aus einem Evangeliar, Mainz, um 1250)
Pfingsten - das Fest der Individualität und Gemeinschaft
Pfingsten ist der Ausdruck zweier paradoxer Entwicklungstendenzen. Die eine ist der Prozeß der Zersplitterung der Menschheit durch eine immer höher gesteigerte Individualisierung und die andere die Bildung eines die ganze Menschheit umfassenden Bruderbundes. Beides, sagt Rudolf Steiner, muß sich gleichzeitig entwickeln - und beides ist die die eigentliche Mission des Christentums.
In alter Zeit war es das Blut, das Gemeinschaften begründete, als Familie, Stamm oder Volk. Ein höheres Ich, ein Gruppen-Ich überschwebte diese Gemeinschaften. Aber auf diese Weise konnte die Entwicklung den Menschen nicht zur Individualität führen, zum Bewußtsein seines Einzel-Ich, seines eigenen ewigen Wesenskerns und zur Freiheit. Das aber wollte die Christus-Mission. So mußte die alte Art der Gruppenbildung zerschlagen, zersplittert werden. Deshalb stehen in der Bibel die so hart wirkenden Worte Christi, daß niemand ein Jünger sein könne, der nicht Vater, Mutter und Kinder verläßt oder seine Mutter und seine Brüder ablehnt mit den Worten, Mutter und Brüder seien ihm diejenigen, <<die den Willen des Vaters tun>>. <<Das ist der neue Geist, der gegenüber dem Blut in die Menschheit kommen soll. In demselben Maße wie die Blutsverwandtschaft stirbt, wird die inidividuelle Selbständigkeit wachsen.>>
(Zitiert aus Rudolf Steiners Vorträgen vom 17.+25.März + 1. April 1907 in "Das christliche Mysterium" GA97).
In die Zeit der auf Blutsbande gegründeten Gemeinschaften gehörte auch die Mysterienkultur. Die Eingeweihten, die Priester, holten in den Einweihungen die göttliche Weisheit herab, sie gaben dem sozialen Leben die Richtung und die Gesetze, denn sie allen konnten zur ewigen Weisheit und Wahrheit gelangen. An ihrer Spitze stand der höchste Eingeweihte, der durch diesen pyramidalen Aufbau seine Weisheit herabfließen ließ. Er war die höchste Autorität. So war alles auf Autorität gebaut, und der einzelne konnte nicht frei werden.
Um zur Einweihung fähig zu sein, war ebenfalls die besondere Beachtung des Blutes nötig. <<Es kam darauf an, daß das Blut die richtige Mischung hatte. Deshalb wurde ein so großer Wert darauf gelegt, daß die Priestergeneration sich nicht mit anderen vermische. Durch Jahrhunderte hindurch wurde es vorbereitet, daß immer einer der richtigen Nachkommen da war, der einmal in dieser Weise ein richtiger Eingeweihter werden konnte.>>
Wenn sich die ganze Menschheit zu einem großen Bruderbunde vereinen soll, muß das Blut in den bisherigen engen Grenzen seine Bedeutung verlieren. <<Nicht mehr kann vom Blute das abhängen, was auf das Ich wirkt, was in dem Ich pulsiert, wenn die ganze Menschheit zum Bruderbund reif geworden ist.>> In das Blut hat sich die Ich-Sucht, der Egoismus, eingelebt. Das selbstsüchtige Blut, das verhindert, daß die Menschheit sich zum universellen Ich erweitert, von ihm befreite Christus die Erde durch sein Opferblut auf Golgatha. <<Betrachten Sie diejenige Menge Blut, die aus Christi Wunden geflossen ist, als die Menge, die fließen mußte, damit das Blut die Tendenz verliert, enge Gemeinschaften zu begründen und damit die Möglichkeit gewinnt, den Bruderbund über die ganze Erde zu verbreiten.>
Das Prinzip des Christentums ist, daß jede Individualität zur Sphäre der Wahrheit und Weisheit, zum Heiligen Geist, Zugang hat; dadurch aber auch Verantwortung für die Belange der ganzen Menschheit trägt und sich nicht mehr auf Autoritäten abstützen kann. Die Weisheit wird verbinden, was die Individualisierung zersplittert; denn die höhere Weisheit, die Sphäre des Heiligen Geistes, ist einheitlich. Auch von der höchsten Wahrheit gibt es nicht mehrere, sie ist einheitlich.
Im Pfingstwunder kommt zum Ausdruck, daß die Apostel ihren Bund zum Menschheitsbund ausweiten, indem sie in einer Sprache reden, die von allen verstanden wird. Bei einerseits der höchsten Ausgestaltung der Individualität, vereint andrerseits der Geist der Wahrheit alle Menschen; das ist die Zukunftsvision, die im Pfingstfest aufscheint.
Sehr schön kann man das ausgedrückt finden in einer Buchmalerei aus der Mitte des 13. Jahrhunderts. Die Apostel sind um Maria versammelt. Dezidiert und deutlich trägt jeder seine eigene Flamme. Zersplittert, individuell geworden, ist der göttliche Geist, der oben als einheitliche Sonne die goldfarbene Zone, die Sphäre der Weisheit speist. Aber diese Sphäre umfaßt und vereint mit schöner Gebärde die Vereinzelten. Individualismus und aus dem Geistigen gestifteter Bruderbund gehören zusammen. Das ist das Geheimnis des Pfingstfestes.
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Friedrich Benesch, der persönliche Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus gemacht hat, wies in einem später als Schrift erschienenen Vortrag auf ein Geheimnis des Pfingstfestes hin (Pfingsten heute - 1976): Die Festigung des apostolischen Bruderbundes an Pfingsten durch die Erscheinung der "Geistesflammen" sei von den Nationalsozialisten für ihre geistig irreführenden Ziele instrumentalisiert worden. Gerade die "begeisterten" Dreigliederungsaktivisten und "68er" hat er auf dieses Problem des falsch verstandenen Pfingstfestes mahnend
hingewiesen: Bevor die Individualität nicht zu einer hinreichenden Reife gediehen sei, bekommt ein geistiger Brüderbund faschistische Züge. www.christengemeinschaft.org/07_2benesch.html: Friedrich Benesch 1907-1991 hat in der Christengemeinschaft eine bedeutende Rolle gespielt – als langjähriger Leiter des Stuttgarter Priesterseminars und als weltweit gesuchter Vortragsredner. Bevor er 1947 zum Priester geweiht wurde, hat er sich als evangelischer Pastor in Siebenbürgen als begeisterter Nationalsozialist betätigt.
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"Heut - heut - heut ist des Königs Hohe Zeit. Bist du hierzu geboren, von Gott zur Freud erkoren, Sollst auf den Gipfel gehn, darauf 3 Tempel stehn, und selbst das Wunder sehn. Halt Wacht! ...Darunter stand: Sponsus et Sponsa (Bräutigam und Braut).
Mit den >drei Tempeln< ist auf jene drei Altäre gewiesen, die in Goethes Märchen von der grünen Schlange vorkommen, an denen der goldene, der silberne + der eherne König stehen als Repräsentanten des kosmischen Denkens (Weisheit), Fühlens (Kunst und Religion) und Wollens (soziale Impulse). Im Sinne der rosenkreuzerischen Gedanken, die zum Teil in das Freimaurertum eingeflossen sind, soll der Mensch das Schaffen der Natur fortsetzen. Zu den drei vorhandenen natürlichen Reichen des Mineralischen, Pflanzlichen und Tierischen fügt er durch Umwandlung seiner niederen Kräfte die Weisheit, den schönen Schein und die Staatenbildungen hinzu. In der Französischen Revolution traten diese Ideen als Ideale von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit für das moderne Leben auf.
Vergleiche hierzu die Idee der >Dreigliederung des sozialen Organismus< von Rudolf Steiner, welche auf den gleichen Impulsen und Einsichten beruht. (Aus: Fred Poeppig - Die Chymische Hochzeit)
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Der Arabische Frühling hat sich als Scheinblüte erwiesen, an der nicht der Nektar der Freiheit, sondern Öl und Blut klebt. Das Tauziehen zwischen Ost und West fordert mehr Opfer als die Tyrannei der alten Despoten. Wenn zwei sich streiten ... - Wer ist der bislang ungenannte Dritte ??? Nur aus der Anthroposophie heraus stellt sich die Frage nach den realen Vorgängen und Triebkräften. Hätte Peter Scholl-Latour die Anthroposophie gekannt, hätte er seine fundamentalen Einsichten in dem Buch "Der Fluch der bösen Tat" noch tiefer gründen können.
Wenn einmal die seit 100 Jahren existenten Friedensideen greifen, wird man sich über das sozialtertiäre Zeitalter der Wende zum Dritten Jahrtausend wundern, wo Drachen ihr Unwesen trieben und katastrophale Eruptionen alles in Schutt und Asche legten. >...So kann in den gegenwärtigen Ereignissen bereits der Klang des Posaunenzeitalters in allen seinen Erschütterungen erlebt werden, so wie der >Brunnen des Abgrunds< sich schon heute aufgetan hat...< (Poeppig Kap. Die Apokalypse vom mystischen Aspekt). Reagiert Europa jetzt so wie Amerika nach 9/11? Wollen wir auch eine riesige digitale Behörde, damit es nicht nach Armee aussieht? Oder ein Terrormanagement* der Geheimdienste gegen den Islam? *so Christoph Hoerstel, der ehemalige Afghanistan-Korrespondent der ARD. Wiederholt sich jetzt mit Syrien, was nach 9/11 seinen Anfang im Irak genommen hat? Im Tagesspiegel Berlin 18.11.21 fordert der schätzenswerte Gerd Appenzeller im Leitartikel: "alles in unserer Macht Stehende tun, daß die Kräfte des Dunkeln unterliegen werden" Warum hat niemand die Traute zu sagen, welche Geister hier im Spiel sind? Sind wirklich alle ahnungslos? In welchem Geiste agieren die weltpolitischen Größen? Was bedeutet das: Konsens über den Dissens? Soll das Frieden schaffen?,
Da Freiheit, das Prinzip der Kultur, mißverständlicherweise das Prinzip der Industrie geworden ist, werden nicht mehr Friedensideen produziert, sondern Waffen. Gerade Amerika dürfte allmählich die innenpolitische Diskrepanz erleben, wenn diese Freiheit es jedem möglich macht, vorschnell zur Waffe zu greifen. Und außenpolitisch? Kampf aller gegen alle ist die Zukunft und das Ende unserer Epoche! Freiheit ist dabei das höchste geistige Gut - aber nicht auf dem äußeren Kampffeld! Wir erleben die globale Geburt des kosmopolitischen Menschen! (s.a. "Flüchtlingsschicksal - Menschheitsschicksal" Joachim von Königslow in 'Das Goetheanum' 12/2015).
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Im Zusammenhang der Freiheitsentwicklung ist das Grundeinkommen ein unabdingbarer Bestandteil der Menschenrechte. Das Recht auf Leben bekommt dadurch erst Substanz. Muß man unsere Theoretiker wirklich erst darauf hinweisen, daß dieses Recht auf Leben ohne generelles Einkommen keine Substanz hat und der Mensch sich laufend erniedrigt sieht in seinem Gang von Pontius zu Pilatus - von Amt zu Amt - von einem Selbstgerechten zum andern? Heranwachsende Menschen in einer Zeit der Erweiterung des Betroffenheitshorizontes auf das Menschheitliche - über enge Grenzen von Zeit und Raum bzw. Blut und Boden hinaus - werden mit einem Grundeinkommen in die Freiheit gesetzt, die der moderne Mensch für seine geistige Entwicklung sucht und braucht. Oder er nimmt sie unbesonnen einfach in Anspruch, wenn er vor den Zwängen der materiellen Existenz nicht einknicken will und dann auf die Verlockungen unserer "freien Welt" oder schillernder sektiererischer Gruppen eingeht mit ihren Drogen materieller, sozialer oder geistiger Art, die in jeglicher Couleur von rosa über braun bis hin zu lila dem hoffnungsvollen Neuling die Befreiung aus den Zwängen zu versprechen scheinen. In gesellschaftlicher Hinsicht gibt es jetzt einen Hoffnungsschimmer: Finnland will sozialstaatliche Mittel effizienter einsetzen, als die Mittel für Transferleistungen wie Kindergeld, Rente, Wohngeld und Sozialhilfe undundundund in teuren bürokratischen Verfahren zu verdünnen und im Apparat versickern sehen zu müssen - ein vielversprechendes Experiment: ein fixer Betrag zur Grundsicherung für jeden, unabhängig vom Alter und Einkommen! (Das Goetheanum 27/15). In der Schweiz ist eine Volksabstimmung über das Grundeinkommen auf den Weg gebracht. - Man wird sehen!
"Am Grunde der Moldau da wandern die Steine, Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine"...
(Bertold Brecht)
Im Folgenden eine Buchbesprechung, von Barbara Biermann in facebook gepostet. Wie die innere Entwicklung des Menschen mit der organischen Gestaltung des Sozialen Organismus zusammenhängt, das wird auch bebildert von Goethe in seinem Märchen von der Lilie und der schönen Schlange. Rudolf Steiners Kommentar "Goethes Geistesart" erschließt dieses Rätselmärchen auf überraschende Weise A18d Goethes 'Märchen'.
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Dietrich Spitta "Der soziale Organismus als Mysterium"
Spirituelle Grundlagen des menschlichen Lebens
Unser soziales Leben hängt mit unserer geistigen Weiterentwicklung unmittelbar zusammen - so der ausführlich erläuterte Ansatz dieses Buches. Ein sozialer Organismus hat immer auch eine spirituelle Dimension und muß sich vom Wesen des Menschen und seinen Fähigkeiten her bestimmen. Mit dieser Darstellung trägt der Anthroposoph Dietrich Spitta zu einer wesentlichen Vertiefung sozialer Ideen bei.
Rudolf Steiner hat in seinen gesellschaftspolitischen Schriften, Vorträgen und Initiativen den Begriff des sozialen Organismus geprägt und die Notwendigkeit einer Dreigliederung dieses Organismus dargestellt. In den meisten Büchern und Aufsätzen, die sich seither mit dieser Thematik auseinandersetzen, werden vor allem Fragen nach der äußeren Gestaltung der kulturellen, staatlichen oder wirtschaftlichen Einrichtungen behandelt, kaum jedoch wird auf die spirituelle Seite des sozialen Organismus eingegangen. Dabei hat Rudolf Steiner es vor allem als notwendig angesehen, daß die Menschen durch eine Erneuerung und Spiritualisierung des geistigen Lebens zu einem fruchtbaren sozialen Wirken kommen.
Dietrich Spitta zeigt daher, daß der soziale Organismus nur unzureichend zu verstehen ist, wenn nicht auch sein Zusammenhang mit der geistigen Welt berücksichtigt wird. Wie dieser Zusammenhang gefunden werden kann und wie wir daher zu einer Erkenntnis des menschlichen Wesens kommen können, wird ausführlich dargelegt. Durch die spirituelle Entwicklung des Menschen kann sich schließlich auch ein soziales Denken, Fühlen und Wollen entfalten. Die gesunde Entwicklung eines sozialen Organismus hängt also entscheidend davon ab, daß ein geistiges Streben und eine Entwicklung des Menschen stattfindet.
Dabei hat Rudolf Steiner es vor allem als notwendig angesehen, daß die Menschen durch eine Erneuerung und Spiritualisierung des geistigen Lebens zu einem fruchtbaren sozialen Wirken kommen. Dietrich Spitta zeigt daher, daß der soziale Organismus nur unzureichend zu verstehen ist, wenn nicht auch sein Zusammenhang mit der geistigen Welt berücksichtigt wird. Wie dieser Zusammenhang gefunden werden kann und wie wir daher zu einer Erkenntnis des menschlichen Wesens kommen können, wird ausführlich dargelegt. Durch die spirituelle Entwicklung des Menschen kann sich schließlich auch ein soziales Denken, Fühlen und Wollen entfalten. Die gesunde Entwicklung eines sozialen Organismus hängt also entscheidend davon ab, daß ein geistiges Streben und eine Entwicklung des Menschen stattfindet.
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Soziale Dreigliederung
... "die Zeit wird kommen, da die von der Anthroposophie errungenen Begriffe bis in ihre Wortbezeichnungen hinein ebenso Gemeingut der wissenschaftlichen Welt sein werden wie diejenigen der Kernphysik oder der Psychoanalyse" ...
Hans Erhard Lauer, Begründer der anthroposophischen Geschichtsphilosophie, 1899-1979, in 'Die Volksseelen Europas' S9
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Rudolf Steiner hat die im sozialen Leben wirkenden Gesetze erforscht, das:
1. Soziale Urphänomen
2. Soziale Hauptgesetz
3. Soziologische Grundgesetz
und das Gesetz von Angebot und Nachfrage im Geistesleben
4. Umgekehrte Biogenetische Grundgesetz
5. Jüngerwerden der Menschheit
6. die Metamorphose
7. die Dreigliederung des Sozialen Organismus
Wer Naturgesetze ignoriert, darf sich nicht wundern, wenn ein Brückenbau nicht standhält. Dieses Beispiel hat Steiner auf das geistige Feld übertragen. Auch die Tragfähigkeit sozialer Gestaltungen hängt davon ab, wie ernst sozialwissenschaftliche Forschungsresultate genommen werden, das ist hier eine Sache der Freiheit und Moral. Wie dabei mit Gesetzmäßigkeiten umgegangen wird, ist ein Gradmesser dafür, wie weit Verantwortungsbewußtsein gediehen ist (1c Entwicklungsgesetze). Wie praktisch angewandte Wissenschaft aussieht, steht auf einem anderen Blatt als auf dem der Forschung. Diese Diskrepanz motivierte die gleichermaßen idealistische wie realistische Generation der Achtundsechziger, deren konkrete Utopie heute als ein museales Unikum betrachtet wird. Sie wird aber immer das Werkzeug sozial handelnder Menschen bleiben und besagt nichts anderes, als daß in lebendiger Praxis möglich ist, was steifen Theoretikern nur unerhörte Zukunftsmusik ist. Goethe nennt dieses Werkzeug die Antizipation, Steiner die moralische Phantasie. Wenn noch die moralische Technik zugezogen wird, dann können Fundis und Realos aller Couleur konstruktiv zusammenarbeiten, geistesgeschichtlich geht es um die Kooperation der Platoniker und Aristoteliker (1.0 Anmerkungen). Die einen wollen mit Regelwerken der Gesetzgebung Probleme lösen, die anderen verlassen sich auf ihre Geistesgegenwart oder auf systemimmanente Regulierungsmechanismen.
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1. Das von Rudolf Steiner so genannte Soziale Urphänomen wurde von dem anthroposophisch-sozialwissenschaftlichen Pionier Dieter Brüll den Sozialgesetzen gleichgestellt. Es wirkt im sozialen Leben zwischen Menschen: Wenn ein Mensch spricht, schläfert er die Gedankentätigkeit des Zuhörenden ein. Im besten Fall ist dieser interessiert und stellt freiwillig seinen Bewußtseinsraum dem anderen zur Verfügung, was in einer selbstlos opfernden Geste gipfeln kann. Diese soziale Haltung lädt allerdings auch ein, den Usurpierten vollzudröhnen, der davon aber auch fasziniert sein kann oder sogar dankbar, wenn er in einer sozialen Notlage seine Vereinsamung mit der scheinbaren Zuwendung überwunden fühlt. Seine Gedankenkraft ist in beiden Fällen im Auffassen des Gehörten gebunden, sie macht sich aber früher oder später in ihrer individuellen Eigenart geltend und wehrt sich damit gegen die gedankliche Dominanz des Anderen, der sein Agieren auch an anonyme Apparate delegieren oder institutionalisieren kann. Die Unterhaltungsindustrie mutiert ihre Klienten letztlich zu passiven Zuschauern, deren eigene Produktivität abgelähmt und paralysiert wird. Wird das soziale Urphänomen bewußt und damit aus Freiheit vollzogen, kann es bis zu einem sozialen Sakrament gesteigert werden mit allen Stufen einer Weihehandlung: Läuterung, Opferung, Wandlung und Kommunion (1.1 Anmerkungen ). Das Einschläfern des Andern und das folgende Aufwachen machen das soziale Urphänomen aus, eine Klärung und Differenzierung erhalten dabei auch die Begriffe Sozial, Antisozial und Asozial. Rudolf Steiner hat dieses Urphänomen beschrieben, aber nicht in eine Formel gebracht (1.2aAnmerkungen ), das Phänomen pendelt zwischen aktiven Mars- und empfangenden Venusqualitäten, zielführenden Qualitäten des Saturn und rückblickend-spiegelnden des Mondes, formgebenden Eigenschaften des Jupiter gegenüber den quecksilbrig-beweglichen des Merkur. Die Sonne umfasst und gleicht die Polaritäten der drei Oppositionspaare aus, im Sozialen bewirkt die Besonnenheit sozial begabter oder geschulter Menschen Ausgleich und Befriedung, wenn Menschen in Opposition oder anderen Konstellationen sich zu nahe treten oder auseinanderdriften (1.2b Anmerkungen ). Das Ganze macht den seelischen Aspekt des sozialen Lebens aus in seinem Auf und Ab, Hin und Her in lebendiger bis dramatischer oder auch stockender Weise, wenn gar nichts mehr geht. Das bei dem Urphänomen stattfindende Aufwachen am Seelisch-Geistigen des Andern bezeichnet Rudolf Steiner als Anzustrebendes in der anthroposophischen Gesellschaft. In ihm wird die förderliche Wirkung dieses Urphänomens deutlich. Die 12 unterschiedlichen denkerischen Haltungen, gemeinhin Weltanschauungen genannt, machen das eigentlich Geistige aus und können aus den menschenkundlichen Entsprechungen zu den Gestirnen verstanden werden (1.3 Anmerkungen ). Die Planeten bezeichnen die sozialen Qualitäten, die sich im Reigen der Tierkreiskräfte manifestieren:
Man kann die Planeteneigenschaften mit Prof. Bernhard Lievegoed vom NPI (Niederländisch Pädagogisches Institut: 'Soziale Gestaltungen in der Heilpädagogik) auch in Gegensatzpaaren auffassen, wobei die Sonne als übergeordnete Qualität die Hauptrolle auch in sozialen Prozessen spielt:
Mond (spiegelnd) - Saturn (zielstrebig)
Merkur (beweglich) - Jupiter (formgebend)
Mars (gebend) - Venus (empfangend)
Die Sonne ist die umfassende Kraft, ordnend und ausgleichend, sie umfaßt als Kreis das Hexagramm.
Die Planeten Neptun, Uranus und Pluto sind hier nicht berücksichtigt.
2. Das "Soziale Hauptgesetz" hat Rudolf Steiner auf eine Formel gebracht und nennt es das Gesetz des Sozialismus als dem wirtschaftlichen Glied der Gesellschaft. "...Dieses Hauptgesetz gilt für das soziale Leben mit einer solchen Ausschließlichkeit und Notwendigkeit wie nur irgendein Naturgesetz in bezug auf irgendein Gebiet von Naturwirkungen gilt..." (1.4a Anmerkungen) : "Das Heil einer Gesamtheit von zusammenarbeitenden Menschen ist umso größer, je weniger der einzelne die Erträgnisse seiner Leistungen für sich beansprucht, das heißt, je mehr er von diesen Erträgnissen an seine Mitarbeiter abgibt und je mehr seine eigenen Bedürfnisse nicht aus seinen Leistungen, sondern aus den Leistungen der anderen befriedigt werden". Es wird das als Voraussetzung einer prosperierenden Wirtschaft genannt, das der falsch verstandene Liberalismus korrumpiert. Dieser betrachtet als eigene Leistung und münzt in eigensüchtiges Handeln um, was in Wirklichkeit aber immer schon in Kooperation geschieht. "...Die Geisteswissenschaft zeigt, daß alles menschliche Elend lediglich eine Folge des Egoismus ist, und daß in einer Menschengemeinschaft ganz notwendig zu irgendeiner Zeit Elend, Armut und Not sich einstellen müssen, wenn diese Gemeinschaft in irgendeiner Art auf dem Egoismus beruht..." (1.4a Anmerkungen). Um den "Gerechten Preis" hat sich schon Thomas von Aquin auf der Grundlage von Aristoteles Gedanken gemacht. Eine Arbeit oder Dienstleistung müssen so entlohnt werden, daß in Zukunft eine ähnliche Arbeit oder Dienstleistung erbracht werden kann. Da aber auch jeder andere Lebensverhältnisse hat, kann ein Lohn immer nur ganz individuell bemessen werden. Dabei spielt die Zukunft eine Rolle wie das in der Vergangenheit Erbrachte. Der "Gerechte Preis" ist nach Rudolf Steiner eine Formel, die so erschöpfend ist wie der Pythagoräische Lehrsatz für alle rechtwinkligen Dreiecke. "Das Verständnis, wie man in diese Formel den ganzen volkswirtschaftlichen Prozeß hineinbringt, das ist eben Volkswirtschaftswissenschaft" (Anm.1.4b Anmerkungen I+II). Der 'Nationalökonomische Kurs' (GA340) kann in Ausführung dieses Grundgedankens aufgefaßt werden.
Daraus folgt: Einkommen müssen abgekoppelt sein von dem Einsatz der Arbeitskraft. Liberalismus und Sozialismus haben ihren jeweils eigenen gesellschaftlichen Boden und dürfen nicht in eins geworfen sein. Die liberale Reaktion auf eine Entfilzung verhält sich wie ein umgekehrter Kurzschluß: ein Grundeinkommen trennt die gegensätzlichen Pole voneinander, die liberalen Sicherungen knallen aber erst bei dieser Entkoppelung durch - bis dahin haben sie den Kurzschluß zugelassen und den falschen Finanzfluß ungeprüft zugelassen. Man beruft sich heute noch auf Adam Smith und dessen ominöse ordnende Hand von vor 250 Jahren. als es die Regulierungsprobleme einer umfassenden Globalisierung noch gar nicht gab. Wirtschaften ist heute entgrenzt, man müsste eher sagen entfesselt. Im Zentrum steht die Frage nach dem gerechten Preis einer Ware oder Leistung, wobei deutlich wird, daß Arbeit keine Ware ist, die in ihrem Wert pauschal bemessen und bezahlt werden kann (1.4c Anmerkungen). Die Forderung oder Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns verdeckt die eigentliche Fragestellung. Bezüglich eines erwirtschafteten Mehrwerts ergibt sich die Einsicht, daß dieser immer eine volkswirtschaftliche Leistung und nicht einem Einzelnen zu verdanken ist. D.h. bei wirtschaftlicher Wertebildung sind alle Glieder der Gesellschaft beteiligt: Forschung und Lehre ebenso wie der sie finanzierende Staat und damit die wirtschaftenden und steuerzahlenden Bürger und Unternehmer. In unserer Zeit der Globalisierung taucht der Gedanke auf, daß es nur ein Unternehmen bzw. Produktionsstätte gibt, wo wir alle arbeiten: die Erde. Der liberale Kapitalist, aber auch der Genosse Planerfüller schöpft bei der Wertebildung den Überschuß bzw. Mehrwert für sich ab, ein betriebswirtschaftlicher Überschuß eignet aber der Volkswirtschaft als Ganzer und heute ist er mehr oder weniger ein Ergebnis der Weltwirtschaft (1.4d Anmerkungen I+II). Dem Unternehmer bzw. dem Genossen Planerfüller eignet unbestritten der Unternehmergeist und er muß entsprechend honoriert werden, aber die Grundlagen der Volkswirtschaft können nicht seiner Leistung zugeschrieben werden und daher auch nicht sein Eigen sein. Diese Grundlagen bestehen in den kulturellen und rechtlichen Errungenschaften, sowie den technischen Anlagen und Grund und Boden mit seinen Schätzen. Die moderne Industriegesellschaft verfilzt Kultur, Recht und Wirtschaft im Einheitsstaat, der der gesunden, organischen und gerechten Grundlagen je länger desto mehr entbehrt. Das Beispiel Zypern lehrt, welche Perversionen entstehen, wenn die Handhabung von Kapital der sozialen Verpflichtung entzogen ist und die Krisenverursacher nicht zur Verantwortung gezogen werden. Zypern ist aber auch ein Beispiel dafür, daß die Menschen sich das nicht weiter gefallen lassen. Deutlich wurde auch, daß die EU sich erst dann gegen Bankenrettungen verwahrt, wenn russisches Kapital mit im Spiel ist. Für den Stifter des alternativen Nobelpreises, Jakob von Uexküll, hat der liberalistische Umgang mit Kapital den seelischen Impetus einer Charakterschwäche (1.4e Anmerkungen). Auf diese Schwäche ist die moderne Zivilisation gebaut, sie führt jetzt schon zu einem Kampf aller gegen alle als Folge des Outsourcens ungeliebter Tätigkeiten und daraus folgender Abschottung der Wohlhabenden. Ein Kabarettist hat es treffend so geschildert: Die Reichen zahlen nix und die Armen zahlen, wenn diese scheitern. Am Ende der neuzeitlichen Entwicklung könnte ein Mensch stehen, dem die ganze Erde gehört. Die erwähnte Charakterschwäche eingerechnet sind menschliche Qualitäten bei ihm allerdings fraglich. Von welchem Geist er besessen sein muß, ist auch ein Gegenstand der weiteren Betrachtungen. Die Individualität ist und bleibt aber die Grundlage des Liberalismus. Wie und wo ihr die Wege geebnet werden zu einer konstruktiven Entfaltung, ist Gegenstand des folgenden Gesetzes.
3. "Alle bisherige Entwicklung führte zum Ich hin, alle künftige geht vom Ich aus", schreibt Christoph Strawe in Sozialimpulse Nr.1/13.5. Das Soziologische Grundgesetz hat Rudolf Steiner als Gesetz des Individualismus bezeichnet (1.5 Anmerkungen I+II): "Die Menschheit strebt im Anfange der Kulturzustände nach Entstehung sozialer Verbände; dem Interesse dieser Verbände wird zunächst das Interesse des Individuums geopfert; die weitere Entwicklung führt zur Befreiung des Individuums von dem Interesse der Verbände und zur freien Entfaltung der Bedürfnisse und Kräfte des Einzelnen" (1.6 Anmerkungen + 3cd Vorgeschichte Abschnitt 2). Damit ist die Stellung des Individuums in allen Bereichen der modernen Gesellschaft gemeint, in Kultur, Wirtschaft und Staat. Der moderne Mensch möchte autonom, ohne Bevormundung agieren, unfreie Gestaltungen werden zunehmend erkannt und abgeschafft, oder es wird aus solchen kränkenden Gestaltungen innerlich oder äußerlich ausgestiegen, was Hemmungen in der Entwicklung auf beiden Seiten mit sich bringt (1.7 Anmerkungen). Als ein Meßinstrument der Geschichtswissenschaft bezeichnet Rudolf Steiner: "...Das Barometer des Fortschritts in der Entwicklung der Menschheit ist nämlich in der Tat die Auffassung, die man von der Freiheit hat, und die praktische Realisierung dieser Auffassung..." und noch konkreter formuliert: "...Aller Fortschritt der Wissenschaft hängt an der Lehr- und Lernfreiheit..." (1.8a Anmerkungen I+II) Für den Bereich, in dem Freiheit konstituierend sein kann und soll, wird damit auf die Kultur verwiesen. In der modernen Entwicklung gabelt sich der Weg, aber nicht nach rechts oder links, sondern nach oben oder unten. Die soziale Pyramide wird immer flacher, in den USA gibt es 99% Vermögenslose (Unfreie) gegenüber 1%Vermögende (Freie). Geometrisch ist das vorstellbar, aber sozial? Steht wirklich am Schluß der Entwicklung der einzige Großkapitalist, dem die ganze Erde gehört? Deutlich wird, daß von 1% der Bevölkerung 99% des gesellschaftlichen Kapitals gebunden, man müsste eher sagen cäsarenhaft geknebelt wird. Und diese modernen Cäsaren sitzen heute in der Kapitalwirtschaft. Kapital - eine volkswirtschaftliche Gesamtleistung, die aus der Anwendung von Intelligenz auf den Arbeitsprozeß resultiert (1.8b Anmerkungen I+II), wird zum Hemmschuh der Prosperität. Je weniger vertikale Mobilität dabei in der sozialen Hierarchie möglich ist, desto mehr wird sie horizontal im Arbeitsleben abverlangt. Aber es sollte nicht übersehen werden, daß dem geistigen Wachstum der ausgebeuteten mikrosozialen Zelle, dem Individuum, trotzdem keine Grenzen gesetzt sind. Gerechtigkeitsempfinden und in der Folge soziale Urteilsfähigkeit schärft sich sogar eher an einem Leben in wie auch immer geknechteten Verhältnissen, das war früher die Situation des Proletariats und ist heute die des Prekariats. Man kann dabei auch an Nelson Mandela denken, der 26 Jahre lang allerdings offensichtlicher geknechtet war als als irgendein Prekarier. Damit ist die makrosoziale Ebene, die gerechte Verhältnisse garantieren soll, angesprochen. Die Teilhabe am kulturellen Leben der Gesellschaft ist das Anliegen der Individualität und wird schon unvermerkt mit einer Bewußtseinserweiterung vollzogen, wenn es auch zunächst nur die Bewußtwerdung einer mißlichen Lage zu sein scheint (1.8c Anmerkungen). Wer in jungen Jahren schon nichts als seine Haut zu Markte tragen kann, wacht früher auf als manche Bürgerkinder. Und auf dem Arbeitsmarkt, der mesosozialen Ebene liegt vieles im argen. In der digitalisierten Arbeitswelt sind gigantische Internethändler entstanden und Leiharbeit ist schon der Standart. Dabei stehen die historisch gewachsenen Sozialstandarts Mitteleuropas durch die Leiharbeitsfirmen auf dem Spiel. Diese boomenden Unternehmen nennen sich selbst die Turbos der Wirtschaft. Das Prinzip des Turbomotor ist, daß heiße Abgase zur Vergasereinspeisung wiederverwendet werden und so die Leistung optimiert wird. In der betriebswirtschaftlichen Anwendung dieses Prinzips wird das Arbeitsklima überhitzt. Es fehlen die Steuerungselemente der Rechtsstandarts in der globalisierten Wirtschaft und so werden Arbeitskräfte und auch die Schätze unserer Erde regelrecht ausgebrannt. Ist die Arbeitskraft dann ausgebrannt und verfeuert (burnout), dann wird sie gefeuert. Die schnelle Verfügbarbeit von Waren zieht die schnelle Verfügbarkeit und hemmungslose Ausbeutung billiger Arbeitskräfte aus EU-Ländern nach sich - das sollte man bedenken, wenn man bequem im Internet einkauft (1.8d Anmerkungen). Die Politik ist gegen diese Global Player machtlos: "...Helmut Kohl war der letzte Kanzler, der in der Machtfülle seiner letzten Amtsjahre noch verdrängen konnte, daß seit 1989 eine entgrenzte, globalisierte Ökonomie der nationalen Politik den Rahmen vorgibt und ihr Gestaltungskraft nimmt. Gerhard Schröder war der erste Kanzler der eingeschränkten Möglichkeiten, nicht anders geht es Angela Merkel..." (1.8e Anmerkungen). Hier kommt natürlich nicht nur das Soziologische Grundgesetz in Betracht, vielmehr die Gliederungserfordernisse in einer globalisierten Welt, dies wird unten zur Sprache kommen, wo die "Dreigliederung" als soziales Strukturgesetz aufgeführt wird. Diese Tendenzen (1.8f) werden sich mit der projektierten Freihandelszone zwischen Europa und den USA noch verstärken: sie macht nicht Halt vor dem Handel mit der Arbeitskraft, solange diese sich noch wie eine Ware behandeln läßt. Daher wird zu recht angeprangert: "Leiharbeit ist die Sklavenarbeit des 21.Jahrhunderts" (1.8g Anmerkungen). Man könnte auch von der multiplen Arbeitskraft sprechen: Man nehme 1 Menschen, zerteile diesen und verkaufe die so gewonnenen Arbeitskräfte in die verschiedenen kontinentalen Teile. Das Unmenschliche ist, daß bei dieser Zerstückelung jeder immer als ganzer Mensch mitgehen muß!
Von einem ehernen Gesetz hat Rudolf Steiner gesprochen, das in der geistigen Entwicklung der Menschheit wirkt wie in der Wirtschaft Angebot und Nachfrage: Das Vorhandensein von Erkenntnis und Würdigung der Persönlichkeiten, die eine Tauglichkeit für bestimmte Berufe mitbringen. Gibt es z.B. "...im Journalismus nur eine Nachfrage nach Schwätzern, dann werden auch nur Schwätzer angeboten. Nur die Nachfrage nach allseitig gebildeten, gewissenhaften Schriftstellern wird auch solche in dieses Berufsleben stellen...Wir können nichts weiter tun, als die in einem Menschen gelegenen Anlagen zur Ausbildung zu bringen. Und wir müssen Bedingungen schaffen, daß diejenigen Menschen, die für eine bestimmte Lebenssphäre besonders geeignet sind, sich auch in diese stellen können. Eine Berufsklasse wird dann am besten versorgt sein, wenn die natürlichen Verhältnisse geeignet sind, diejenigen Menschen in sie zu führen, die ihrem Wesen gemäß am besten für sie taugen." (1.8h Anmerkungen I+II) Man halte fest: das freie Spiel von Angebot und Nachfrage wirkt im Geistesleben gesetzmäßig. Wird dieses Gesetz auf das Wirtschaften übertragen, wie es seit Adam Smith gebräuchlich ist, dann werden auch geistige und manuelle Arbeit, Grund- und Anlagevermögen und damit Rechte käuflich, d.h. als Ware behandelt (1.8i Anmerkungen). Zudem wird die Grundtendenz der genossenschaftlichen Abstimmung zwischen Herstellern und Verbrauchern verfremdet: der Liberalismus emanzipiert zwar den Hersteller vom Verbraucher, aber er ist auch in der Lage, den Verbraucher über Werbung und Monopole zu manipulieren. All dies führt dazu, daß das soziologische Grundgesetz verzerrt wird. Die in neuerer Zeit globalisierten Industrie- und Internetriesen unterwerfen das nationale Geschehen einschließlich des Rechtsverständnisses und der Kulturprozesse ihren wirtschaftlichen Interessen. Der ungegliederte Einheitsstaat, der das soziologische Grundgesetz mehr und mehr pervertiert, trägt heute nicht mehr ein national-kulturelles Gepräge, sondern wird von wirtschaftlichen Funktionen überlagert. Persönlichkeiten der Zivilgesellschaft belegen aber auch eine relevant zunehmende Interessenvertretung des Individuums. Der ethische Individualismus Rudolf Steiners steht als Leuchtturm in der geistigen Landschaft, dessen lichthafte Wegweisungen nicht übersehen werden sollten, wenn gesellschaftliche Schiffbrüche vermieden werden sollen (1.8j Anmerkungen).
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Das soziale Urphänomen und die ersten zwei Gesetze ordnet Dieter Brüll dem dreigliedrigen Sozialen Organismus zu, das Urphänomen dem Rechtsleben bzw. dem sozialen Impuls im engeren Sinn. Das Soziale Hauptgesetz dem Wirtschaftsleben und das Soziologische Grundgesetz dem Geistesleben (1.1 Anmerkungen). Die nächstgenannten Gesetze außer dem siebten - der Sozialen Dreigliederung - sind nicht unmittelbar dem sozialen Leben zuzuweisen, sie betreffen historische Entwicklungen der Menschheit im Ganzen, machen aber bestimmte Phänomene des sozialen Lebens erst verständlich. In der anthroposophisch-sozialwissenschaftlichen Literatur sind die beiden folgenden Zusammenhänge noch nicht als Gesetze behandelt worden, besonders das folgende vierte Gesetz nicht:
4. Das Umgekehrte Biogenetische Grundgesetz beschreibt Rudolf Steiner in einem seiner späteren geisteswissenschaftlichen Vorträge (1.9a Anmerkungen). Sein Schüler Hans Erhard Lauer, der die Grundlagen für eine anthroposophische Geschichtsphilosophie gelegt hat, nannte es auch das historiogenetische Grundgesetz (1.9b, Anmerkungen 1c Entwicklungsgesetze). Es besagt, daß sich nicht nur in der einzelnen Entwicklung des Individuums (Ontogenese) die Stammesentwicklung (Phylogenese) spiegelt. Dieses von Ernst Haeckel formulierte und von Charles Darwin weiter verwendete biogenetische Grundgsetz kann in umgekehrter Weise auch auf die kulturell-seelisch-geschichtliche Entwicklung der Menschheit bezogen werden. Und so spiegeln sich auch zukünftige Gestaltungen, nicht nur Entwicklungen der Vergangenheit in der Gegenwart in rudimentärer Weise. Es handelt sich um die in der anthroposophischen Menschenkunde sogenannten höheren Wesensglieder, die im allgemeinen Sache einer zukünftigen Entwicklung sind, aber in der Vergangenheit schon veranlagt wurden. "...Nur die spirituelle Zukunftsbewegung erschließt Vergangenheit..." wird von Wolf-U.Klünker konstatiert (1.9c Anmerkungen). In grundlegenden Ausführungen beschreibt Rudolf Steiner, wie der bewußten Ausbildung menschlicher Erkenntnisorgane - in alten Anschauungen auch Lotusblumen oder Chakren genannt - dem Streben in die Zukunft eine Hilfe entgegenkommt, die aus der keimhaften Veranlagung dieser höheren Wesensglieder durch geistige Hierarchien in der Vergangenheit resultiert (1.9d Anmerkungen). Für eine zukünftige Entwicklung muß also der Mensch mitarbeiten. Das wirft auch ein Licht auf die Chakren-Arbeit mancher New-Age-Praktiken. Diese führen nicht weiter, wenn sie das schon Vorhandene nur beleben, denn wir sind berufen, Neuland zu betreten! (1.10). Der Zusammenhang erinnert an den Ausspruch: "Dem Mutigen reichen die Götter die Hände".
5. Das Jüngerwerden der Menschheit führt Rudolf Steiner verschiedentlich in Vorträgen aus (1.11 Anmerkungen), er legt ihm ebenfalls Gesetzcharakter bei. Bei dieser Gelegenheit macht er den fundamentalen Unterschied deutlich, der zwischen der Methode der Geistes- und der Naturwissenschaft besteht. Letztere geht vom sinnlich erfaßbaren Einzelnen aus, geht mit Hilfe der Statistik zum Allgemeinen und leitet - induktiv - daraus Gesetze ab. Erstere geht von einem nicht sinnlichen, wesenhaften Zusammenhang aus, der sich als Gesetz formulieren läßt, und sucht es vom Allgemeinen ausgehend - deduktiv - durch die zugehörigen Phänomene zu verifizieren. Das Jüngerwerden der Menschheit vollzieht sich im Gang der Kulturepochen, der sich nach der Siebenzahl gliedert. Diese ergibt sich als Konstitutive der Zeitabläufe in der Welt- und Menschheitsentwicklung. Hier ist wieder ein Entwicklungsgesetz zu konstatieren. Faustens Ausspruch "Die Zeiten der Vergangenheit sind uns ein Buch mit sieben Siegeln" will ja sagen, daß die Geschichte nicht leicht erforschlich ist, gibt aber nebenbei den Hinweis auf die Zeiteinteilung, die auch in der Genesis und der Apokalypse des Johannes nach der Siebenzahl gegliedert ist. Im Rhythmus der Woche mit ihren sieben Tagen zeigt sich dieser Ablauf, der mit den Eigenschaften von Planeten, Bäumen und Metallen korrespondiert.
Das Jüngerwerden hängt mit der Entwicklung der seelischen Reifung des Menschen im Lebenslauf zusammen, der auch im 7-Jahre-Rythmus verläuft. In den vergangenen Kulturepochen resultierte diese Reife bis in das höhere Alter noch aus der leiblichen Entwicklung. Das Alter führte trotz des leiblichen Abbaus zu höheren Erfahrungen seelisch-geistiger Art. Daher auch die Achtung alter Völker vor dem greisen Menschen. Mit dem Fortschreiten der Entwicklung geht in immer früheren Altersstufen das Seelisch-Geistige nicht mehr konform mit dem Leiblichen. Der Mensch muß heute etwas dazutun, wenn er auch in vorgerücktem Alter die entsprechende menschliche Reife erlangen bzw. den abbauenden leiblichen Prozessen abringen will. Sonst bleibt er in seiner Entwicklung stehen. Dieser Zeitpunkt tritt im Laufe der Geschichte in immer früherem Alter ein. Entwicklungsgeschichtlich ist das Leibliche älter und fortgeschrittener als das Seelisch-Geistige und in seiner spezifischen Gestaltung reifer als dieses. Das Ich - die eigentliche Persönlichkeit - ist zwar bisher das höchste Wesensglied des Menschen, aber als Letztes und Jüngstes auf unserer vierten und damit mittleren Stufe der Menschheitsentwicklung entstanden (1.12+1.13 Anmerkungen). Es ist geistiger Art und damit unsterblich, denn Geistiges stirbt nicht, sondern wandelt sich von einem leibgebundenen in einen leibfreien Zustand. und ist im Gegensatz zum Leib keinen Gattungsmerkmalen unterworfen (1.13 Anmerkungen I+II). Daraus läßt sich in historiogenetischer Hinsicht das o.g. Postulat von Christoph Strawe verstehen: "Die bisherige Entwicklung führte zum Ich, die zukünftige geht von diesem aus". Das dabei auftretende Auseinandergehen der Schere individueller und kollektiver Persönlichkeitsstrukturen wird auch die '27-jährigkeit' des modernen Menschen genannt, weil es heute persönlich und menschheitlich in diesem Alter auftritt (1.14 Anmerkungen). Aufmerksame Zeitgenossen haben festgestellt, daß für viele Künstler dieses Alter das Ende ihrer Produktivität bedeutete, wenn nicht gar ihres Lebens (1.15 Anmerkungen). Rudolf Steiner weist darauf hin, daß die 33-Jährigkeit des Christus mit der im Jahre Null zu konstatierenden 33-Jährigkeit der Menschheit historisch zusammenfällt (1.11 Anmerkungen). Von da aus wird das historische Geschehen spiegelbildlich verständlich, es bringt Vergangenheit und Zukunft, Kollektiv und Individuum in einen Entwicklungszusammenhang. Das Christuswirken steht zwischen A - Alpha (Anfang) und O - Omega (Ende), verbindet diese und steht selbst in der Mitte der Geschichte. Für all das kann der Sechsstern als Zeichen der Mitte und Symmetrie stehen, denn der Christus ist leiblich ein Angehöriger des Volkes Israel. Der Sechsstern ist aber auch ein altes hermetisches Symbol, das aus den Zeiten stammt, bevor Moses das jüdische Volk aus Ägypten führte. Hermes Trismegistos - der dreimal Große - ist der spirituelle Urheber der ägyptischen Kultur, in der die Pyramide geschaffen wurde, deren geistige Bedeutung als hierarchisches Symbol sich im Sechsstern ausdrückt.
Ohne das Auftreten des Jesus-Christus hätte die Menschheit fernerhin nur den Verlust der Vaterkräfte - Gott ist tot - zumindest erst einmal für das Bewußtsein zu beklagen. Der Christusimpuls führt zur geistigen Wiedergeburt. Diese wird heute in vielen religiösen Gruppierungen gerade auch westlicher Länder als mystische Erweckung angestrebt und war immer schon die Losung der Rosenkreuzer, bei denen Mystik sich nie als Gefühlsduselei äußerte:
Die Gesellschaft sieht sich gefordert, in Erziehung und Bildung Keime zu legen, damit der Einzelne bis in ein vorgerücktes Alter Entwicklungsimpulse tragen und austragen kann, denn der Mensch ist auf der Erde das einzige Wesen, das über Jugendkräfte bis in sein Alter hinein verfügt. Das heißt nicht, daß er dann kindisch wird im Festhalten an einer verlorenen Jugendlichkeit, sondern ist zu verstehen im Sinne des Christus-Ausspruches: "So ihr nicht werdet wie die Kinder..." (1.17 Anmerkungen).
Rudolf Steiner schildert das Zusammentreffen des 'Jüngerwerdens' mit dem Auftreten des Christus als überaus wesentliches und bewegendes Geschehen, denn dieser ringt den Todesmomenten in der menschheitlichen Entwicklung das Leben ab (1.11a Anmerkungen) und vermittelt den 'Tröster' - den 'Heiligen Geist'. An diesem Kreuzungspunkt der Geschichte treffen sich die aufsteigenden Individualkräfte mit den abnehmenden Kollektivkräften, er markiert die Halbwertzeit der letzteren (1.11b Anmerkungen I+II ). Das schlichte 'Vaterunser' erweist sich als die individuelle Auffassung der 'Bath Kol' - der göttlichen Stimme der Menschheitsseele -, die der Christus wesenhaft zu vernehmen imstande war. Er greift in die dramatische Situation der Gottferne ein und verbindet (religuere) die Menschheit wieder mit dem Vater. Und er weist seine Jünger und damit die Menschheit an: "So sollt Ihr beten":
"Unser Vater im Himmel,
Dein Name sei, Dein Reich komme, Dein Wille geschehe,
unten wie oben.
Gib uns unser Brot, vergib uns wie wir vergeben,
und versuche uns nicht, sondern erlöse uns".
Dies ist das Christusgebet (angelehnt an die Luthersche Fassung), die bisherige Essenz der Menschheitsentwicklung lautete im makrokosmischen Vaterunser der 'Bath Kol':
"Es walten die Übel, Zeugen sich lösender Ichheit,
von andern erschuldete Selbstheitsschuld,
die erlebet wird im täglichen Brote,
in dem nicht waltet der Himmel Wille,
da der Mensch sich schied von Eurem Reich und vergaß Euren Namen,
Ihr Väter in den Himmeln"
(1.11c Anmerkungen )
Der Sechsstern bebildert dieses Geschehen, im weiteren wird dies noch deutlicher.
6. Die Metamorphose ist ein weiterer gesetzmäßiger Zusammenhang, deren Entdeckung zuerst in der Botanik Johann Wolfgang von Goethe zu verdanken ist. In jeglicher Entwicklung führen Polarität und Steigerung zu einem Sprung, der nur mit einer Metamorphose(Umgestaltung) zu erklären ist. Dabei spielt der Wechsel von Ausdehnung und Zusammenziehung in sieben Schritten nicht nur in der Pflanzenwelt eine Rolle, auch in anderen Bereichen spielt dieser Wechsel von Ein- und Ausstülpung, von Innen und Außen eine gestaltende Rolle, so in der Geschichte und den individuellen Wiederverkörperungen des Menschen. Durch die in wiederholten Leben wachsende Kräftigung des Ich erfahren die schwindenden Kräfte kollektiv-leiblicher Natur (3ab Das individuelle Prinzip) im Laufe der Zeit ihren Ausgleich durch ihre Individualisierung. Die Reinkarnation ist das Lebensgesetz der Geschichte und Karma bildet ihre Ordnungsgesetzlichkeit (1.12 Anmerkungen). Im Gegensatz zur indischen Auffassung betrifft Reinkarnation aber nicht die Seele, sondern das rein Geistige, das Ich und damit kommt in der europäischen rosenkreuzerischen Anschauung die Freiheit ins Spiel - es handelt sich hier nicht um fatalistische Denkmodelle und Gefühlsschablonen. Dabei metamorphosieren sich die Gedanken im Sinne des Ausspruches: "Was du heute denkst, wirst du morgen tun". Und umgekehrt könnte man sagen: "Was du heute tust, wirst du morgen sein". Das ist der Grundgedanke des Karma, daß die Taten des Menschen in ihrer Wirkung in der Welt mit ihrem Verursacher verbunden bleiben. Auch unsere Gedanken von heute werden sich metamorphosieren, sie werden unsere Umgebung auf einem nächsten planetarischen Zustand, also kann man den Ausspruch genauso wenden: "Was du heute denkst, wirst du morgen sein" (1.12 Anmerkungen).
Polarität und Steigerung sind auch die Bestandteile des dialektischen Philosophierens bei dem Idealisten Georg Friedrich Wilhelm Hegel und seinem Schüler, dem Materialisten Karl Marx. Auch die Griechen kannten schon die Dialektik und im Mittelalter war sie eine der sieben Freien Künste. Rudolf Steiner weist daraufhin, daß Entwicklung nicht nur linear vor sich geht, sondern daß es wie in der Natur, so auch im Sozialen Sprünge gibt, die nicht linear-kausal zu erklären sind. Der Übergang von der zweigliedrigen Gesellschaft - Kirche und Staat - hin zu einer dreigliedrigen Gesellschaft - Kultur, Staat und Wirtschaft - ist nur ein Spezialfall einer solchen Metamorphose und Gegenstand einer geschichtlichen Betrachtung, die hier in Grundzügen behandelt werden soll.
7. Die Dreigliederung des Sozialen Organismus betrifft die Konstitution des makrosozialen Geschehens. In den 'Kernpunkten der Sozialen Frage' hat Rudolf Steiner sie dargelegt (1.18 Anmerkungen), Dieter Brüll nennt sie eine Gesetzmäßigkeit. Bijan Kofi bezeichnet sie als normative Lösung (1.19 Anmerkungen). Die Prager Reformer haben 1968 einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz proklamiert, auch Rudi Dutschke hat einen solchen gefordert, woraus ein freier demokratischer Sozialismus werden wollte. Hans Erhard Lauer (siehe nebenstehender Text) zentriert die Dreigliederung in der Verfassung des Rechtsstaates. In der modernen Gesellschaftsentwicklung wird die Demokratie als die höchste Errungenschaft begriffen, die neueste historische Errungenschaft ist aber die wirtschaftliche Globalisierung, die die Erde zu einem zusammenhängenden Ganzen gemacht hat. Das Pochen auf die Errungenschaften der Demokratie verdeckt, daß die wichtigsten neuzeitlichen Entwicklungen sich auf wirtschaftlichem Felde abspielen. Wie lassen sich angesichts der weltpolitischen Spannungen, die sich aus unterschiedlichen wirtschaftlichen Interessen und kulturellen Hintergründen ergeben, organische und friedliche Verhältnisse schaffen, ohne daß der Kampf der Kulturen (1.20a) zu weiteren Gewaltspiralen führt? Das ist heute die Zentralfrage, einen ersten Schritt haben die Vereinten Nationen mit der projekierten Regelung zwischenstaatlicher Waffenlieferungen getan. In der Weihnachtszeit wird gerne das Lukas-Evangelium zitiert: "Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden den Menschen, die eines guten Willens sind". Das Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe in Berlin fügt seinem Neujahrsgruß 2014 die Aufforderung von Bertha von Suttner hinzu: "Die Waffen nieder". 100 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg ist diese Aufforderung aktueller denn je.
Die internationalen Beziehungen der Nationalstaaten sind ein wesentlicher Bestandteil der 'Sozialen Frage', sie machen den Inhalt des Gralsgeschehens unserer Zeit aus (1.18 Anmerkungen). "...Die geschichtlichen Bedingungen, aus denen sich diese Staatenabgrenzungen ergeben haben, haben wenig zu tun mit den Interessen des Wirtschaftslebens, das die in den Staatsgebieten lebenden Völker führen. Die Folge davon ist, daß die Staatsleitungen die internationalen Beziehungen herstellen, für deren Herstellung es naturgemäßer wäre, wenn sie durch die wirtschaftenden Personen oder Personengruppen unmittelbar zustande käme..." (1.20b Anmerkungen I+II). Diese Einsicht stammt von Rudolf Steiner um 1919, heute setzen sich die 'Multis', wie oben schon bemerkt, längst über die Behinderung durch Staatsgrenzen hinweg, ohne allerdings die Möglichkeit konstruktiver Gestaltung im Sinne des menschlichen Bedarfs sowohl bei Arbeitern wie bei Verbrauchern zu berücksichtigen.
Organische Gestaltungen sind dreigliedrig geordnet - was wäre z.B. ein menschlicher Organismus ohne Mitte? Nebenstehender Text zeigt, daß unsere modernen Demokratien Herzbeschwerden haben, auch wenn damit keine Analogien getrieben werden sollen. Wenn nicht gegliedert wird, dann sind Freiheit, Gleichheit und Solidarität blutleere Phrasen und es geht drunter und drüber im nationalen und internationalen Filz. Die 'Dreigliederung' ist aber kein System, das einmal fest gefügt, alle Probleme lösen würde, sie ist ein funktionelles Strukturgesetz, das dem Leben und der Entwicklung hin zu einem gesunden gesellschaftlichen Organismus dient. Da es kein zwingendes Naturgesetz ist, sondern im Zusammenleben der Menschen wirksam ist, hängt seine Umsetzung von Einsicht und Freiheit ab (1.18 Anmerkungen). Und wie es sich historisch gezeigt hat, von der Einsicht aller - nicht nur derer von oben in der sozialen Hierarchie. Und es ist auch keine Vorlage für Theoretiker - es ist an der Praxis abgelesen und diese zeigt, daß es gesellschaftlichen Einrichtungen geht wie den Organen eines Organismus: sie kommen immer wieder vom geordneten Zustand in den ungeordneten, vom Zustand der Sättigung in den der Bedürftigkeit (1.18 Anmerkungen I+II). Endgültige Lösungen gibt es für ein organisches Denken nicht. Daraus kann die Reformbedürftigkeit in unserer Gesellschaft konstruktiv verstanden werden und auch, daß die Grundlagen der Politik selber reformbedürftig sind. Die soziale Dreigliederung ist von den hier genannten Gesetzen das einzige, das die Konstitution der ganzen Gesellschaft betrifft, es geht um die Ermöglichung der Balance der Gegensätze von liberalem Individualismus und sozialistischer Solidarität. Die Mitte bzw. der Ausgleich zwischen den gegensätzlichen Funktionsprinzipien von Kultur und Wirtschaft kann nicht programmatisch und parteiisch festgelegt werden, sie muß im gesellschaftlichen Leben stets aufs Neue gefunden und gestaltet werden. Dabei kann nicht nur nach links und rechts abgeirrt werden, auch die Orientierung zwischen vorne/hinten und oben/unten stellt die menschliche Gesellschaft vor Aufgaben, die dringend gelöst sein wollen. Unser excludierendes parlamentarisches System verhindert Lösungen, die nur an einem runden Tisch zu finden sind und bei denen keine gesellschaftliche Kraft außen vor bleibt. Inklusion ist nicht nur Sache der Pädagogik, sondern auch der Politik. Es könnte gerade denjenigen, die sich am meisten gegen einen runden Tisch stemmen, noch hilfreich werden, wenn sie in der Zukunft selber nicht unter Sperrklauseln fallen. Auch können Begriffe aus der Astronomie helfen, wenn diese im Sozialen auch meist herhalten muß zur Geißelung überdimensionierter Entwürfe: Wie wäre es mit Konjunktion - Zusammenwirken -statt Opposition! Nicht Blockade, sondern gemeinsame Anstrengungen?! (Zu dem Problem der Mitte 5a Dimensionen der Mitte).
In den folgenden Kapiteln kommen diese 7 Gesetze und 5 Instrumente (Gradmesser, moralische Phantasie/Technik, Barometer, der Gerechte Preis) zur Sprache sowie die Gesetze von Reinkarnation und Karma und das Gesetz von Angebot/Nachfrage im Kulturleben. Aber so, wie sich diese Gesetze einem Achtundsechziger ergeben haben auf der Suche nach einem konstruktiven Mitarbeiten im sozialen Leben. Der erhellendste Impuls ist dabei dem Geschichtsphilosophen Hans Erhard Lauer zu verdanken. Er erweiterte auf dem Kongreß Dritter Weg 1974 im INCA (Internationales Kulturzentrum Achberg) vor anwesenden Reformern des 'Prager Frühlings' den Horizont des historischen Bewußtseins und wies den Weg zu einem wirklichen Sozialismus mit menschlichem Antlitz. Denn der real existierende Sozialismus war für viele sozial empfindende Menschen ein rotes Tuch geworden. Lauers unsektiererisches und aufgeklärtes Eintreten für eine Dreigliederung des Sozialen Organismus brachte die Anthroposophie mit den wissenschaftlichen Leistungen der Kulturwelt in Deckung, wie es schon die Leistung Rudolf Steiners ist. Das ist in der anthroposophischen Bewegung nicht selbstverständlich und dadurch ist in ihr die Sektiererei ein reales Problem, nicht nur eine Unterstellung. Es gibt auch den real existierenden Anthroposophismus als ein esoterisches Planschbecken, in dem gläubige wie auch hyperkritische Mitglieder surfen, die ihren Rückenwind oft selbst erzeugen. Hans Erhard Lauer erwies sich als echter Schüler Rudolf Steiners, er wußte über Woher und Wohin des individuellen und sozialen Lebens Bescheid (1.21 Anmerkungen I+II). Befragt, ob die Nachgeborenen es nicht viel schwerer haben, Anthroposophie zu verstehen, weil sie Rudolf Steiner nicht mehr direkt hören können, antwortete er: "Sie haben es dadurch auch leichter".
Im Nachhinein hat sich ergeben, daß der Davidstern (1.22 Anmerkungen) für den ganzen hier behandelten Zusammenhang als Symbol stehen kann. Er ist auch ein Zeichen der Rosenkreuzer. In den folgenden Kapiteln kann dies deutlicher und das Ganze auch als Hinleitung zu einer rosenkreuzerischer Meditation betrachtet werden.
Und ein Bezug zur Entwicklung von Erde und Menschheit mag auch zu denken geben, der in dem sogenannten 'Volksseelenzyklus' Rudolf Steiners ausgeführt ist. Er behandelt dort die Entwicklung des menschlichen Denkens, Fühlens und Wollens mit der Erdentwicklung und ihren leitenden hierarchischen Wesen:
..."Welche Mission haben nun die Geister der Form, was ist also die eigentliche Erdenmission? Wenn Sie an die Saturnmission die Einprägung des Willens anknüpfen, an die Sonnenmission vorzugsweise die Einprägung des Gefühlselementes, an die Mondmission vorzugsweise die Einprägung des Gedankenelementes - also dasjenige, was im menschlichen Astralleibe ist -, so hat man an den Erdenplaneten die Mission zu knüpfen, ein vollständiges Gleichgewicht dieser drei Elemente zu bewirken, das Gleichgewicht dieser drei Elemente herzustellen, von denen jedes während eines der früheren Zustände unseres Planeten die Oberhand hatte, so daß im Gleichgewichtszustande zusammenwirken diese drei Elemente, von denen jedes die Hegemonie hatte in einer der früheren Verkörperungen der Erde. Das ist die Mission unserer Erde. Zum Stillstand zu bringen den Kampf dieser Elemente dadurch, daß sie in das richtige Gleichgewichtsverhältnis gebracht werden, das ist die Erdenmission. Der Mensch ist hineinverwoben in diese Erdenmission, um dieses Gleichgewicht zuerst in seinem eigenen Innern aus Denken, Fühlen und Wollen aufzubauen (Daher die Wichtigkeit der sog. 'Nebenübungen', die in den folgenden Betrachtungen noch behandelt werden - KK). Der Mensch war in dieser Beziehung in der Tat bei der Entstehung der Erde ein regelloses Gewebe von Denken, Fühlen und Wollen. Wie noch bei dem gegenwärtigen Menschen das innere Gleichgewicht nicht vollständig ist, sondern vielfach in Disharmonie, in Unordnung ist, das kann jeder an sich fühlen, der auch nur ein bißchen Selbsterkenntnis hat. Der Mensch ist zunächst berufen, in seinem Inneren das Gleichgewicht zwischen Denken, Fühlen und Wollen herzustellen, wodurch er von sich ausstrahlen und übertragen kann auf die Erde das, was dieses Gleichgewicht von Denken, Fühlen und Wollen bedeutet.
In der okkulten Symbolik hat man immer diese Mission der Erde in ganz besonderer Weise durch eine Figur ausgedrückt. Wenn Sie alle geometrischen Figuren durchgehen, werden Sie keine finden, die dem Zusammenwirken im Sinne des Gleichgewichtes so genau entspricht, wie das gleichseitige Dreieck. Wenn Sie das gleichseitige Dreieck nur aufzeichnen, so finden Sie die drei Seiten einander gleich, die drei Winkel einander gleich, jeder Scheitelpunkt ist gleich weit von dem anderen und alle gleich weit von dem Mittelpunkte entfernt. Der Mittelpunkt von dem gleichseitigen Dreieck ist ein absolutes Symbolum für das Gleichgewichtswirken, so daß, wenn der Okkultist das Dreieck anschaut, er in demselben ein Symbolum sehen kann für das absolut equilibrierte Zusammenwirken dessen, was in den drei früheren Verkörperungen unserer Erde jeweilig die Hegemonie hatte. Die Taten des Ich in dem Menschen bedeuten nichts anderes als das Schaffen eines tätigen, eines aktiven Mittelpunktes in der Menschennatur, wodurch dieser Gleichgewichtszustand von innen heraus vorbereitet werden kann. So ist in der Tat der Mensch zu Großem berufen auf unserer Erde, nämlich dazu, von innen heraus durch seine ganze Wesenheit zunächst das Gleichgewicht dessen zu bewirken, was früher in der verschiedensten Weise und zu verschiedenen Zeiten jeweilig vorherrschend war.
Das ist zunächst eine recht abstrakte Definition unserer Erdenmission, aber diese besteht einmal in dem Gesagten. Das Geheimnis dieser Mission spricht sich dadurch aus, daß durch dieses Zusammenwirken, durch dieses Gleichgewicht der drei Kräfte das Innere tatsächlich produktiv Neues wirkt. Es wird dadurch wahrhaft ein viertes Element erzeugt zu den drei vorhergehenden, und dieses vierte Element ist das Element der Liebe. Die Liebe kann in dem Weltgetriebe sich nur entwickeln, wenn ein absolutes Gleichgewicht der drei in früheren Zeiten abwechselnd die Hegemonie führenden Kräfte eintritt. - Darüber werden wir in den nächsten Tagen noch mehr zu sprechen haben. Vorläufig nehmen Sie das als abstrakte Charakteristik hin.
So ist unser Planet der Planet der Liebe, und deshalb ist sozusagen dieses Gleichgewicht, das sich herausstellt in dem Zusammenwirken dieser drei Kräfte, in seinem Ergebnis Liebeswirken, und Liebeswirken soll durch alle folgenden Verkörperungen der Erde, gerade durch die Mission des Erdenwirkens hineinverwoben werden in die gesamte Evolution. Dadurch wird die Dreiheit zu einer Vierheit, und diese Vierheit beginnt mit ihrem vierten Element auf der untersten Stufe, beginnt sozusagen mit der niedersten Form der Liebe, die geläutert und gereinigt wird bis zu dem Grade, daß am Ende der gesamten Erdenentwickelung die Liebe als ein völlig gleichberechtigtes Element erscheinen wird. Die Mission des Gleichgewichtes für unseren Erdenplaneten erfüllen, heißt also im Grunde genommen: die Dreiheit zu einer Vierheit machen. Deshalb wird auch das Geheimnis des Erdendaseins gewöhnlich okkult ausgeprochen mit den Worten "Die Dreiheit zur Vierheit machen". Das vierte Element ist natürlich heute noch sehr unvollkommen. Es wird aber, wenn die Erde ihre Mission erfüllt haben wird, ebenso hellglänzend sein wie das heilige Dreieck, das uns mit seiner Gleichgewichtslage als das höchste Symbolum, das wir für unser Erdenideal haben, vorleuchtet, insofern wir uns an die Vergangenheit der Erde erinnern"... (1.22a Anmerkungen )
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Daraus ergibt sich - könnte man meinen - daß von der geforderten Struktur der heutigen Gesellschaften als von einer viergliedrigen Struktur gesprochen werden könnte. Aber es wird bei dem Ausgeführten nicht ein weiterer Bereich der Gesellschaft gefordert oder geschaffen, sondern das Wirtschaftsleben, Rechts- und Geistesleben werden in ein organisches Verhältnis gebracht, das ihnen heute ermangelt. Das vierte, eigentlich übergeordnete Glied ist da der Mensch selbst, der sich autonom gestaltend in die Geschehnisse der jeweiligen gesellschaftlichen Bereiche hineinstellt, wie es Rudolf Steiner in seinen 'Kernpunkten der Sozialen Frage' charakterisiert hat. Und so ist der Sechsstern auch für diesen Zusammenhang das äquivalente Symbol, das die individuelle Dreigliederung des Menschen und die kollektive Dreigliederung der Gesellschaft zusammenfasst. Last not least bedeutet die geschilderte Entwicklung, daß in Eines zusammengefasst wird, was in der raum-zeitlichen Entwicklung in Drei auseinandergegliedert ist: "O schau die Drei, sie sind die Eins!", wie es an anderer, bedeutungsvoller Stelle heißt. (1.22b Anmerkungen )
Wenn also unsere Erde ein Kosmos der Liebe wird, dann ist moralischer Fortschritt die sine qua non - die schlichte Vorbedingung. Und aus dieser Erkenntnis heraus sich auf den Standpunkt stellen: "die Menschheit ist noch nicht so weit", offenbart die Haltung, die Steiner oft genug, gerade in seinen Sozialausführungen gekennzeichnet hat: das Brot nicht in den Ofen zu schieben, bevor dieser die erforderliche Wärme hat. Man kann in der gesellschaftlichen Entwicklung ja auch mithelfen, daß der Ofen warm wird! Erinnert sei aber auch das Wahrspruchwort:
"Erkenntnis ist das Licht und Liebe dessen Wärme"
(GA40)
Zum Schluß dieser Einleitung sei bemerkt, daß hier nicht der Illusion verfallen wird, mit einem Regelwerk die sozialen Probleme lösen zu können. Sonst könnte man eine Abstimmung über diese Gesetze anstreben in der Hoffnung, daß dann alles für alle Zeit gut wird. Diese Gesetze sind keine Sache für eine Legislative, sondern für die Wissenschaft. Sie bezeichnen aber die Triebkräfte des sozialen Lebens - auf deren Erforschung kam es Rudolf Steiner an und er betonte immer, daß nichts in die Wirklichkeit an Meinungen hineingetragen sein will, sondern sie selbst der Lehrmeister werden muß, wenn etwas Förderliches herauskommen soll. Nicht hineingedacht- sondern abgelesen und abgelauscht am Leben selbst sind diese Gesetze. Etwas philosophischer ausgedrückt: Es geht nicht um eine beschauliche platonische Liebe zur Theorie, selbst wenn sie da zur Imagination gesteigert wird. Sondern es geht um Inspiration, um das Graswachsen-Hören des Aristotelikers, der die immanenten Triebkräfte historischen Werdens zu vernehmen weiß. Intuition waltet im Handeln bei rosenkreuzerischer Haltung, wenn Theorie und Praxis nicht auseinanderdriften, sondern geistesgegenwärtig das Zeitgeschehen im Sinne der Einsichten ergriffen und gestaltet wird. Rudolf Steiner hat nach 30 Jahren geduldigen geisteswissenschaftlichen Forschens im Jahre 1917 die 'Dreigliederung' sowohl des menschlichen als auch des sozialen Organismus als Ergebnis präsentiert (1.23 Anmerkungen). Das kann angesichts aktueller universitärer An-und Aberkennungen als vorbildliches Handeln betrachtet werden, denn es kommt in der Wissenschaft auf absolute Redlichkeit und gediegene Reife an und das braucht Zeit. Rudolf Steiner hat nach 1917 auf Anfragen viele Impulse gegeben. In den Zeiten des offensichtlichen Zusammenbruchs wurden von vielen neue Wege gesucht und gegangen. Gediegenes Gold ist allerdings nicht alles, was glänzt. Die drei Könige des Goetheschen 'Märchens' (1.24 Anmerkungen), der goldene, silberne und eherne gehören mit dem Dreiklang von Imagination, Inspiration und Intuition zusammen. Und diese Dreiheiten sind so wenig zu trennen von der Dreigliederung des Sozialen Organismus, wie dieser von den gegliederten Seelen- und Geisteskräften des Menschen (1.25 Anmerkungen). Die 'Dreigliederung' macht die Struktur unserer modernen Entwicklung auf allen Ebenen aus. Aber wer die Triebkräfte in der Geschichte ignoriert, den bestraft das Leben!
Das wird der 'Gemischte König' nicht nur im Märchen erfahren.
Zur Kennzeichnung dieses Problems des Antagonismus von Gesetz und Leben oder auch Theorie und Praxis seien noch die nachfolgenden Überlegungen von Rudolf Steiner angemerkt:
"...Wenn diese (Individualisten oder Sozialisten) aus dem Wesen des Einzelnen oder einer Gesamtheit Normen ableiten, die zu befolgen sind, dann begehen sie denselben Fehler wie die Bekenner des Pflichtbegriffs: sie übersehen, daß sich alle allgemeinen Regeln und Gesetze sogleich als ein wertloses Phantom erweisen, wenn sich der Mensch in der lebendigen Wirklichkeit befindet. Gesetze sind Abstraktionen, Handlungen vollziehen sich aber immer unter ganz bestimmten konkreten Voraussetzungen. Die verschiedenen Möglichkeiten abzuwägen und die im gegebenen Falle praktischste auszuwählen, das geziemt uns, wenn es ans Handeln geht. Eine individuelle Persönlichkeit steht immer einer ganz bestimmten Situation gegenüber und wird nach Maßgabe der Sache eine Entscheidung treffen. Da wird in diesem Falle eine egoistische, in jenem eine selbstlose Handlung sich als das Richtige ergeben; bald wird das Interesse des Einzelnen, bald das einer Gesamtheit zu berücksichtigen sein. Diejenigen, welche einseitig dem Egoismus huldigen, haben ebenso unrecht wie die Lobredner des Mitgefühles. Denn was höher steht als die Wahrnehmung des eigenen oder des fremden Wohles, das ist die Erwägung, ob das eine oder das andere unter gegebenen Voraussetzungen das Wichtigere ist. Es kommt überhaupt beim Handeln in erster Linie gar nicht auf Gefühle, nicht auf selbstische, nicht auf selbstlose an, sondern auf das richtige Urteil über das, was zu tun ist. Es kann vorkommen, daß jemand eine Handlung als richtig ansieht und sie ausführt und dabei die stärksten Regungen seines Mitgefühls unterdrückt. Da es nun aber ein absolut richtiges Urteil nicht gibt, sondern alle Wahrheit nur bedingte Gültigkeit hat, die abhängig ist von dem Standpunkte dessen, der sie ausspricht, so ist auch das Urteil einer Persönlichkeit über das, was sie in einem bestimmten Falle zu tun hat, entsprechend ihrem besonderen Verhältnisse zur Welt. In genau derselben Situation werden zwei Menschen verschieden handeln, weil sie sich, je nach Charakter, Erfahrung und Bildung, verschiedene Begriffe davon machen, was im gegebenen Falle ihre Aufgabe ist.
Wer einsieht, daß das Urteil über einen konkreten Fall das Maßgebende einer Handlung ist, der kann nur einer individualistischen Auffassung in der Ethik das Wort reden. Zur Bildung eines solchen Urteils verhilft allein der richtige Blick in einer gegebenen Lage und keine fest bestimmte Norm. Allgemeine Gesetze können erst von den Tatsachen abgeleitet werden, durch das Handeln der Menschen werden aber erst Tatsachen geschaffen. Diese sind die Voraussetzungen abstrakter Regeln.
Wenn wir aus dem gemeinsamen und gesetzmäßigen des menschlichen Tuns gewisse allgemeine Merkmale bei Individuen, Völkern und Zeitaltern ableiten, so erhalten wir eine Ethik, aber nicht als Wissenschaft von den sittlichen Normen, sondern als Naturlehre der Sittlichkeit. Die hierdurch gewonnenen Gesetze verhalten sich zum individuellen menschlichen Handeln genau so wie die Naturgesetze zu einer bestimmten Erscheinung in der Natur.
Die Ethik als Normwissenschaft hinstellen, zeugt von einem vollständigen Verkennen des Charakters einer Wissenschaft. Die Naturwissenschaft sieht ihren Fortschritt darin, daß sie die Ansicht überwunden hat, wonach in den Einzelerscheinungen sich allgemeine Normen, Typen, gemäß dem Prinzip der Zweckmäßigkeit realisieren. Sie forscht nach den realen Grundlagen der Erscheinungen. Erst wenn die Ethik ebenso weit ist, daß sie nicht nach allgemeinsittlichen Idealen, sondern nach den wirklichen Tatbeständen des Handelns fragt, die in der konkreten Individualität des Menschen liegen, erst dann darf sie als eine der Naturlehre ebenbürtige Wissenschaft angesehen werden." (1.26 Anmerkungen )
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Hans Erhard Lauer:
Die Entwicklungsstufen der menschlichen Gesellschaft
..."Es ergab sich für Steiner aus seiner menschenwissenschaftlichen Forschung, daß die Zeit, durch welche das menschliche Wesen sich hindurchbewegt, eine Mitte hat und dadurch das, was vor und was nach dieser liegt, das heißt Vergangenheit und Zukunft, in einem symmetrischen Verhältnis zueinander stehen.
Es ist zwar jede Gestalt, welche das Urbild der Gesellschaft im geschichtlichen Prozeß seine Metamorphosen annimmt, in einem höheren Sinne verstanden, eine einmalige, sich nicht wiederholende; doch steht jede dieser Gestalten zu einer anderen, die gleich weit auf der entgegengesetzten Seite von der Mitte der sie umfassenden Zeit entfernt ist, in einer spiegelbildlichen Beziehung. Wer im Lichte des dreigliedrigen Urbildes der Gesellschaft ihre geschichtlichen Metamorphosen zu erfassen vermag, für den stellt sich deshalb, weil dieser Wandlungsprozeß ein einmaliger ist und seinen Abschluß noch nicht erreicht hat, fürs erste deutlich heraus, an welcher Stelle desselben wir in der Gegenwart stehen und welches die gegenwärtige Erscheinungsform desselben ist. Zum zweiten zeigt sich - wegen des Symmetrie-Verhältnisses zwischen Vergangenheit und Zukunft -, welche Form dieses Urbild in der noch vor uns liegenden Zukunft gemäß dem Gesetz seiner Entwicklung annehmen will beziehungsweise wird annehmen müssen. Was seit dem ersten Auftreten der Dreigliederungsidee durch Rudolf Steiner üblicherweise als "soziale Dreigliederung" bezeichnet wird, meint diese Zukunftsform des dreigliedrigen sozialen Organismus. Diese ist aber wohl zu unterscheiden von dem Urbild des dreigliedrigen sozialen Organismus, das für alle Zeiten der Geschichte, das heißt für alle Erscheinungsformen desselben, gültig ist und nur im Geiste als Idee erfaßt werden kann"... (S14/15, Hervorhebung KK)
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Stephan Eisenhut, Die Drei 11/2017:
"Die Verbürgerlichung der Dreigliederung"
...Die Begriffe der Dreigliederung wurden von vielen mit dem Kopfdenken aufgenommen und aus diesem heraus Lösungsansätze erdacht. Das bürgerliche Denken wurde somit mit aller Macht inner-halb der Anthroposophischen Gesellschaft fortgesetzt und gipfelte zum Teil in der Forderung, diese Gesellschaft selbst nach dem Gesichtspunkt des Geisteslebens, des Rechtslebens und des Wirtschaftslebens zu gliedern. Ein Anliegen, das Rudolf Steiner mit dem Satz zurückwies, daß, wer dies fordere, >>den Grundnerv unserer Bewegung gar nicht erfaßt hätte<< (GA190S210). Diese Forderung ist allerdings symptomatisch für ein Dreigliederungsverständnis, das sich bis heute in breiter Front verfestigt hat.
Die Menschen glauben, sie könnten vor Ort ihre Einrichtungen in dieser Weise dreigliedern und hätten dadurch etwas Bedeutendes erreicht. Sie merken dabei nicht, daß sie nur die Worte Rudolf Steiners benutzen, ohne sich überhaupt auf dessen begriffliche Bestimmungen einzulassen. In besonders schmerzlicher Weise hat sich folgende Vorstellung über die Dreigliederungsidee verfestigt, die so skizziert werden kann: Im Geistesleben gehe es um den einzelnen Menschen, der seine Fähigkeiten und Begabungen aus der geistigen Welt mitbringt; im Wirtschaftsleben gehe es um die Versorgung des Menschen, d.h. um seine physische Existenzgrundlage, die durch die Erzeugung von Produkten und Dienstleistungen befriedigt werden muss; im Rechtsleben hingegen ginge es um das Verhältnis von Mensch zu Mensch; dieses wird als der Bereich des Zwischenmenschlichen verstanden, bei dem es um Wertschätzung, mündiges Miteinander, Abstimmungsprozesse und Vereinbarungen ginge.
Besonders charakteristisch für diese Sichtweise ist die 1984 erschienene >>Der anthroposophische Sozialimpuls<< von Dieter Brüll. Dieser hat den >>irdischen Sozialkörper<< in drei >>irdische Glieder<< eingeteilt, bei der das mittlere Glied, das Rechtsleben, als das eigentlich soziale Glied bestimmt wurde. Das >>irdische Geistesleben<< hingegen charakterisierte Brüll als <<asozial>>, da sich dort der Mensch aus dem sozialen Miteinander herausziehe, um seine eigenen Ideen zu entwickeln; das >>irdische Wirtschaftsleben<< bestimmte er als >>antisozial<<, da hier der Mensch die eigenen Bedürfnisse in den Vordergrund stelle und den anderen Menschen als Ausbeutungsobjekt betrachte. Über dem irdischen Sozialkörper entdeckte Brüll ein viertes, geistiges Gebiet, das er als die eigentliche Quelle des Sozialen ausmachte (S60). Dieses Geistige könne durch die richtige Begegnung von Mensch zu Mensch innerhalb des Rechtslebens seine soziale Wirkung entfalten und damit auch auf die beiden anderen Glieder ausstrahlen.
Obwohl Brüll heute so gut wie gar nicht mehr gelesen und auch seine Vorstellungen über das Asoziale und Antisoziale zumeist als befremdlich empfunden wurden, hat sich die Auffassung, daß das Rechtsleben als das eigentliche soziale Glied anzusehen sei, in vielen anthroposophischen Einrichtungen Grundkonsens durchgesetzt. Brüll hat insofern nur einen begrifflichen Ausdruck für eine Auffassung gefunden, die in den Menschen als Gefühl vorhanden war. Ob dieser überhaupt mit dem übereinstimmt, was Rudolf Steiner begrifflich entwickelt, überprüften nur wenige. Denn diese Auffassung eignet sich so wunderbar, um die >>Dreigliederung<< in der eigenen Einrichtung verwirklichen zu können. Eine Notwendigkeit, das bürgerliche Denken zu verwandeln, wurde nicht erkannt"...(Hervorhebung von KK)
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