Anthroposophie        =           Dreigliederung

Impuls - Reaktion - Inkarnation   1919 - 1969 - 2019    Geschichte - Quellen - Material

Anthroposophie

- Aphoristisches zu Werdeprozessen in Welt und Mensch -
„Gedanken und seelisches Ringen soll eine allgemeine Angelegenheit werden, nicht mehr diejenige von Fachgelehrten
(Rudolf Steiner 12.3.1920 GA335, 1. Vortrag)


Erziehen, Heilen, Bilden + Denken, Soziales + Landbau - kann das weg oder ist das Kunst?   Wo findet sich das alles aus einem Guß, wenn nicht in der anthroposophischen Arbeit?   Es geht in all dem nicht um Profit oder Monopol! Seit 100 Jahren!

Einige Schlaglichter vorab:

"Erkenn' Dir !"

(Slogan zur Eröffnung des Einkaufszentrums East-Side-Mall Berlin)


Eine neue Variante des Mißbrauchs alter Tempelweisheit kommt damit ins Spiel. Luziferisch-sektiererische Verfehlungen sind heute weitgehend schon entlarvt, ahrimanisch-kommerzielle Versuchungen dagegen noch nicht so sehr. Werbung beeinflusst bekanntermaßen das Unterbewußtsein. Was hat aber ein Warenhaus mit dem uralten Motto der Tempelweisheit zu tun? Die rechnet heute mit der Freiheit des Menschen, der bei vollem Bewußtsein ist. Zumindest lanciert sie nicht manipulatorisch ihre Absichten - in einer Grauzone der Magie okkulter Praxis von Ost und West, aber auch bei uns.

  Bei Rudolf Steiner findet man die Antwort: Im dreigliedrig gewordenen sozialen Organismus, wo geschichtlich sein jüngstes Glied, die Ökonomie, die Dominanz vor Recht und Kultur errungen hat, wird das Warenhaus zum Tempel und bekommt für soziale Leben dieselbe Relevanz (Steiner-GA98-S112). Nur zur Selbsterkenntnis wird dieser Tempel nicht taugen, sowenig wie ein Forum, in dem die Freiheit des Menschen nur proklamatorisch verkündet wird!

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Anthroposophische Geschichtsphilosophie hilft, unzeitgemäß auftretende Praktiken zu durchschauen!

Wie sehr Geschichtsphilosophie die Politik bestimmt, beschreibt Timothy Snyder in einem Interview: "Moskau hat den Präsidenten der USA ausgewählt" (Tagesspiegel 28.10.18). Er legt der Gegensatz linearer und kreisförmiger Geschichtsauffassung als "Politik der Unvermeidbarkeit" und "Politik der Ewigkeit" zugrunde. Dazu ist in der Geschichtswissenschaft Hans Erhard Lauers viel zu finden, in seiner "Geschichte als Stufengang der Menschwerdung" (III.3). Es erweist sich, daß Gedanken Realitäten sind, denn unsere Auffassung von Geschichte bestimmt nicht nur unser Verhältnis zur Vergangenheit - sie bestimmt unsere Zukunft!

  Wie ein modernes Orakel für das Dritte Jahrtausend wurde in der Aussprache der Anthroposophischen Landesgesellschaft in Stuttgart deutlich: ..."daß es nicht darum geht, Lösungsvorschläge zu verkünden, sondern aus der Wahrnehmung der Probleme des Anderen konkrete Hilfe zu leisten. Dazu ist jeder einzelne und die Anthroposophische Gesellschaft aufgerufen"... Sieht man auf die heute so vielfältige anthroposophische Tätigkeit in Pädagogik, Medizin und Landwirtschaft und vieles andere, dann kann deutlich werden, daß Anthroposophie nicht nur Impuls geblieben, sondern Praxis geworden ist!

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 Zu Steiners Verhältnis zu Goethe

in "Die Entstehung der Anthroposophischen Gesellschaft auf mysteriengeschichtlichem Hintergrund"

(Frank Teichmann S26, zitiert aus Rudolf Steiner GA175, 24.4.1917):


  Steiner: "...Ich habe mich seit meinem 18./19. Jahr fortwährend mit Goethe beschäftigt, aber ich habe nie die Versuchung gespürt, etwas treu historisch im philologischen Sinne über Goethe zu schreiben oder auch nur darzustellen, niemals, aus dem einfachen Grunde, weil mir von allem Anfang an die Idee lebendig war: das Wesentliche ist, dass Goethe lebt! Nicht, dass man den Goethe, der 1749 geboren, 1832 gestorben ist, als physischen Menschen ins Auge faßt, sondern das Wichtige ist, dass, als Goethe 1832 gestorben ist, etwas nicht nur in seiner Individualität fortlebt, sondern etwas fortlebt, was um uns herum ist wie die Luft, aber geistig, nicht bloß in dem, was die Menschen reden, ...sondern geistig um uns herum ist. Das Geistige ist um uns herum, wie es um die Menschen des Altertums noch nicht geistig herum war. Der Ätherleib wird von der Seele abgetrennt als eine Art zweiter Leichnam, aber er wird durch den Christus-Impuls, der geblieben ist von dem Mysterium von Golgatha, in gewisser Weise doch konserviert, löst sich nicht rein auf.

  Und wenn man... den Glauben hat, Goethe ist als Ätherleib auferstanden, und sich dann an sein Studium macht, dann werden in einem selbst seine Begriffe und Vorstellungen lebendig, und man schildert ihn nicht so, wie er war, sondern wie er heute ist.

  Dann hat man den Begriff der Auferstehung ins Leben übertragen. Dann glaubt man an die Auferstehung. Dann kann man davon sprechen, daß man nicht bloß an die toten Vorstellungen glaubt, sondern an dass lebendige Fortwirken der Vorstellungen. Denn das hängt mit einem tiefen Mysterium der neueren Zeit zusammen. Wir mögen denken, was wir wollen...: solange wir  im physischen Leibe sind, gibt es ein Hindernis dafür,  daß die Vorstellungen sich in der richtigen Weise ausleben können. Möge Goethe noch so groß gewesen sein, seine Vorstellungen waren noch größer als er selber. Denn daß sie so groß haben werden können, wie sie waren, und nicht größer, daran war sein physischer Leib schuld. In dem Augenblick, wo sie sich vom physischen Leibe trennen konnten - ich meine jetzt die 

Vorstellungen, die im Ätherleibe in gewisser Weise weiterleben, nicht sein Fühlen und Wollen - und wo sie aufgenommen können werden von jemandem, der sie in Liebe aufnimmt und weiterdenkt, da werden sie noch etwas anderes, da gewinnen sie ein neues Leben....

  Glauben Sie, dass die erste Gestalt, in der Vorstellungen bei jemand auftauchen können, unter keinen Umständen die letzte Gestalt dieser Vorstellungen gibt; sondern glauben Sie an eine Auferstehung der Vorstellungen! Und glauben Sie so fest daran, dass Sie gerne anknüpfen, jetzt nicht bloß in ihrem Blut an Ihre Vorfahren, sondern an die geistigen Seelenvorfahren, und diese finden... Erfüllen Sie den Christus-Ausspruch: nicht nur anzuknüpfen an die Leiber mit dem Blute, sondern anzuknüpfen an die Seelen mit dem Geist, dann machen Sie wirksam, im Leben unmittelbar wirksam, den Gedanken der Auferstehung. Dann glauben Sie im Leben an die Auferstehung... Wer in diesem Sinne sich an die Vergangenheit seelisch anlehnt, der lernt in sich selber erleben das Fortleben der Vergangenheit. Und dann ist es nur eine Frage der Zeit, dass der Augenblick eintritt, wo der Christus da ist, wo der Christus bei Ihnen ist. Alles hängt davon ab, an den Auferstandenen und die Auferstehung sich anzuklammern und sich zu sagen: Eine geistige Welt ist um uns herum, und die Auferstehung hat eine Wirkung gehabt!... Es gibt einen Weg zu dem Mysterium von Golgatha, der innerlich gegangen werden kann... Kurz, mystisch - jetzt im wahren Sinne des Wortes verstanden, mystisch ist es möglich, das Mysterium von Golgatha zu erleben; aber man muss nicht bei Abstraktionen stehen bleiben, sondern man muss die innerlichen Erlebnisse durchmachen, die eben geschildert worden sind. Und wer die Frage aufwirft: Wie kann ich selber an den Christus herankommen? - der muss sich klar sein, dass er herankommen muss an den Auferstandenen und dass, wenn man Geduld und Ausdauer hat, den Weg zu gehen, der eben beschrieben worden ist, man dann zur rechten Zeit an den Christus herankommt und man dann der Begegnung mit dem Christus sicher sein kann."

 

Erstes Goetheanum

Würde man mich nach meinem "Steinerhaus" fragen: ich würde dieses wählen!


Dumm, dröge und dreist

versus weise, tapfer und besonnen!

Die Auseinandersetzung

von Licht und Finsternis

in der altpersischen Epoche

unter Zarathustra !!

s.Steiner-GA159S18

Hermann Beckh Zarathustra: der Drögvant

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Eine 68er-Betrachtung zu Hans Erhard Lauers

"Geschichte als Wissenschaft von der Zukunft"

 

Mit anthroposophischer Geschichtswissenschaft bleiben wir dem Weltgeschehen, das sich im Laufe der Jahrhunderte angehäuft hat, nicht fremd. Von der Vorgeschichte über die Geschichte treten wir heute in ein neues Zeitalter ein. Manche nennen es das Ende der Geschichte. Wir treten jetzt aber erst in die Rechte der Individualität ein, auch wenn sie bei allem bisher Geschehenen schon dabei war. Wir wirken an der Zukunft mit, wenn wir Impulse fassen, die wir "aus Herzen gründen" und "aus Häuptern zielvoll führen wollen". Geschichte wird sich nicht mehr in Bibliotheken anhäufen, sondern wird künftig in Individualitäten zu lesen sein, deren Taten symptomatisch für den allgemeinen Gang der Geschichte stehen. Was für die Naturwissenschaft das Mikro-/Teleskop ist, werden für die Geschichtswissen-schaft die Menschen und ihre Lebensalter sein, sie werden zum Okular für Vergangenheit und Zukunft. Diese Metamorphose des Geschichtsverständnisses hat auch dem Zukunftsforscher Robert Jungk vorgeschwebt und mit

mit dem Gedanken der Reinkarnation wird erst richtig klar, warum auch Zukunft erforscht werden kann. Nicht mehr die Generationen werden für den Gang der Geschichte maßgebend sein, sondern die Verkörperungen der Einzelnen und, was das Wichtigste dabei ist: Wir werden um unsere Individualität und ihre Herkunft wissen - aus dem Reinkarnationsgedächtnis heraus, das sich beim Eintritt in das dritte Zeitalter nach Vorgeschichte und Geschichte - im Sinne des Joachim de Fiore - zu bilden beginnt. Er nennt es das Zeitalter des "Heiligen Geistes". Es wird das Zeitalter des freien Menschen. Die unheiligen Attacken von rechts und links gegen Anthroposophie werden damit wesenlos, denn jedem Menschen kann sich aus innerer Anschauung ergeben, daß er nicht aus Blut und Boden, aber auch nicht aus seiner Sozialisation im kulturellen Umfeld zu definieren ist, sondern aus und in dem Geiste leben kann. (Hans E. Lauer: Die Forderungen des 20. Jahrhunderts an die Geschichtsforschung, Drei Vorträge 1966)


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"Alternative Fakten"

wurden zum "Unwort des Jahres 2017" gekürt (*1). Ob damit eine politische Absicht verbunden ist, sei dahingestellt. Nur was einem selbst genehm ist, als Wahrheit anzusehen, ist allerdings ein Symptom für den wesentlichsten Umschwung in der Menschheitsgeschichte: zu dem Primat des Wollens vor dem Erkennen (*2). Hans Erhard Lauer, der anthroposophische Geschichtsphilosoph, hat darauf hingewiesen. Wahrheit war einst Sache der Tempel und auf die Vergangenheit bezogen. Dann wandte sich der Mensch der Zukunft zu und wollte die Wahrheiten nicht mehr als Offenbarung hinnehmen. Er trug prometheisch den Willen in das Denken und begann, selbst zu denken: das war der Entstehungsmoment der Freiheit. Heute kann das Denken korrumpiert werden: "Wir sind so frei!" Bekannte Methoden der Beeinflussung sind Irreführung, Fehlinformation und gezielte Stimmungsmache (*3). Da wird Wahrheit statuiert, wo sie gar nicht existiert: in interessenbezogener Deutung von Fakten. Denken beinhaltet zwar in seinen Tiefen den Willen, bleibt aber der Wahrheit verpflichtet (*4). Wenn der deutsche Michel eine "Lügenpresse" anprangert, weil er die Wahrhaftigkeit der Berichterstattung bezweifelt, übersieht er, daß die Berichterstatter in der Regel durchaus integer sind, aber die "öffentliche Meinung" selbst von unzureichenden Begriffen bestimmt wird, die zur Lebenslüge geworden sind (*5).
   Was bedeutet menschenkundlich ein lügnerischer Umgang mit Wahrheit? Rudolf Steiner hat eine Übung gegeben, wenn etwas momentan nicht erinnert werden kann. Ein Name z.B. liegt "auf der Zunge", kommt aber nicht herauf in das Bewußtsein: Er empfiehlt, wissentlich einen falschen Namen zu prägen und ihn entschieden auszusprechen. Nun ist mit diesem "alternativen Fakt" der Ätherleib nicht zufrieden und stößt das Wahre auf (*6). Wird ein lügenhaftes Leben zur Gewohnheit, dann beinhaltet also der Ätherleib Bildungen, die nicht in der Wirklichkeit existieren (*7). Ein "sanftes Ruhekissen" ist der Ätherleib dann nicht mehr, denn er ist der Träger der Erinnerung und des Gewissens - der in das "Buch des Lebens" eingetragenen Wahrheiten: "Nichts ist so fein gesponnen, es kommt alles an die Sonnen", dies alles sagt der Volksmund. Der Sonnengott Ahura Mazdao der persischen Kulturepoche hielt den Lügengeist Ahriman in Schranken (*8). In der ägyptischen Epoche gab es eine Hieroglyphe für die göttliche Wahrheit, nach der "Maat" wurde das Leben geordnet und nachtodlich beurteilt (*9).

  Auf der Weihnachtstagung stellte Rudolf Steiner die Entwicklung der Erinnerungsfähigkeit dar (*10). Nach kollektiven Formen wird die Erinnerung immer individueller, von der Urgeschichte bis in unsere geschichtliche Zeit. Hans Erhard Lauer beschreibt die künftige Erinnerungsform des "Ich", die Reinkarnationserinnerung (*11): "... Sie verläuft nicht am Leitfaden aneinanderschließender Generationen wie in der gängigen Geschichtsdarstellung, sondern innerhalb einer, von Epoche zu Epoche immer wieder sich verkörpernden Individualität. Ihrer Form nach ist sie leibfreies, rein übersinnliches Erlebnis..." Rudolf Steiner wies  auf ein anatomisches Organ in den Gehirnwindungen hin, das sich heute schon entwickelt (*12): "...Diejenigen werden es richtig anwenden können, die jetzt die Möglichkeit vorbereiten, die jetzige Inkarnation wahrheitsgemäß in der Erinnerung zu haben, wenn sie in der nächsten sein werden. Denn dieses physische Organ wird das physische Mittel für die Erinnerung an eine frühere Inkarnation sein, die jetzt nur erreicht werden kann durch eine höhere geistige Entwicklung..." Daß auf die Weihnachtstagung mit der Darstellung der Erinnerungsstufen die Karmavorträge folgen, spricht für diesen Zusammenhang. -
   100 Jahre nach Entdeckung der physiologischen Dreigliederung
(*13) und damit des Verhältnisses von Denken und Wollen wird nun der Begriff der alternativen Fakten in der westlichen Welt geprägt, wo auch im Sozialen der kommerzielle Liberalismus über die geistige Freiheit dominiert. Es ist ein Symptom für das Erstarken einer Willensströmung, die den menschheitlichen Weg nach dem Absteigen der "Erkenntnis-Offenbarung" zu dem "Wieder-Aufsteigen durch den Willen" abbiegen will in einen Weltbereich, der in der anthroposophischen Erkenntnis als die Unternatur erkannt worden ist (*14).





1.) "Sprachkritische Aktion", 1991 ins Leben gerufen. 2.) Hans Erhard Lauer:  "Geschichte...", Bd.I S109. 3.) Th.Seibert, Berliner Tagesspiegel 21.2.18.  4.) GA4, 8.Kap.S107.  5.) GA141S128. 6.) GA108, 18.1.1909. 7.) GA96,98,99.  8.) Hermann Beckh: Zarathustra.  9.) Frank Teichmann: Ägypten.  10.) GA233, 24.12.23. 11.) Lauer, Bd.IS147. 12.) GA152,1.5.13. 13.) GA21,4.Kap.6S150. 14.) GA26, Nr.183-85

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Gedenken:

Der Soziologe Niklas Luhmann wäre 2017 neunzig Jahre alt geworden (Tagesspiegel Valentin Feneberg). Nach ihm besteht die moderne Gesellschaft "...nicht mehr aus Klassen oder Ständen, sondern aus Typen von Kommunikation, aus sozialen Systemen, etwa Wirtschaft, Politik, Recht oder Kunst. Die Systeme übernehmen eigene Funktionen und strukturieren so die ansonsten viel zu komplexe Gesellschaft..." Ja gut" - (würde Kretschmann sagen), "dann sind wir der Dreigliederung des sozialen Organismus schon näher gekommen" - (würde Steiner sagen)!

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"Neues muss aus dem Geist kommen"

 

"...Ich würde mir wünschen, daß aus einer kulturellen Intelligenz eine erneuernde Kraft in der Gesellschaft entsteht. Der Ausgangspunkt liegt nicht im Parlament, es ist zu sehr zum Spielort unglaubwürdiger Politik geworden. Der Schriftsteller György Konrád hat von einer 'Antipolitik' gesprochen, das finde ich sehr aktuell". In Deutschland entstand mit den "68ern" die außerparlamentarische Opposition (APO). Merkel hat einiges davon - aus dem Gegnerlager! - aufgegriffen.

"Das könnte ein Weg sein". So ein deutsch-ungarischer Publizist... Wie steht es heute in Deutschland?: "Die überschätzte Revolution" nennt Christoph von Marschall die 68er-Jahre. Die Krawalle in Hamburg erinnern daran. Wird 2018 Ähnliches, oder wie 50 Jahre früher nur weitere Ignoranz und Fehlsichtigkeit bringen? Rückgeschaut: Bei den alten Hebräern folgte nach 49 Jahren das "Jubeljahr" = Schuldennachlaß und gegenseitiger Ausgleich! (Rudolf-Steiner-GA170-S33 - Wilhelm Droste im Tagesspiegel 5.8.17).

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"Gedanken und seelisches Ringen soll eine allgemeine Angelegenheit werden, nicht mehr diejenige von Fachgelehrten"
(R.Steiner GA335,S101)

  Zündende Funken und befriedende Perspektiven erwartet man im neuen Jahrtausend nicht mehr von Philosophen, die in Talkshows, Interviews und Essays nur noch belanglos herumgereicht werden. "Great again" hat Konjunktur, egomane Macher gießen Öl ins Feuer statt streitende Parteien zu befrieden. Sie dämpfen zu wollen, ist aussichtslos. Sie sind der Dritte, der sich freut, "wenn zwei sich streiten". Wie sonst ist auch das moralische Vakuum im Nahen Osten zu erklären, dessen religiöse Rivalitäten von "beschützenden" geopolitischen Weltmächten noch zementiert werden? Einen Dritten braucht es aber auch für eine konstruktive Befriedung - Streitlust oder Resignation allein helfen nicht weiter, sowenig wie Hegemoniestreben und Isolationismus. Dieser Dritte ist konfliktfähig (Friedrich Glasl), er geht aktiv auf die Probleme zu, zwischen Teufel und Belzebub vermittelnd. Die Konfessionen könnten die Situation outen, wenn sie ihre Augenbinden ablegen würden. Die kosmischen Gegensätze faßte Rudolf Steiner in den Blick, brachte sie ins Bild und er schuf dafür auch eine Holzplastik, den "Menschheitsrepräsentanten" zwischen den Menschheitswidersachern (im "Goetheanum" in Dornach/Schweiz, Abbildungen im Internet).

  Vermittelnde Aufgaben wies schon Wilhelm von Humboldt 1792 staatlicher Vollmacht zu, zwischen kultureller und wirtschaftlicher Produktivität. Er begrenzt Politik, die sonst nur Symptome kuriert mit Reformen und neue Strukturen erst gar nicht sucht - zu verheißungsvoll winken die alten Pfründe. Eine Revolution wie 1968 bringt einen Entwicklungsschub und öffnet frischer Luft die Fenster (Papst Benedikt über die "Grünen" 22.9.11), erreicht aber eher das Gegenteil, denn das Feuer der Begeisterung erstickt im Strom der Geschichte allzuschnell... "Und es wallet und brauset und siedet und zischt, wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt", so Schiller angesichts der Französischen Revolution. Er wußte: Organische Entwicklung braucht Zeit und darf nicht von Machern überhitzt oder durch Apparate verwässert werden. Wie Freiheit und Sozialismus walten können, ohne unter das Diktum der Ausschließlichkeit zu fallen, ist seit 1919 erschlossen (R.Steiner: "Die Kernpunkte der sozialen Frage..."). Heute droht zudem eine Kettenreaktion sozialer Spaltung in der geschichtlichen Entwicklung und der Kampf Aller gegen Alle. Dieser hat gleich einem Tsunami weite Gebiete des sozialen Lebens überflutet.

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Wo finden sich lebensvoll-organisch gestaltende Ideen und ihre Umsetzung?
(Heten Wilkens: "Individualität und Menschheit - Rudolf Steiners Entwurf einer Freiheitsgesellschaft")

Hier soll viel Einzelnes zur Sprache kommen, aber immer im Bemühen, es im Ganzen seines Umfeldes zu sehen. Über seelische, soziologische und politische Dimensionen hinaus wird die reale geistige Ebene aufgesucht: Die Begriffe der Anthroposophie erweisen sich als evident angesichts der Ereignisse in unserer postmodernen und postfaktischen Zeit. 2017 erinnert, daß 1517 durch Martin Luther auch Laien  Zugang zu "dem Buch" bekommen haben. Ihr Gegensatz zu den Klerikern ist in der Moderne der von Aktivisten und Spezialisten geworden, letztere mit allen Wassern gewaschen, erstere vom Feuer der Begeisterung angesteckt. "Nach mir kommt, der mit Feuer tauft", so Johannes der Täufer, der sich aus kollektiver Vormachtstellung zur Einsamkeit des "Rufers in der Wüste" beschieden hat. Und so kommen die Gegensätze in der Welt mehr und mehr auf den Weg der Vermittlung. Auch für die bis dahin Uneingeweihten zerriss der "Vorhang" vor dem Allerheiligsten schon vor 2000 Jahren:

 

Die verhüllten Wege zu Trinitarischem - auch zu einer organischen sozialen Dreigliederung - jenseits von Erstarrung und Hypertrophie -wurden für die moderne Menschheit 1917 durch Rudolf Steiner eröffnet, der aussprach, was just in seiner Gesellschaft gelten sollte (GA21+335so): "Gedanken und seelisches Ringen soll eine allgemeine Angelegenheit werden, nicht mehr diejenige von Fachgelehrten". Die "Postmoderne" bekommt damit die Relevanz des bis dahin ungläubig beäugten "Heiligen Geistes", der seine Bekenner mit Feuerzungen ausstattet. Er ist nicht Sache von mächtigen Korporationen, sondern der Verkörperung in jedem Einzelnen, der dem Wesentlichen der Zeit nachspürt und nacheifert! Machen wir uns auf zu seinem und damit zu unserem eigenen Verständnis! Finden wir die Symbiose der sich steigernden Polaritäten nicht in ihrer Aufhebung, sondern in der konstruktiven Steigerung geschichtlichen Geschehens: der Dreigliederung des Menschen - und eines damit erst menschenwürdigen sozialen Organismus.


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Ein Motiv, das die Versinnbildlichung eines Rosenkreuzermotivs darstellt:
"Licht strahlt aufwärts - Schwere lastet abwärts":



In der persischen Mythologie ist der Gegenspieler des Sonnengottes Ahura Mazdao der "verärgerte Geist Angru Mainyu" - auch der finstere, immer zürnende "Ahriman" genannt, wie auch Goethe im Prolog zu seinem Faust Gottvater den Mephistopheles fragen lässt: "Ist auf der Erde ewig dir nichts recht?"...

(Rudolf-Steiner-GA193, s. auch: Stegmann: Das andere Amerika, und Pietro Archiati):


"Ahriman kommt" - Wahrhaftigkeit + Besonnenheit ist wahrlich bei aller Stärke nicht die seine!

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