Anthroposophie        =           Dreigliederung

Impuls - Reaktion - Inkarnation   1919 - 1969 - 2019    Geschichte - Quellen - Material

Parsifal
Zu meiner geplanten Interpretation eines Auszuges des Wagnerschen Parsifal instrumental auf Bandoneon.

Ich beginne mit dem 'Toren'-Motiv: "Durch Mitleid wissend, der reine Tor - harre sein, den ich erkor", der Hauptaussage der Oper (Noten von Friedrich Oberkogler) und werde meinen Auszug mit Fotos und Gemälden bebildern, die mir dazu vorschweben. Das Vorspiel der Oper wie der Gralslegende insgesamt ist ähnlich - hier frühe Morgendämmerung, dort orientalische Vorgeschichte - "fern im Osten wird es helle" (Novalis). Kunde und Prophetie kamen durch den weisen Sternenkundigen 'Flegetanis' aus dem Morgenland, 'Meister Kyot' hat sie dann nach Spanien ins Abendland gebracht (Wolfram von Eschenbach, Chrétien de Troyes).
Parsifal hat einen Halbbruder, Feirefis - den Schwarz-Weissen. Er ist der Sohn der Königin Belakane im Morgenland, wohin der Vater, Gachmuret wieder gezogen ist, einem Kalifen zu dienen, nachdem er Herzeloyde, die Mutter Parsifals ehelichte. Er ist dort gefallen, was Herzeloyde bewog, Parsifal fernab jeglichen ritterlichen Treibens in der Waldeseinsamkeit aufzuziehen. Der Glanz durchziehender Ritter, die Parsifal aber auch dort trifft, begeistert ihn so, daß er seine Mutter verläßt, um auch Ritter zu werden. Herzeloyde stattet ihn so aus, daß er als Tor angesehen wird, was auf seiner Suche z.B. dem'roten Ritter' übel bekommt, weil er ihn kurzerhand vom hohen Roß holt und dessen Rüstung über seine Narrenkleider anlegt. - Power pur.

  Die Legende hat ihren Ursprung im Morgenland und kam im 9. Jahrhundert ins Abendland. In den derzeitigen Auseinandersetzungen um Nahost ertönt der Ruf nach einem Kalifat, dabei hat die geistesgeschichtliche Welle des sogenannten wissenschaftlichen Arabismus längst schon die Grundmauern des europäischen Geisteslebens unterspült. Denn im 7. Jahrhundert urständet dieser durch das Studium der aristotelisch-naturwissenschaftlichen Schriften und ist auf dem Weg des arabischen Halbmondes über Spanien nach Europa gekommen. Dabei wurden die Texte vielfach übersetzt, sodaß die Originale das wurden, was der heutige 'Arabismus' den Homöopathen vorwirft: die Substanz wurde immer dünner. Im Gegensatz zu den Heilmitteln, die Kräfte freisetzen, hat sich der Geist des Aristoteles im Arabismus verflüchtigt (Heinz Herbert Schöffler: Die Akademie von Ghondischapur, Heten Wilkens: Alte Mächte - Freie Wege).

   In unserer Welt macht törichtes Meinen und Handeln Legion. Durch ernüchternde Erfahrungen mit sich und der Welt klärt sich der naive Mensch aber allmählich auf, er wird zum pragmatisch und rational Wissenden. Trägt er ein reines Gemüt mit in diese Erfahrungen, dann kann Empathie sprechen, Mitgefühl - letztlich Mitleid. Dieses ist die erlösende Kraft in dem Drama, das sich um den Gral rankt - mit seiner Schale des Blutes Christi, das durch den Speer des Longinus am Kreuz geflossen ist und deren erster Hüter Joseph von Arimathia wurde (Robert de Boron: Joseph von Arimathia). Und das ist das Urbild der Handlung: Christus hat sich göttlicher Vollmacht durch seine Menschwerdung in den Niederungen menschlicher Erfahrung begeben, besteht aber stellvertretend für die ganze Menschheit die Anfechtungen und Kränkungen der verzaubernden Menschheitsfeinde und rettet die Entwicklung in die Zukunft. Bei Richard Wagner lautet das Motto: "die Wunde heilt der Speer nur, der sie schlug", d.h. die kämpferische Kraft der Persönlichkeit wirkt erst nach Läuterungen konstruktiv, sie macht aus dem Toren einen Wissenden - "durch Mitleid wissend".
Der Musiker Richard Wagner folgt dem Philosophen Arthur Schopenhauer, der leidvolle Erfahrung als Grundtatsache menschlichen Lebens betrachtete. Dieser schließt an die Lehre Buddhas an, der das menschliche Leben von Altern, Leiden und Tod bestimmt sah. Daher wird Buddha auch als Lehrer von Mitleid und Liebe bezeichnet, die Verkörperung dieser Kräfte schreibt Rudolf Steiner dem Christus zu.
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Zum Vorspiel - es ist früher Morgen, der Tag dämmert. "Die Nacht ist tiefer als der Tag gedacht" formuliert Friedrich Nietzsche, der vor seiner Umnachtung ein Wagnerverehrer war. Tiefste Ruhe beseelt die Gralsgegend, in der die Ritter lagernd die Nacht verbracht haben. Es ertönt das Wagnersche Gralsmotiv und das 'Glaubensthema' (Friedrich Oberkogler). Gurnemanz zu den Knappen: "Hört Ihr den Ruf, so danket Gott, daß Ihr berufen, ihn zu hören!"
   Nach dem turbulenten Auftreten des ungestümen Knaben Parsifal und der zwielichtigen Gralsbotin Kundry ertönt abermals ein Ruf - tiefe Glocken begleiten den Zug mit dem mittlerweile vom lindernden Bad in die Hallen der Gralsburg gebrachten kranken Gralskönig Amfortas. Er ist den Verführungskünsten Klingsors, dem Gegner der Gralsritter, Herr von Schloss Schastel marveile (verballhorntes Altfranzösisch für „Schloss der Wunder“) erlegen. Dieser setzt die körperlichen und seelischen Reize der Kundry ein, die seit den Zeiten, wo sie den kreuztragenden Christus verlachte, Dienerin zweier Herren ist - der Gralsritter und des Antichristen Klingsor. Sie täuscht Liebe nur vor, sucht diese zwar und damit ihre Erlösung, zwanghaft spielt sie dennoch mit ihren Verführungskünsten die Gralsritter in die Hände Klingsors - Richard Wagner bekennt sich zur Lehre von Reinkarnation und Karma.
   In der Gralsburg wohnt Parsifal der Gralsspeisung der Ritterschaft bei - eine Handlung, die der König Amfortas sich gerade noch abringen kann. Parsifal fühlt des Amfortas Leiden mit, kommt aber nicht auf die von Gurnemanz erhoffte erlösende Frage. Fragestellungen machen bewußt, sie sind der Anfang von Problemlösungen. Aber Parsifals Name ist Programm: 'Par ce val' - Durch das Tal! Er kämpft sich durch Niederungen und kommt unbeschadet zurück in das Gralsgebiet, wo er wieder auf Gurnemanz trifft - mit gereifter Fragehaltung. Das prädestiniert ihn zum Erlöser des alten verwundeten König Amfortas - ein neues Zeitalter kann beginnen, Parsifal tritt am Schluß an seine Stelle.
   Der zweite Akt der Oper - in Klingsors Reich, ist in meiner Musikvorlage (Richard Kleinmichel und Nicolaj Hansen) übersprungen. Er steht urbildlich für die Versuchungen der modernen Zivilisation, in denen wir mittendrinstehen. Mittelalterliche Zauberkugel und moderne künstliche Intelligenz haben eine Quelle! All die Honoratioren, die zu den Aufführungen des Bühnenweihfestspiels in Bayreuth und anderswo strömen, mögen sich an den 'Brettern der Welt' ergötzen - die brisante Aktualität der Inhalte wird ihnen auch bewußt!?...
   Im dritten Akt geht die musikalische Handlung über in den 'Karfreitagszauber' und wiederum begleiten Glocken den Zug in die Gralsburg. Für unsere Gegenwart ist das Folgende - die Erlösung des Amfortas und der mittlerweile darbenden Gralsritterschaft noch 'Zukunftsmusik', aber im Sinne einer 'realen Utopie', wie die 68er ihre Gesellschaftsentwürfe nannten - noch nicht Realität, aber real erreichbar!
   In meiner Fassung stehen also die Glocken zwischen dem 1. und 3. Akt, diese verbindend. Der 2. Akt ist ausgeblendet, er ist dem Zeitgenossen eigentlich genugsam bekannt. Nur daß die Verführerin Kundry und der machthungrige Klingsor mittlerweile Künstliche Intelligenz einsetzen, ist neu.
   So viel für's Erste, weitere Betrachtungen werden folgen.
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Daß nun am Goetheanum im Schweizer Dornach bei Basel, dem von Rudolf Steiner entworfenen Zentralbau der Anthroposophischen Gesellschaft der 'Parsifal' von Wagner gebracht wird, kann Anlaß geben für eine Zeitbetrachtung.
   Wagner hat Schopenhauers Weltauffassung geteilt, wonach die hauptsächlichste Welterfahrung des Menschen eine leidvolle ist. Demgegenüber ist Nietzsche aus seiner Wagnerverehrung ausgebrochen und hat die Idee des Übermenschen geprägt: Wille zur Macht. Damit hat er sich in den Sozialdarwinismus eingereiht: Leben ist Kampf, Selbstsucht dann der einzige Antrieb. Wagners Hauptmotiv seines Parsifals ist: "Durch Mitleid wissend, der reine Tor", Selbstlosigkeit ist der Antrieb der Gralshüter.
   Einen größeren Gegensatz der moralischen Haltung kann man sich eigentlich kaum denken. Was schafft Frieden? was zeitigt Krieg? Da hilft ein Gedanke von Schiller: "Suchst du das Höchste, das Größte? Die Pflanze kann es dich lehren: Was sie willenlos ist, sei du es wollend – das ist's!". Bis zum Kristall hin gedacht, ist es eigentlich der 'Stein der Weisen', es ist der Gral, die Schale, die das wesenhaft Höchste aufnimmt - Anverwandlung der Welt ins Menschliche.
   Der 'reine Tor' verfällt nicht den Urtrieben eines Zerrbildes von Liebe - Kundry, das nur getriebener Egoismus ist. Vorgetäuschte Empathie, die einem uneingestandenen Egoismus - ob persönlich oder institutionell - dient, ist bei manchen jungen Menschen in der Geschichte verderblich und versucherisch gewesen, es sei an Kaspar Hauser, Jiddu Krishnamurti oder auch an den Knaben im Vorspiel des Ersten Mysteriendramas von Rudolf Steiner erinnert. Sekten nutzen die Ahnungslosigkeit junger Menschen oft ungehindert aus und kommen dabei mit jugendfördernden Vereinssatzungen daher. Parsifal kann den Urinstinkten und Werkzeugen von Macht - Klingsor, widerstehen, der früher mit der Glaskugel, heute mit IT daherkommt, auf jeden Fall immer mit vorgetäuschtem Interesse und gleissender Faszination.
   Die Evolution ist aufsteigend. Das Menschsein verlieren wir aber, wenn wir das Höchste im Egoismus und Instinkt sehen. Dann vertieren wir, und vegetieren ichlos. Künstliche Intelligenz füllt das so entstandene Vakuum - aber nicht mit Menschlichem!
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Ein zarathustrisches Motiv
Das natürliche und das soziale Klima sind gegenläufig, letzteres wird immer kälter.
Der Sonnengeist Ahura Mazdao - die 'große Aura', hat einen Gegenspieler, Angra Mainyu - 'arger, böser, feindseliger Geist', ein avestischer Begriff, der in der zoroastrischen Theologie das kalt Zerstörerische repräsentiert. Dort erscheint der Name als 'Ahriman' (nach Wikipedia). Bei Wagner sind es der Gralskönig und sein Gegenspieler Klingsor, in Goethes Faust ist es Gottvater und Mephistopheles, der aber gemischte Züge trägt - einmal ahrimanisch kalt, und dann wieder luziferisch hitzig. Bei weiterem Interesse hier anklicken: Zarathustra
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Gedanken -  beim Üben von Szenen aus PARSIFAL:
" DAS SAGT SICH NICHT "
Musik kann es aber sagen - zur Inspiration führen!
Der 'Gral' ist eigentlich eine Wegbeschreibung zum Ziel und den Wurzeln des modernen Menschen!
Im 1. Akt wird die erste Stufe des Gralsweges dargestellt, die 'Tumbheit' [Unaufgeklärtheit] des bloß empfindenden Menschen. Im 2. Akt der 'Zwifel' [Zweifel] des bloß verständigen, dann im
3. Akt die 'Saelde' [Erkenntnissicherheit] des seiner selbst bewusst gewordenen Menschen.
D.h. "Zum Raum wird hier die Zeit" -
In der Raum gewordenen Zeit (Biographiearbeit!) ereignet sich bei Richard Wagner die Gralssuche:
1. Akt:
GURNEMANZ   Hoch steht die Sonne: nun laß zum frommen Mahle mich dich geleiten; denn, – bist du rein, wird nun der Gral dich tränken und speisen.
PARSIFAL                 
Wer ist der Gral?
GURNEMANZ          
Das sagt sich nicht;
doch bist du selbst zu ihm erkoren,
bleibt dir die Kunde unverloren. -  Und sieh! -
Mich dünkt, daß ich dich recht erkannt:
kein Weg führt zu ihm durch das Land,
und niemand könnte ihn beschreiten,
den er nicht selber möcht' geleiten.
PARSIFAL            
Ich schreite kaum, -
doch wähn' ich mich schon weit.
GURNEMANZ     
Du siehst, mein Sohn,
zum Raum wird hier die Zeit.
[Allmählich verschwindet der Wald, in Felswänden öffnet sich ein Weg. Nach aufsteigenden Gängen treten sie in den mächtigen Saal der Gralsburg ein]
GURNEMANZ      
Nun achte wohl; und laß mich
seh'n, bist du ein Tor und rein, welch
Wissen dir auch mag beschieden sein.

Es folgt die Gralsspeisung, bei der die Not des kranken Königs Amfortas und der Gralsritter deutlich wird. "Der reine Tor" ertönt es aus Himmelshöhen. Parsifal erlebt das Problem, wird aber nicht aktiv, frägt nicht: "Was fehlt Dir?" Diese Frage führte erst heilend zum Problem der Menschwerdung zwischen Gut und Böse - dem verdrängten Mysterium unserer Zeit!. Denn Fragestellungen haben initiatorische Wirkung.
Darum:

GURNEMANZ           
Was stehst du noch da?
Weißt du, was du sah'st?
[Parsifal faßt sich krampfhaft am Herzen
und schüttelt dann ein wenig sein Haupt. Gurnemanz sehr ärgerlich]
Du bist doch eben nur ein Tor!
[Er öffnet eine schmale Seitentür]
Dort hinaus, deinem Wege zu!
[Er stößt Parsifal hinaus und schlägt mürrisch  hinter ihm die Türe zu. Eine Altstimme aus der Höhe:]

"DURCH MITLEID WISSEND, DER REINE TOR"
-
Also: LASST UNS FRAGEN STELLEN!

 

  aus der Musik-Werkstatt