Das Urbild der Freiheitsgesellschaft
und Anthroposophie
1) Zuerst sei bei diesem Thema des allereinfachsten Tatbestandes gedacht: Des Unterschiedes, ob man sich der Gründe seines Handelns bewußt ist - und um das Handeln geht es bei der Frage nach der Freiheit des menschlichen Wollens - oder ob unbewußt waltende Motive und Triebfeder das Handeln unausweichlich bestimmen (GA4,I). Dieser kleine Unterschied macht die Freiheit des Menschen aus. Rudolf Steiner hat ihn in einleuchtendster Weise dargestellt in seiner "Philosophie der Freiheit". Und in bezug auf die Herleitung dieses Tatbestandes nützt es nach Steiner nichts, wenn nach den allerersten Anfängen menschheitlichen Werdens gefragt wird, wie es ja gerne das Anliegen historischer Forschung ist. Im Gegenteil: das Letzte, zu dem es die Geschichte der Menschheit gebracht hat, ist der Ausgangspunkt des Philosophen. Und weil einzig unser Denken im selbstgestalteten Vollzug völlig gegenwärtig und evident ist, kann nur es uns die Aufschlüsse verschaffen, die wir für das Weltgeschehen suchen.
In der Folge der Erkenntnissuche kann dann des biblischen Berichtes gedacht sein: das Thema Freiheit ist auch hierarchisch-kosmologisch zu behandeln: die Schlange im Paradies respektive Luzifer vermittelt dem Menschen die erste - verfrühte - Freiheit, und sie bringt als Wesentlichstes die Erkenntnis mit sich, zunächst die vordem göttliche Fähigkeit der Unterscheidung zwischen Gut und Böse. Und diese Unterscheidungsfähigkeit ist uns mittels unseres Denkens erst gegeben. (Lauer3/1; GA105, 10.8.1908)
"Freiheit darf man sich nie schenken lassen, man muß sie sich nehmen"
so Friedrich Schorlemmer (13.1), man denkt dabei an Goethes Faust:
"Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muß"
Freiheit ist auch das Grundanliegen Rudolf Steiners, auf die Frage:
"Wie ist aber ein Zusammenleben der Menschen möglich, wenn jeder nur bestrebt ist, seine Individualität zur Geltung zu bringen?"
antwortet er:
"Leben in der Liebe zum Handeln und Lebenlasssen im Verständnisse des fremden Wollens ist die Grundmaxime des freien Menschen" (13.2a)
und
"Das Barometer des Fortschritts in der Entwicklung der Menschheit ist nämlich in der Tat die Auffassung, die man von der Freiheit hat, und die praktische Realisierung dieser Auffassung" (13.2b)
In diesem Sinne hat er auch die anthroposophische Gesellschaft als eine Freiheitsgesellschaft gegründet. Der Historiker Christoph Lindenberg hat energisch darauf hingewiesen, daß die Geschichte der Anthroposophischen Gesellschaft nicht gleichzusetzen sei mit der Geschichte ihrer Probleme, denn angesichts großer Aufgaben scheint Erreichtes naturgemäß minimal (13.3). Bodo von Plato, ehemals Vorstand der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft, betrachtet es als ein gutes Zeichen, wenn eine Gesellschaft, deren Mitglieder an sich arbeiten und nach Erkenntnissen suchen, konfliktreich lebt. Und Wolf-Ulrich Klünker, ehemals Vorstand der Deutschen Anthroposophischen Landesgesellschaft, weist daraufhin, daß es zu geistiger Übereinstimmung nicht erforderlich ist, sich gemütswarm zu assoziieren (13.4a).
"...eine der vielen Ansichten, die Goethe mit allen auf geistigem Gebiete energisch sich betätigenden Menschen gemein hat, ist: das rücksichtslose Eintreten für das als wahr Erkannte und Durchschaute, das sich zugleich verbindet mit der höchsten Achtung der fremden Individualität. Nur wer selbst etwas ist, kann auch den andern erkennen, der gleichfalls etwas bedeutet. Der Durchschnittsmensch, der alles und deshalb nichts sein will, verlangt ebensolche Nichtse neben seinem eigenen. Wer selbst nach der Schablone lebt, möchte auch die andern danach gestalten. Deshalb haben alle Menschen, die etwas zu sagen haben, auch Interesse für die andern. Die aber, die eigentlich gar nichts zu sagen haben, die sprechen von Toleranz und Liberalismus. Sie meinen damit aber nichts weiter, als daß ein allgemeines Heim für alles Unbedeutende und Flache geschaffen werden soll. Sie sollen dabei nur nicht auf die rechnen, die Aufgaben in der Welt haben. Für diese ist es verletzend, wenn man ihnen zumutet, sich unter das Joch irgendeiner Allgemeinheit zu beugen; sei es das einer allgemeinen Kunstnorm oder das einer allgemeinen Sittlichkeit. Sie wollen frei sein, freie Beweglichkeit ihrer Individualität haben. In der Ablehnung jeglicher Norm besteht geradezu der Hauptgrundzug des modernen Bewußtseins. Kants Grundsatz: Lebe so, daß die Maxime deines Handelns allgemeingeltend werden kann, ist abgetan. An seine Stelle muß der treten: Lebe so, wie es deinem innern Wesen am besten entspricht; lebe dich ganz, restlos aus. Gerade dann, wenn ein jeder der Gesamtheit das gibt, was ihr kein anderer, sondern nur er geben kann, dann leistet er das meiste für sie. Kants Grundsatz aber fordert die Leistung dessen, was alle gleichmäßig können. Wer ein rechter Mensch ist, den interessiert das jedoch nicht..."(13.4b)
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Auf das Argument: "aber das höchste Maß von Individualität erwächst nicht aus einem Übermaß an Individualismus" entgegnet Rudolf Steiner:
"Von einem Übermaß des Individualismus kann überhaupt nicht gesprochen werden, denn niemand kann wissen, was von einer Individualität verlorengeht, wenn man sie in ihrer freien Entfaltung beschränkt. Wer hier Maß halten will, der kann gar nicht wissen, welche schlummernden Kräfte er mit seiner plumpen Maßanlegung aus der Welt austilgt. Praktische Vorschläge zu geben gehört nicht hierher; wohl aber ist hier der Ort zu sagen, daß, wer die Entwicklung der Menschheit zu deuten weiß, nur für eine Gesellschaftsform eintreten kann, die die ungehinderte allseitige Entwicklung der Individuen zum Ziele hat, und der jede Herrschaft des einen über den andern ein Greuel ist. Wie der einzelne mit sich selbst fertig wird, das ist die Frage. Jeder einzelne wird diese Frage lösen, wenn er nicht durch alle möglichen Gemeinschaften daran gehindert wird"...(13.4c).
Anthroposophie und damit freies Handeln ist nicht unter Anleitung zu erlernen, wie das von Siegfried Woitinas zu lesen war (13.5a). Wenn man sich für eine Arbeitsgemeinschaft entscheidet, dann kann diese Entscheidung doch wohl nicht die letzte freie Entscheidung vor dem Eintritt gewesen sein. Es mag im Sinne des ersten Teiles des Soziologischen Grundgesetzes für die Entwicklung eines anthroposophischen Betriebes sicher hilfreich sein, wenn der einzelne Mitarbeiter Opfer bringt. Und da mag auch als Voraussetzung gelten, daß die Philosophie der Freiheit studiert wird, eher müßte aber gefordert werden: "Gewähren Sie Freiheit, Sir", womit natürlich nicht ein Laissez-faire im Dschungelcamp gemeint sein kann (13.5b). Der Begriff der Freiheit wird auch so gewendet, daß sie die Einsicht in das Notwendige sei. Autonomie ist damit noch längst nicht gegeben, denn es kommt doch darauf an, wer was wann und wie als notwendig erachtet. Es ist ein urzeitliches Relikt, wenn befürchtet wird, daß der zur Persönlichkeit strebende Mensch ohne rechte Führung auf Abwege gerate. Wer so denkt, sollte eher Marionettenspieler werden und sich dafür geeignete Objekte suchen. Mit Anthroposophie hat das herzlich wenig zu tun, auch wenn sich da mancher eine Gruppe auf sachlichem Felde zusammenholt, wo dann aber statt des Aufwachens am Andern eher dessen Einschläfern institutionalisiert ist (13.6). Wer die Steinertexte ständig vorliest und herunterbetet, bis die Mitarbeiter sie auswendig kennen, fördert vielleicht seine eigene Weiterentwicklung, auf jeden Fall nicht das freie Erkenntnisgespräch (13.7).
Dabei fordern diese Anthro-potentaten geistige Forschung, die sie bei anderen vermissen und suchen dafür selbst oft die Hilfe von hellsichtigen Medien und Geistheilern. Übersehen sie die vielen Tätigen in der von Rudolf Steiner 1924 eingerichteten Hochschule für Geisteswissenschaft? Für diese wird die Arbeit in der allgemeinen anthroposophischen Gesellschaft als Vorschule betrachtet. Eigens Studienseminare wurden von Steiner nicht eingerichtet. L’art pour l’art ist bei ihm nicht denkbar. Das Denken über das Denken ist ein inhaltsgesättigter Ausnahmezustand, nicht der Praxisleerlauf überheblicher Spekulanten (13.8). Weil sie sich nur noch überhebt, ist das Ansehen der Philosophie in den letzten Jahrhunderten ja gerade geschwunden und bietet heute keine tragfähige Grundlage für eine Erneuerung des Geisteslebens (13.9). Ein anderes sind berufsqualifizierende Studien und berufsorientierende Seminare für junge Menschen. Pseudo-Avantgarden scheuen aber die damit verbundene Verantwortung und veranstalten lieber unverbindliche Sozialglamourshows mit illustren Preisträgern und Konjunktiv-Entwürfen: Könnte, sollte, müßte, würde... Da trieft es bedeutungsschwanger - die eigene Aktivität idealistischer, jugendlicher Menschen wird dabei zugedeckt wie von dem wärmenden Unterteil einer Glucke, echte Lernprozeße und Qualifizierung finden nicht statt. Was dem Leben dienen soll, darf aber auch nicht etwas sein, was abstrakt in die Köpfe gepreßt wird, schon gar nicht in Zeiten der virtuellen Verfügbarkeit von Wissen. Nach Professor Thürkauf, der bei der Entwicklung von schwerem Wasserstoff maßgeblich beteiligt war und später vor den Folgen dieser Entwicklung warnte, ist Bildung mehr: Wissen plus die Fähigkeit und Reife, damit konstruktiv umgehen zu können.
Für Steiner war das Leben selbst das Studium, wie er es schon ab 1910 exemplarisch in den Mysteriendramen dargestellt hat (13.10). Dort wird auch geschildert, was passiert, wenn ein hochentwickelter Mensch zur overprotecting mother wird. Eine der ersten Schilderungen Rudolf Steiners ist es, daß der Eingeweihte seine Handlungen immer so einrichtet, daß sie nie in die Freiheit eines Menschen eingreifen. Er bezeichnet dies als die eine der Klammern, die alle wahren Eingeweihten verbindet. Die andere ist die, auch niemandem etwas nahezubringen, wofür er noch nicht reif ist (13.11). Krishnamurti hat am 2.8.1929 den Sternorden aufgelöst, wo er von ehrgeizigen Theosophen zum wiedererstandenen Jesus erkoren wurde und dies mit folgender Anekdote begründet:
"Der Teufel und sein Freund gingen die Straße entlang. Da bückte sich vor ihnen einer und hob etwas von der Straße auf. Der Freund fragte, was dieser aufgehoben habe. Der Teufel meinte: ein Stück Wahrheit! - Oh, das ist dann ein schlechtes Geschäft für Dich! meinte der Freund. Oh nein, meinte der Teufel: ich werde es ihn organisieren lassen!"(13.12a).
Es muß natürlich zwischen dem östlichen Stil der Theosophie und den europäischen Verhältnissen unterschieden werden, die zur Erneuerung der Mysterien hier andere Anforderungen stellen. Und der Aufbau einer Organisation muß nicht mit dem Freiheitsprinzip kollidieren, wenn hier auf der mesosozialen Ebene konsequent gegliedert wird, wie das in den vorangehenden Seiten schon ausgeführt wurde.
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"Damit Geister heruntersteigen" ist folgendes Steiner-Zitat überschrieben: "Dadurch dass die Menschen freiwillig ihre Gefühle zusammenstrahlen lassen, wird wiederum etwas über den bloß emanzipierten Menschen hinaus gebildet. Der emanzipierte Mensch hat seine individuelle Seele; die geht niemals wieder verloren, wenn sie einmal errungen ist. Aber dadurch, dass die Menschen sich in freiwilligen Zusammenhängen zusammenfinden, gruppieren sie sich um Mittelpunkte herum. Diese Gefühle, die so zu einem Mittelpunkt zusammenströmen, geben nun wiederum Wesenheiten Veranlassung, wie eine Art von Gruppenseele zu wirken, aber in einem ganz anderen Sinne als die alten Gruppenseelen. Alle früheren Gruppenseelen waren Wesenheiten, die den Menschen unfrei machten. Diese neuen Wesenheiten aber sind vereinbar mit der völligen Freiheit und Aufrechterhaltung der Individualität des Menschen. Ja, wir dürfen sagen, sie fristen in einer gewissen Beziehung ihr Dasein von der menschlichen Einigkeit; und es wird in den Seelen der Menschen selbst liegen, ob sie möglichst vielen solchen höheren Seelen Gelegenheit geben, herunterzusteigen zu den Menschen, oder ob sie es nicht tun. Je mehr Zusammenhänge gebildet werden und je mehr da Gemeinschaftsgefühle bei völliger Freiheit ausgebildet werden, desto mehr erhabene Wesenheiten werden zu den Menschen heruntersteigen und desto schneller wird der Erdenplanet vergeistigt werden" (Hervorhebung KK, 13.12b).
2) Götterebene
Diese Ebene höher sei ins Auge gefaßt. Selbst ein Wotan muß einsehen, daß er eines nicht schaffen kann: den freien Menschen (13.13). Und auch Prometheus kann höchstens das Feuer, Loki-Luzifer das Erkenntnislicht bringen. Im Paradies, wo Adam und Eva selig, aber nicht frei waren, brachte ihnen die Schlange den Apfel vom Baum der Erkenntnis. Erst durch die sich entwickelnde Erkenntnisfähigkeit, die auch die Einsicht in das Walten des Guten und Bösen mit sich brachte, wurde der Mensch wie einer der 'unseren', nämlich der Götter und damit auf den Weg zur Freiheit gebracht. Adam und Eva konnten vorher nicht wissen, was es mit dem Gebot Jehovas auf sich hatte - sie konnten es praktisch nur halten oder übertreten, aber nicht einsehen: -"Denn sie wissen nicht, was sie tun". Mit dem Genuß des Apfels kann auch erst die Erkenntnis für die Übertretung kommen, er zeigt eigentlich den Stand der Unschuld an, wenn auch Eva in der biblischen Schilderung zuerst auf die Schlange hereingefallen ist und der ahnungslose Adam quasi zum Nachahmungstäter wurde. Da handelt es sich um einen Fall in die Sünde, nicht um einen Fall durch die Sünde (13.14). Warum hat der liebe Gott seine Reichtümer aber auch nicht ordentlich weggeschlossen? Und außerdem hat er Adam und Eva einer suspekten Gesellschaft im Paradies ausgesetzt: die Schlange kann sich drehen und wenden wie sie will: sie ist an die Horizontale gebunden, und was sie in einer Schein-Aufrichte (Aufrichtigkeit) am Apfelbaum, dem Baum der Erkenntnis, vorführt, hat nicht Hand und Fuß und führt nur in die Abhängigkeit von der Erde und letztlich zur Abkehr vom Paradies. Es darf aber doch angenommen werden, daß die Elohim ein Bewußtsein des Ganzen gehabt haben, was z.B. im Faust von Goethe so formuliert ist:
..."Des Menschen Tätigkeit kann allzuleicht erschlaffen, er liebt sich bald die unbedingte Ruh', drum geb ich gern ihm den Gesellen zu, der reizt und wirkt und muß als Teufel schaffen"... (LI,S35)
Wie die Menschheit bei all dem in ihrer Freiheitsentwicklung gefördert wurde und wie störend das alles im Weltgeschehen sich ausnimmt, beurteilt ein Erzengel durch sein Wesen: Sein Name ist'Wer ist wie Gott?'So lautet aus dem Hebräischen übersetzt Michael, er ist die kosmische Meßlatte bei Überheblichkeit (13.15a) und der Drachenkämpfer gegen die chtonischen Tiere der Unterwelt. Damit steht er für die zeitgerechte Entwicklung menschlicher Freiheit zwischen Verfrühung und gar nicht. Er ist der Erzengel der Reinigung des geistigen Horizontes - der Verwalter der makro- und mikrokosmischen Intelligenz im Geistesleben der Menschheit, aber er führt nicht, sondern lässt frei auf den Wegen zur Wahrheit, was für ihn aber auch nicht zwingend ist, wie das anläßlich einer Darstellung der Geschicke um Jeanne d'Arc von Rudolf Steiner gezeigt wurde (13.15b). Der kosmopolitische Zug in der neueren Geschichte, der wie dargestellt, auch die 68er bewegte, hängt zusammen mit diesem freiheitlichen Zeitgeist (13.16a). Wem er das 'Buch zu essen' gibt mit dem Zusatz: "Es wird dir im Munde süß sein, doch im Bauch wird es dich grimmen" (13.16b), der muß über seine idealistische Beflügelung hinaus die Erfahrung machen, daß die Umsetzung von Idealen ein langer, entbehrungsreicher Weg werden kann. Und so hat der Erzengel Michael einen etwas längeren Atem, wo ein Atemzug dann schon mal 300 Jahre Geschichte zeitigt. Die geistige Reife der Menschheit ist das Herzensanliegen dieses Erzengels (13.17a). Und vor allem: die Freiheitsentwicklung zum mündigen, selbstbestimmten Menschen hat in der Erziehung des Menschengeschlechts wie in der Pädagogik mehrere Stufen! Schon Lessing weist auf veränderte Verhältnisse durch das christliche Geschehen hin. Der Vatergott des Christentums mag streng die Einhaltung des Gesetzes fordern, aber er hat im Gegensatz zum Islam einen Sohn, dem er doch wohl nicht die Hände abhacken würde (Hände hier verstanden als Möglichkeit des Handelns). Und dieser Sohnes-Gott vermittelt schließlich den Heiligen Geist, mit dem wieder völlig andere Verhältnisse eintreten (LIII,1.Kap.). Der Erzengel Uriel, der im Jahreslauf um Johanni die menschlichen Verfehlungen sichtet und richtet, ist der Patron von Johannes dem Täufer, der die Ankunft des Heiligen Geistes vermittelt.
Es hilft nichts, angesichts möglicher und vollzogener menschheitlicher Verirrungen die Geschichte zurückschrauben zu wollen auf frühere Verhältnisse des Menschen zur Freiheit, und damit zu Gut und Böse, wie jesuitisch Gesinnte das wollen. Man darf wirklich gespannt sein, wie modern Franziskus I. auftreten wird. In Uriel erscheint und ertönt der Zorn Gottes (13.17b), als Richter stellt und bringt er alles an den richtigen Platz und in die angemessene Entwicklung. Und Christus ist der oberste Richter und Herr des Karma (13.17c). Die beeindruckenden, aber auch beängstigenden Darstellungen des Jüngsten Gerichts, z.B. von Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle, überdecken, daß der gute Hirte keines seiner Schafe dem Abgrund überantworten wird, sondern daß das geistige und auch das weltliche Richteramt verstanden sein will als Hilfe beim Suchen der Richtung, die zum Leben führt, und nicht etwa zu Tod und Teufel. Novalis schildert lapidar die Situation des modernen Menschen:
"Manche Leute hängen wohl darum so an der Natur, weil sie als verzogene Kinder sich vor dem Vater fürchten und zu der Mutter ihre Zuflucht nehmen".
Von der Suche nach dem Geist ist dann erst gar nicht mehr die Rede. Das Böse,das heutzutage auf den Plan getreten ist, kennzeichnet sich durch gleichzeitig retardierende und akzelerierende Züge. Die Suche nach der Mitte ist schon beschrieben worden (s.Kap.9). Die Schädigungen durch die Verfehlungen des gesunden Mittelwegs hilft der gütige Raphael auszugleichen, aber nicht nur auf medizinischem, sondern auch auf sozialhygienischem Felde. Auf künstlerischem Gebiet wirkt Gabriel - er verkündet die Geburt des Geisteskindes im Seelenschoß (13.17d). Diese ist nicht anders als auch bei Schiller zu denken: er läßt den Künstler durch das Morgentor der Schönheit in der Erkenntnis Land gelangen. All diese Darlegungen zeigen, daß Erzengel inspirierend hinter den Idealen Wahrheit, Schönheit und Güte stehen (13.17b). Und hinter sozialer Gerechtigkeit steht Uriel, da kommt man wirklich in den Bereich einer Zukunftsmusik, die mit den genannten Idealen noch gar nicht erfaßt wird.
3) Atlantidis
Vermittlung zwischen der Freiheit und den Pflichten des sozialen Lebens ist heute die Aufgabe des Rechtsstaates. Das nennt Steiner die soziale Dreigliederung. Charismatische Führernaturen waren auf der Atlantis legitimiert, heute outen sich diese Damen und Herren als Schausteller vom politischen oder esoterischen Fach, halten es mit den Götterzielen locker und daher besonders mit der Freiheit Anderer (s.a.13.11). Das katastrophale Hitler-Regime ist nicht ohne diese atlantischen Reminiszensen zu begreifen, auch wenn Historiker sich mit Händen und Füssen gegen eine solche Erweiterung ihre Horizontes stemmen. An Atlantidis, wo das Rad der Geschichte zurückgedreht wird, leidet aber auch heute mancher Guru, der sich berufen glaubt, eine Mission zu verkörpern, bei der in der Praxis dem Sozialen der Vorrang vor dem Individuum gegeben wird - faschistisch war das eine und faschistoid ist das andere! Es ist ein Vergehen gegen das soziologische Grundgesetz, wenn heute wie in Sparta Individuen zugunsten einer Gemeinschaft geopfert werden (13.17e), die Mitte (s.a.Kap.9) zwischen Freiheit und sozialer Verpflichtung wird verfehlt, eine schwül-warme Startphase schlägt um in kalte Machtkämpfe. Ein Kennzeichen ist die blinde Gefolgschaft der warmherzig bewegten Anhänger und auf der anderen Seite die kühl kalkulierte Vertrauensfrage des Taktikers. Rudolf Steiner nennt dies das unbewußte Reiten des Löwen, denn hier werden launige Gefühlskräfte instrumentalisiert und manipuliert, die graduell nur halbbewußt werden und aus dem intellektuellen Bewußtsein nicht beherrscht werden können. Simson, der im Alten Testament als der Löwenbezwinger dargestellt wird, kämpft gegen die Philister, die in ihrem Gott Dagon ein Fischwesen anbeten, das deutlich auf das Erbe der atlantischen Luft-Wasser-Zeit hinweist (13.18). Simson als Vertreter einer fortschreitenden Entwicklung kann die Löwenkräfte schon beherrschen. Seine starke Kraft hängt mit seiner eigenen Löwenmähne zusammen, die gleichsam als Sonnenantenne durchlichtete, durch-ichte (vom "Ich" durchdrungene) Kräfte einfängt. Deswegen wird er erst kraftlos bzw. inspirationslos, als ihm Delilah (-die Nächtige) den Haarschopf abschneidet . Er ist auf das besonnte - besonnene - Tagesbewußtsein angewiesen. Aber die Philister sind noch heute unter uns, sie können das Individuum nicht sehen, geschweige denn anerkennen (s. Emil Bock, Beiträge zur Geistesgeschichte der Menschheit).
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Man sollte unter diesem Gesichtspunkt einmal die Grabenkämpfe der politischen Parteifraktionen in ihrer demonstrativen Geschlossenheit anschauen! Sie kommen nur meistens nicht an die Öffentlichkeit, weil gedeckelt und Geschlossenheit zur Schau gestellt wird. Da gibt es dann den Mißtrauensantrag, wenn vermutet wird, daß die Gegenseite in ihren eigenen Reihen nicht genügend Rückhalt hat. Und wird in den Vereinen mancher Kulturarbeit, Jugendhilfe oder Hilfe zur Selbsthilfe die Gemeinnützigkeit in Anspruch genommen, dann ist die Frage, wer da wem hilft. In einem Film in der ARD am 23.2.2015: "Wenn Jugendhilfe zum Geschäft wird" wurde dazu auch Heinz Buschkowsky, ehemals Bürgermeister in Berlin-Neukölln, zu diesem Thema zitiert. Es wird da in eine Grau- oder gar schon Schwarzzone unserer Kultur Licht gebracht, denn manche sogenannte Wohlfahrtsarbeit wird lukrativ gefördert und im Übrigen schaut man nicht genau hin, wie es z.B. bei der Berliner Treberhilfe oder in Ameland geschehen ist und sonstwo ständig geschieht. Bei Zuwendungen der öffentlichen Hand wachsen den Gemeinnützigen schnell die Arme und Hände. Die Beine werden dabei immer kürzer. Damit kommt der erdenflüchtige Luzifer ins Spiel, der sich gebrannt und angekettet fühlen würde, sollte es wirklich um Verantwortung gehen. Phantastische Leitbilder und wohlklingende Satzungen werden da geschmiedet, aber nur inkompetente Sozial- und unproduktive Kulturarbeit gefördert und am Scheinleben erhalten. Die Zuwendungen werden am Menschen vorbei in Einrichtungen geschleust, wo verantwortliches Handeln nur in der Satzung steht und in nichtöffentlichen Mitgliederversammlungen die Mitwirkung aktiver und fördernder Mitglieder unterbunden bleibt. In der Wirtschaft ist die Abhängigkeit der Betriebsbelegschaft treffend gekennzeichnet mit dem Bonmot: 'Wes Brot ich eß', des Lied ich sing. Das alles kann erst dann nicht mehr passieren, wenn ein Grundeinkommen den Einzelnen unabhängig macht und ihm ermöglicht, bei sozialer Bedürftigkeit institutionellen Zwängen und Versprechungen gegenüber kritischer zu sein und so dem Prinzip Zuckerbrot und Peitsche zu entgehen.
4) Anthroposophische Gesellschaft und Rudolf Steiner
Auch hier sei ein Text eingefügt, der das Thema der Mitte (Kapitel 9) verbindet mit wahrer Freiheit:
"...'Leben in der Liebe zum Handeln und Lebenlassen im Verständnisse des fremden Wollens ist die Grundmaxime der freien Menschen'. Wenn Liebe und Toleranz zum Prinzip des Handelns, der eigentlichen Bestimmung der 'vita activa' erhoben werden, dann wirkt dies naturgemäß auch zurück auf die Bereiche des Herstellens und Arbeitens... Der denkend und liebend sich in und an der Welt und den Menschen gestaltende, freie Mensch ist gleichermaßen verantwortlich für sich selbst wie für die anderen. Vor der Skylla Totalitarismus bewahrt bleibt er durch die Bindung allen Werdens und nicht zuletzt der Sittlichkeit an sich selbst als Individuum. Die Charibdis Anarchie wird umschifft durch den republikanisch verfaßten, dreigegliederten Sozialorganismus. Fehlt bislang die Übereinstimmung aller mit der 'Alternative' Anthroposophie: 'Der Freie verlangt von seinen Mitmenschen keine Übereinstimmung, aber er erwartet sie, weil sie in der menschlichen Natur liegt'..." (der Text in erweiterter Form s.13.19a).
Freiheitsentwicklung ist ein zweischneidiges Schwert: Entweder Geschöpf oder freier Mensch! Der grüne Diktator (13.19b), der die Welt auch gegen ihren Willen politisch grün machen würde, könnte durchaus auch violett auftreten! Ein Klingsor und Kundry mit ihren inter- und busennetten Manipulations- und Verführungskünsten stammen schließlich auch aus dem Gralsgeschlecht (13.20). Rudolf Steiner dagegen wahrte die Freiheit seiner Schüler, wenn er auch seine eigene zu wahren wußte. Dabei war er aber nicht machthungrig, wie ihm das jetzt von einer Art Stockfischen unterstellt wird, die ein Wasser erst mit ihrem kompendialen Output trüben müssen, um sich dann vornherum als Aufklärer anzudienen (13.21). Wer nur historistisch und philologisch ableiten kann, übersieht das Wesentliche: das Neue in der Weltgeschichte! Und das besteht nicht nur aus Arnikasalbe und Demeter, wie das ein selbsterklärter Kenner der Anthroposophie vielleicht sehen mag (über Zander: 13.22). Den Vorsitz der Anthroposophischen Gesellschaft hat Steiner erst kurz vor seinem Tod noch übernommen, und damit vielleicht auch zunächst sich selbst. Denn bis dahin ist er nur als Lehrer aufgetreten (13.23). Das ist aber eine weit in die Zukunft weisende Schicksalsfrage aufgrund einer wesentlichsten Inaugurationstat die Öffentlichkeit der Mysterien betreffend (13.24). Und er hat damit für die soziale Entwicklung der anthroposophischen Gesellschaft an die hybernischen Mysterien angeknüpft, deren Wesens-verwandtschaft ihm in diesen Jahren erst bewußt wurde (13.25). In der irischen Tripelspirale kann das okkulte Zeichen für einen integrativen sozialen Prozeß gesehen werden, der aus dem Hin und Her eines polaren Geschehens heraus und aus der Polarität zu einer Steigerung führen kann (13.26). Es ist unschwer das Dreieck zu erkennen, das hier aus einem absolut dynamischen Prozeß entsteht.
Auch eine Organisation - ein sozialer Organismus - kann im Laufe der Zeit verkalken und verkrusten und bedarf dann eines Neuansatzes. Und auch bei einer juristischen Person kommen Jahrsiebte als Entwicklungszeiträume in betracht wie bei der Biographie eines Menschen, denn letztlich hängen auch die organisatorischen Gestaltungskräfte von sich entwickelnden Menschen ab: Wie kommt man dann über Gegensätze und Ab- und Ausgrenzungen hin zu integrierenden Impulsen und Prozessen? Denn wenn die alten Geister der Persönlichkeit ihren Abgrenzungskult mit Burgen und Schlössern, neuzeitlich mit Abteilungen und Stationen vollführen, dann wird gemauert. Das kann bis zur Lähmung gehen. Die 'Integrationsphase' soll wieder die Initiative Einzelner freisetzen und über Polarisierungen während der 'Organsiationsphase' zur Integration verschiedener Haltungen und Ansätze führen. Dazu braucht es nicht unbedingt neue Köpfe, sondern neue Inhalte, z.B. die Assoziation mit anderen Einrichtungen, weswegen auch von der Assoziationsphase gesprochen wird (13.27). Aber es ist schon ein gutes Zeichen, wenn keine Köpfe rollen, es sei denn, wenige Köpfe werden immer grösser und kantiger, so daß nicht wirklich Platz für weitere bleibt. Ein Gegensatz im Sinne des 9. Kapitels in der betrieblichen Entwicklung kann auch folgendermaßen geschildert werden: Die Pionierphase, die Anfangszeit eines Unternehmens kann warmherzig bewegt sein bis schwül geschwängert in illusionärer Freiheit - erkennbar von Luzifer inspiriert. Die Organisationsphase: abkühlend bis erkältend im kalten Zwang, wo es etwas wie ein begeistertes Mobbing gibt, gleichsam institutionalisiert - erkennbar influenziert von Ahriman.
Das Wesen der Bewußtseinsseele und der ihr im sozialen Werden entsprechenden Integrationsphase bzw. der sich anschließenden Assoziationsphase ist es, Initiative im vollen Bewußtsein der Voraussetzungen und Folgen zu ergreifen (13.28). Der Volksmund sagt sehr treffend, daß man auf seine Ideen festgenagelt wird. Da wird ein freies Opfer gebracht. Und nach dem Tod Rudolf Steiners hat seine integrierende Kraft gefehlt. Hinterher lässt sich so etwas bekanntlich leicht feststellen. Aber er hat die Mysterien wiederbelebt und ihre zeitgemäße Freiheitsgestalt geschaffen, denn die Urform der Zusammenarbeit in der Anthroposophischen Gesellschaft beruht auf Zustimmung, nicht auf Abstimmung mit Mehrheits- und Fraktionszwängen! (13.29). Wenn man z.B. verschnupft zum Apotheker geht, stimmt man seinem Angebot schon stillschweigend zu, und geht woanders hin, wenn man einen Orden haben will. Und wenn man einen solchen braucht, sollte man deswegen nicht zur Anthroposophischen Gesellschaft gehen, sonst ist man schnell verschnupft. So ein Titel wie 'Generalsekretär' ist aber auch vielleicht etwas antiquiert und impliziert, daß es da Orden zu holen gibt. Und es hilft auch nicht, den Titel abzuschaffen, aber trotzdem generalisierend zu agieren. Daß die Vorstände die demokratische Klaviatur aber auch beherrschen, ist nach dem Ableben Rudolf Steiners erst notwendig geworden und durchaus zu begrüssen angesichts mancher Übernahmebestrebungen (13.30). Im demokratischen Prozeß geht es aber nur um Gleichberechtigung. Er kann geistiger Forschung und Lehre nur den Rahmen stellen, Freiheit selbst kann nicht durch Gleichheit ermöglicht werden. Die materiellen Grundlagen im Auf und Ab des Überflusses oder Mangels schafft dabei das Wirtschaften der Gemeinschaften. So entsteht die soziale Dreigliederung, die für die anthroposophische Arbeit in der Freiheit gipfelt. Die modernen, ungegliederten Staatsgebilde können Freiheit nicht substantiell bieten, denn in deren Filz gedeiht nur Korruption, die bekanntermaßen nicht einmal mehr vor den höchsten Staatsämtern Halt macht.
Die anthroposophische Gesellschaft steht in der Verantwortung vor der Individualität Rudolf Steiners. Funktionäre und Apparatschiks, selbst wenn sie noch so studiert sind, kann es deswegen nicht geben in ihr. Kritiker sehen das nicht so, verdächtigen die Verantwortungsträger der Postenjägerei und halten nur sich selber für kompetent. Dabei gleichen diese Kritiker oft Selbstmordattentätern, die solange am(im) eigenen Zweig (nerven)sägen, bis alles herunterfällt. Die Gestaltung von unten herauf ist aber in Frage gestellt, wenn dann Seelsorger auf dem Markt der Eitelkeiten als Verantwortungsträger auftreten. Denn diese sind ihrem hierarchischen Zusammenhang verpflichtet, der den Kultus von oben nach unten pflegt (13.31). Unsere Zeit ist nicht mehr die der Vorherrschaft der Abeliten über die Kainiten (13.32). Wird hier eine Einbahnstraße gebaut, wo nur die Repräsentanten der einen Richtung in der anderen vertreten sind? Und das soziologische Grundgesetz fordert auch in der Freien Hochschule eine Bewegungsmöglichkeit von unten nach oben.
5) Der Kampf aller gegen alle
Es gibt heute einen sich steigernden Kampf aller gegen alle. Er scheint sinnlos, ist aber der Preis der Individualisierung und nimmt immer härtere Formen an. Schon 1888 bedauerte der junge Rudolf Steiner: "...Man verlegte sich viel zu sehr auf die Bekämpfung der vorher gemachten Fehler, statt die Sache selbst besser zu machen. Die Bekämpfung der Andersdenkenden wurde nach und nach zur Hauptsache, und das Verfechten eigener Gedanken trat in den Hintergrund. Statt in dem, was man gemeinsam hat, sich zu vereinigen und sich mit den Sonderinteressen innerhalb des durch eine große Sache notwendig gemachten Rahmens zu bewegen, ließ man sich durch Gegensätze, die mit der Hauptsache gar nichts zu tun hatten, möglichst weit auseinandertreiben. ... Das kommt nur daher, weil man es durchaus nicht versteht, die persönlichen den sachlichen Interessen unterzuordnen. Man weiß nicht, daß man ein Staatsmann nicht wird durch die Aufstellung von rein subjektiven, willkürlichen Ansichten, sondern dadurch, daß man sich in den Dienst einer großen Idee stellt, die wohl geeignet ist, die Zeit zu beherrschen. Der Mann hat der Idee, nicht die Idee dem Manne zu dienen. Sonst wird man einfach von der geschichtlichen Entwicklung als eine Null hinweggefegt, denn zuletzt erweisen sich die Ideen doch immer stärker als die Menschen ... Gerade aber ein Journal, das allen parlamentarischen Parteien gegenüber unabhängig dasteht, könnte der Sache am meisten nützen. Ein solches, ja nur ein solches könnte sich eine ungebundene Kritik aller Parteien erlauben..." (13.33a). Man kann daraus auch ersehen, daß der junge Steiner schon eine Gliederung der Gesellschaftsbereiche im Auge hatte: im politischen Betrieb geht es um den demokratischen Rahmen, in dessen Dienst sich jeder führende Politiker per Eid stellt, im Kulturleben dagegen geht es um die Freiheit.
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Wie sieht nun die Arche aus, die über diese postmoderne Katastrophe des Kampfes aller gegen alle hinausführt? (13.33b). Ein Parsifal und Feirefis haben sich als Brüder erkannt, nachdem sie des Kämpfens müde wurden und endlich einmal das Visier abnahmen (13.34). Auch Sem und Ham sind Brüder – und wenn zwei sich streiten, freut sich bekanntlich ein Dritter. Daß es beim Kampf der Kulturen (13.35) nicht nur nachrangig um Wirtschaftsmacht geht, darf man wohl noch ungestraft sagen, wenn man nicht gerade Bundespräsident (Horst Köhler) ist. Aber wenn ein Kampf materiell ausgetragen wird, zerstören Bomben das, worum es ideell geht.
"Demokratie ist toll, aber hier schreibt man das Jahr 1391",
sagt ein US-Militärberater in Afghanistan (13.36). Damals gab es in diesen Gebieten aber schon eine hohe Kultur, da war an Amerika noch gar nicht zu denken. Demokratie ist kein Dampfhammer, sondern Sache einer langer Entwicklung! Warum hat Deutschland nicht Sozialarbeiter nach Afghanistan geschickt statt Soldaten? Im Gespräch war dieser Ansatz durchaus. Bis 2014 sollten die Soldaten wieder abziehen. Und genauso wie im Irak hat offenbar nur eines Hochkunjunktur: das Selbstmordattentat - die letzte unmenschliche Waffe der Entmachteten. 60.000 Attentatsopfer (bis 2012) im Irak, das relativiert die Zahl der Kriegsopfer bei der Beseitigung Husseins außerordentlich nach oben. Ist das die Demokratisierung und der Frieden, den die US-Macht vorgaben im Blick zu haben? Nie wieder Krieg - ist dieses Motto nach 1945 in Deutschland schon wieder vergessen? Und wie wird sich das Verhältnis zu Syrien und dem Iran gestalten? Das Verhältnis des Iran zu Israel droht in einen Atomkrieg auszuarten - d.h. in die absolute Zerstörung! (13.37). Sozialarbeiter dagegen sind Friedenskämpfer, da geht es um Aufbau, während Soldaten Kriegsarbeiter sind, da geht es um Zerstörung, auch wenn diese vordergründig verhindert werden soll. Deswegen müssen Kämpfe im Kulturleben ausgetragen werden (13.38), denn dort kann man erst wirklich seinen Mann stehen. Drohnen und Selbstmordattentäter sind vielleicht beide unbemannt, wenn auch bei sehr gegensätzlicher geistiger Signatur. Ebenso wie in den letzten Jahren die Selbstmordattentate sich häuften, so gibt es auch immer mehr Drohnenangriffe: Unter DoubleJBush alle 40 Tage einen, unter Barrack Obama alle 4 Tage - und hier war der Oberbefehlshaber ein Friedensnobelpreisträger! Welch unendliche Täuschung und gleichzeitig Ent-Täuschung! Und jetzt überlegen deutsche Politiker, diese Waffen auch anzuschaffen, mit welchem Erfolg, das ist deutlich geworden:
"Forscher bezweifeln Erfolg der US-Drohneneinsätze"
titelt eine kleine Randnotiz (13.39). Drohneneinsätze terrorisieren die Zivilbevölkerung und untergraben internationales Recht! Müssen wir in Deutschland alles nachmachen und Milliarden verschleudern, wo diese Waffen doch nicht taugen für uns? Lothar de Maiziere schien so waffenversessen, daß geltendes Recht einfach übergangen wurde.
Bei dem Kampf der beiden Halbbrüder Feirefis und Parsifal entstand Brüderlichkeit, sie kämpften aber auch fair. Feirefis steht in der Gralsgeschichte für den Muselmann, und Parsifal ist der mitteleuropäische Repräsentant. Der Boden für ein konstruktiv kämpferisches Austragen von Gegensätzen ist heute im Kulturleben gegeben, wenn Filz und Proporz abgeschafft sind. Das Internetportal des größten deutschen Anthroposophieverlages heißt sehr treffend: www.geistesleben.com - "WehWehWeh, Geistesleben komm" (13.40a). Und das Festplakat mit einem schönen Gemälde von Walther Roggenkamp zum 50. Bestehen dieses Verlages titelte: "Der Weg in die Zukunft", das zugehörige Buch hatte den Untertitel eines Beitrags von Friedrich Glasl: - "ist mit Konflikten gepflastert" (13.40b). Für die in der Zukunft durchzustehenden Konflikte bräuchte es einen mutigen Schilderer wie Fjodor Dostojewski, der über Dämonen hinaus auch Gespenster und Spektren ins Auge fasst. Friedrich Glasl hat diesen Mut. Er schreibt allerdings keinen Roman, sondern gibt soziale Hilfestellungen in entgleisten Verhältnissen. Um den Doppelgänger zu verwandeln, der sich aus unerkannten und unergriffenen Seiten des eigenen Wesens zusammensetzt, braucht man Konfliktfähigkeit als Mittelweg zwischen Streitlust und Konfliktscheu zur Verwandlung des Doppelgängers. Man darf und soll um Wahrheit streiten, sie trägt ihre Relevanz in sich – Wahrheit braucht keinen Konsens, dieser braucht wiederum sie nicht, er braucht nur die Mehrheit (13.41). Gegensätze fordern ihren Ausgleich, und da es ein seelisch-geistiges Kampffeld ist, ist gleiche Augenhöhe die absolute Voraussetzung für eine Vermittlung und Auflösung verhärteter Fronten. Mediation - eine Wachstumsbranche - braucht eine absolut professionelle und moralische Eignung bei den Hilfeleistern, sonst hält sich jeder nur an seine Egoismen. Man kann bei Zwisten Juristen zu bezahlten Handlangern machen. Und wer sich seiner Kontrahenten wie auch immer entledigt und sie über die Klippen springen läßt, umgibt sein Institut mit sozialen Totgeburten. Da hilft alle Politur und Anstrich nichts - der seelische Verwesungsgeruch liegt in der Luft. Einer Bewegung wie der Anthroposophischen Gesellschaft schaden solche Leute, weil sie Gegnern willkommene Vorlagen liefern.
In der dritten Kulturepoche mutet es an wie ein vermittelnder Kunstgriff - wie wenn zwei gegensätzliche Brüder in verschiedene Regionen verlegt worden sind: Ägypter und Kelten sind sich im Wesentlichen nicht begegnet. Die Ägypter wurden am liebsten alt und weise, die Kelten dagegen sahen ihr Ideal darin, ruhmbedeckt zu sterben, wobei sie in der Regel aber nicht alt wurden. Eine Epoche später schufen die Griechen die Symbiose: das Streitgespräch, da braucht man beides – Weisheit und Mut. Die klassische Streitkultur ist nach Frank Teichmann eine griechische Errungenschaft (13.42). Und auch heute noch streiten die philosophischen Hauptströmungen, die Platoniker und Aristoteliker miteinander. Im kirchlichen Mittelalter wurde der Streit unrühmlich, als die damaligen knochentrockenen Aristoteliker außer ihren Gedankengerüsten auch noch Gerüste für die Scheiterhaufen bauten. Und auf der Wartburg haben die Platoniker im Sängerwettstreit ihr Leben eingesetzt und dabei sogar noch musiziert (13.43). Logik (Aristoteliker) und phantasievolle Imagination (Platoniker) bekämpfen sich heute noch bis aufs Messer, da muß man schon sehr nach der Erfüllung der Steinerschen Voraussage Ausschau halten, die eine beidseitige Zusammenarbeit prognostiziert (13.44).
Sicher gibt es in der Menschheitsgeschichte auch zahllose Beispiele für die Zusammenarbeit gegensätzlicher Strömungen. Da ist in der jüdisch/ägyptischen Zeit Moses und der beredte Aaron zu nennen, welch letzteren Jahve dem schwerzüngigen Moses für die Verhandlungen mit dem Pharao zur Seite stellte. Oder in der Zeit des Tempelbaus Salomo und Hieram, die sich zueinander verhalten wie Kopf und Hand. In der Tempellegende wird aber auch von den existentiellen Spannungen dieser beiden - und sie verkörpern Geistesströmungen - gesprochen, die bis heute nicht gelöst sind und sich auch auf den Kain/Abel-Gegensatz zurückführen lassen. Frank Teichmann hat darauf hingewiesen, daß heute vielfach Vertreter gegensätzlicher Strömungen zusammenwirken, ohne daß es geistig thematisiert oder bewußt wird: in der Ehe. Da kann Mann viel lernen und Frau natürlich auch und das u.U. von einem Kontrahenten zurückliegender Zeiten. In Anbetracht dessen, daß die geistigen Kämpfe sich zunehmend auswachsen zu einem Kampf aller gegen alle, kann man da nur die Daumen halten, daß hinreichend viel mediatorisches Potential mitwächst. Geht die Entwicklung zur Freiheit nicht geordnet vor sich, gerät nur das Chaos. Das war das Anliegen von Christian Rosenkreutz, der originär den Ausspruch prägte: "Wer Wind sät, wird Sturm ernten". D.h. die geistige Emanzipation des Menschen ist der Wind (pneuma oder ruach = Luft) und Sturm im sozialen Leben bezeichnet den Kampf aller gegen alle (s.a. Anhang 3).
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