Anthroposophie        =           Dreigliederung

Impuls - Reaktion - Inkarnation   1919 - 1969 - 2019    Geschichte - Quellen - Material

Anthroposophie - eine Sekte?
Natürlich gibt es da Sektierer! So wie auch in anderen Gesellschaftsverbänden, in Vereinigungen, Parteien und Kirchen.
An sich ist eine Sektion nichts Verwerfliches - eben ein Teil eines Ganzen. Erst wenn ein Teil beansprucht, für das Ganze zu stehen und einen Alleinvertretungsanspruch erhebt, gefährdet er die Freiheit anderer und wird zur Sekte.
Die ganze anthroposophische Community als Sekte zu verorten, ist aber eher das Problem einer weiteren Gattung von Sektierern, deren Hauptwerkzeug das Fallbeil des Vorurteils ist.
Schauen wir genauer hin!
Bekanntlich gilt die Freiheit des Einzelnen in einer Sekte wenig. "Sekte" kommt aus dem Lateinischen und heißt 'Anhänger', 'Gefolgschaft', 'Schule', 'Richtung' - also jedenfalls ist damit immer nur ein Teil eines Ganzen gemeint.
Als Hauptthema ergibt sich also von vornherein das Problem der Freiheit. Alles andere ist zweitrangig!
Und nur Selbsterkenntnis hilft hier weiter. Denn Freiheit ist letztlich nicht von außen zu erkennen oder zuzuschreiben.
Und da kann uns Goethe helfen:
"Natur hat weder Kern noch Schale, alles ist sie mit einem Male -
Dich prüfe Du zumeist, ob Du Kern oder Schale seist"
Seinem Hauptprotagonisten, dem Faust, hat er hierfür lebenslanges Streben auferlegt!
Denn wer hat schon von vornherein die ganze Wahrheit?
Auch Lessing zieht das Streben dem Besitz der Wahrheit vor.
Diese spricht er in "Erziehung des Menschengeschlechts" nur der Gottheit zu.
Dazu ein jiddisches Freiheitslied:


- Freiheit und Moral im Wandel der Zeiten -
- "Freiheit, du freundlicher Name" -
(Rudolf Steiner: "Philosophie der Freiheit" GA4S170)
auf der Grundlage von Hans Erhard Lauers anthroposophischer Geschichtswissenschaft
 - de facto eine Zusammenfassung der folgenden Seiten -
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In "Anthroposophie" Michaeli-S222 findet sich in einem Beitrag von Roland Kipke:
"Unfreiheit durch Selbstverwaltung":
"...Ein selbstverwaltetes Geistesleben ist nicht nur kein notwendiges Mittel zur Verwirklichung von Freiheit, sondern auch kein hinreichendes. Im Gegenteil, es  leistet dem Entstehen informeller Machtstrukturen Vorschub, die die individuelle Freiheit mindestens so hart beschneiden können wie formelle. Sie sind oft schwerer zu durchbrechen, weil sie intransparenter sind, nirgendwo niedergeschrieben stehen und von der suggestiven Autorität einzelner Persönlichkeiten abhängen. Gewachsene Netzwerke und undurchsichtige Loyalitäten bestimmen die sozialen Beziehungen. Gewohnheitsregeln werden für sankrosankt gehalten. Und hinter vermeintlich flachen Hierarchien verbergen sich abgründige Hackordnungen. Zugespitzt: Ein freies Geistesleben macht das Geistesleben unfrei.
  Interessanterweise sah Steiner diese Gefahr selbst. In einem Vortrag im Jahr 1921 (GA339S72) sagte er: <Lassen Sie einmal eine Generation ihr Geistesleben freier entfalten und dann dieses Geistesleben so organisieren, wie sie es will: es ist die reinste Sklaverei für die nächstfolgende Generation.> Das klingt nicht gerade verlockend. Steiner zieht daraus die Konsequenz, daß jede Generation die Freiheit neuerringen müsse. Doch das sagt sich leichter, als es ist. Zudem löst ja nicht eine Generation die vorherige feinsäuberlich ab, sondern die Jüngeren müssen stets mit den Älteren zusammenarbeiten. Und einengende Machtstrukturen entstehen nicht allein zwischen den Generationen, sondern ebenso innerhalb einer Generation..."
Dieser Beitrag hat in der Folge einen engagierten Diskurs hervorgerufen, der mit den Zuschriften in der folgenden Ausgabe von Weihnachten 2019 dokumentiert ist. Die verschiedenen Standpunkte berühren meines Erachtens nicht die Berechtigung, auf die obengenannten Mißstände hinzuwesen.
"...Dadurch aber wird die soziale Frage einer Lösung entgegengeführt werden, daß hier zunächst ein jedes der drei sozialen Lebensgebiete: das geistige, das staatliche, das wirtschaftliche, in seine eigene Verwaltung gegeben wird..."
aus Hans Erhard Lauer: Rudolf Steiners Lebenswerk Kapitel VI Die Erneuerung des sozialen Lebens
Welch eine Verwechslung der meso- und der makrosozialen Sphäre stellt es dar, wenn geglaubt wird, die damit beschriebene gegliederte "Selbstverwaltung" in einer singulären Kultureinrichtung "verwirklichen" zu können!
Eher müßte gesagt werden: Selbstverwaltung wird dadurch "verwirkt".
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Um nicht mit der Esoterik dieses Themas hinterm Zaun zu halten: Ideale in illusorischer Art zu "verwirklichen" ist das Kennzeichen luziferischer Sektierer. Und in der Folge holt das Ahrimanische die Abgehobenen wieder auf den Boden der Tatsachen, bzw. ein Stückchen darunter. Dann werden Schuldige gesucht, denen Mißlingen oder das Ausbleiben der vorschwebenden Anerkennung vorgeworfen wird. Es ist dies ein Zentralthema, das im Christentum - allerdings freiwillig - mit einem Selbst-Opfer einhergeht. Dazu nach Wikipedia: "Der Sündenbock (des alten Testaments) wird, symbolisch beladen mit den Sünden der Gemeinschaft, in die Wüste geschickt und dient der eigenen Versöhnung mit den höheren Idealen. Die Bezeichnung "Sündenbock" findet in der Gruppendynamik, der Soziologie und in der Organisationslehre Verwendung."
Und ein weiteres Thema moralischer Natur zeigt sich hier:
Wenn in Turbomanier die Geschwindigkeit der Entwicklung beschleunigt wird, wirkt dies wie eine Droge auf die Macher - besonnene Naturen werden regelrecht überfahren. Einzelne mögen beispielhaft vorangehen, aber als Vorbild erweisen sie sich erst im sozialen Miteinander!
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"...In früheren Zeitaltern konnte der volle Inhalt der Menschlichkeit nur durch die menschliche Sozietät als Ganze realisiert werden. In dem unsrigen kann er es durch die einzelne menschliche Individualität. Darauf beruht der Fortschritt in der Menschheitsentwicklung..."
Lauer: Anthroposophie
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  Sektiererei verträgt sich mit Freiheit wie Wasser mit Feuer. Sie verwässert das Ideal der Freiheit. Sektierer vertreten nur einen Teil eines Ganzen: Daß z.B. Greta Thunberg in jugendlich-idealistischer Betroffenheit die Wertschätzung wissenschaftlicher Arbeit durch Politiker anmahnt, weist darauf hin, daß allmählich nur ein Teilgebiet menschlichen Daseins durch lobbygesteuerte Politik repräsentiert wird: Profitables Denken und Streben. Dagegen haben die 68er rebelliert, wodurch ich mit einem Ableger anthroposophischen Strebens bekannt wurde und mich dort engagiert habe: den sogenannten Dreigliederern. So genannt, weil sie die 'Drei' des Menschsein-Konstituierenden hauptsächlich in ihrer sozialen Relevanz betonen und jeden als unsozial stigmatisieren, der die Anthroposophie zuerst zureichend wissenschaftlich behandelt sehen möchte. "Weisheit vom Menschen" heißt sie aus dem Griechischen übersetzt.
  Wem ist von den Älteren nicht noch die Agitation der Marxisten in Erinnerung, von "Aufklärung", "Mobilisierung der Massen" usw.. Ähnlich haben viele "Dreigliederer" agiert und waren sehr betrübt, daß sie nicht wie diese die "Massen" erreicht haben. Was es mit der 'Drei'  auf sich hat, wird in den folgenden Seiten deutlicher werden können. Das Problem drückt sich hier schon in einer Dreiheit aus: der von Jugend-Lebensmitte-Alter, wo Jugend und Alter unversöhnlich sich gegenüberstehen in Aktion und Besinnung, oder kritisch formuliert: in Aktionismus und Laissez-faire. Nur Vermittler schaffen den sozialen Frieden und eröffnen Entwicklungsräume. Die Philosophen sprachen von der Dialektik, die die Gegensätze mittels Steigerung bzw. Synthese überwindet. Ein Dreigespann verkörpert diese Dialektik: Hegel = These, Marx = Antithese, Steiner = Synthese. Sie stehen paradigmatisch für soziale Bemühungen im Wandel der Zeiten. Im Sozialen geht es allerdings meistens nicht um Synthese, sondern schlicht nur um den ungeliebten Kompromiß, heute liberalistisch zum "Deal" verunklärt - eher ein Fingerhakeln, wo es darum geht, den anderen über den Tisch zu ziehen.
  Daß es im Gesellschaftlichen um den Gegensatz frei und sozial geht, drückt sich seit 1789 in der Formulierung des Problems aus: frei, gleich und brüderlich will sich die moderne Gesellschaft verfasst wissen. Die Gleichheit will dabei als Vermittelndes gehandhabt sein. Sonst kommt nur Widersprüchliches - Antagonistisches - heraus, was kurzsichtige Soziologen und Politologen so gerne betonen, um sich nur den Kopf nicht zerbrechen zu müssen, diese Thesen differenzierend zu behandeln. Dabei braucht es gar keine Visionen, auch keinen Helmut Schmidt'schen "Augenarzt" - nur einen tieferen Blick, wenn nicht soziale Agonie das Ergebnis sein soll.
  Es gibt in der Menschheitsgeschichte nicht nur unsere jetzige - es gibt drei Entwicklungsgestalten der Gesellschaft, die mit der biblischen 'Befreiung' des Menschen durch die 'Schlange' ihren ersten Anfang genommen haben. Es ist das Verdienst des Anthroposophen Hans Erhard Lauer, diese genauer untersucht zu haben - ihm sind die folgenden Beiträge zu verdanken. Hier sei ein Ausblick gegeben, der gerne auch zur weiteren Lektüre anregen will, viele seiner Werke sind im Folgenden zu finden. Dabei erweist sich, daß gerade die Freiheit die hauptsächliche Triebkraft der Geschichte ist. Sie führt zu dem selbstbewußten, selbstbestimmten Ergreifen sozialer Belange.
  Die erste Erkenntnisform des Menschen - die Unterscheidungsfähigkeit von Gut und Böse -  ist nicht auch schon die letzte, heute höchstmögliche Stufe der Freiheit. Denn wer unser modernes Freiheitsempfinden in die Urzeit versetzt, versäumt es, die Entwicklungsformen zu unterscheiden, die sich seither herausgebildet haben. Freiheit 'von' etwas ist noch nicht die Freiheit 'zu' etwas, zu dem mit moralischer Phantasie Ergriffenen. Sonst entsteht ein diffuser Begriff, der sich für alles verwenden lässt, wie z.B. mit der abgebrauchten Floskel des 'Friedens in Freiheit', die nur die bequeme Freiheit 'von' etwas, von Bedrängungen und Einschränkungen meint, aber nicht die konstruktive Freiheit 'zu' etwas, die nur entsteht, wenn der Einzelne initiativ wird. Eben nicht alles, was in unserer 'freien Welt' mit diesem Attribut belegt wird, verdient diesen Namen. Gerade wenn Freiheit nicht von Einzelnen, sondern von Gruppen als Motto in Anspruch genommen wird, darf man stutzig werden. Wem in diesen Gruppen zum Gelingen eines Projekts Opfer abverlangt werden, der muß aufpassen, daß er nicht auch noch seine Freiheit opfert. Da wird eine Gruppe zur Sekte.
 
   Freiheit ist aber auch etwas anderes als der Liberalismus, der nur pekuniären Gewinn kennt und von Erkenntnisgewinn nichts weiß. Anton Hofreiter hat am 23.4.20 anläßlich der Corona-Pandemie von der "vulgären Form" der Freiheit gesprochen, die sich im Recht des Stärkeren auswirkt. Freiheit ist heute Sache jedes Einzelnen, aber im Geistesleben. Ihre vor- und urgeschichtlichen Formen waren archetypischer und kollektiver Natur, wie das bei dem Geschehen im "Paradies" und später in den Tempeln der theokratischen Kulturen der Fall war, wo die menschliche Gesellschaft noch undifferenziert, ungegliedert war. Vom sozial bestimmenden Mythos bis zum aufgeklärten Individuum war ein himmelweiter Weg. Und die Aufgabe unserer Gesellschaft ist es, einen Freiraum für das Individuum zu gewährleisten, in dem dieses sich zu der heutzutage möglichen Höchstform der Freiheit hinaufarbeiten kann. Wie anthropologisch das Gehirn des Menschen in seiner organischen Tätigkeit zurücktritt, um die geistige Betätigung des Menschen - sein Denken - zu ermöglichen (Philosophie der Freiheit, 9. Kapitel), so müssen soziologisch die "Grenzen der Wirksamkeit des Staates" (Wilhelm von Humboldt) erkannt und eingehalten werden, wenn es ein freies Geistesleben geben soll. Forschung und Lehre sind heute nicht frei, sie werden über finanzielle 'Zuwendungen' von wirtschaftlichen Interessen bestimmt, die sich durch lobbyistische Gepflogenheiten geltend machen. Staatliche Kulturpolitik wird auf diese Weise zum Handlanger.
   Ebenso darf der Freiheitsraum des Einzelnen auf der mesosozialen Ebene - gerade in sogenannten 'selbstverwalteten' Arbeitsgemeinschaften - nicht angetastet werden. 'Me too' ist nur ein unrühmliches Geschehen auf der seelisch-leiblichen Ebene. Übergriffe auf seelisch-geistiger Ebene werden meist gar nicht bemerkt, und die Würde des Menschen wird dort, entgegen allen normativen Bekundungen und Satzungen, häufig genug angetastet und mißachtet.

    Unsere Zeit läuft Gefahr, auf einer zweiten Entwicklungsstufe stehenzubleiben, wo individuelle Freiheit noch gar nicht realisiert werden konnte, weil der Einzelne noch nicht hinreichend von der Kollektivität emanzipiert war und wegen seines Egoismus sozial 'geführt' werden musste. Freilich bringt heute die freie Haltung, mit dem 'Liberalismus' z.B. in die Wirtschaft eingebracht, Unsoziales in großem Stil mit sich und ruft nach einem Ausgleich durch Sozialität. Da muß immer wieder die Richtung nach dem Sozialen gesucht werden. Aber wie Freiheit und Sozialität vereinbaren? Gibt es da einen goldenen Schnitt? Die beiden Ideale werden von Vielen vereinnahmt! Der Volksmund sagt: Nicht alles ist Gold, was glänzt! Es wird geschönt, aufgepfropft und vorgetäuscht. Manches ist nur Fassade, und hinter ihr lauert der graue Alltag wie der Schnappfisch auf seine Beute. In den Bildern der Sage ausgedrückt: Die Burg des Klingsor möchte den Gral besitzen - die Gralsritter dagegen dienen ihm. Anthroposophen, denen die 'Philosophie der Freiheit' von Rudolf Steiner zum Handbuch geworden ist, erjagen sie den Gral für die Gralsburg? Die Entfernung zum Sektierertum nimmt bei einem zunehmenden Grad von ausgeübtem Ernsthaftigkeits-Exhibitionismus proportional ab. Humor ist ein zentraler Bestandteil des Menschheitsrepräsentantentums!

"Anthroposophie sei nur unter Anleitung zu erlernen", so Siegfried Woitinas (Anmerkungen II: 13.5a), der das Ideal der Selbstverwaltung für sein Institut in Anspruch nahm!

Dagegen Christoph Lindenberg, Autor des Buches 'Erziehung zur Freiheit': "In dem Maß, in dem irgendein menschliches Produzieren - sei es Arbeiten, sei es Denken, sei es Entscheiden, sei es ein Auto zusammensetzen - fremdbestimmt wird, in dem Maß wird der Mensch krank" (II: 13.5a).

Das Zentralanthroposophische macht da keine Ausnahme! Wer sich darin schulen will, gibt nicht sein Denken an der Pforte (!) ab, wenngleich kurzsichtiger Intellekt da wenig taugt. Wer heute soziale Verbindlichkeit höher stellt als individuelle Souveränität, der schafft ein Führerproblem, und das führt unweigerlich in faschistoide Strukturen, wo es doch auf Selbstbestimmung - und: Selbstbeherrschung ankommt. Selbstverwaltung muß sich daran messen lassen, wie viel echte Selbstbestimmung in ihr möglich ist. Wo in den Konsumtempeln mit dem Ideal "Erkenn' Dir" - wie in der East-Side-Mall in Berlin - geworben wird, wird in Sektentempeln geworben mit "Bezwing Dir" - in dem einen herrscht der Konsumzwang, in dem andern der Gefolgszwang - auch wenn beide sich ganz modernistisch geben.


Das Ideal "Brüder, auf zur Sonne, zur Freiheit" hat zu Unfreiheiten geführt, die zu den traurigsten Kapiteln neuzeitlicher Geschichte in Ost, Mitte und West gehören.
In jüngster Vergangenheit sind vorgeschichtliche Verhältnisse wiederauferstanden. Damals waren charismatische Führer noch mit kollektiver Kompetenz befähigt. "Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch die Würde" ist ein Motto, das aus alten Mysteriengepflogenheiten stammt. Heute führt das zu Sektenbildung, die zu hysterischer Massenmobilisierung anwachsen kann.
Wer dagegen aus individueller Motivation Verantwortung ergreift, muß diese oft sogar gegen strukturelle, institutionelle oder parteiliche Gepflogenheiten durchsetzen. Initiativen Menschen eine soziale Haltung abzuverlangen, macht blind für deren Impulse, weil institutionalisierte 'Sozialität' erdrückend wirken kann. Greta Thunberg ist in neuester Zeit ein wahrer Leuchtturm, obwohl bzw. gerade weil sie so klein und jung ist - und: Sie steht für sich, ohne Sprachrohr einer institutionellen Gruppe zu sein. So sieht heute menschheitliche Verantwortung aus.
Greta! Laß Dich nicht vereinnahmen!
Auch Luisa Neubauer hat der Versuchung verstanden, sich funktionell vereinnahmen und instrumentieren zu lassen!

 

für Greta Thunberg


Zum Grundsteinspruch: …

"Was wir aus Herzen gründen, aus Häuptern zielvoll führen wollen";

Wer sein Wollen gedanklich gründet, glaubt vielleicht, schon herzlich genug getan zu haben. Wem das Denken der Garant ist dafür, aus Subjektivem hinauszukommen, was gerne aus dem ersten Teil von Steiners Philosophie zitiert wird, der mag sein Handeln zielvoll als 'Hauptsache' führen wollen.  "Aus Herzen gründen" setzt voraus: Liebe zur Sache und zu den Menschen, nicht nur zu Gedanken, wie es das Wort "Philosophie" bescheinigt. Steiner macht die Liebe zur Präambel des Handelnwollenden, der für den Impuls der Dreigliederung wirken will. Wer im Gefühl nur subjektive Äußerung sieht, tritt am Menschen vorbei und über ihn hinweg, statt in den 2. Teil Steinerscher Philosophie: der "Wirklichkeit der Freiheit" einzutreten. 'Wollen', wie es Rudolf Steiner meint, bezieht sich auf Haupt und Herz. Gedankenlos oder herzlos zu sein ist ein Malheur, zusammen ist es eine Katastrophe. Goetheanum 47-2017, KH.Kaesebier

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Aus Hans Erhard Lauer: Vom richtigen Altern":

Eine Schulungsmethodik, die den besonderen Möglichkeiten des höheren Alters, des letzten Lebensdrittels entspricht, wird den Charakter eines Weges der inneren, seelisch-geistigen Entwicklung tragen. Sie wird modernes Initiationswesen  darstellen, das in alten Zeiten die Mysterienstätten erfüllt haben. Nur wird anstelle des Geheimnisses, in welches jene sich hüllten, die volle Öffentlichkeit solcher Bestrebungen treten, und anstelle der autoritativen Führung der Novizen und Adepten durch die Hierophanten, Gurus usw. die bloße, an das eigene Denken des Schülers sich wendende Darstellung des Weges zu höherer Erkenntnis, wie er sich aus den Bedingungen der Menschennatur selbst ergibt. Diesem Initiationswesen wird innerhalb des künftigen Geisteslebens dieselbe zentrale Stellung zukommen, die einstmals die Mysterien im Geistesleben älterer Zeiten eingenommen haben. Denn es bildet die Quelle, aus der immer wieder neu geschöpft werden kann, was an Erkenntnissen und Richtlinien auch für die Erwachsenenbildung und die Jugenderziehung benötigt wird. Und so stellt auch die Begründung der Anthroposophie, wie sie durch Rudolf Steiner erfolgt ist, nichts anderes und nichts geringeres dar als die Begründung eines modernen, den Entwicklungsbedingungen unseres Zeitalters entsprechenden Initiationswesens, eines Schulungsweges, auf dem in einer dem heutigen Bewußtsein gemäßen Form die Forderung erfüllt werden kann, die über der Eingangspforte des delphischen Mysterientempels mit den Worten bezeichnet war:

<<Erkenne dich selbst>>

Diese Selbsterkenntnis steht also in völliger Freiheit im sozialen Raum. Was in der Pädagogik richtig ist - die gemeinsame Besprechung von Schülern in der Lehrerkonferenz, ist in der Gemeinschaftsbildung von Erwachsenen fehl am Platze, korrumpiert und mißachtet das Freiheitsverständnis Rudolf Steiners und ist ein faschistischer Rückfall in alte vorindividuelle Zeiten.

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Aus: Stephan Eisenhut, Die Drei 11/2017: "Die Verbürgerlichung der Dreigliederung"

...Die Begriffe der Dreigliederung wurden von vielen mit dem Kopfdenken aufgenommen und aus diesem heraus Lösungsansätze erdacht. Das bürgerliche Denken wurde somit mit aller Macht innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft fortgesetzt und gipfelte zum Teil in der Forderung, diese Gesellschaft selbst nach dem Gesichtspunkt des Geisteslebens, des Rechtslebens und des Wirtschaftslebens zu gliedern. Ein Anliegen, das Rudolf Steiner mit dem Satz zurückwies, daß, wer dies fordere, >>den Grundnerv unserer Bewegung gar nicht erfaßt hätte<< (GA190S210). Diese Forderung ist allerdings symptomatisch für ein Dreigliederungsverständnis, das sich bis heute in breiter Front verfestigt hat. Die Menschen glauben, sie könnten vor Ort ihre Einrichtungen in dieser Weise dreigliedern und hätten dadurch etwas Bedeutendes erreicht. Sie merken dabei nicht, daß sie nur die Worte Rudolf Steiners benutzen, ohne sich überhaupt auf dessen begriffliche Bestimmungen einzulassen. In besonders schmerzlicher Weise hat sich folgende Vorstellung über die Dreigliederungsidee verfestigt, die so skizziert werden kann: Im Geistesleben gehe es um den einzelnen Menschen, der seine Fähigkeiten und Begabungen aus der geistigen Welt mitbringt; im Wirtschaftsleben gehe es um die Versorgung des Menschen, d.h. um seine physische Existenzgrundlage, die durch die Erzeugung von Produkten und Dienstleistungen befriedigt werden muss; im Rechtsleben hingegen ginge es um das Verhältnis von Mensch zu Mensch; dieses wird als der Bereich des Zwischenmenschlichen verstanden, bei dem es um Wertschätzung, mündiges Miteinander, Abstimmungsprozesse und Vereinbarungen ginge. Besonders charakteristisch für diese Sichtweise ist das 1984 erschienene Buch >>Der anthroposophische Sozialimpuls<< von Dieter Brüll. Dieser hat den >>irdischen Sozialkörper<< in drei >>irdische Glieder<< eingeteilt, bei der das mittlere Glied, das Rechtsleben, als das eigentlich soziale Glied bestimmt wurde. Das >>irdische Geistesleben<< hingegen charakterisierte Brüll als <<asozial>>, da sich dort der Mensch aus dem sozialen Miteinander herausziehe, um seine eigenen Ideen zu entwickeln; das >>irdische Wirtschaftsleben<< bestimmte er als >>antisozial<<, da hier der Mensch die eigenen Bedürfnisse in den Vordergrund stelle und den anderen Menschen als Ausbeutungsobjekt betrachte. Über dem irdischen Sozialkörper entdeckte Brüll ein viertes, geistiges Gebiet, das er als die eigentliche Quelle des Sozialen ausmachte (S60). Dieses Geistige könne durch die richtige Begegnung von Mensch zu Mensch innerhalb des Rechtslebens seine soziale Wirkung entfalten und damit auch auf die beiden anderen Glieder ausstrahlen. Obwohl Brüll heute so gut wie gar nicht mehr gelesen und auch seine Vorstellungen über das Asoziale und Antisoziale zumeist als befremdlich empfunden wurden, hat sich die Auffassung, daß das Rechtsleben als das eigentliche soziale Glied anzusehen sei, in vielen anthroposophischen Einrichtungen als Grundkonsens durchgesetzt. Brüll hat insofern nur einen begrifflichen Ausdruck für eine Auffassung gefunden, die in den Menschen als Gefühl vorhanden war. Ob dieser überhaupt mit dem übereinstimmt, was Rudolf Steiner begrifflich entwickelt, überprüften nur wenige. Denn diese Auffassung eignet sich so wunderbar, um die >>Dreigliederung<< in der eigenen Einrichtung verwirklichen zu können. Eine Notwendigkeit, das bürgerliche Denken zu verwandeln, wurde nicht erkannt"... (Hervorhebung von KK)

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Selbstverständlich ist Freiheit ohne Gemeinschaft nicht denkbar - im leeren sozialen Raum ist sie ein Nichts. Aber wie sind sie zusammen möglich? Schließen sie sich nicht gegenseitig aus? Eine alte Streitfrage!

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Freiheitsstreben führt hier wie dort zur Bewußtwerdung von Bindungen, die mit zunehmender Individualisierung überwunden werden wollen, das Ziel der Entwicklung charakterisiert Rudolf Steiner so:
"...Ich erkenne kein äußeres Prinzip meines Handelns an, weil ich in mir selbst den Grund des Handelns, die Liebe zur Handlung gefunden habe. Ich prüfe nicht verstandesmäßig, ob meine Handlung gut oder böse ist; ich vollziehe sie, weil ich sie liebe. Sie wird 'gut', wenn meine in Liebe getauchte Intuition in der rechten Art in dem intuitiv zu erlebenden Weltzusammenhang drinnensteht, 'böse', wenn das nicht der Fall ist. ...Ich fühle keinen Zwang, nicht den Zwang der Natur, die mich bei meinen Trieben leitet, nicht den Zwang der sittlichen Gebote, sondern ich will einfach ausführen, was in mir liegt..."
(GA4,Kap.9,S121. Siehe auch die Schillerschen drei Formen der Handlungsantriebe)

Darum ist das Tempelmotiv seit Urzeiten: "Erkenne Dich selbst". Wer in den echten Tempel eintreten will, wird nicht mit Zwängen konfrontiert, nur mit sich selbst. Aber dies ist die Urkonfrontation, die erst zu wahrem Menschsein führt. Die Stufen der individuellen Freiheit, wie sie heute im menschlichen Handeln erlebbar werden, hat Rudolf Steiner in seiner 'Philosophie der Freiheit' dargestellt - sie müssen hier nicht mehr dargestellt werden.
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Hier sollen die Stufen der Moral, wie sie in der geschichtlichen Entwicklung anschaubar werden, besprochen werden. Hans Erhard Lauer hat sie untersucht in seiner
"Geschichte als Stufengang der Menschwerdung"
Hans Erhard Lauer: Geschichte (3Bände)
Im Zusammenhang mit der Freiheit stellt sich geschichtlich schon immer die Frage nach Gut und Böse und deren Ursprung. Der des Sektierertums unverdächtige Nestor der Soziologie, Alfred Weber spricht von objektiv-metaphysischen Mächten, die aber im modernen wissenschaftlichen Erfahrungsbereich keine Unterkunft finden. Die positiv erfahrenen Mächte bezeichnet er als "universalisierend und dadurch befreiend. Sie fügen uns in eine Weite und erlösen und befreien uns damit von dem Eingesperrtsein in unsere subjektive Enge. Die negativen aber sind partikularisierend. Sie verengen oder isolieren uns, sie haben in dieser Verengung und Isolierung den Effekt, sofern sie praktisch wesentliche Mächte sind, unsere Anlagen der Gewalt, des Hasses und der Zerstörung zu wecken" (Lauer III Wille + Vorsehung S19). Es wird sich hier noch herausstellen, ob diese Gegenüberstellung ausreicht, um das Problem der Unterscheidung in Gut und Böse zu verstehen.
  Das Ziel ist aber auch verfehlt, wenn Freiheit definiert wird als 'Einsicht in die Notwendigkeit' oder in das 'Sinnvolle', wie es das anthroposophische Krankenhaus Havelhöhe in einer Stellungnahme zu Coronagegnern postete. Denn diese Einsicht wird oft unvermerkt 'vermittelt' durch eine äußere oder innere Autorität, auch und gerade wenn neue Wege einer kollegialen oder dialogischen Führung gesucht werden. Ohne einen differenzierten Freiheitsbegriff läuft es auf den alten Pflichtbegriff hinaus - den Kantschen 'Kategorischen Imperativ'. Und dieser ist der Tod jeglichen individuellen, freien Handelns. Er versteckt sich heute hinter wohlklingenden Satzungen von 'gemeinnützigen' Vereinen und Betriebszielen kommerzieller Unternehmen. Die 'Global Player' z.B. sind so groß geworden, daß sie  unübersichtlich werden, geschweige denn durch Führungskräfte gesteuert werden können. Deren einzige Anstrengung besteht nur noch darin, auf den Dinos im Sattel zu bleiben. Wer z.B. Rudolf Steiners Anregung (Kernpunkte der sozialen Frage GA23) zu Betriebsbesprechungen aufgreift, um bei seinen Mitarbeitern einen größeren sozialen Horizont zu schaffen und sie zur Mitsprache zu befähigen - auch um Betriebsblindheit zu vermeiden, erzielt damit zwar einen Fortschritt. Aber die aus dem Quell der reinen Intuition entspringende Sittlichkeit (GA4.Kap9) ist damit bei weitem nicht erreicht. Was bei Geboten früher für die Auffassung des Gegensatzes von 'Gut oder Böse' maßgeblich war, kleidet sich heute in Bezeichnungen wie 'konstruktiv', 'zielführend', 'gemeinschaftsbildend' oder eben ihr entsprechendes Gegenteil. Die Quelle moralischen Handelns ist aber nur dem Individuum selbst zugänglich und kann nicht oktroyiert werden. Diese Quelle nennt Rudolf Steiner die 'moralische Phantasie' (GA4,12.Kap.). Sie ist die verwandelte Stimme des Gewissens, wo aus der Kantschen 'Pflicht' die Schillersche 'Neigung' wird.  "Leben in der Liebe zum Handeln und Lebenlassen im Verständnis des fremden Wollens ist die Grundmaxime der freien Menschen" (Steiner-GA4.9.Kap.). Ohne moralische Phantasie mutiert menschliches Handeln zum 'Willen zur Macht', der rigoros jeglichen sozialen Bezug verachtet. 'Me first' ist die Hybris des Nietzscheschen 'Übermenschen' (s.a. H.E.Lauer III: "Der moralische Aspekt" S69-82). Die vielen Menschen, die heute aus sozialen Zwängen ausbrechen, sind es, die dem Puls der Zeit folgen.
Der Weg ist das Ziel
das Gegenteil davon ist: der Zweck heiligt die Mittel!
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  Diese Quelle kann durch eine zeitgemässe Pädagogik veranlagt werden. Im Geistesleben, das am dichtesten an freiheitlicher Quelle beheimatet ist - im Rahmen einer Schule, in Forschung und Lehre - kann kollegiale und dialogische Führung (s.a. Karl-Martin Dietz) noch am ehesten funktionieren. Denn deren 'Betriebsziel' ist der Mensch selbst.
  Ein Sieg für das 'Freie Geistesleben' - 100 Jahre nach der Gründung der Waldorfschulbewegung - ist jetzt 2019 in Berlin errungen worden: Denn zu 'Freiheit in Forschung und Lehre' gehören immer Zwei: Schüler, Studenten und Forschende auf der einen, Lehrer, Ausbilder und Professoren auf der anderen Seite. Die politische Gleichheit hat nur die Finanzierung einer Ausbildung, Lehre und Studium, aber nicht den Zugang zu jeder beliebigen Schule, Ausbildungsstätte oder Universität zu garantieren, denn diese müssen frei über Aufnahmen entscheiden können. Die Waldorfschule in Berlin-Treptow macht Epoche, denn sie hat sich gegen politischen Druck gewehrt und es wurde ihr zugestanden, einen Schüler nicht aufzunehmen, dessen AFD-engagierte Eltern die Aufnahme einklagen wollten.
  Soll diese freiheitliche Quelle aber in Dienstleistungs- und Produktionsstätten sprudeln, braucht ein wirtschaftlicher Zusammenhang eine Atmosphäre, die in den meist hierarchischen Betriebsmodellen nicht möglich ist. Betriebe und Institutionen müssen sich daran messen lassen, wieviel Spielraum sie jedem Individuum lassen, nicht nur der 'loko-motivierenden' Chefetage. Eine 'flache Hierarchie' wiederum meint oft nur Nivellierung, wo es doch auf die Förderung individuell unterschiedlicher Fähigkeiten ankommt, sonst wird der 'sehr gute zweite Mann' kreiert, den Stefan Heym beschreibt. Auch ist es wenig hilfreich, die Freiheit als verwirklicht zu behaupten, bevor der Weg dahin gegangen ist. Eine besonders große Illusion entsteht, wenn einerseits ein Arbeitsvertrag ein freies Arbeitsverhältnis suggeriert, in der Realität aber bindende soziale Strukturen bestehen.
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   "Freiheit darf man sich nie schenken lassen, man muß sie sich nehmen", so Friedrich Schorlemmer (Tagesspiegel 26.9.12), man denkt dabei an Goethes Faust: "Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muß". Freiheit ist auch das Grundanliegen Rudolf Steiners, auf die Frage: "Wie ist aber ein Zusammenleben der Menschen möglich, wenn jeder nur bestrebt ist, seine Individualität zur Geltung zu bringen?" antwortet er mit der oben angeführten Maxime. An anderer Stelle formuliert er es so: "Das Barometer des Fortschritts in der Entwicklung der Menschheit ist nämlich in der Tat die Auffassung, die man von der Freiheit hat, und die praktische Realisierung dieser Auffassung" (GA31S136)

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Anthroposophische Pioniere haben deswegen die Phasen der Entwicklung von Betriebsstrukturen untersucht (z.B. NPI-Niederländisch-pädagogisches Institut). Sie finden ihr Abbild in jeder betrieblichen Entwicklung und leiten sich naturgemäß von der menschlichen Biographie her, weil der Mensch seine Triebkräfte, Fähigkeiten und Ideale einbringt. Ihnen - Lievegoed, van Sassen und deren Schüler Moens, Bos, Glasl, Ballreich und vielen anderen - geht es um den Aufbau konstruktiver Betriebsstrukturen und um die soziale Befähigung der Mitarbeiter bis hin zu betrieblichen Früherkennungssystemen bei entgleisenden und dämonisierenden Entwicklungen wie Mobbing, Ausgrenzung und Abspaltung. Sozialforschung, Organisationsentwicklung und Konfliktmanagement sind aus den Initiativen der Genannten entstanden, die sich am anthroposophischen Menschenbild orientieren. Weil es dazu mannigfache Literatur gibt, sei auch auf dieses Thema nur hingewiesen.
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Fasst man den geschichtlichen Ausgangspunkt menschlicher Freiheit ins Auge, dann findet sich als Erstes der biblische Mythos, der sich um den 'Erkenntnisbaum' und den 'Lebensbaum' rankt, Er benennt als Mitspieler nicht nur den Menschen, sondern auch geistige Wesen. Dazu Hans Erhard Lauer:    (II1A Kosm. Mächte des Bösen, S128)
"...Zwei Bemerkungen sind vorauszuschicken. Die erste ist diese, daß das wichtigste und zugleich das absolut neue Moment innerhalb alles dessen, was sich aus den Quellen der neuen, durch Rudolf Steiner inaugurierten Initiations-Erkenntnis über dieses Thema ergeben hat, darin besteht, daß wir es nicht nur mit einem Bösen schlechthin - als dem Gegensatz des Guten - zu tun haben, sondern mit einer Mehrheit von verschiedenen, ja geradezu entgegengesetzt gearteten Gestalten des Bösen, der auch ein mehrfaches, verschieden geartetes Gutes gegenübersteht. Man könnte auch von Metamorphosen, das heißt von verschiedenen, aufeinanderfolgenden Entwicklungsgestalten sprechen, in denen das Gute und das Böse im Laufe des Menschheitswerdens ihre Wirksamkeit entfalten. Diese stellen die objektiven, kosmischen Gegenbilder dar zu jenen aufeinanderfolgenden Entwicklungsgestalten, welche das Verhältnis des Menschen zu Gut und Böse ... durchläuft.
  Die zweite Bemerkung, die hier noch gemacht werden muß, ist diese, daß die Unterscheidung von Gut und Böse trotz all dem, was soeben über ihre kosmischen Repräsentanten gesagt wurde, unlösbar mit der menschlichen Freiheitsentwicklung verknüpft ist, ja in dieser ihren letzten Grund hat. Wir wiesen ja an der betreffenden Stelle darauf hin, daß der 'Sündenfall' als der Geburtsakt der menschlichen Freiheit geradezu darin besteht, daß der Mensch Gut und Böse zu unterscheiden beginnt. Das bedeutet aber, daß diese Gegensätzlichkeit in der Entwicklung des Menschen selbst ihren Ursprung hat und sich von ihr nicht trennen läßt. Damit ist auch klar, wie es gemeint war, wenn wir an der betreffenden Stelle unserer Betrachtung von kosmischen Mächten des Guten und des Bösen sprachen. Diese Mächte können nämlich an und für sich selbst weder als gut noch als böse bezeichnet werden. Erst und nur in ihrer Beziehung zum Menschen erscheinen, von diesem her gesehen, die einen von ihnen als gute, die anderen als böse. Diese Benennung charakterisiert also nicht das, was sie an sich selbst sind, sondern nur ihre Bedeutung für den Menschen und seine Entwicklung. Nur wenn dies berücksichtigt wird, vermeidet man es, sich an die Frage zu verlieren, die, weil sie falsch gestellt ist, auch nicht beantwortet werden kann und deshalb auch die Crux aller Theodizeen geblieben ist: wie aus Gott als dem Urguten und dem Schöpfer der Welt das Böse habe entstehen können. Das Böse hat nicht in Gott, sondern im Menschen seine Wurzel, insofern er das zur Freiheit bestimmte Wesen ist; denn die Unterscheidung von Gut und Böse ist nur die Kehrseite der Freiheit.
Von Gott her gesehen gibt es den Unterschied von Gut und Böse nicht, sondern nur verschiedene, differenzierte Aufgaben im Gange des Weltenwerdens, welche von verschiedenen göttlichen Mächten erfüllt werden. Dieses Geheimnis bringt Goethe im 'Prolog im Himmel' zum Faustdrama in seiner Weise zum Ausdruck, indem er uns da den 'Herrn' im Gespräche mit Mephisto über den Menschen Faust vorführt..."
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Freilassend oder übergriffig ist das Unterscheidende im Wesen dieser 'objektiv-metaphysischen Mächte' (Alfred Weber, in Lauer III Wille + Vorsehung S19), in anthroposophischer Bezeichnung ist auch hier eine Trinität zu unterscheiden: Christus, Luzifer und Ahriman sind es, die da mitwirken. 'Christus verus Lucifer' - Christus ist der wahre Luzifer, heißt es in einer Apokryphe. Christus bringt die Freiheit zur rechten Zeit, während der lichte Luzifer (Lichtträger) sie dem Stammelternpaar zu früh, zu paradiesisch schlafender Stunde brachte, nach der es ein böses Erwachen gab. "Ihr werdet sein wie Götter, und Gut und Böse erkennen", war seine heiße, verführerische Verheißung. Welche Freiheit also ist gemeint? Spiegelbildlich zur Urzeit, um die christliche Mittel-Achse der Menschheitsentwicklung in der Neuzeit, verkündet heute auch der finstere Ahriman (altpersische Bezeichnung) eine Freiheit: "Ihr werdet sein wie die Tiere und frei sein von Gut und Böse" (III.2.E Gesch.Epochen, Neuzeit S163). Das ist der sogenannte ahrimanische, intellektuelle Sündenfall, der die 'Intelligenzbestie' mit ihrer kalten, instinktsicheren Bauernschläue hervorbringt, die heute Legion macht. Und so gibt es im Stufengang der Menschheitsgeschichte von der Urgeschichte über die Vorgeschichte hin zur Geschichte verschiedene Stufen der Freiheit. Die ersten, eigentlich überwundenen und überschrittenen Formen bestehen noch in der Gegenwart neben der zeitgemäßen Form und können und sollten tunlichst auch unterschieden und erkannt werden.
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Das Folgende ist Skizze für die Ausführungen in den nebenan aufgelisteten Kapiteln und in den Werken Hans Erhard Lauers, es kann daraus die Überkreuzung der Belange von Individualität und Kollektiv ersehen werden. Rudolf Steiner hat diese Entwicklung mit dem "Soziologischen Grundgesetz" begrifflich erfasst:
"Die Menschheit strebt im Anfange der Kulturzustände nach Entstehung sozialer Verbände; dem Interesse dieser Verbände wird zunächst das Interesse des Individuums geopfert; die weitere Entwicklung führt zur Befreiung des Individuums von dem Interesse der Verbände und zur freien Entfaltung der Bedürfnisse und Kräfte des Einzelnen."
GA31S255

Das Kennzeichen einer Sekte ist das Opfern der Interessen des Individuums!

Soll das Individuum sich frei entfalten können, bedarf es der dreifachen Gliederung der sozialen Bezüge. Wilhelm von Humboldt hatte den Staat im Auge, als er dem Individuum seinen Raum gewährt sehen wollte. Heute ist das Wirtschaften als ebenbürtiges, ja sogar dominantes soziales Glied entstanden, dem ebenso wie dem Staat Grenzen gezogen werden müssen.
Was im Beginn der menschlichen Kulturzustände einheitlich geregelt war - in Tempeln - muß heute differenziert werden, wenn Freiheit des Individuums möglich werden soll!

1. Urgeschichte:

2. Vorgeschichte

3. Geschichte:


Erkenntnisaspekt:



Paradiesisches Einssein, im Schoße der Gottheit. Genesis

Weltschöpfungsmythen und Religion - Vergangenheitsbezogen

Zukunftsentwürfe, Dominanz des Willens vor dem Denken. Intellekt, Apokalypse

Leib. Gehen

Seele. Sprechen

Geist. Denken


Menschheit

Volk

Individualität


Sprachentwicklung (Turmbau zu Babel), Einweihung, Sinnbildlichkeit

Denkentwicklung,  Begriffsverwirrung als Folge der Vereinzelung. Gegensatz Realismus und Nominalismus



Zeitgemäße Entwicklungsgestalt der Freiheit: Urteilskraft


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Moralischer Aspekt:



Sündenfall

die Schlange - Luzifer

Sündenfall auf seelischer Ebene: Turmbau zu Babel

Sündenerhebung

Christus

Inkarnation ist Fall in den Egoismus, Verantwortung gegenüber dem Göttlichen - Freiheit "von"

Tempelweisheit, die den Freiheitspol und das Gute repräsentiert. Gebot und Gesetz bewahrt das Volk vor der Sünde = der Sonderung

. Moralische Phantasie  ist die Umwandlung des Gewissens.

 Freiheit "zu" wird das Gute

 

Das  Böse:

Individualisierung

Das Böse:

Bindung an Blut und Boden

 

Das Gute: Bindung an Blut und Boden. Gesetzesgehorsam. Volksverantwortung

Das Gute: Individualisierung, Menschheitliche und kosmische Verantwortung - Religion = Wiederverbindung mit Gott

Adam = erste Geburt = Leiblichkeit

Der historische Weg des 'auserwählten Volkes':         Übergang vom 'Alten Adam'         zum 'Neuen Adam'

Neuer Adam = Zweite Geburt =  Seele und Geist


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Soziale Grundform:



Göttliche Führung. Im Willen bzw. Schoß der Gottheit

Mysterienführung. Theokratische Stellvertreter Gottes, Priester/-Könige. Aufgeteilter Sozialkörper in Führer und Geführte. Gesetz - Pflicht

Freie Vertragsverhältnisse. Liebe - moralische Phantasie

Einheit

Zweigliederung

Dreigliederung


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Zeitgegebene Sozialform:



Menschheit. Einheitliche Verfassung. Kultur - Tempel, geistiges Leben

Volk - Nation - Stamm - Sippe. Zweigliedrige Verfassung: "Gebt dem Kaiser was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist". Recht als neues Glied

Individualität. Dreigliedrige Verfassung, Wirtschaft ist jüngstes Glied

Unzeitgemäß: Individualität,

Unzeitgemäß: Individualität,


Unzeitgemäß: Kollektiv

 

Verantwortungsbewußtsein: keines

Verantwortungsbewußtsein: Volk - Nation - Stamm - Sippe

Verantwortungsbewußtsein: Menschheit


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Bewußtsein:



im Tiefschlaf - kollektives Unbewußtes - Archetypus

im Traumbewußtsein - Mythos

im Wachbewußtsein - Begriffe

Berufung: das Auge Gottes

 

 

Berufung von außen: Auserwähltsein (Keltische, germanische, jüdische Kultur) Tempelschulung

Berufung von innen: Gralsuche, Gralsweg in 3 Stufen: "Tumbheit, Zwifel, Saelde"

Gottgeleitete Menschheit

Fremdbestimmung - der in Völkern, Stämmen und Sippen eingebundene,  geführte und unfreie Mensch

Selbstbestimmung = Mitarbeit am eigenen Werdegang (von konfessioneller Seite als 'Selbsterlösung' stigmatisiert)

Mysterienkontinente

Mysterienregionen

Mysterienorte

der zur Freiheit veranlagte Mensch

der zur Freiheit geführte Mensch

der freie Mensch "Das Unzulängliche, hier wird's Erreichnis" (Goethe)




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Zu 1.) Urgeschichte (Lemuris): ...
   "In der Urgeschichte (Lauer I.1-I Urzeit, Sündenfall) ist Gut und Böse personifiziert in Gottvater und den Widersacher. Im 'Prolog im Himmel' läßt Goethe seine Personifizierung des Bösen, Mephistopheles, die Schlange 'seine alte Muhme' nennen. Der Mensch erwirbt sich nicht selbst die Freiheit, sondern ein geistiges Wesen, beheimatet auf dem Baum der Erkenntnis, trotzt sie der göttlichen Vorsehung ab und verführt das moralisch noch blinde Menschenpaar, das bis dahin zwar paradiesisch, aber unfrei lebt. Steiner gebraucht für dieses Wesen den Namen "Luzifer" - den Lichtbringer. Das göttliche Gebot kann nicht aus eigener Einsicht des Menschen-Urpaares befolgt werden und so ist die 'Sünde' unausweichlich. Sie ist aber eigentlich ein Ergebnis des Zwistes unter Göttern, deren Verhältnis zum Erkenntnislicht (kosmogonisch zur Sonne) ein unterschiedliches ist. Das Ergebnis konstatieren sie so: "Siehe, Adam ist geworden wie unsereiner, er kennt Gut und Böse". Diese erste Stufe der Freiheit wird als böse, als Sündenfall betrachtet, das paradiesisch Gute ist verscherzt und es folgt mit der Vertreibung aus dem Paradies die Verwehrung des Zugangs zum Lebensbaum und es beginnt die irdische Menschheitsgeschichte, Diese ist aber nicht ein Fall durch die Sünde, sondern in die Sünde (s.a Alfred Schütze: Das Rätsel des Bösen). Sonderungen nehmen von da an erst ihren Anfang, vorher war der Mensch eins mit der Welt und ihren Mächten, es entsteht die Zweiteilung der Menschheit in die Bewahrer des Lebensbaumes, die Mysterien und das Volk mit seinen ersten Erfahrungen der Früchte des Erkenntnisbaumes, die egoistischer Natur sind und daher eingedämmt werden:
Da wies ihn Gott aus dem Garten Eden, daß er das Feld baute, davon er genommen ist".
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Zu 2.) Vorgeschichte (Atlantis): ...
   Ein Hinweis auf die Situation, die nach der Paradiesesaustreibung entstanden ist (Vorgeschichte, Atlantis), findet sich in der Bibel, wo von Göttersöhnen gesprochen wird. Denn der Lebensbaum ist den gottgleichen Führern nicht wie dem gemeinen Volk unzugänglich. Von den Tempeln der Mysterienstätten aus werden die Geschicke der Völker durch Eingeweihte geleitet, während das Gros der Menschen 'im Schweiße ihres Angesichts' die Erde bearbeiten lernt. Der Mißbrauch der Tempelgeheimnisse führt zur Naturkatastrophen, die das Ende der Vorgeschichte bedeuten.
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Zu 3.) Geschichte (Nachatlantis): Aus: Lauer, II2A-D Geschichtliche Epochen, Neuzeit S158:   "...In all dem kam ein Vorgang von außerordentlicher Bedeutung zum Ausdruck. Dieser liegt darin, daß seit dem Eintritt des Christusereignisses eine Überkreuzung in den Angriffspunkten des luziferischen und des ahrimanischen Einflusses auf die Menschheit sich vollzogen hatte. Die südliche Strömung hatte vordem den Einzelnen durch die auf Geschlecht und Blut begründete Liebe an die Blutsbande gefesselt - hatte ihn in seiner individuellen Organisation, von seinem "unteren" Menschen, vom Willenspol her ergriffen - hatte das luziferische Prinzip, das im Menschen die Selbstsucht erregt, ihn aber zugleich auch in einer erdflüchtigen Weise vergeistigt, als das Böse, zu Meidende bezeichnet. Jetzt verfiel sie selbst immer mehr dem Einfluß eben dieses Prinzips. Alles Fleischliche, Geschlechtliche, Sinnliche wurde da nun als sündhaft empfunden. Sein Blut selbst trieb nun den Menschen gleichsam dazu an, es durch Enthaltsamkeit aller Art zu läutern und zu vergeistigen. In den Gelübden der Armut, der Keuschheit und des Gehorsams, auf welche das christliche Mönchstum sich gründete - Gregor VII. dehnte den Zölibat dann auch auf das Weltpriestertum aus - lag ein Moment der Weltflucht, der Entsagung gegenüber all dem, was den Menschen an die Erde bindet und ihn auf dieser (S159) sich als ein freies, auf sich gestelltes Wesen erleben läßt. Die Richtung, in welche der Geist dieser Gelübde das religiöse Leben lenkte, begünstigte ein Streben nach moralischer Vervollkommnung und nach Erlangung des persönlichen Seelenheils, in welchem sich nur ein verfeinerter Egoismus auslebte. Wir wiesen schon an früherer Stelle darauf hin, welches Ausmaß gegen das Ende des Mittelalters dieses egoistische Heilsstreben erlangte und wie es zu jenen Entartungen des Ablaßwesens führte, die dann den Anlaß zum Ausbruch der Reformationsbewegung boten. Dem stand ein geistiges Streben gegenüber, wie wir es bei den hervorragendsten Gestalten der mittelalterlichen Scholastik: Albertus Magnus und Thomas Aquinas finden. Wohl waren sich diese der Tatsache bewußt, daß das menschliche Denken eine Gabe Luzifers sei, das heißt daß in dieser Fähigkeit der Sündenfall fortwirke. Aber anstatt den Intellekt deshalb nun für unfähig zu erklären, die Wahrheit zu erkennen, bzw. eine 'zweifache Wahrheit': eine solche des Denkens und eine solche der Offenbarung zu statuieren, wie es von nominalistischer Seite aus geschah, zielte ihr Streben darauf hin, das Denken Luzifer zu entreißen und zu durchchristen (s.a. Rudolf Steiner: Die Philosophie des Thomas von Aquino. Drei Vorträge), indem sie es im innigsten Zusammenhang und Zusammenklang mit einer religiös-mystischen Vertiefung zu halten sich bemühten. Dadurch bewahrten sie zugleich die letztere vor dem Abgleiten in erotische Schwüle und bloße Gefühlsschwärmerei. So vertraten sie die Lehre, daß das Denken, wenn es auch aus Eigenem die Inhalte der Offenbarung nicht finden könne, so doch mit diesen nicht im Widerspruch stehe, sondern mit der von ihm erlangbaren natürlichen Gottes- und Seelenerkenntnis den Glaubenswahrheiten den erkenntnismäßigen Unterbau schaffe. Allein diese 'realistische' Richtung der Scholastik unterlag gegen das Ende des Mittelalters der "nominalistischen", und diese letztere wurde dann die erkenntnistheoretische Grundlage der modernen Naturwissenschaft, ja der modernen Wissenschaft überhaupt. Und damit nahm nun der Gegenprozeß zu der Luziferisierung der ehemals jahvistischen Strömung seinen Anfang: die Ahrimanisierung der ehemals luziferischen Strömung der Erkenntnis und der Freiheit".
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