Zweiter Teil, Erstes Kapitel:
Der moralische Aspekt der Geschichte vom Gesichtspunkte der Wirksamkeit kosmischer Mächte des Guten und des Bösen
Urzeit und Vorgeschichte
A. Urzeit. Das luziferischer Böse
(S127) Wenn wir im folgenden eine Skizze des moralischen Aspektes der irdischen Menschheitsentwicklung entwerfen, wie er sich vom Blickpunkte der Wirksamkeit kosmischer Mächte des Guten und des Bösen aus darstellt, so gründet die Berechtigung dieses Unternehmens in der Tatsache, daß von einer solchen Wirksamkeit nicht nur für die älteste, urzeitliche Epoche derselben gesprochen werden kann und muß, sondern auch für die späteren Epochen der Vorgeschichte und Geschichte. Denn wenn wir in früheren Kapiteln ausführten, daß der Gegensatz des Guten und des Bösen, der erst ein solcher von kosmischen Mächten gewesen, während der Vorgeschichte in die Menschheit - zunächst als ganze - eingezogen ist, so bedeutet das keineswegs, daß er seither nurmehr in der menschlichen Sphäre zu finden wäre. Wir zeigten ja, wie die Eingeweihten der Mysterien, die innerhalb der damaligen Menschheit den Pol des Guten repräsentierten, den Inhalt desselben ihren Mitmenschen nur deshalb vermitteln konnten, weil sie durch ihre Einweihung den Zugang fanden zu den kosmischen Mächten des Guten und des Bösen, der der übrigen Menschheit für ihr Erleben verloren gegangen war. Ihre Initiation, wenn sie in rechtmäßiger Art erlangt worden war, gewährleistete ihnen, daß sie gegenüber diesem Gegensatz der kosmischen Mächte die rechte Stellung finden konnten. Es kann also der Einzug von Gut und Böse in die Menschheit während der Vorgeschichte auch so verstanden werden, daß der Gegensatz der kosmischen guten und bösen Mächte sich jetzt in die Menschheit hineinprojizierte, so daß diese selbst nun in zwei Pole gespalten erschien.
Damit ist auch schon gesagt, wie es sich in der dritten Epoche: der Geschichte, verhält. Wenn dieser Gegensatz jetzt in die einzelne menschliche Individualität einzieht, so bedeutet auch dies keineswegs, daß er als kosmischer verschwindet, sondern lediglich, daß er sich jetzt auch jedem einzelnen Menschen auf- oder einprägt, so daß dieser sich jetzt gespalten findet in jene zwei Seelen, die - nach Fausts Worten - in seiner Brust wohnen. Das bedeutet aber, daß da, wo diese Entwicklung ihre Kulmination erreicht, der Gegensatz der (S128) kosmischen Mächte des Guten und des Bösen aus der Verborgenheit, in die er während der zweiten Epoche versunken war, wieder hervortritt. Denn indem der einzelne Mensch - und das gilt im Prinzip für jeden Einzelnen - ihn in sich erlebt, wird er wieder offenbar. Allerdings geschieht das jetzt in der Form, die er inzwischen dadurch angenommen hat, daß im Lauf der Geschichte Christus auf Erden erschienen ist. Denn durch dieses Ereignis ist ja dieses sein Einziehen in den einzelnen Menschen erst zustande gekommen. Das heißt aber auch, daß da, wo dieser Prozeß kulminiert, er sich im einzelnen Menschen zu einer modernen Einweihung gestaltet, durch welche dieser, mit der vollen Geburt seines höheren Ichs, sich in einen Gegensatz von Gut und Böse hineingestellt findet, der nicht bloß menschliche, sondern kosmische Bedeutung hat.
Zwei Bemerkungen sind nun noch vorauszuschicken. Die erste ist diese, daß das wichtigste und zugleich das absolut neue Moment innerhalb alles dessen, was sich aus den Quellen der neuen, durch Rudolf Steiner inaugurierten Initiations-Erkenntnis über dieses Thema ergeben hat, darin besteht, daß wir es nicht nur mit einem Bösen schlechthin - als dem Gegensatz des Guten - zu tun haben, sondern mit einer Mehrheit von verschiedenen, ja geradezu entgegengesetzt gearteten Gestalten des Bösen, der auch ein mehrfaches, verschieden geartetes Gutes gegenübersteht. Man könnte auch von Metamorphosen, das heißt von verschiedenen, aufeinanderfolgenden Entwicklungsgestalten sprechen, in denen das Gute und das Böse im Laufe des Menschheitswerdens ihre Wirksamkeit entfalten. Diese stellen die objektiven, kosmischen Gegenbilder dar zu jenen aufeinanderfolgenden Entwicklungsgestalten, welche das Verhältnis des Menschen zu Gut und Böse - zufolge der in den vorangehenden Kapiteln gegebenen Schilderung - durchläuft.
Die zweite Bemerkung, die hier noch gemacht werden muß, ist diese, daß die Unterscheidung von Gut und Böse trotz all dem, was soeben über ihre kosmischen Repräsentanten gesagt wurde, unlösbar mit der menschlichen Freiheitsentwicklung verknüpft ist, ja in dieser ihren letzten Grund hat. Wir wiesen ja an der betreffenden Stelle darauf hin, daß der "Sündenfall" als der Geburtsakt der menschlichen Freiheit geradezu darin besteht, daß der Mensch Gut und Böse zu unterscheiden beginnt. Das bedeutet aber, daß diese Gegensätzlichkeit in der Entwicklung des Menschen selbst ihren Ursprung hat und sich von ihr nicht trennen läßt. Damit ist auch klar, wie es gemeint war, wenn wir an der betreffenden Stelle unserer Betrachtung von kosmischen Mächten des Guten und des Bösen sprachen. Diese Mächte können nämlich an und für sich selbst weder als gut noch als böse bezeichnet werden. Erst und nur in ihrer Beziehung zum Menschen erscheinen, von diesem her gesehen, die einen von ihnen als gute, die anderen als böse. Diese Benennung charakterisiert also nicht das, was sie an sich selbst sind, sondern nur ihre (S129) Bedeutung für den Menschen und seine Entwicklung. Nur wenn dies berücksichtigt wird, vermeidet man es, sich an die Frage zu verlieren, die, weil sie falsch gestellt ist, auch nicht beantwortet werden kann und deshalb auch die Crux aller Theodizeen geblieben ist: wie aus Gott als dem Urguten und dem Schöpfer der Welt das Böse habe entstehen können. Das Böse hat nicht in Gott, sondern im Menschen seine Wurzel, insofern er das zur Freiheit bestimmte Wesen ist; denn die Unterscheidung von Gut und Böse ist nur die Kehrseite der Freiheit. Von Gott her gesehen gibt es den Unterschied von Gut und Böse nicht, sondern nur verschiedene, differenzierte Aufgaben im Gange des Weltenwerdens, welche von verschiedenen göttlichen Mächten erfüllt werden. Dieses Geheimnis bringt Goethe im "Prolog im Himmel" zum Faustdrama in seiner Weise zum Ausdruck, indem er uns da den "Herrn" im Gespräche mit Mephisto über den Menschen Faust vorführt und dabei den Herrn zu Mephisto sagen läßt:
Du darfst auch da nur frei erscheinen,
Ich habe deinesgleichen nie gehaßt.
Von allen Geistern, die verneinen,
Ist mir der Schalk am wenigsten zur Last.
Worauf Mephisto antwortet:
Von Zeit zu Zeit seh ich den Alten gern
Und hüte mich, mit ihm zu brechen.
Es ist gar hübsch von einem großen Herrn,
So menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen.
In diesem Tatbestand liegt der Grund, warum wir mit der folgenden Darstellung nicht schon in früheren Stadien des Welten-Menschen-Werdens einsetzen, sondern erst an dem Punkt, an dem wir auch schon die in den früheren Kapiteln vom Standpunkte des Menschen aus gegebene Schilderung begonnen hatten: nämlich beim Ereignis des "Sündenfalls" am Ende der Urzeit (lemurische Epoche). Von unserem jetzigen Gesichtspunkt aus können wir in vollem Einklang mit der mosaischen Genesis die Macht, die dort im Bilde der Schlange erscheint und den Menschen zur "Ursünde" verführt, für die damalige Zeit als den kosmischen Repräsentanten des Bösen bezeichnen. Im Lichte der Geisteswissenschaft betrachtet, handelt es sich bei dieser Wesenheit um diejenige, die sie - in Anlehnung an ältere Namengebung - Luzifer nennt. Die Wesensart und die Wirksamkeit derselben im Sündenfallgeschehen aber muß sie in der folgenden Weise charakterisieren:
Diese Wesenheit war - denn auch die hierarchischen Wesen machen im Verlauf des Weltenwerdens eine Entwicklung durch - auf derjenigen Etappe ihrer Entwicklung zurückgeblieben, die der vorangehenden Hauptstufe (S130) des Weltenwerdens entsprach. Die Geisteswissenschaft bezeichnet diese als die "Mondenstufe", weil die Erde damals noch den heutigen Mond in sich enthielt; außerdem war der diese beiden Weltkörper in Einheit darstellende Planet noch von einer "geistigeren" Stofflichkeit, als sie ihnen heute eigen ist, und stand in seinen Lebens- und Bewegungsverhältnissen mit der zu ihm gehörigen kosmischen Umwelt noch in engerem Zusammenhang, als ihn die heutige Erde hat. Der Mensch hatte damals noch auf einer Stufe seiner Entwicklung gestanden, die zwar nicht die eines Tieres im heutigen Sinne war, aber doch eine gewisse Verwandtschaft mit dieser insofern hatte, als er als Einzelwesen erst ein seelisch-astralisches, aber noch kein geistig-ichhaftes Wesensglied besaß, sondern - wie heute die Tiere - mit andern Wesen seinesgleichen ein "Gruppen-Ich" gemeinsam hatte.
Das Zurückbleiben Luzifers auf dieser "vorirdischen" Stufe der kosmischen Evolution erscheint in der biblischen Mythologie als seine Auflehnung gegen Gott und sein Sturz in den Abgrund, den er im Kampfe mit dem Erzengel Michael erlitt. Sie erblickt in dieser seiner Rebellion den kosmischen Ursprung des Bösen, der in dem späteren Sündenfall des Menschen nur seine Fortsetzung gefunden hat. Für die Geisteswissenschaft stellt sich die Sache in folgender Weise dar: Als im Beginne der eigentlichen "Erdenstufe" des Weltenwerdens die Erde den heutigen Mond aus sich entließ und sich anschickte, sich zu ihrer gegenwärtigen, materiellen Stofflichkeit zu verdichten, fingen die "guten" göttlichen Mächte damit an, dem Menschen das Element des Ichhaft-Geistigen zu verleihen - womit seine "Mensch"-Werdung im eigentlichsten Sinne einsetzte. In diese sich also verändernde Welt paßten nun Luzifer und die Seinen nicht mehr hinein. Um sich wieder eine ihnen konforme Welt zu schaffen, innerhalb deren sie ihre nicht abgeschlossene "Mondenentwicklung" nachholen könnten, nisteten sie sich gleichsam in das ihnen - von der Monden-Evolution her verwandte - seelisch-astralische Wesenselement des Menschen ein und rissen es, samt dem in ihm soeben veranlagten Keim der Ich-Entwicklung, von seinem Zusammenhang mit den guten göttlichen Mächten los. Zweierlei war dabei die Absicht: Einerseits sollte die menschliche Leiblichkeit in einer geistigeren Substantialität erhalten und davor bewahrt werden, in eine dichtere Stofflichkeit überzugehen. Zwar gelang dieser Versuch nicht ganz, sondern nur mit einem Teil derselben: nämlich mit demjenigen, der zu dem heutigen Kopf wurde. Dieser wurde "geistiger", als es seiner ursprünglichen Veranlagung entsprochen hätte. In ihm wurde nämlich die Fähigkeit dazu veranlagt, das Organ des Denkens zu werden, durch welches der Mensch später einmal die göttlichen Weltgedanken (universalia ante res bzw. in rebus) in seine eigenen menschlichen Gedanken (universalia post res) sollte verwandeln können. Und zugleich wurde er zum hauptsächlichsten Organ der Sinneswahrnehmung der Anlage nach umgebildet, (S131) aus deren Inhalten dereinst die Weltgedanken "abgezogen" werden sollten. Beides trat damals zwar noch nicht in Erscheinung. Das begann erst in der Epoche der Vorgeschichte und kam dann in der Geschichte vollends zur Entfaltung. Damals wurde durch Luzifer nur die Voraussetzung dafür geschaffen. Dies ist auch ein Aspekt dessen, was in der Bibel als das Essen vom Baum der Erkenntnis geschildert wird. Auf der anderen Seite sollte der Mensch auf der seelisch-astralischen Stufe seiner Entwicklung zurückgehalten werden, also nicht zur Stufe der individuellen Ichheit aufsteigen. Auch dieses Ziel trat damals noch nicht in Erscheinung, da ja die Prozesse, die mit der Ich-Entwicklung zusammenhängen, noch in ihrem ersten Anfange standen.
Was sogleich spürbar wurde, war nur das Losgerissenwerden von der Führung durch die "guten Götter", das heißt durch jene Mächte, die den Menschen soeben mit dem Ich-Elemente zu begaben begonnen hatten. Diese Losreißung aber bedeutete jenen Geburtsakt der menschlichen Freiheit, als den wir in der früheren Betrachtung den "Sündenfall" bezeichneten. "Frei" wurde der Mensch zunächst nämlich von der Führung durch die guten Götter. Diese Freiheit war in der Tat fürs erste nur eine "Freiheit von...", noch keine "Freiheit zu..." Man könnte auch sagen: von der vollen Freiheit war sie zunächst nur die erste, negative Hälfte; die zweite, positive fehlte noch. Denn das menschliche Ich, das dazu bestimmt war, dereinst der Träger der Freiheit zu werden, war damals hierzu noch viel zu unreif - stand es doch erst im Beginne seiner Entfaltung. Und so konnte nichts anderes geschehen, als daß das Seelisch-Astralische zunächst der hauptsächlichste Träger dieser Freiheit wurde. Der Impuls der Selbständigkeit wurde also anfänglich auf einem zu tiefen Niveau entfacht, und so lebte er sich unvermeidlich fürs erste als Selbstsucht, als Egoismus, dar. Man könnte sagen - wie wir es in einem früheren Kapitel auch getan haben -, daß die Selbstsucht nur ein Zerrbild des Freiheitsimpulses darstelle, in Wirklichkeit ein Verfallen in die Unfreiheit, nämlich in die Knechtschaft gegenüber der im Seelischen wurzelnden Trieben und Begierden sei: also das, was Schiller als Wildheit bezeichnete. Dann würde man aufdecken, was Luzifer mit seiner "Befreiung" des Menschen letzten Endes anstrebte. Denn die wahre, volle Freiheit konnte er gar nicht wollen, bestand doch sein letztes Ziel darin, den Menschen auf die Stufe der alten Mondenentwicklung zurückzuführen. Aber dies blieb damals noch verborgen. Dies konnte erst in die Sichtbarkeit treten, als sich dieses Ziel gegen die wahre Freiheit des Menschen dadurch deutlich abhob, daß die Menschheit inzwischen für die letztere reif geworden war. Was sich damals zeigte, war lediglich das Selbständigwerden der Menschen gegenüber den guten Göttern, eine verfrühte und deshalb unreife, niedere Erscheinungsform der Freiheit.
Wie reagierten die guten Mächte auf dieses Geschehnis?: Nach der Bibel dadurch, daß sie den Menschen aus dem (S132) Paradiese verstießen und ihm den Lebensbaum entzogen. Geisteswissenschaftlich gesehen: dadurch, daß sie den Menschen im Bereich seiner ätherischen Lebenskräfte um ebensoviel unfreier machten, wie er im Astralisch-Seelischen freier geworden war, als er es damals schon hätte sein sollen. Anders gesagt: daß sie ihn in seinen Lebensprozessen um so viel stärker an die Erde fesselten, als er im Seelischen von den Göttern frei geworden war. Noch anders: daß sie ihn im unteren Teil seiner Leiblichkeit, der die Region der hauptsächlichsten Lebensvorgänge (Ernährung, Fortpflanzung) bildet, um ebensoviel materieller machten, als er im oberen (Kopf) geistiger geworden war. Dieses Materieller-Werden bedeutete ebensoviel wie den Verlust eines Teiles seiner ehemaligen Lebenskräfte (Entzug des Lebensbaumes). Dieser kam darin zum Ausdruck, daß im Menschen, der vor dem Falle androgyn gewesen, das heißt beide Wesenskräfte des Lebens, die männliche und die weibliche, in sich getragen und sich daher aus sich selbst leiblich immer wieder hatte erneuern können, die Geschlechter sich trennten, so daß fortan zum Zwecke der Fortpflanzung des leiblichen Lebens zwei verschieden-geschlechtliche Menschen sich miteinander verbinden mußten. Hierdurch geschah es, daß der durch den Fall eingetretene Zustand zur "Erbsünde" wurde. Hiermit hängt es auch zusammen, daß der "Sündenfall" immer auch als Fall in die "Geschlechtlichkeit" verstanden worden ist. Er war ein solcher in dem Sinne, daß das durch ihn erwachte Ichbewußtsein des Menschen sich auch auf die neu eingetretene Geschlechtsdifferenzierung erstreckte. In der Bibel wird hierauf dadurch hingedeutet, daß Adam und Eva sich nach dem Falle ihrer Nacktheit bewußt wurden und sich versteckten. Mit dem egoistischen Charakter dieses Ichbewußtseins waren aber auch alle Gefahren des Mißbrauchs der mit der Fortpflanzung verbundenen Beziehungen zwischen den Geschlechtern gegeben, denen sich der Mensch im Lauf der weiteren Entwicklung immer mehr ausgesetzt sah. Selbstverständlich muß man sich die Umwandlung dieser auf die Geschlechtskräfte bezüglichen Verhältnisse als einen Prozeß vorstellen, der sich durch eine längere Periode und verschiedene Stadien hindurch vollzogen hat (Siehe Ernst Benz: Adam, der Mythus des Urmenschen, München 1955, ferner O.J.Harmann: Paradies und Sündenfall, Freiburg 1959). So entstanden also jetzt Zeugung und Geburt - aber auch der Tod (infolge des Verlustes der Erneuerungsfähigkeit des Leibes aus sich selbst) -, wie es in der Genesis in den Worten des Herrn an Eva zum Ausdrucke kommt: "Du sollst mit Schmerzen Kinder gebären; und dein Verlangen soll nach deinem Manne sein, und er soll dein Herr sein", und an Adam: "Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis daß du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist. Denn du bist Erde und sollst zur Erde werden." Mit all dem nahm auch die Reinkarnation der menschlichen Einzelseelen ihren Anfang. Indem die Menschheit in bezug auf ihr (S133) leibliches Dasein der Gesetzmäßigkeit von Geburt und Tod unterworfen ward, wurde sie tiefer in das Erdensein verstrickt, als es ihr ursprünglich bestimmt war. Sie sank ein Stück weit unter das ihr ursprünglich zugedachte Daseinsniveau herab in die Sphäre der Natur und wurde dadurch dem Tierreiche verwandt, das denselben Gesetzen von Geburt und Tod unterliegt. Dadurch wurde es möglich, daß viel später - in unserer Zeit - innerhalb ihrer die Auffassung aufkommen konnte, sie stamme vom Tierreich ab oder sei überhaupt bloß ein höherentwickeltes Tier.
B. Vorgeschichte. Das ahrimanische Böse
Wir erwähnten schon an früherem Ort, daß der "Lebensbaum" der Menschheit aber doch nicht im absoluten Sinne entzogen wurde, sondern jetzt in die Verwaltung desjenigen überging, was in dem Orakel- und Mysterienwesen, das während der nun heraufziehenden vorgeschichtlichen Epoche entstand, als ihre geistige Führung sich herausbildete. Die Vertreter derselben übermittelten im Auftrag der guten Götter ihren Mitmenschen Gebote, durch welche deren ganzes Leben, insbesondere ihr Gemeinschaftsleben, eine strenggeregelte Ordnung empfing. Daß sie die Geheimnisse des Lebensbaumes verwalteten, zeigte sich darin, daß sie diese Lebensordnung ganz und ausschließlich auf das Prinzip der Blutsverwandtschaft begründeten. Sie kannten die Gesetze, wonach Blutskräfte zu mischen oder auch rein zu erhalten waren, um bestimmte Seelenfähigkeiten zur Ausbildung zu bringen. So wurden damals die Hautfarben- und kastenartigen Blutsverbände gestiftet, die der atlantisch-vorgeschichtlichen Entwicklung ihr Gepräge gaben. Wir schilderten schon im ersten Bande, wie zum Beispiel das menschliche Gedächtnis damals im wesentlichen noch ein kollektives in dem Sinne war, daß es ganze Generationsfolgen umfaßte, und wie die sogeartete Erinnerung die individuell-persönliche noch bei weitem überleuchtete. Auch alle menschliche Gemeinschaftsbildung wurde durch das Prinzip des Blutszusammenhanges bestimmt. Ein im moralischen Sinne guter Mensch zu sein, bedeutete daher, alles das heiligzuhalten und zu pflegen, wodurch sich der Einzelne als Nachkomme von Vorfahren, als Glied einer Gemeinschaft von Blutsverwandten, als Erzeuger von Nachfahren in rechter Weise in den durch eine Folge von Generationen hindurchfließenden Blutstrom hineinstellte. In dieser Fesselung des einzelnen Menschen an die Bande der Blutsgemeinschaft kam jene übermäßige Bindung desselben an die Erde zum Ausdruck, welche die Mächte des Guten zum Ausgleich gegen die verfrühte Losreißung des Menschen von ihrer Führung bewerkstelligten. Denn die Gebote, welche dieser Forderung dienten, wurden ja in ihrem Namen und (S134) Auftrag gegeben. Und ihr tieferer Sinn lag darin, die Menschen in dem Maß und der Art, wie es jetzt möglich war, der Führung durch die guten Götter doch weiter teilhaftig werden zu lassen, um sie vor den Gefahren zu bewahren, denen sie durch ihre unreife Freiheit ausgesetzt waren. Nur wurde diese Verbindung jetzt eben auf dem Weg über die Erde, das Leben, das gemeinsame Blut wieder angeknüpft.
Nun war es vor allem eine bestimmte göttliche Wesenheit, die in dieser Art als Vertreter der guten Götter und als Gegenspieler der luziferischen Macht ihre Wirksamkeit entfaltete: es ist diejenige, die sich in viel späterer Zeit dem Judentum als "Jahve" offenbarte und mit ihm in besonderem Maße verband. Sie gehörte zu jenen Wesen, die dem Menschen die Ich-Anlage verliehen hatten. "Ich bin der Ich bin", so bezeichnete sie sich selbst, als sie dem Moses im brennenden Dornbusch erschien. In vorgeschichtlicher Zeit förderte sie noch innerhalb der ganzen Menschheit die Entwicklung des Ich-Impulses in Gestalt der blutsmäßig-kollektiven Ichheit (in Verbindung mit dem damaligen Kollektivgedächtnis). Das Ehren von Vater und Mutter, wie es später speziell für das Judentum noch im Dekalog geboten wurde, war sozusagen das einzige positive Gute, das sie dem Bösen des durch Luzifer entzündeten Egoismus entgegenstellte. Die Gegnerschaft Jahves gegen Luzifer kam in kosmologischer Hinsicht darin zum Ausdruck, daß Jahve den aus der Erde herausgetretenen Mond zu seinem "Wohnsitz" erwählte und in diesem Sinne eine Mondgottheit wurde. Denn dieser Mond ist - man möchte sagen - der spiegelbildliche Gegensatz zu jener Mondenwelt, in die Luzifer das Erdensein zurückzuverwandeln versuchte und noch immer versucht. So nämlich wie diese aus einer feineren, geistigeren Substantialität besteht als die Erde, ist der heutige Mond gleichsam in eine noch dichtere Materialität hineingeschossen als die Erde. Er ist eine von keiner Lufthülle umgebene, von keinem Wasser umspülte, von keinem organischen Wesen belebte tote Schlacke. Und so steht die Erde seither in der Mitte zwischen zwei Mondwelten: der alten, geistigeren des Luzifer und der neuen, materielleren des Jahve. Im selben Sinne stand die Menschheit während der Vorgeschichte drinnen zwischen dem luziferischen Bösen und dem jahvistischen Guten: entzündete das erstere in ihr das Feuer eines ichsüchtigen Freiheitsstrebens und das Licht einer erdfremden Geistigkeit, so kettete ihn das letztere durch das Blut an die Erde und lehrte ihn die selbstlose Liebe zu den ihm Blutsverwandten.
Nun war aber die Wirksamkeit Luzifers doch keine absolut, sondern nur eine relativ böse. Denn der Mensch sollte ja im Laufe der Erdenentwicklung der Freiheit teilhaftig werden. Und wenn auch Luzifer ihm die Freiheit verfrüht gebracht und daher zunächst nur als eine negative, als eine "Freiheit von..." geschenkt hatte, so war es immerhin der Anfang der Freiheit, und insofern wirkte sich der Einfluß Luzifers zunächst doch im Sinne des Fortschritts aus. (S135) Es lag in ihm mit anderen Worten doch auch etwas Berechtigtes drinnen. Umgekehrt war, was durch Jahve bewirkt wurde, kein absolut, sondern nur ein relativ Gutes. Es hatte eine Berechtigung nur als Gegengewicht gegen die verfrühte, egoistische Form der Freiheit, die Luzifer gebracht hatte, aber nicht im absoluten Sinne; denn die Bindung des Menschen an die Blutszusammenhänge, die es in sich schloß, stand im Widerspruch mit dem Freiheitsimpuls, der nun einmal in der Ich-Entwicklung begründet ist. Es konnte daher die Art, den Einfluß Luzifers zu paralysieren, nur eine vorläufige, keine endgültige sein; sie mußte, je weiter die Zeit fortschritt, um so mehr in Gegensatz zu den Entwicklungsforderungen geraten. Denn es lag ein Moment des Rückschrittes in ihr.
Hiermit ist der Grund bezeichnet, warum die Jahve-Wesenheit etwa von der Mitte der atlantisch-vorgeschichtlichen Epoche an, welche ja zugleich die zeitliche Mitte der ganzen Erdenentwicklung darstellt, sich aus den Kräften des menschlichen Blutes zurückzog. Dies hatte zur Folge, daß der dadurch entstandene "Hohlraum" - nach dem Gesetze des horror vacui - eine andere Macht in sich hereinsog. Diese war nun wiederum eine kosmische Macht des Bösen, aber von ganz anderer, ja entgegengesetzter Art als die luziferische. Die Geisteswissenschaft bezeichnet sie - in Verwendung ihrer altpersischen Benennung - als die ahrimanische. Diese war schon auf einer Stufe der kosmischen Evolution in ihrer Entwicklung zurückgeblieben, die der alten Mondenphase noch vorangegangen war: Die Geisteswissenschaft nennt sie die "Sonnenstufe", weil damals die Erde nicht nur mit dem Mond, sondern auch mit der heutigen Sonne noch eine Einheit bildete. Der Mensch stand damals noch auf einer pflanzenartigen Stufe seines Werdens. Er war noch kein beseeltes, sondern bloß lebendiges Wesen. Da Ahriman jener Entwicklungsetappe in gewissem Sinne verwandt geblieben ist, steht er nicht nur, wie Luzifer, dem Ich, sondern schon dem Seelisch-Astralischen feindlich gegenüber und strebt darnach, alles Seelisch-Geistige des Menschen in seiner Eigenständigkeit auszulöschen und ihn auf die Stufe eines bloßen Vegetierens herunterzudrücken. Er hat nur die abwärts gehende Linie der Evolution mitgemacht, auf der die Schöpfung (in dem weiter oben geschilderten Sinne) immer mehr entgeistigt wurde, und so erzeugt er nicht, wie Luzifer, ein erdflüchtiges Vergeistigungsstreben, sondern im Gegenteil den Trieb, sich völlig und endgültig der Erde zu bemächtigen und sich darin an die Erde zu verlieren. Aus diesem Grunde konnte gerade er sozusagen in die Fußstapfen Jahves treten und dessen Tendenzen, indem er sie bis ins Extrem fortsetzte, zugleich zur Karikatur verzerren.
Dadurch nun, daß die in den Blutsgemeinschaften wirkenden Impulse und auch die Mysterienführung, die sie vermittelte, von der Inspiration Jahves immer mehr an diejenige Ahrimans übergingen, geschah es, daß in der (S136)
zweiten Hälfte der atlantischen Entwicklung das Mysterienwesen allmählich in Verfall geriet und zum Werkzeug der Mächte des Bösen wurde. Dies zeigte sich darin, daß in zunehmender Zahl, wie schon an früherer Stelle geschildert, unrechtmäßige Einweihungen zustande kamen, die den Verrat von Mysteriengeheimnissen an Uneingeweihte zur Folge hatten. Da die letzteren aber erfüllt waren von dem durch Luzifer entzündeten Trieb der Selbstsucht, so vermochten sie, wenn sie von den Eingeweihten die Geheimnisse erfuhren, die sich auf die Handhabung der Kräfte des Lebens und seiner Fortpflanzung bezogen, der Verlockung nicht widerstehen, dieses Wissen zur Befriedigung ihrer selbstsüchtigen Begierden zu mißbrauchen. Indem sie so immer mehr ihren niederen sinnlichen Trieben verfielen, kam es in ihren Seelen zu einer Verbindung des luziferischen mit dem ahrimanischen Bösen. Die Folge dieses Mißbrauches der Sexualkräfte war eine leibliche Entartung, die große Teile der atlantischen Bevölkerung dem Tierisch-Untermenschlichen annäherte und sie der Fähigkeit beraubte, Träger weiteren Entwicklungsfortschrittes zu sein, so daß sie zum Aussterben verurteilt waren. Die Hominiden, deren Skelettreste in den verschiedenen Erdteilen heutzutage ausgegraben werden, sind Überbleibsel jener ins Tierhafte abgesunkenen Menschenformen. Andere Teile der damaligen Menschheit schieden wenigstens bis auf weiteres aus dem Fortgang der Entwicklung aus. Sie traten dann als "Naturvölker" in die geschichtliche Ära ein und sind erst heute im Begriff, den Wiederanschluß an die inzwischen erfolgte Entwicklung zu finden. Eine andere Folge des Mißbrauchs der Lebenskräfte, der ihr Wirken in der außermenschlichen Natur betraf, waren die besonders im Wasserelement hervorgerufenen Naturkatastrophen, in denen der atlantische Kontinent stückweise unterging. Nur ein kleiner Teil der atlantischen Menschheit konnte vor dem Verfall an die Mächte des Bösen so weit bewahrt werden, daß er zum Träger jener höheren Entwicklung zu werden vermochte, die der Menschheit in geschichtlicher Zeit zu durchlaufen bestimmt war.
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