Rudolf Steiner: Das Märchen vom Lieben und Hassen
aus GA14, "Vier Mysteriendramen" - "Die Pforte der Einweihung" 6. Bild.
Gemälde von Hermann Linde mit Anregungen zur Darstellung von Rudolf Steiner
... Frau Balde: "Es sei ---
Es war einmal ein Wesen,
Das flog von Ost nach West
Dem Lauf der Sonne nach.
Es flog hin über Länder, über Meere;
Es sah von seiner Höhe
Dem Menschentreiben zu.
Es sah, wie sich die Menschen lieben
Und hassend sich verfolgen.
Es konnte nicht das Wesen
In seinem Fluge hemmen;
Denn Hass und Liebe schaffen
Das gleiche stets vieltausendfach.
Doch über einem Hause,
Da musst' das Wesen halten.
Darinnen war ein müder Mann.
Der sann der Menschenliebe nach
Und sann auch über Menschenhass.
Ihm hatte schon sein Sinnen
Ins Antlitz tiefe Furchen eingeschrieben.
Es hatte ihm das Haar gebleicht.
Und über seinen Kummer
Verlor das Wesen seinen Sonnenführer
Und blieb bei jenem Mann.
Es war in seinem Zimmer
Noch, als die Sonne unterging;
Und als die Sonne wiederkam,
Da ward das Wesen wieder
Vom Sonnengeiste aufgenommen -
Und wieder sah es Menschen
In Lieb' und Hass
Den Erdenlauf verbringen.
Und als es kam zum zweitenmal,
Der Sonne folgend über jenes Haus,
Da fiel sein Blick
Auf einen toten Mann."
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