I,10 Spiegelung des Kampfes Michaels mit dem Drachen und seinen Engeln in der Zeit von 1841 bis 1879 auf Erden (Europa, Amerika)
Auf der Erde kann man, darauf hat Rudolf Steiner hingewiesen, eine Spiegelung dieser Auseinandersetzung wiederfinden. Aber es ist nicht nur eine einfache Spiegelung dieses Geisteskampfes, sondern zugleich eine Keimlegung für die kommende Zeit. Das gibt dieser Zeit ein besonderes Gepräge. Ich möchte an eines erinnern, was Rudolf Steiner in diesem Zusammenhang ausführte, und was die Bedeutung dieser Jahre aufzeigen kann. Er sagte, daß die eigentliche Kulmination des Materialismus in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts stattfand, und daß alles Folgende nur eine Auswirkung dieser Kulmination ist. Ein Beispiel: Karl Marx' Kommunistisches Manifest S39 wurde 1848 geschrieben. Man vergegenwärtige sich seine Auswirkungen bis heute. Ich möchte hier nur einige wenige Beispiele bringen.
Etwa um das Jahr 1840 begannen in Deutschland die Versuche, eine sozialistische Arbeiterbewegung ins Leben zu rufen. Es war, wie man weiß, vor allen Dingen Ferdinand Lasalle, der sich zum Sprecher einer solchen Neugründung machte. Er war ein Mensch mit sozialen Impulsen, hatte sich gründlich mit dem deutschen Idealismus, mit Fichte und Hegel beschäftigt, und auf der anderen Seite ließ er sich von den Gedanken Karl Marx', den er persönlich gut kannte, anregen. In diesem Zwiespalt blieb er, bis er mit 39 Jahren im Duell fiel. Er konnte mit seiner blendenden Rednerbegabung, mit seinem Interesse für soziale Fragen, mit seinem von Fichtes Ideen durchglühtem Herzen, besonders auch mit seiner Überzeugung, daß gerade in der heraufkommenden Arbeiterschaft viele Zukunftskräfte verborgen sind, die Arbeiter faszinieren. Sie jubelten ihm zu. Er war, von Fichte inspiriert, auch davon überzeugt, daß das deutsche Volk eine spirituelle Veranlagung hat, daß es in der Welt eine besondere Aufgabe zu erfüllen hat. Seine Gegner warfen ihm deshalb manchmal nationale Interessen vor. Doch sie übersahen, was wirklich in seiner Seele lebte. Das ging weit über alles Engnationale hinaus. Deutschland war damals, vor 1870, in einzelne Länder zerspalten. Es war deshalb in vielen Menschen ein Verlangen vorhanden, zu einem gemeinsamen großen Staat zu kommen. Nach dem Krieg 1870/71 gegen Frankreich kam es dann durch Bismarck dazu. Es entstand das Deutschland, welches sich schnell zu einem großen Industriestaat mit steigender militärischer Macht entfaltete.
Lassalle hatte eine ganz andere Idee für das neuentstehende Deutsche Reich. Er schaute auf die innere Veranlagung dieses Volkes der Mitte und formte daraus seine Idee. Er sagte: "Dem metaphysischen Volk die metaphysische Aufgabe." Das war die ihn befeuernde Idee. Das neu zu begründende größere Deutschland sollte Leib dieser Idee werden. Wie das Wort Fleisch geworden ist auf Erden, sagte er, so muß dieses Volk Fleisch werden einer hohen metaphysischen Idee. Nun kommt es nicht darauf an, ob eine solche Idee damals verwirklicht werden konnte oder nicht, sondern daß man solche Gedanken gegenüber den Arbeitern der damaligen Zeit aussprechen und vertreten konnte. Und das tat er mit innerer Leidenschaft. Er klagte seine Zeit an, die kein Empfinden mehr für die befeuernde Kraft großer Ideen hatte. Er sah, wie das Leben um ihn herum eine ganz andere Richtung nahm. Man höre sich solche Worte einmal an, die er damals zu den Arbeitern sprach: "Das Leben, meine S40 Herren, führt also notwendig zu einer gänzlichen Geringschätzung und Verachtung allen ideellen Strebens, zu einem mitleidigen Lächeln, sooft der große Name der Idee nur ausgesprochen wird, zu einer tiefen Unempfänglichkeit und Widerwilligkeit gegen alles Schöne und Große, zu einem vollständigen Untergang aller sittlichen Elemente in uns, in die Leidenschaft des selbstsüchtigen Vorteils und der Genußsucht." Ja, so konnte man damals sprechen zu Arbeitern! Lassalle war der Überzeugung, daß in den Arbeitern eine innere Empfänglichkeit für die Idee, für das Schöne und Gute in der Welt vorhanden war: "Für alle aber, welche zum Arbeiterstand gehören, folgt aus dem Gesagten die Pflicht ein er ganz neuen Haltung." Gerade weil in der Arbeiterschaft ein Zukünftiges lebt, muß sie davon ein Bewußtsein entwickeln und es zur Idee der ganzen Menschheit machen. Und so ruft er ihnen zu: "Die hohe weltgeschichtliche Idee dieser Bestimmung muß all Ihre Gedanken in Anspruch nehmen. Es ziemen Ihnen nicht mehr die Laster der Unterdrückten, noch die müßigen Zerstreuungen der Gedankenlosen, noch der harmlose Leichtsinn der Unbedeutenden. Sie sind der Fels, auf welchem die Kirche der Gegenwart gebaut werden soll."
Rudolf Steiner sprach von den berechtigten Forderungen, die aus den Willenstiefen der Arbeiterschaft aufstiegen, Forderungen nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Sie lebten in den Arbeiterseelen der damaligen Zeit nicht als abstrakte Ideen, sondern als Willensimpulse. Sie konnten aber diese Impulse nicht voll ins Bewußtsein heben. So wurden sie durch die marxistische Forderung "Proletarier aller Länder vereinigt Euch" ins Gegenteil verkehrt. Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit nicht mehr für die Menschheit, sondern für eine Klasse der Menschheit, der Proletarier. In der "Sendung Michaels" (GA194) wird von Rudolf Steiner ausgesprochen: "Hinter diesem Schlachtruf stehen - ich habe es oft genug ausgeführt, berechtigte Forderungen der Menschheit. Aber an diese Forderungen wird nicht appelliert. In unserer Dreigliederungsidee wird zum ersten Mal daran appelliert. Appelliert wird an etwas anderes -: Proletarier aller Länder vereinigt Euch." Was ich damit zeigen möchte, ist, daß in der ersten Zeit der entstehenden Arbeiterbewegung, als Lassalle noch zu ihnen sprach, andere Impulse in ihnen lebten, Impulse, in denen noch berechtigte Menschheitsforderungen lebendig waren. Das waren unbewußt wirkende Michaelimpulse. Das ist es, was man sehen muß, während oben in der geistigen Welt Michael gegen die Drachenmächte kämpft.
Und wie sah es am Ende dieser Jahre, also 1879, aus? Der Marxismus mit seiner materialistischen Geschichtsauffassung und seiner Überzeugung, daß Ideen S41 nur blasse Namen, aber nichts Reales sind, daß also das gesamte Geistesleben der Menschen nur ideologisch ist, hatte sich durchgesetzt, hatte gesiegt, und alles andere war verdrängt. Nun galt nur noch das Wort Karl Marx': "Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt. Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt das gesellschaftliche Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt." Das heißt, das Geistesleben der Menschen in Wissenschaft, Kunst und Religion ist immer nur eine Spiegelung des äußeren wirtschaftlichen Geschehens. Der Mensch kann sich nicht von innenher selbst bestimmen, er wird von außen bestimmt.
Der Arbeiter überzeugte sich davon, daß es keine höhere Welt gibt, sondern nur ideologische Gedanken darüber, die nur seine Sehnsucht offenbarten, sich über die wirtschaftliche Not und den daraus geborenen Seelendruck zu unwirklichen, illusionären Sphären zu erheben. Während Michael gegen die ahrimanischen Engel kämpft und sie allmählich zur Erde wirft, wandelt sich das Gedanken- und Empfindungsleben der Menschen grundsätzlich. Es wird geistleugnend und materialistisch. Der Gedanke gewinnt langsam Macht in den Seelen, daß der Mensch im Grunde genommen nur ein Tier ist, das sich im Kampf ums Dasein behaupten muß, unter Umständen mit brutaler Gewalt. Deshalb hatte die Idee des Klassenkampfes eine so zündende Wirkung. Dieser Gedanke änderte in der Tat die ganze Welt. Rudolf Steiner macht darauf aufmerksam, daß das Jahr 1879 ein Wendejahr von größter Bedeutung ist. Bei solchen bedeutenden Wendeereignissen kann man die Zeiten vor solchem Ereignis in Zusammenhang bringen mit Ereignissen nach ihnen. Wenn man z.B. von 1879 zurückgeht bis zum Jahre 1841, dann sind es 38 Jahre. Geht man von 1879 38 Jahre weiter, dann kommt man zum Jahre 1917. Das ist das Begründungsjahr des Kommunismus in Rußland. Ein Ereignis, wie wir heute sehen können, welches der ganzen Welt ein anderes Gesicht gab. Heute, nachdem der Marxismus einen Großteil der Menschheit beherrscht, können wir es deutlicher sehen. Und wir stehen nicht am Ende dieser Entwicklung.
Man stelle sich einmal vor, es wäre 1870/71 ein Volk der Mitte entstanden, welches als Verkörperung einer großen spirituellen Idee die berechtigten Forderungen der Menschheit eingeschlossen hätte, dann wäre der National-Sozialismus nie in Deutschland aufgekommen. Dieser hatte zur Voraussetzung einen Staat, der politisch, wirtschaftlich und militärisch groß werden und blutsmäßig alle Deutschen zusammenfassen wollte. Und der keine Ahnung mehr davon hatte, was solch ein Wort: "Dem metaphysischen Volk die metaphysische S42 Aufgabe" beinhaltete. Hitler wollte kein Volk der Dichter und Denker. Er wollte politische und wirtschaftliche Macht, eine neue harte, blutsgebundene Rasse, welche sich die Weltherrschaft erobern sollte. Die Zeit des Kampfes Michaels gegen den Drachen bis 1879, der sich in der übersinnlichen Welt abspielte, fand seine Spiegelung auf der Erde und war zugleich, wie wir jetzt deutlicher sehen, die Keimlegung kommender Ereignisse. Dazu gehört aber auch, wie wir sahen, daß Michael dem Christus in neuer Weise den Weg zu den Menschen bahnen will durch die Inaugurierung einer neuen spirituellen Wissenschaft vom Geiste, und daß der Begründer dieser neuen Geisteswissenschaft auch in dieser Zeit - 1861 - geboren wurde.
Als Rudolf Steiner in den Vorträgen: "Sturz der Geister der Finsternis" (GA177) über diese Zeit sprach, bezog er auch Amerika in dieses Geschehen ein: "Es kommt ja nur darauf an, so zu schildern, daß der Betreffende ein Gefühl bekommt von den Ereignissen der 40er Jahre des 19. Jahrhunderts in Europa und Amerika." Ja, auch die Ereignisse in Amerika während dieser Zeit sind bedeutsam. Das große, mächtige Amerika, das wir heute kennen, war am Anfang dieser Zeit noch nicht da. Ja, es drohte in der Zeit vor dem Bürgerkrieg in Amerika 1861-1865 auseinanderzufallen. Der Gegensatz zwischen den Südstaaten und den Nordstaaten vertiefte sich mehr und mehr. Elf Südstaaten wollten eigene Wege gehen. Sie wollten die Union verlassen und einen eigenen Staatenbund des Südens gründen. Die Südstaaten waren vor allem Farmer, die Nordstaaten ein industrielles Gebiet. Das brachte große Gegensätze. Außen ging es um die Sklavenfrage, durchaus ehrlich; innen ging es um die Richtung, die Amerika künftig einschlagen wollte. Nach dem Sieg der Nordstaaten war die Einheit gesichert. Damit war die Grundlage gelegt zum Ausbau der U.S.A. zum mächtigsten Industriestaat der Welt. Amerika wurde langsam ausschlaggebend für die wirtschaftliche und politische Gestaltung der Welt. Es entstand die heutige amerikanische Zivilisation aus dem entwickelten Intellekt und dem nie rastenden, oft sich überschlagenden Willen. Der mittlere Mensch, der gerade im Süden, auch durch die Naturverbundenheit, noch eine gewisse Heimat hatte, ging in dem Maße verloren, wie die nach außen drängenden Kräfte wuchsen.
Und doch wurde gerade in dieser Zeit auch ein wichtiger Keim für das spirituelle Leben in Amerika gelegt. Es war besonders Ralph Waldo Emerson, der in dieser Zeit seine philosophischen Betrachtungen schrieb. Er wurde 1803 in Boston als Sohn eines Pfarrers geboren. Im Jahre 1828 wurde er selbst Pfarrer. Schon 1832 gab er seinen Pfarrerberuf auf, weil ihm das Christentum seiner Zeit zu eng war. Er begann seine idealistisch-spirituelle S43 Anschauung der Welt zu entwickeln. Seinen Durchbruch zu dem weltbekannten Schriftsteller und Dichter erfuhr er im Jahre 1841 durch die Herausgabe seines ersten größeren Werkes, in welchem schon seine später berühmt gewordenen philosophischen Essays enthalten waren. Lange Jahre war er Mittelpunkt eines Freundeskreises, der mit ihm in derselben Richtung tätig war. Er starb 1882 in das beginnende Michaelzeitalter hinein. Die Zeit seines Wirkens umspannt gerade die Jahre, von denen hier die Rede ist.
Man muß bei Emerson vor allem sehen, wie er gerungen hat, sich über das Wesen des Erkennens, des Denkens Klarheit zu verschaffen. Er sprach von zwei Arten des Denkens, dem arithmetisch-logischen Denken und dem intuitiven Denken. Diese letzte Art des Denkens schildert er als ein mehr willenshaftes Erkennen, das aus den Seelentiefen heraufkommt. Er sagte von diesem Denken: "Unser ganzer Fortschritt ist eine Entfaltung wie bei einer Pflanzenknospe. Man hat zuerst einen Instinkt, dann eine Meinung, dann ein Wissen, wie die Pflanze Wurzel, Knospen und Früchte entwickelt. Traue dem Instinkt völlig, auch wenn er noch ohne Vernunftgründe ist. Übereile diesen Prozeß der Bewußtwerdung nicht. Bringst du ihm völliges Vertrauen entgegen, dann wird er zur Wahrheit reifen und du wirst erfahren, warum man glaubt." Emerson offenbart sich als ein Mensch, der mehr im Willen veranlagt ist und deshalb noch, lebendiger als viele andere, seine Verbundenheit mit dem Geistigen der Welt erfährt. Deutlicher als andere spürt er das Walten einer spirituellen Wahrheit in den Seelengründen. Diese Wahrheiten sind zuerst noch dumpf, wie kraftende Instinkte, dann entzündet sich ein erstes Gedankenlicht, und aus Instinkten werden Meinungen, bis sich die Meinungen bis zum Wissen klären. Und er hat ein Recht, dieses Erkennen ein intuitives zu nennen, wenn es auch weit entfernt ist von dem, was Geisteswissenschaft Intuition nennt. Aber wie durch die Wandlung des Denkens die Imagination aufsteigt, durch die Wandlung des Fühlens die Inspiration, so erwächst aus der Wandlung des Willens die Intuition. Intuition hat mit den Willenskräften zu tun. Emerson sagt: "Wenn wir daran denken, welche Menschen uns angeregt und gefördert haben, werden wir uns der Überlegenheit des spontanen oder intuitiven Denkens gegenüber dem arithmetischen oder logischen Denken bewußt werden. Das erste hält das zweite, seinem Wesen nach, in sich verborgen." Oft muß man, so führt er aus, "will man das intuitive Denken sprechen lassen, nicht vorsätzlich denken, sondern schweigsam im Innern werden, lauschen. Dann kann plötzlich alles überleuchtet werden von dem Licht einer aufsteigenden Wahrheit, einer Idee, wie das an sich unsichtbare Licht, wenn es auf einen Gegenstand fällt, diesen sichtbar macht." Man sieht, es ist ein heißes Bemühen in ihm, sich eines höheren, intuitiven Denkens bewußt zu S44 werden. So sinnt er auch über die Bedeutung des Nominalismus und Realismus nach. Kann man darin nicht eine deutliche Spiegelung des Geisteskampfes in der übersinnlichen Welt sehen, um gegenüber dem heutigen materialistisch-intellektuellen Denken ein neues Denken in die Wege zu leiten?
Eine deutliche Spiegelung des Kampfes Michaels mit dem Drachen in dieser Zeit ist auch in dem Buch von Herman Melville: "Moby Dick" gegeben. In ihm beschreibt Melville den Kampf, den Kapitän Ahab gegen den weißen Wal, den größten Pottwal, der je gesehen wurde, führte. Ahab hat in einem ersten Kampf mit diesem Ungeheuer ein Bein verloren. Seitdem kannte er nur ein Ziel: diesen Wal zu vernichten. Daß mit dem weißen Wal ein besonderer Wal gemeint ist, zeigt schon die gewaltige Größe des Wals an und ebenso seine Farbe, die ungleich der anderer Pottwale weiß war. Diese besondere Bedeutung des weißen Wals kann einem nahe gebracht werden durch das Buch von Diether Lauenstein: "Das Geheimnis des Wals". Es ist wohl das Tiefste, was über Melvilles Roman geschrieben wurde. Lauenstein zeigt, wie alles in diesem Buche geistiges Geschehen bildhaft offenbart, - Mysteriengeschehen. Wichtig ist, daß Lauenstein aufdeckt, daß nicht Kapitän Ahab, der Leiter des Walschiffes, der Held der Geschichte ist, sondern Ismael, der als einziger Überlebender des Kampfes der Erzähler dieses Dramas ist. Er dringt Schritt für Schritt in die Mysteriengeheimnisse ein, macht den Kampf auf Leben und Tod mit bis zum bitteren Ende. Aber bei ihm siegt nicht der Tod, sondern er lebt mit seinen neu errungenen Erkenntnissen und Erfahrungen weiter, wie einer, der einer geistigen Wiedergeburt entgegengeht, der eine erst Stufe einer Einweihung durchmacht.
Herman Melville lebte vom 1. August 1819 bis 28. September 1891. Eine erste Seereise machte er nach Liverpool mit 18 Jahren. Mit 22 Jahren trat er eine Reise als Matrose auf einem Walfangschiff für 18 Monate an. Diese Fahrt begann im Jahre 1841 (Funk & Wagnalls, New Encyclopedia, 1972). 1851 schrieb er sein Buch "Moby Dick". Oben vollzieht sich der Kampf Michaels mit dem Drachen, unten schildert Herman Melville in imaginativen Bildern den Kampf gegen das gewaltige Ungetüm des weißen Wals, der durch seine ungeheure Macht selbst das Walfangschiff versenkt und Kapitän mit derselben Waffe vernichtet, die er gegen den Wal richtet. Nur Ismael entgeht dem Tode. Es ist wichtig, den Unterschied in der Auffassung vom weißen Wal bei Ahab und Ismael zu erkennen. Ahab hatte dem Wal gegenüber eine ganz einseitige Einstellung. Er wollte Vergeltung üben für das, was der Wal ihm zugefügt hatte, und sah in ihm: "All das geheime S45 Teuflische des Lebens und Trachtens, alles Übel sichtbar personifiziert und praktisch angreifbar geworden in Moby Dick". Ismael steht anders zum weißen Wal. Er sieht noch eine andere Seite. Ich bringe hier eine wichtige Stelle aus dem Buch von Lauenstein: "Wenn der Pottwal aber in die Tiefe tauchen will, so hörten wir schon, so wirft er den ganzen Schwanz mit wenigstens dreißig Fuß senkrecht in die Luft und bleibt so einen Augenblick zitternd stehen." Ismael mag ihn in dieser Stellung nur dem "majestätischen Satan" vergleichen. Das wäre ein Hinweis auf die schlimme Natur des Tieres. Er fährt aber fort: "Beim Anblick eines solchen Schauspiels kommt es darauf an, in welcher Stimmung du dich befindest. Ist dir wie Dante zumute, wird dir der Teufel erscheinen; fühlst du dich wie Jesaja, dann eher der Erzengel."
Es gibt für Ismael zwei Möglichkeiten, auf den Wal zu sehen. Einmal wie Dante, dann sieht man den Teufel, den Tod; dann wie Jesaja, dann blickt man auf Jona, der vom Walfisch verschlungen wurde, aber nach drei Tagen vom Tode auferstand. Christus sagte zu den Menschen seiner Zeit, die Zeichen von ihm wollten, daß er ihnen nur das Zeichen des Jona geben könnte; das Zeichen des gewollten Todes, um zur Auferstehung zu kommen. Das aber ist das Mysterium der Einweihung. So sagt auch Lauenstein über diese Seite des Kampfes: "Dieser Kampf stellt die freiwillige Begegnung mit dem Tode dar." Ahriman ist der Herr des Todes auf Erden. Es ist geradezu die Aufgabe des Westens, eine gewollte geistige Begegnung mit den Todesmächten zu suchen, um sie im spirituellen Erkennen zu überwinden und so ihrem wahren Platz im Weltenwerden zuzuführen. Man kann in dem Wal das Zeichen des Teufels finden, man kann in ihm auch ein Zeichen der Todesüberwindung, der Einweihung sehen. Das ist ungeheuer wichtig. Im Westen muß der Kampf gegen den Tod geführt werden, aber nicht in der Art, wie Ahab kämpft, sondern wie Ismael, der beide Seiten des Bösen sieht. Dann kann man wie er überleben und auf seinem Geistesweg immer mehr Erleuchtung finden.
Auch Walt Whitman, von dem ich schon eine Übersetzung aus seinem "Song of Myself" brachte, lebte in dieser Zeit, 1819 bis 1892. Er gehörte dem Kreise um Emerson an, wurde von Emerson und seinem Freunde Henry David Thoreau geschätzt. Auch sein Wirken liegt in der Zeit, von der ich spreche. Thoreau hat durch sein Buch über den gewaltlosen Aufstand noch bis in die Gegenwart Einfluß genommen. Gandhi und auch Martin Luther King empfinden von ihm entscheidende Impulse für ihre Tätigkeit in Indien und in Amerika, im Osten und im Westen. Mitten in dem Mechanismus des wirtschaftlichen und politischen Geschehens, des Strebens nach rein irdischen Gütern, entdeckt S46 man eine Oase spirituellen Lebens zur Zeit des Michaelkampfes, wie die Keimlegung eines Kommenden. Das ist auch Amerika!
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