Anthroposophie        =           Dreigliederung

Impuls - Reaktion - Inkarnation   1919 - 1969 - 2019    Geschichte - Quellen - Material

Dritter Teil
2. Grundmerkmale des Werkes Rudolf Steiners


   Im folgenden sollen hinsichtlich der Bedeutung der Anthroposophie noch einige wesentliche Momente hervorgehoben werden. Dabei möchte ich von der durch Anthroposophie ermöglichten neuen Erkenntnis des Menschen ausgehen. Weil sie ihn seiner Totalität nach als leiblich-seelisch-geistiges Wesen und damit als den "Bürger dreier Welten" erfaßt, weitet sie sich zu einer Gesamtwelterkenntnis aus, welche die drei Reiche des Göttlichen, des spezifisch Menschlichen und des Natürlichen in solcher Weise umfaßt, daß sie der Eigenart eines jeden derselben gerecht wird und in ihrer Gesamtheit dennoch eine - freilich dreigliedrige - Einheit bildet. Damit wurde etwas errungen, was gegenüber der heute auf dem Erkenntnisgebiet bestehenden Situation schon prinzipiell, und zwar in zweifacher Art, etwas völlig Neues darstellt. Eine Gesamtwelterkenntnis fehlt nämlich der Menschheit heute in zweifacher Hinsicht. Erstens umfaßt der Inhalt heutiger wissenschaftlicher Erkenntnis nur die sinnlich-materielle Naturwelt - und selbst von dieser nur das unterste Gebiet: die Sphäre des Anorganisch-Mineralischen. Schon die Sphäre des Lebendig-Pflanzlichen, des Beseelt-Tierischen und vollends des Durchgeistigt-Menschlichen wird von ihr in zunehmender Unzulänglichkeit erfaßt - die geistig-göttliche Welt aber fehlt vollständig. Sofern sie sich aber zu einer "Weltanschauung" aufbläht, handelt es sich hierbei nur um eine Verabsolutierung der anorganischen zur Gesamtwelt - einer Welt, die einzig von "Zufall und Notwendigkeit" (J.Monod) beherrscht wird, also nicht um etwas Einheitliches, sondern um etwas Einförmig-Monotones.

   Zweitens aber - und dies ist durch die einseitige Zuwendung des neuzeitlichen Bewußtseins zur Welt des Sinnlich-Wahrnehmbaren bedingt - bildet den Grundcharakter des heutigen Wissens seine völlige Atomisierung in Spezialgebiete; denn alles sinnlich Wahrnehmbare ist als solches ein Einzelnes, Spezielles, das keine Beziehung zu irgend etwas anderem aufweist. Wegen ihrer Begründung auf die Sinneserfahrung ist darum seit Galilei zum methodischen Prinzip der Naturforschung die Isolierung ihrer Forschungsgegenstände von allen Zusammenhängen mit Erscheinungen geworden, die nicht dem je betreffenden Forschungsfach zugeordnet sind. Wissenschaftliche Erkenntnis wurde dadurch prinzipiell identisch mit spezialwissenschaftlicher Forschung. Eine andere als diese gibt es heute schlechterdings nicht. Dadurch ist heutiges wissenschaftliches Wissen restlos in isolierte Teile zerstückelt. Selbst die Sprache, in welcher diese zur Darstellung gebracht werden, hat sich in solchem Maße differenziert, daß Fachleute verschiedener Disziplinen einander kaum mehr zu verstehen in der Lage sind. Diese Situation hat sich auch auf die Organisation der wissenschaftlichen Hochschulen in solcher Weise ausgewirkt, daß die ehemaligen Universitäten sich in "Multiversitäten" verwandelt haben. In ihrer Gliederung in die vier Fakultäten: die philosophisch-propädeutische und die drei Spezialfach-Fakultäten der Medizin, der Jurisprudenz und der Theologie, hatten sie einst ein geistig strukturiertes Ganzes dargestellt, das sogar wie ein keimhaftes Vor- und Abbild jener dreigegliederten Menschen- und Welterkenntnis sich ausnahm, die mit der Anthroposophie in Erscheinung getreten ist. Heute sind sie zerfallen in bloße Ansammlungen zahlloser spezieller und speziellster Forschungen, die völlig beziehungslos nebeneinanderstehen. Dadurch eignet heutigem wissenschaftlichem Wissen ein leichnamartiger Charakter - macht soch sein Zerfallen in seine Bestandteile das Wesen des Leichnams aus! Der menschlichen Seele vermag dieses Wissen darum keine sie belebende Nahrung mehr zu bieten.

   Es ist dieser Leichnams-Charakter aber eben nur die Kehrseite des soeben erwähnten Umstandes, daß durch dieses Wissen lediglich das Anorganisch-Tote in der Natur erfaßt wird; den "Gleiches (S144) wird bekanntlich nur durch Gleiches erkannt!" Und beides bildet ein zusammengehöriges Ganzes mit dem ersterwähnten dritten Moment: daß die moderne wissenschaftliche Forschung wesentlich durch das Moment der rein sinnlichen Erfahrung bestimmt ist: denn innerhalb der Gesamtnatur hat sich im Anorganisch-Mineralischen das Sinnliche am weitestgehenden gegenüber dem Geistig-Ideellen emanzipiert; dieses wirkt in ihm lediglich als ganz allgemeine, in mathematischen Formeln ausdrückbare Gesetzmäßigkeit. Darum hat die Naturwissenschaft wesentlich den Charakter angewandter Mathematik angenommen. Hinzu kommt schließlich ein letztes: Was dem Mineralischen noch an Qualitäten innewohnt und den Überrest des Lebendigen darstellt, das in ihm erstorben ist, wird durch diese Naturwissenschaft nicht erfaßt. Sie betrachtet es als ein erst im menschlichen Bewußtsein entstehendes Seelisch-Subjektives. Dies hat zur Kehrseite, daß ihr - wie schon mehrfach erwähnt - das "Wesen" der Materie als unerkennbar gilt. Und hierin liegt ihr Agnostizismus begründet.

   Dieser hat noch in einem weiteren charakteristischen Merkmal des heutigen Geisteslebens seinen Ausdruck gefunden, soweit es sich um die Erkenntnissphäre desselben handelt: im Pluralismus. Er hat eine seiner Wurzeln in der Tat in dem heute herrschenden Agnostizismus. Für diesen gibt es keine Wahrheit, sondern nur verschiedene subjektive Meinungen. Also hat jede derselben das gleiche Recht und den gleichen Anspruch darauf, geäußert zu werden. Zur Folge hat der Pluralismus allerdings, daß er jegliche Bemühungen um die Lösung der großen Rätselfragen unseres Daseins und der Lebensforderungen unserer Zeit lähmt und zu einer geistigen Abstumpfung in interesselose Gleichgültigkeit ihnen gegenüber führt. Geistige Resignation breitet sich immer weiter aus, anstelle eines Ringens um Erkenntnis ist ein uferloses Diskutieren getreten, wobei jeder starr auf seinem Standpunkt beharrt. Alles, was über ein bloßes Anhäufen von Tatsachen und rein quantitativ-statistisches Analyse derselben hinausgeht, gilt als Ideologie, die zu entwickeln und in der Auseinandersetzung mit Andersgearteten zu behaupten wir als Menschen nun einmal für immer verurteilt erscheinen. Allerdings hat der Pluralismus auch noch eine andere (S145) Wurzel. Diese liegt in der freien Selbstbestimmung, die der Mensch durch seine geschichtliche Emanzipation gegenüber Gott und Natur, Geist und Materie nun einmal erlangt hat. Sie stellt die positive Errungenschaft der letzteren dar, die auch für die Zukunft erhalten bleiben muß.

   Die Anthroposophie, da sie auf der Neugeburt der Erkenntnis beruht, bedeutet die Überwindung des Agnostizismus. Sie hat die Methoden entwickelt, durch welche im Prinzip alle Bereiche der Welt erkenntnismäßig erfaßt werden können. Indem sie aufwies, durch welche Glieder seines Wesens der Mensch mit den verschiedenen Weltbereichen verwandt ist, und in der Betätigung der jeweils entsprechenden Glieder die diesen zugeordneten Forschungsmethoden entwickelte, hat sie "Gleiches durch Gleiches" für die Erkenntnis aller Gebiete der Welt errungen. Als diese "All- oder Gesamt-Wissenschaft" hat sie allerdings innerhalb des heutigen Systems der Spezialwissenschaften keinen Platz; sie läßt sich in diese schlechterdings nicht einordnen, ja bleibt für heutiges wissenschaftliches Denken ihrem Wesen nach unvorstellbar. Hierin liegt einer der Gründe, warum von wissenschaftlicher Seite bisher von ihr noch so gut wie keine Notiz genommen und innerhalb der heutigen Universitäten für sie noch kein Lehrstuhl eingerichtet wurde.

   Wenn ich sie ihrer Gesamtheit nach als eine in sich bestimmt gegliederte Einheit bezeichnete, so heißt das freilich keineswegs, daß sie ein bloß ausgedachtes philosophisches System ist - oder gar ein Dogma, das unveränderliche und für jedermann gleiche Gültigkeit besitzt. Philosophische Systeme bleiben, weil Begriffe bloße Denkerzeugnisse sind un ihrem Wesen nach bloß Allgemeines beinhalten, auch als ganze immer mehr oder weniger im Allgemeinen, Abstrakten, das heißt vom Konkret-Einzelnen "Abgezogene", und tendieren dahin, zu erstarren. Die Anthroposophie ist wesentlich ein Erkenntnisweg, eine Forschungsmethode; ihre Erkenntnisergebnisse sind deshalb niemals fertig, sondern verbleiben immer im Werden. Und weil sie zu ihrer Erkenntnisquelle außer dem Denken teils sinnlich-leibliche, teils seelisch-innerliche, teils übersinnlich-geistige Erfahrung hat, bezieht sie sich sowohl auf Einzelnes wie auf Allgemeines, ist sie Tatsachenforschung und zugleich (S146) strukturiertes System, umfaßt Vielerlei und ist zugleich ein einheitliches Ganzes. Sie stellt erstmals als Gesamtwelterkenntnis beides dar: Erkenntnisinhalt, zugleich auch pluralistisch, insofern die Erkenntnisse, die auf ihrem Wege errungen werden, immer das durch bestimmte Erfahrungen bedingte Gepräge der Individualität tragen, welche sie erlangt hat. Sie lebt nur in je individueller Gestaltung, nicht als dogmatisch Geglaubtes, sondern als erkenntnismäßig Errungenes. Das hindert aber nicht, daß die Erkenntnisse der verschiedenen Individualitäten sich zu einem gemeinsamen Ganzen zusammenschließen. Denn in jeder menschlichen Individualität lebt, zwar auf je einmalige Weise, das Allgemein-Menschliche als die mikrokosmische Zusammenfassung des Makrokosmos. Es lassen sich deshalb die verschiedensten individuellen Erkenntniserrungenschaften diese kosmischen All-Einheit einordnen. Dadurch kann aus der Anthroposophie heraus wieder eine einheitliche Gesamtweltanschauung und auch Kulturgestaltung entstehen, die trotzdem aber freiesten Raum läßt für individuelle und gruppentypische Variationen und Spezialisierungen.

   Nur von diesem ihrem Grundcharakter her wird auch ein weiteres Wesensmerkmal von Steiners Wirken verständlich, das sonst unerklärlich bleibt und deshalb heute auch noch kaum zur Kenntnis genommen wird: nämlich daß er auf den verschiedensten Gebieten des menschlichen Lebens neuartige und grundlegende schöpferische Leistungen vollbracht hat: in Philosophie, Religions- und Kulturgeschichte, Naturwissenschaft, Anthropologie, Psychologie, Ästhetik, Ethik, Pädagogik, Heilpädagogik, Medizin, Soziologie, Wirtschaftswissenschaft, Dichtung, Bühnenkunst, Eurythmie, Architektur, Plastik, Malerei, Kunstgewerbe, Landwirtschaft. Es gibt schlechterdings keine zweite Geistesschöpfung in geschichtlicher und besonders in neuerer Zeit, die sich an universeller Produktivität mit derjenigen Steiners vergleichen läßt. Sie ist - um mit Georg Picht zu sprechen - "ohne Vorbild in der Geschichte". Und alle die genannten Leistungen, so verschiedenartigen Gebieten sie angehören, stehen nicht beziehungslos nebeneinander oder sind vor irgendwoher aufgegriffen oder entlehnt, sondern sind alle aus (S147) ein und derselben Quelle entsprungen und deshalb neu und original und stehen alle in innerem Zusammenhang miteinander. So beweisen sie schon durch ihre bloße Faktizität das Verwurzeltsein der ihnen zugrunde liegenden Erfahrungen und Erkenntnisse in der Weltrealität. Und sie beweisen zugleich, daß der uferlose Spezialismus der heutigen Wissenschaft nur durch diese enue Menschen- und Welterkenntnis überwunden werden kann, niemals aber durch interdisziplinäre Gespräche, wie sie heute zur Mode geworden sind; denn eine bloße Addition von Spezialismen ergibt noch keine einheitliches Ganzes. Wir befinden uns heute in einer neuen babylonischen Sprachverwirrung, die nicht so sehr zwischen den Völkern als zwischen den Spezialisten und Experten ausgebfrochen ist; sie ist wesentlich eine Verwirrung der Begriffe. Jene einstige Sprachverwirrung wurde im Pfingstgeschehen überwunden, in welchem der Heilige Geist in feurigen Zungen auf jeden einzelnen der Apostel herabfuhr. Indem er sie zu einer allmenschlich verständlichen Sprache inspirierte, vereinte er sie und ihre Hörer zu einer übernational-menschheitlichen Gemeinschaft. Mit der Begründung der Anthroposophie erfolgte in unserer Zeit gleichsam ein neues Pfingstgeschehen, durch das der Menschheit ein allumfassender Erkenntnisinhalt zuteil war. Er vermag die Repräsentanten der tausendfältig zersplitterten Spezialismen im Zeichen des Menschen-Welten-Wesens zu einer universellen Geistgemeinschaft zu verbinden, innerhalb deren jedem die Möglichkeit seiner freien Selbstbestimmung gewährleistet bleibt.

   Mit der Erwähnung der Leistungen Rudolf Steiners auf verschiedensten Gebieten der Erkenntnis und der Lebenspraxis ist ein weiteres fundamentales Moment berührt. Die heutige wissenschaftliche Erkenntnis, da sie ihren Methoden und Begriffsbildungen nach auf allen Gebieten von der Naturwissenschaft bestimmt ist, kennzeichnet sich durch das Prinzip der Wertfreiheit. Es ist dies darin begründet, daß Naturtatsachen und -prozesse nicht moralisch beurteilt werden können, da im Naturgeschehen keine Freiheit waltet, sondern lediglich "Nodwendigkeit und Zufall". Daher müssen sich die Begriffsbildungen der Naturwissenschaft aller moralischen Werturteile und Zielsetzungen enthalten. Da eben (S148) diese Wissenschaft auch im Menschen, trotz seiner de facto eingetretenen Entfremdung von der Natur - ein bloßes Naturwesen erblickt, hat sie auch ihm die Freiheit aberkannt und sieht darum auch sein Verhalten - sowohl im Erkennen wie im Handeln - bestimmt beziehungsweise vorprogrammiert durch die Wirksamkeit der in ihm waltenden Naturkräfte. Also kommt auch für seine Forschungstätigkeit keine moralische Bewertung oder Entwicklung von Tatenzielen in Betracht, sondern lediglich die Nützlichkeit für die Erhaltung des Lebens. Hierfür genügt die Erforschung dessen, was ist und wodurch es so ist, wie es ist. Darum beschränken sich heute auch die "Humanwissenschaften" in ihrem gesamten Umfang auf eine so geartete Forschung. Dies hat aber zur Folge, daß sie in bezug auf das, was im individuellen und gesellschaftlichen Leben geschehen soll, um es als menschliches zu erhalten, schlechterdings nichts zu sagen haben. Unsere heutige Gesellschaft - das kann man in Hunderten von Büchern lesen - ist schwer erkrankt, ja geradezu von ihrem Untergang durch Selbstvernichtung bedroht. Von wissenschaftlicher Seite her ist jedoch - außer Phrasen und Schlagworten - nichts, aber auch gar nichts zu hören, was zu ihrer Gesundung beitragen könnte. In dem viel beredeten MIT-Report "Die Grenzen des Wachstums" werden zwar, allerdings nur hinsichtlich des Wirtschaftslebens, bestimmte Postulate erhoben; es wird auch gesagt, daß diese nur unter der Voraussetzung erfüllt werden, daß "neue Wertvorstellungen" entwickelt werden, ja daß eine "geistige Umwälzung von kopernikanischem Ausmaß" stattfindet. Über den Inhalt der neuen Wertvorstellungewn, über den Charakter dieser geistigen Umwälzung findet sich in dem Buche aber kein Wort. Und so läuft es in dieser Hinsicht auf eine Bankrotterklärung der Wissenschaft hinaus. Vor demselben Bankrott steht diese aber gegenüber allen anderen dringenden Problemen der Gegenwart: denjenigen des Bildungswesens, der Demokratie, der Inflation, des Umweltschutzes usw. Lediglich technischer Fortschritt und dadurch ermöglichte Steigerung der wirtschaftlichen Produktion und Vervollkommnung militärischer Rüstung läßt sich durch heutige wissenschaftliche Forschung noch erreichen. Und anderes wird von ihr auch nicht erwartet und von seiten derer (S149) verlangt, die sie finanzieren. Wir haben zwar eine Futurologie (O.v.Flechtheim, R.Jungk), aber sie gibt - abgesehen von Prognosen, die an die der Meteorologie erinnern, oder ganz im Allgemeinen verbleibenden Postulaten - nichts an die Hand, was für die Gestaltung der Gesellschaft im konkreten brauchbar wäre. Das einzige, was in dieser Situation für die Gestaltung der Zukunft übrigbleibt, sind Experimente (siehe R. Jungk: Der Jahrtausendmensch, 1973). Auch sie haben ihren Ursprung bekanntlich in der Naturwissenschaft und werden wie alle übrigen methodischen Momente derselben ebenfalls auf den Menschen übertragen. Sie führen aber schon an sich - wie sich besonders auf pädagogischem und medizinischem Gebiete zeigt - zu krassen Unmenschlichkeiten und erfordern, um durchgeführt werden zu können, die Errichtung von Gewaltherrschaften und die Herstellung von Zwangsverhältnissen. Oder aber man glaubt, sich Ideologien verschreiben zu müssen: Glaubensdogmen in moderner Form.

   In der Anthroposophie, weil ihre Methode dem Verhältnis abgewonnen ist, in dem der Mensch als Erkennender zu sich selbst steht, und weil in ihren Ergebnissen das Wesen des Menschen selber sich ausspricht, sind erstmals Einsichten errungen worden, die zwar kein zwingendes "Du sollst" zum Inhalt haben, die aber in der Seele selbst sich verwandeln in Richtlinien des Handelns, in Tatideen, in Lebensziele. Damit gewährleistet, ja ermöglicht sie erst wirkliche Freiheit; denn diese ist ja nichts anderes als Handeln aus Erkenntnis. Und sie ermöglicht ein menschengemäßes, menschenwürdiges, das heißt das Menschentum des Menschen verwirklichendes Handeln. Damit wurde der Menschheit der Weg eröffnet, aus ihrer Ratlosigkeit und Ohnmacht gegenüber den Aufgaben der Gegenwart und Zukunft herauszukommen, das heißt aufbauende, gewaltlose Initiativen zu entwickeln, wie dies als erste Versuche für die verschiedensten Lebensgebiete seit einem halben Jahrhundert durch die anthroposophische Bewegung geschehen ist und weiterhin geschieht. Denn gewaltsamer Umsturz wird überall nur da versucht, wo man keine positiven Ideen hat und deshalb nur zu zerstören vermag. So ist die heute bis zu den äußersten Exzessen entfesselte Gewalttätigkeit nur die Kehrseite der bestehenden Ideenlosigkeit.