Reife und Alter
Fragmente zur Biographiearbeit im Lichte der Anthroposophie
Eine ausführliche Behandlung dieses Themas findet sich unter:
Hans Erhard Lauer: "Altwerden"
am Ende dieses Kapitels ist ein relevanter Vortrag von Rudolf Steiner eingestellt:
"Innere Evolution und äußere Entwickelungsmöglichkeiten" (GA118)
Das biographische Thema wird dort (und im Anhang II) auf seine historischen Bezüge erweitert, so daß die Einbettung des einzelnen menschlichen Lebenslaufes in die Geschichte deutlich werden kann. Buchhinweis: Rudolf Treichler 'Die Entwicklung der Seele im Lebenslauf' - Anhang II: Rudolf Steiner 'Zur Aufgabe der fünften Kulturperiode' - Anhang IV: Karl Hublow 'Die 1000-jährigen Fresken von Oberzell'
Zur anthroposophischen Biographiearbeit, Psychosomatik und Psychotherapie gibt es mittlerweile eine fast unübersehbare Fülle von Literatur. Deswegen soll hier im wesentlichen nur der Aspekt betrachtet werden, der zum Verständnis des nächsten Kapitels eine gewisse Voraussetzung bildet: Unsere menschliche Reife, sie ergibt sich mit zunehmendem Alter, wenn man nicht gerade nur senil wird über 60 oder in der Entwicklung im vierten Jahrsiebt stehen bleibt, wie das heute durch die Zivilisations- und Zeitstruktur (siehe das Jüngerwerden) oft der Fall ist –keep smiling (16.1). Ohne eigenes Zutun gibt es heute nach dem 4. Jahrsiebt kein seelisch-geistiges Wachstum mehr. Geistige Wesen werden mit der Benennung ihres Alters auch in ihrem Wesen benannt, denn das Maß der Verfrühung oder Verspätung in der Entwicklung bezeichnet den Grad von Gut und Böse hierarchischer Wesen (16.2). Die menschliche Reife entsteht in Siebenjahresrythmen, und diese hängen zusammen mit Planeteneinflüssen, die auch im Berufsleben ihre Wirkung haben. Wir erfahren in unserem Leben in den Jahrsiebten erst die Einflüsse der untersonnigen Planeten Mond, Merkur, Venus, in der Lebensmitte die der Sonne, in der zweiten Lebenshälfte die der obersonnigen Mars, Jupiter, Saturn und vollenden diesen regulären Aufstieg im 63. Lebensjahr. Jedes Lebensalter ist verwandt mit den Kräften, die dem Menschen seelisch von den Planetensphären zukommen.
In den Literaturhinweisen (Anmerkung 1.31) sind die wesentlichsten Autoren und Themen genannt für den, der sich damit intensiver beschäftigen möchte. Weil der Schwerpunkt dieser Betrachtungen hier ein sozialer und geschichtlicher ist, soll dieser Zusammenhang, der für die Biographiearbeit vielleicht der wichtigste ist, nur berührt werden, um eben auf die folgenden Kapitel übergehen zu können. Auch sind in den vorangehenden Kapiteln schon viele dieser Themen berührt worden (16.3). Für den Interessierten ist im Anhang ein Aufsatz enthalten, der auch das biographische Thema enthält, wenn auch eher schematisch (s.Anhang 2: Historiogenetisches Grundgesetz). Bei Hans Erhard Lauer findet sich eine Betrachtung über den menschlichen Lebenslauf in seinem Zusammenhang mit der Struktur der Geschichte: Die Struktur der Zeit, die Schichtung der Zeitsysteme (LauerI,Tl.3, 3.+4.Kapitel).
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Im Schwäbischen, wo man erst mit Vierzig g'scheit wird, gibt es eine schöne Aufzählung, die sich an den Dekaden orientiert:
Mit 10 ist man lieb und frech: "a oruhige Sau und en ruhiger Bub tauget nix". Mit 20 ist man schön: "wenn de do no net schee bisch, wirsch's nimme", mit 30 stark, mit 40 gescheit: "wenn des do net bisch, dann bleibsch bleed", mit 50 nemme arm (nicht mehr arm), mit 60 fromm, mit 70 weise, mit 80 no' it ganz bled" (noch nicht ganz blöd) (16.4)
(Mit 10 ist man lieb und frech: "Eine unruhige Sau und ein ruhiger Bub taugen nichts". Mit 20 ist man schön: "Wenn Du dann noch nicht schön bist, wirst Du es nicht mehr!". Mit 30 ist man stark, mit 40 gescheit: "Wenn Du das da nicht bist, dann bleibst Du blöd!". Mit 50 ist man nicht mehr arm, mit 60 ist man fromm, mit 70 weise, mit 80 noch nicht ganz blöd).
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Außerdem gibt es da den sinnigen Spruch: "die Alte saget nix ond die Junge brauchet net alles wisse".
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Bei Peter Rosegger findet sich folgende Charakterisierung der drei Lebensalter
"...Die Meinung über sich selbst unterliegt im Laufe des Lebens mehreren Wandlungen, unter welchen die Hauptfärbungen sind, daß der Jüngling sich für unwiderstehlich, der Mann sich für unüberwindlich, der Greis sich für unfehlbar hält..." (16.5)
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Von Goethe liegt eine Skizze des Lebenslaufes vor in seinen Sprüchen in Prosa:
"Jedem Alter des Menschen antwortet eine gewisse Philosophie. Das Kind erscheint als Realist; denn es findet sich so überzeugt von dem Dasein der Birnen und Äpfel als von dem seinigen. Der Jüngling, von inneren Leidenschaften bestürmt, muß auf sich selber merken, sich vorfühlen, er wird zum Idealisten umgewandelt. Dagegen ein Skeptiker zu werden, hat der Mann alle Ursache; er tut wohl zu zweifeln, ob das Mittel, das er zum Zwecke gewählt hat, auch das rechte sei. Vor dem Handeln, im Handeln hat er alle Ursache, den Verstand beweglich zu halten, damit er nicht nachher sich über eine falsche Wahl zu betrüben habe. Der Greis jedoch wird sich immer zum Mystizismus bekennen; er sieht, daß so vieles vom Zufall abzuhängen scheint; das Unvernünftige gelingt, das Vernünftige schlägt fehl, Glück und Unglück stellen sich unerwartet ins gleiche; so ist es, so war es, und das hohe Alter beruhigt sich in dem, der da ist, der da war und der da sein wird" (16.6)
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Für das Berufsleben findet sich eine schöne Beschreibung von Reifestufen:
Der Lehrling lernt die betreffende Materie und die Regeln kennen. Der Geselle beherrscht sie und wendet sie an. Der Meister ist einer, der darüberhinaus auch die Ausnahmen meistert.
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Von Franziskus von Assisi gibt es folgende Beschreibung:
"Der, der mit seinen Händen arbeitet, ist ein Arbeiter. Der, der mit seinen Händen und mit seinem Kopf arbeitet, ist ein Handwerker. Der, der mit seinen Händen, seinem Kopf und seinem Herzen arbeitet, ist ein Künstler". (16.7a)
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Wolfgang Schad schreibt (16.7b):
..."Wir leben heute in einer Zivilisation, die fortwährend dem Menschen predigt, er möge in sich soziale Tugenden entwickeln. Hat man sich von klein auf angepaßt und sich durch die Selektionsmechanismen von Schule, Berufsausbildung und Karriere notgedrungen kooperativ aufgeführt und ist dann im Laufe der eigenen dreißiger Jahre in Amt und Würden, so versucht jeder nachzuholen, was er bisher nicht durfte: nach seinem eigenen Gusto und Wohlergehen sich die zweite Lebenshälfte einzurichten. Die etablierten Vorgesetzten sind aber dabei gleicherweise lebensunzufrieden wie die Untergebenen. Das Umgekehrte ist der Menschennatur selbst ablesbar. Die Embryonalentwicklung endigt mit der Verselbständigung des Blutkreislaufs, der Atmung und des eigenen Wärmehaushaltes. Der Erwerb des aufrechten Gehens, des Sprechens und des Denkens hebt das Kind aus den bisherigen Bindungen heraus, die Entdeckung des Ichbewußtseins mit drei Jahren noch mehr. Die Überwindung des bloßen Ortsgedächtnisses zugunsten der willkürlichen Erinnerungsfähigkeit mit freien inneren Vorstellungen als Beginn der Schulreife, die Vertiefung des Ichgefühls beim neunjährigen Kind, der Rückzug auf die eigensten Gefühle und das Erwachen des kritischen Denkens in der Pubertät bis hin zur Ausbildung der mündigen Eigenverantwortung zeigen, daß der heranwachsende Mensch erst einmal ganz der Selbstfindung lebt. Das hört mit 18/20 Jahren nicht auf, sondern es ist die gesamte erste Lebenshälfte, in der der Mensch darauf aus ist, sich frei zu entwickeln und aus sich etwas zu machen.
Wenn ihm die Entwicklung zur eigenständigen Persönlichkeit durch die verständnisvolle Hilfe anderer ungebrochen möglich wurde, so wird er mit dem Beginn der zweiten Hälfte den bisherigen Drang, die Motivation seines Handelns von der eigenen Förderung her zu nehmen, nicht mehr genügend empfinden. Dieser Sinn erschöpft sich in der Lebensmitte so, daß er sich umwandelt in die Sinnerfüllung, sich für andere einsetzen zu wollen. Was soll es denn, daß ich für mich aus mir etwas machen konnte, wenn ich es nicht letztlich für andere verwenden kann? Das kann nun zum Grundempfinden werden. Der erfahrene Mensch wird dann mithelfen wollen, soziale Verhältnisse so zwischen den Menschen zu schaffen, daß sie sich nach deren Bedürfnissen ausrichten.
Nicht die zur Unzeit grob oder schleichend erzwungene Selbstlosigkeit ist die realistische Grundlage sozialen Verhaltens, sondern allein die selbständig gewollte und damit freiwillig geschenkte Bereitschaft dazu. Sie nur wird gesundes soziales Leben ermöglichen. Unendlich mehr wird die in Freiheit erbrachte Zuwendung zum anderen Menschen immer erbringen und bewirken als jede noch so 'gut gemeinte' Art von angeordneter 'Moral'. Darin unterscheidet sich die Anthroposophie von allen institutionalisierten Moralverwaltern, daß sie dem Ich jedes Menschen wegen seiner ihm eigenen Antisozialität (s.Vorausgegangenes in dem zitierten Artikel) aus Prinzip nicht mißtraut, es beargwöhnt und die Haupttätigkeit in der aufwendigen Kontrolle der Risiken zubringt. Sondern sie weiß aus Menschenerkenntnis, daß der Mensch nur Mensch hier auf der Erde werden kann, wenn er sein Tages-Ich voll ausbilden kann und dann die selbstempfundene Dankesschuld gegenüber der älteren Generation, die ihm dies voll zugestand, dadurch zu einem Teil abtragen kann, daß - älter geworden - er selbstlos das gleiche den Nachwachsenden gerne ermöglicht. Dann nehmen die entwürdigenden totalen Kontrollmechanismen ebenso ab wie die festgezurrten Befehlspyramiden. Dann wird Arbeit und Lohn entkoppelt werden. Selbstverwaltung eigenverantwortlicher Gruppen und Kollegien können nur davon leben und bilden erst menschenwürdiges soziale Leben. Die Generationen werden sich gegenseitig so viel bedeuten können, wie sich ältere und jüngere Menschen in Anerkennung ihrer verschiedenen Aufgaben begegnen werden.
Goethe wurde bis heute zumeist fälschlich für die vollkommene Apotheose der Persönlichkeit in Anspruch genommen. Das betreffende Gedicht aus dem Westöstlichen Diwan stammt aber von Marianne von Willemer: Suleika - Volk und Knecht und Überwinder, sie gestehn, zu jeder Zeit: Höchstes Glück der Erdenkinder sei nur die Persönlichkeit. Goethe aber spricht sich selbst unter dem Namen Hatem aus: Hatem - Kann wohl sein! so wird gemeinet; doch ich bin auf andrer Spur; Alles Erdenglück vereinet find' ich in Suleika nur. 'Suleika' war damals gerade 30 Jahre, 'Hatem' 65 Jahre alt. Ein halbes Menschenleben lag zwischen ihnen. Sie hatte seine Persönlichkeit vor sich. Er lebte in derselben mit der ganzen Offenheit denen gegenüber, deren Persönlichkeitsverherrlichung er gerade nicht mitmachte. In der liebevollen Zuwendung zu der ihn selbst Mißverstehenden verschränkt sich die menschliche Begegnung zur neuen sozialen Haltung. Suleika wird hier zu Chiffre für jeden Menschen, dem man beizustehen frei gewillt ist. Wir man das in Zukunft wieder christlich nennen?"
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Ein Zusammenhang, der geradezu an die Ausführungen von Wolfgang Schad anschließt, bisher aber nicht sich in anthroposophisch-biographischer Literatur gefunden hat, ist folgender: In den ersten 3 Jahrsiebten leben wir seelisch nach dem geozentrischen Weltbild: Alles dreht sich in einem egozentrischen Kreiseltanz um einen selber. In den zweiten 3 Jahrsiebten wird die Seelenhaltung ausgewogener und besonnener, während in den folgenden Jahrsiebten ab 42 das heliozentrische Weltbild seelisch dominiert: die Welt fordert ihre Tribute, man tritt freiwillig zugunsten sich stellender Aufgaben mit seinen eigenen Wünschen zurück - es dreht sich um die Aufgaben, die sich stellen und mit zunehmender Selbsterkenntnis wird realisiert, daß man sich u.U. ein Leben lang - oder in der ersten Hälfte davon - nur um die eigene Achse gedreht hat. Die Selbständigkeitsachse gilt es natürlich zu drechseln, aber der Wagen soll die Welt befahren - man will ja nicht auf der Stelle treten.
Last not but least:
Biographische Entwicklung braucht Freiheit!
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(GA 31,S 333):
"...Der individualistische Anarchismus tritt bei jedem Menschen auf, der im Sinne der modernen Naturanschauung denkt -und zwar konsequent denkt. Diese Naturanschauung zeigt uns die Entwicklung des Menschen aus niederen Organismen in einer rein natürlichen Weise. Die Entwicklung kann heute nicht abgeschlossen sein. Sie muß fortgehen. Wie in den niederen Organismen die Kräfte lagen, die sie heraufführten bis zum Menschen, so liegen in diesem die Kräfte zur Weiterentwicklung. Alles, was wir unternehmen, um den Menschen in eine vorbestimmte Ordnung einzuzwängen, hindert diese Weiterentwicklung. Wer eine staatliche oder gesellschaftliche Ordnung festsetzt, kann dies nur auf Grund der bisherigen Entwicklung. Wenn man aber eine bestimmte Ordnung des menschlichen Zusammenlebens auf der Grundlage dieser bisherigen Entwicklung festlegt, so beschneidet man das Zukünftige durch das Vergangene. Wir können gar nicht wissen, welche Entwicklungskeime in dem Menschen noch verborgen zur Weiterentwicklung liegen. Deshalb können wir auch keine Ordnung festsetzen, in welcher der Mensch sich entwickeln soll. Er muß die volle Freiheit besitzen, alles zu entwickeln, was in ihm keimt. Die Ordnung, die er braucht, wird sich dann immer von selbst aus dieser Freiheit ergeben. Dies ist der Grund, warum die von einem der besten Freiheitsmänner gegründete Zeitschrift des liberalen Anarchismus, die in Amerika erscheinende 'Liberty' den Wahlspruch trägt:
"Freiheit ist nicht die Tochter, sondern die Mutter der Ordnung"
In dem Buch "Krankheitsepochen der Kindheit" von Walter Holtzapfel (16.8) hat sich eine Beschreibung der Lebenskurven gefunden, die hier wegen ihrer paradigmatischen Dimension gebracht werden soll. Zwar behandelt das Buch die Kindheit in der menschlichen Biographie, das über die Lebenskurven Gesagte betrifft jedoch den ganzen Menschen:
"...Es ist bekannt, wie groß die Wachstumsintensität am Anfang des Lebens ist, beim Säugling und beim kleinen Kind und ganz besonders in der Embryonalzeit. Der Embryo wächst in einem Monat etwa so viel wie das Schulkind in einem Jahr, also zwölfmal schneller. Vom sechsten/siebenten Jahr bleibt der jährliche Längenzuwachs ziemlich konstant bei etwa 5 Zentimetern, um in der Präpubertät und Pubertät erneut anzusteigen. Nach diesem - nur dem Menschen eigentümlichen - "Pubertätsschub" geht das Längenwachstum schnell zurück und kommt mit etwa 17 bis 21 Jahren ganz zum Stillstand. Der junge Mensch ist ausgewachsen, er ist "erwachsen" geworden. Der im Kindesalter überwiegende Aufbau ist nun zunächst in ein dynamisches Gleichgewicht mit den immer stärker werdenden Abbaukräften gekommen. Dieser scheinbar stationäre Zustand dauert aber nicht lange. Die Abbaukräfte beginnen zu überwiegen, und schon mit 28 bis 30 Jahren ist bei genauen Messungen ein leichtes Wiederabsinken der Körpergröße festzustellen, das nun langsam bis zum Lebensende fortschreitet. Bei älteren Menschen ist dann das Kleinerwerden schon eindrucksmäßig ohne Messung leicht zu bemerken. Die Zwischenwirbelscheiben flachen sich ab, der Rücken beugt sich. Der Mensch neigt sich gegen das Lebensende der Erde wieder zu, von der er, biblisch gesprochen, seinem Leibe nach gekommen ist. Was hier von der menschlichen Gestalt im ganzen gesagt wird, gilt für die einzelnen Organe in differenzierter Weise: das Gehirn verkleinert sich schon vom 15. Lebensjahr ab wieder, die Fassungskraft der Lunge beginnt etwa vom 30. Jahre an nachzulassen, während Leber und Bauchspeicheldrüse das Maximum ihrer Ausdehnung erst mit 40 Jahren erreichen, um von da an zurückzugehen. Im ganzen genommen aber können wir von einer aufsteigenden und einer absteigenden Lebenshälfte sprechen. Ähnlich wie das bei manchen älteren bildlichen Darstellungen des menschlichen Lebenslaufs geschehen ist, wo in aufeinanderfolgenden Bildern zunächst das Kind in der Wiege, dann der reife Mensch auf der Höhe des Lebens und schließlich der Greis wieder herabsteigend gezeigt wird, wollen wir uns hier diese Verhältnisse in der abstrakteren Form eine Kurve vergegenwärtigen. (Abb.1, siehe unten: Aufsteigende und absteigende Lebenshälfte, hier nur beschrieben.)
Es gibt nun eine andere Kurve, die ebenfalls den gesamten Lebenslauf umfaßt, aber einen entgegengesetzten Verlauf zeigt. Diese Kurve hat ihren absteigenden Ast zu Beginn des menschlichen Lebens, ihren Scheitelpunkt etwa im zehnten Lebensjahr, ihren aufsteigenden Ast im Alter. Man spricht von dem U-förmigen Verlauf dieser Kurve, welche die Sterblichkeit (und ihr etwa parallel gehend die Erkrankungshäufigkeit) in den verschiedenen Lebensaltern angibt. Was steigt hier ab, und was steigt hier auf? Während wir beim Verfolgen der Kurve des Wachstums und des Lebens (Abb.1) innerhalb der sinnenfälligen Tatsachen stehenbleiben können, reichen wir zum Verständnis der Kurve der Krankheit und des Todes (Abb.2) mit der rein naturwissenschaftlich-biologischen Betrachtungsweise nicht mehr aus. (Hier folgt im Text die Abb.2: Kurve der Lebensaltersterblichkeit). Aber das geht uns ja letzten Endes immer so, wenn wir es mit dem Menschen zu tun haben, denn der Mensch ist nicht nur ein körperlich-biologisches Wesen, sondern auch ein geistig-seelisches. Wie uns die erste Kurve ein Bild war der sich aufbauenden und wieder verfallenden Leiblichkeit, so wird uns die zweite zum Bilde für das Verhalten der geistig-seelischen Wesenheit des Menschen, die mit der Geburt herabsteigt, sich mit der Leiblichkeit verbindet und im Tode sich wieder löst. Der Kurve des Aufbaues und Abbaues steht gegenüber die Kurve der Inkarnation und Exkarnation.
Daß der rechte Schenkel dieser zweiten Kurve wieder ansteigt, daß im Alter die Sterblichkeit zunimmt, ist eine geläufige Lebenstatsache, die zunächst keiner weiteren Erläuterung bedarf. Der linke Schenkel der Kurve, die Sterblichkeit im Säuglingsalter anzeigend, ist in unserem Jahrhundert dank der Fortschritte der modernen Kinderheilkunde stark zurückgegangen. Eine auffallende Ausnahme macht die Neugeborenen- oder Frühsterblichkeit der ersten Lebenswoche. Diese ist in den zivilisierten Ländern bis in die zwanziger Jahre des 20.Jahrhunderts ungefähr gleich geblieben und von da an sogar langsam wieder gestiegen; ebenso die Zahl der Totgeburten und die Müttersterblichkeit bei der Geburt. Über die Ursachen dieser bestürzenden Erscheinung ist man wissenschaftlich noch zu keiner Einigung gekommen, wenn man auch bestimmte Vermutungen darüber haben kann. Es geht jedenfalls so viel daraus hervor, daß in der modernen Zivilisation Faktoren liegen, die den Eintritt durch das Tor der Geburt erschweren. Wir können nun die beiden bisher betrachteten entgegengesetzten Kurvenverläufe miteinander verbinden und kommen so zu einem Bilde der menschlichen Gesamtwesenheit: die sich inkarnierende Individualität in ihrem Verhältnis zu der aus der Vererbung stammenden Leiblichkeit (Abb.3, die beiden Kurven ineinander gezeichnet):
Inkarnation - Geistig-seelisches Wesen - Exkarnation :
Aufbau - Körperlich-leibliches Wesen - Abbau
Geburt - Lebensmitte - Tod
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Anhang XV:
Rudolf Steiner, Vortrag aus "Das Ereignis der Christus-Erscheinung in der ätherischen Welt":
'Innere Evolution und äußere Entwickelungsmöglichkeiten'
Pforzheim 30.1.1910 GA118
"In der Entwickelung sowohl des einzelnen Menschen wie der ganzen Menschheit müssen wir stets nicht etwas zu Einfaches, nicht etwas zu Geradliniges suchen, denn wir können sonst die komplizierten Vorgänge des Lebens, wie sie tagtäglich vor unsere Augen treten, nicht eigentlich verstehen. Schon beim einzelnen Menschen müssen wir uns klar sein, daß sozusagen zwei Entwickelungsströmungen ineinanderlaufen. Sie erinnern sich, daß wir - es ist das zum Beispiel ausgeführt in dem kleinen Schriftchen "Die Erziehung des Kindes vom Gesichtspunkte der Geisteswissenschaft" - in dem einzelnen Menschenleben einzelne Perioden unterscheiden, so die Periode von der physischen Geburt bis ungefähr in das 7. Jahr, in die Zeit des Zahnwechsels hinein, dann vom 7. bis ungefähr in das 14. Jahr, dann wieder ungefähr vom 14. bis zum 21. Lebensjahr, Perioden also, welche von sieben zu sieben Jahren ungefähr verlaufen. Das geht ziemlich regelmäßig, diese Einteilung des Menschenlebens in solche einzelne Zeiträume, in der ersten Hälfte eines normalen Lebens. Unregelmäßig wird diese Einteilung, diese Gliederung in siebenjährige Perioden in der zweiten, in der absteigenden Lebenshälfte. Aus dem Grunde wird das so, weil wir in bezug auf die erste Hälfte unseres Lebens eigentlich diejenigen Gesetze und Tatsachen heute ausleben, die eine Art von Wiederholung des regelmäßigen Entwickelungsganges der Menschheit seit Urzeiten her sind, während wir in der zweiten Hälfte unseres Lebens noch nicht etwas ausleben, was in der äußeren Welt schon geschehen ist, sondern was erst in der Zukunft geschehen wird. Es wird daher die zweite Hälfte des Lebens in der Zukunft beim Menschen viel regelmäßiger werden, als sie heute schon ist, immer regelmäßiger und regelmäßiger. Doch das sei nur gesagt, um überhaupt darauf hinzuweisen, daß eine solche regelmäßige Entwickelung im menschlichen Leben stattfindet. Wir wissen, daß es sich so ausdrückt, daß wir sagen können: Bis zum 7. Lebensjahre ist der Mensch noch in einer ätherischen, in einer Ätherhülle. Er wird sozusagen in bezug auf seinen Ätherleib erst mit dem 7. Jahre geboren. In bezug auf seinen astralischen Leib wird er ungefähr mit dem 14. Jahre geboren und so weiter. Das, was wir damit angeben, ist eigentlich eine Strömung der Entwickelung des Menschen, es ist die mehr äußerliche Entwickelungsströmung. Es gibt neben dieser Entwickelungsströmung noch eine innere, die in einem gewissen Maße selbständig verläuft gegenüber der äußeren Strömung. Zu der inneren Strömung gehört alles dasjenige, was wir an eigentlich tieferen Vorgängen, Ursachen und Wirkungen in unserem Karma haben, was von Inkarnation zu Inkarnation weitergeht.
Wenn wir sagen, bis zum 7. Jahre oder bis zum 14. oder 21. Jahre entwickelt sich der Mensch in einer ganz bestimmten Weise, dann müssen wir uns klar sein, daß das mehr oder weniger allerdings durchschnittsgemäß für alle Menschen gilt. Für alle Menschen können wir diese Regeln als richtig betrachten, die zum Beispiel in der genannten kleinen Schrift angegeben sind. Diese Regeln sind richtig für die Erziehung eines Menschen in unserer Zeit, der wenig Talente, wenig Fähigkeiten hat, sie sind aber auch richtig für die Genies, für alle Menschen, weil das ein Gesetz ist, nach dem sich die Hüllen des Menschen entwickeln. Das was in dieser Entwickelungslinie liegt, gilt also mehr oder weniger für alle Menschen, aber es ist doch nicht gleichgültig, was diese Menschen durchgemacht haben etwa in ihren früheren Verkörperungen. Der eine hat viel Gescheites, viel Schönes, viel Gutes erlebt. Darnach gestalten sich seine Fähigkeiten, darnach gestaltet sich sein Schicksal; der eigentliche innere Kern des Menschen gestaltet sich darnach, und das ist nun bei jedem Menschen individuell. Was da wie eine innere Entwickelungsströmung neben der äußeren einherläuft, das ist gewissermaßen wiederum das, was bei jedem Menschen die besondere Schattierung seines Wesens ausmacht. Dadurch kann es geschehen, daß - trotzdem die allgemeine Gliederung nach siebenjährigen Zeitperioden für alle Menschen gilt - doch die Geheimnisse der Entwickelung bei den verschiedenen Menschen wiederum verschieden sind. Es kann jemand mit großen, ausgebreiteten Fähigkeiten in die Welt treten, dann wird er zwar auch warten müssen bis zu seinem 7. Jahre mit der vollständigen Ausbildung der Form seines physischen Leibes, er wird auch warten müssen bis zum 14. Jahre mit der vollständigen Ausentwickelung seines ätherischen Leibes, aber das, was da im Innern arbeitet, das ist doch ganz anders als bei einem Menschen, der weniger Fähigkeiten mitbringt.
Also zwei Entwickelungslinien laufen nebeneinander, und daraus können wir jetzt auch sehen, wie sozusagen gewisse zwiespältige Seelenverfassungen im Menschen auftreten können. Man kann ja in bezug auf die äußere Entwickelung nicht anders denken, als - das ist durchaus im Sinne der Geisteswissenschaft - daß der Mensch bis zu seinem 14. Jahre, sagen wir, die Fähigkeiten seines Ätherleibes herausentwickelt. Mit seinem 14., 15. Jahre wird sein Astralleib eigentlich frei und geboren. Da nun kann es sein, daß wir es zu tun haben mit einer Individualität, das heißt mit dem, was aus den vorhergehenden Verkörperungen kommt, welche starke, große innere Seelenfähigkeiten hat. Wir setzen also voraus den Fall eines Menschen, der durch sein Karma, durch seine frühere Entwickelung in früheren Leben, starke innere Fähigkeiten hat. Um diese Fähigkeiten in der Welt auszuleben, braucht man die Kräfte, die Organe einer jeden menschlichen Hülle. Nehmen wir nun an, wir vernachlässigen in der Erziehung bei dem Menschen, der solche Fähigkeiten mitbringt, daß er sie insbesondere ausleben kann durch den Astralleib, wir vernachlässigen die Entwickelung seines Astralleibes in der richtigen Zeit. Was wird da eintreten? Um einzusehen, was eintritt, wollen wir uns etwas Konkretes vor Augen stellen.
Wir nehmen an, wir hätten ein solches Kind. Es wächst heran. Wir geben zwar acht, daß es sich zum 7. Jahr regelmäßig entwickelt, sehen darauf, daß es recht gut ißt und trinkt, daß es pausbackig wird. Auf dies wird recht gut gesehen. Das Kind sieht wohlgenährt aus. Wir sorgen auch vom 7. Jahre weiterhin, daß das Kind gut genährt wird, aber jetzt beginnen wir die Regeln außer acht zu lassen, durch die in vernünftiger Weise die Erziehung des Kindes vom 7. Jahre an geregelt sein muß. Wir beginnen jetzt außer acht zu lassen diese Regeln, und wir begehen zum Beispiel den Fehler, daß wir bei einem solchen Menschen den materialistischen Vorurteilen erliegen und sagen, wir wollen hauptsächlich darauf sehen, daß das Kind möglichst früh zu einem verstandesmäßigen Urteilen kommt, daß es möglichst früh lernt, ein eigenes Urteil zu haben. Das ist ja heute so Gebrauch aus unserer materialistischen Denkungsweise heraus. Ich habe das Beispiel schon öfters angeführt.
Während zwischen dem 7. und 14. Jahr namentlich darauf gesehen werden sollte, daß das Gedächtnis ausgebildet werde, stellt man Rechenmaschinen auf. Während man früher das Kind lernen ließ 2 x 2 = 4 und dergleichen, bevor es die Dinge verstanden hat, sagt man heute, man muß dem Kinde nichts beibringen, was es nur gedächtnismäßig lernt, das Kind soll nur das wissen, worüber es ein Urteil haben kann. Da wird mit roten und weißen Kugeln gearbeitet. Anstatt das Kind zu gewöhnen an Autorität, die für das Kind zwischen dem 7. und 14. Jahr die Quelle der Wahrheit sein soll, bringt man es dazu, das Kind frühreif zu machen im Urteilen. Während das Kind dieses Lebensalters fühlen soll: Ich muß das glauben, was die verehrte Autorität sagt -, vernachlässigt man, daß das Kind nötig hat, Eltern und Lehrer zu haben, zu denen es aufschaut mit inniger Verehrung und von denen es Wahrheit annimmt aus dem Gefühl selbstverständlicher Autorität.
Nehmen wir an, wir lassen dieses außer acht, daß das Wort Autorität ein heiliges sein muß für die Zeit zwischen dem 7. und 14. Jahre. Wenn wir so zwischen dem 7. und 14. Jahr solche wichtigen Gesetze außer acht lassen, dann kann auch nicht vom 14., 15. Jahr an aus einem unrichtig entwickelten Ätherleib heraus ein richtig sich entwickelnder Astralleib entstehen. Und nehmen wir nun an, wir haben es mit einem Menschen zu tun, der sich aus früheren Leben besondere Kräfte, gute starke Fähigkeiten mitgebracht hat, Anlagen aber, zu denen er einen Astralleib braucht, der sich entflammen kann für hohe Ideale. Es hängt zum Beispiel am Astralleib, daß man, wenn man eine Ungerechtigkeit sieht in seiner Umgebung, aufflammen kann in gerechtem Zorn, lange bevor man sie beurteilen kann im selbständigen klaren Denken. Solche Eigenschaften eines gesunden Astralleibes müßten nach der Natur des betreffenden Menschen gerade da sein, denn die brauchte er, damit das herauskommen kann, was nach seinen früheren Inkarnationen in ihm lebt. Nehmen wir an, wir haben die Grundsätze vernachlässigt, die beachtet werden müssen, damit der Astralleib hingebungsfähig, begeisterungsfähig geboren wird mit dem 14., 15. Jahre, dann fehlt, trotzdem bedeutende Anlagen, große Fähigkeiten, mitgebracht werden von früher, dennoch die Möglichkeit, diese Anlagen zu entwickeln, weil der Astralleib diese Anlagen nicht herauskommen läßt. Er hat jene Kräfte, jene Strömungen nicht, welcher sich jenes Ich, das von Verkörperung zu Verkörperung geht, bedienen muß, um seine Anlagen zu entfalten. Jetzt haben wir ein Ich, das hohe Fähigkeiten entwickeln könnte; die Organe des Astralleibes aber, durch die dieses Ich seine Fähigkeiten äußern könnte, sind verkrüppelt. Diejenige Entwickelungsströmung, welche den Fortgang der Hüllen regelt, ist nicht zu ihrer Geltung gekommen.
Wer das Leben betrachtet, wird insbesondere heute in unserer so furchtbar materialistischen Zeit finden, daß der Fall, den ich soeben geschildert habe, unzählige Male im Leben wirklich da ist. Unzählige Male im Leben tritt es ein, daß der, welcher das Leben durchschauen kann - geschult durch okkulte Entwickelung es durchschauen kann - mit blutendem Herzen sieht: Da steckt etwas in der Individualität, aber es kann nicht heraus, weil die andere Entwickelungsströmung bis zum entsprechenden Zeitpunkt nicht richtig besorgt worden ist. Da treten dann gerade in jenem Zeitpunkte, wo die nicht vorhandenen Organe gebraucht werden würden, die charakteristischen Erscheinungen auf, welche man als "Jugend-Irresein" - Dementia praecox - bezeichnet. Allerlei böse, schlimme Leidenschaften treten auf, Verirrungen furchtbarster Art. Woher kommen sie, diese Verirrungen? Sie kommen nicht etwa bloß davon her, daß der Betreffende auch Anlagen hat, die zum Schlimmen neigen, sondern daher, daß er in der gegenwärtigen Inkarnation nicht die Organe hat, um gerade seine guten Anlagen zur Entwickelung zu bringen. Da ist es für ihn eine Wohltat vielleicht, daß diese Anlagen des Ich zerstören, zerreißen die Hülle, um sich in einer folgenden Verkörperung eine bessere Möglichkeit zu schaffen für seine Entwickelung. So sonderbar dies erscheint, so muß es doch berücksichtigt werden, weil oftmals die Entwickelung viel zu geradlinig betrachtet wird auch von Menschen, die zur Geisteswissenschaft hinkommen.
Es müssen zusammenstimmen innere Evolution und äußere Entwickelungsmöglichkeit. Das ist so beim einzelnen Menschen der Fall, wie es auch für die Entwickelung einer ganzen Zeit richtig ist. Ich habe Ihnen nur ein radikales Beispiel hingestellt, um Ihnen daran leichter begreiflich zu machen, was vielfach vorhanden ist. Es wird ja nicht immer in dieser radikalen Weise auftreten, aber es tritt in unserer Zeit noch öfter auf in dem, was heute so häufig ist: in unzufriedenen Seelenstimmungen, in der Hoffnungslosigkeit, in dem Nichtwissen, was man mit sich anfangen soll, insbesondere in den Zeiten vom 14., 15. bis zum 21. Jahre. Dann bleibt es und ist für das Leben nicht mehr gutzumachen. Dann bleibt es eine innere Stimmung von Hoffnungslosigkeit, Ziellosigkeit, Pessimismus und Unbefriedigtheit. Und in dieser gelinderten Form würde es immer mehr und mehr, häufiger und häufiger auftreten, wenn nicht durch eine spirituelle, geisteswissenschaftliche Weltanschauung die Menschheit auf andere Bahnen kommen würde, als sie bis heute gekommen ist dadurch, daß immer mehr und mehr bis in die tiefsten Gedanken und Empfindungen der Menschen hinein sich das materialistische Denken aufgeprägt hat.
Wenn man das so hört, was jetzt eben gesagt worden ist, dann muß man sich als Geistesforscher sagen: Geisteswissenschaft, wenn man nur ein wenig von ihr begriffen hat, muß einem erscheinen als etwas, was man nicht betreibt zu seiner Liebhaberei, weil es einem gefällt, weil man durch sie eine subjektive Befriedigung, Beseligung findet, sondern man muß, wenn man ein wenig herangetreten ist an ihre tieferen Seiten, Geisteswissenschaft treiben als Pflicht, als Pflicht gegen die ganze Menschheit. - Denn diejenigen Weltanschauungen, die heute die herrschenden sind, sie führen dazu, das Leben immer weniger und weniger zu verstehen. Man wird das Nichtleben immer besser verstehen. Und um das Nichtleben immer besser zu verstehen, ist ja der Materialismus eine Zeitlang notwendig gewesen. Aus dem bloßen Verständnisse des Lebens heraus würde man niemals Dampfschiffe, Eisenbahnen, Tunnels haben bauen können. Auch unsere äußere, auf das Physische gerichtete Wissenschaft so weit zu führen, als sie heute ist, und weitere Fortschritte auf diesem Gebiete zu machen, würde man nicht haben hoffen können.
Die Menschen mußten so geführt werden, daß sie sozusagen in ihre Seelen solche Weltanschauungen aufnahmen, die alle Arten von Kulturen als besondere Richtungen der Auffassung des Daseins richtig zum Ausdruck bringen konnten.
Niemand darf sagen: War es denn nicht ungerecht, daß durch die verflossenen Jahrhunderte die Menschen materialistische Auffassungen in sich aufnehmen mußten? Nein, so kann man nicht sprechen. Es sind ja dieselben Seelen, welche, nachdem sie den Einfluß des Materialismus über sich haben ergehen lassen müssen, künftig in andern Inkarnationen zu geistigem Leben wiederum geführt werden.
Aber ein jegliches Ding muß zu seiner Zeit geschehen, zur richtigen Zeit geschehen. Sie brauchen sich ja nur zu überlegen, daß gewisse Dinge sehr gut, ganz ausgezeichnet sein können, wenn sie bei Tage gemacht werden. Wenn dieselben Sachen bei Nacht gemacht werden sollen, dann sind sie eben schlecht. Ein jedes Ding hat seine Zeit, und so ist es eben auch im großen Entwickelungsgange der Menschheit, in der Menschheitsentwickelung. Was gut war in eben verflossenen Jahrhunderten, würde eine schlimme Sünde wider die Menschheit sein, wenn es aufrechterhalten würde für die nächsten Jahrhunderte. Wir sind heute an dem Zeitpunkt angekommen, wo an Stelle des materialistischen Denkens das Denken und das Schauen treten müssen, die in das Leben im Geiste selbst hineinführen. Folgen muß auf das, was in den verflossenen Zeiten nach dem Materialismus getrieben hat, eine geistige Weltanschauung, und Menschen müssen sich finden, die etwas tun, um dieser geistigen Weltanschauung Eingang in das Menschengeschlecht und seine Geschichte zu verschaffen. Sie sollten wissen: Würde nicht heute in diesem Zeitpunkt dasjenige eintreten, was man nennen kann, zu der materialistischen Weltanschauung tritt eine spirituelle hinzu, so würde der richtige Zeitpunkt für die Menschheit versäumt werden. Aber noch in mancher andern Beziehung können wir in unserer Zeit Wichtigstes versäumen. Und wir werden verstehen, inwiefern wir Wichtigstes versäumen können in unserer Zeit, wenn wir diese zwei vorhin für den einzelnen Menschen angedeuteten Entwickelungsströmungen nun im ganzen Menschheitszusammenhang betrachten.
Der Mensch geht von Inkarnation zu Inkarnation, von Verkörperung zu Verkörperung. Er geht aber nicht umsonst von einer Verkörperung zur andern. Warum steigt der Mensch aus geistigen Höhen immer wiederum und wiederum auf die Erde herunter? Warum ist nicht eine Inkarnation auf der Erde genügend? Deshalb nicht, weil die Erde selber im Laufe langer Zeiträume sich verändert, verändert in bezug auf alles, was auf ihr physisch, in bezug auf alles, was auf ihr auch geistig und seelisch ist. Vergleichen Sie nun das äußere Antlitz der Erde, das was hier gewachsen ist, und das, was hier schon war vor 2000 bis 3000 Jahren. Vergleichen Sie den Boden, wie er damals um Pforzheim herum ausgeschaut, mit dem, wie er heute ausschaut. Es kann schon die gewöhnliche Naturwissenschaft Aufschluß geben, wie der Boden ausgeschaut hat hier vor 2000 Jahren. Vergleichen Sie aber auch, was dazumal ein Mensch gelernt hat in seiner Kindheit, in seiner Jugend, mit dem, was er heute lernt, dann werden Sie sich sagen müssen: Das physische und das geistige Leben verändern sich auf der Erde. Die Erde war ganz anders vor 2000 bis 3000 Jahren und ist immer anders und anders geworden und wird immer anders werden. Die Erde ändert sich fortwährend. Und jedesmal, wenn wir heruntersteigen auf die Erde, treffen wir neue Verhältnisse, können wir Neues lernen, Neues erfahren und Neues erleben, vereinigen es mit unserem Wesen und tragen neue Erfahrungen hinauf in die geistige Welt. Deshalb, weil wir so nach und nach in aufeinanderfolgenden Perioden die Erdenerlebnisse in uns aufnehmen sollen, werden wir in aufeinanderfolgenden Erdenleben geboren. Wir stimmen zusammen das, was das äußere Erdenleben uns geben kann im Verlauf der aufeinanderfolgenden Zeiten und was wir innerhalb dieses Erdenlebens lernen sollen. Das muß zusammenstimmen.
Nehmen wir einmal irgendwelche Seele an, die heute leben würde. Sie hat ja auch schon gelebt in der Zeit des alten Ägyptertums, in der Zeit des alten Indertums. Alle die Seelen, die heute hier sitzen, haben unzählige Male auf der Erde gelebt, haben hier gelebt in andern Lebensverhältnissen und leben heute wieder, weil das, was sie dazumal haben lernen, erfahren können auf der Erde, heute nicht mehr da ist, und heute Neues erlebt und erfahren werden kann. Setzen wir einen Menschen voraus, der zum Beispiel im alten Ägypterland seine Inkarnationen nicht richtig angewendet hat, nicht herausgesaugt hat, was dazumal auf der Erde sich heraussaugen ließ. Nehmen wir an, Menschen, wie sie nach dem Karma der Erde und dem Einzelkarma im alten Ägypten noch vereinzelt waren, hätten es versäumt, mit ihrer Seele dasjenige zu vereinigen, was eben im alten Ägypten erlebt werden konnte. Das würde nicht verhindert haben, daß sie zur entsprechenden Zeit im alten Ägypten gestorben sind. Aber es hätte verhindert, daß sie dann, wenn sie das nächste Mal geboren worden sind, sich das mitgebracht hätten, was sie dann brauchten, um vollwertige Menschen zu sein. Das können sie sich in folgenden Inkarnationen nicht so ohne weiteres erwerben. Man braucht aber in einer späteren Verkörperung, um nicht verkümmerte Seelen zu haben, das, was man sich an Fähigkeiten und Kräften in der vorhergehenden Inkarnation aus den damaligen Erdenverhältnissen heraus hat aneignen können. Es gibt Dinge, die man, wenn sie versäumt hat, nicht mehr nachholen kann. Vielleicht werden Sie sagen: Nun macht er uns eine schöne Perspektive vor! Wir können ja nicht wissen, ob wir nicht unglaublich Wichtiges in früheren Verkörperungen versäumt haben. Das wäre ja wirklich eine trostlose Perspektive, denn vielleicht haben wir in früheren Inkarnationen Furchtbares versäumt, und was hilft uns auch jetzt alles andere! Was hilft es zum Beispiel, wenn wir uns jetzt noch so sehr zur Geisteswissenschaft hinschlagen und noch so gut unsere jetzige Inkarnation verwenden wollen? Wir können es vielleicht nicht einmal, eben gerade weil wir in den früheren Inkarnationen etwas ganz besonders Wichtiges versäumt haben!
Es scheint also, als ob diese Wahrheit, die ich eben ausgesprochen habe, eine furchtbare Perspektive in Ihre Seele gießen könnte, trostlos für Sie werden könnte. Denn wenn man nicht mehr nachholen kann, was man einmal versäumt hat, dann muß ich sagen, wenn ich auch noch so sehr anfange, an meiner Seele zu arbeiten, so hilft das nichts mehr, denn ich kann ja dann gar nicht mehr nachholen, was ich versäumt habe, was ich in diese Seele nur hätte hereingießen können vielleicht in der altindischen oder in der ägyptischen Zeit.
Diese trostlose Perspektive wäre nur da, wenn dasjenige, was jetzt als Konsequenz gezogen worden ist, die richtige Konsequenz wäre. Aber es ist keine richtige Konsequenz, denn die Sache liegt anders. Es ist durchaus richtig zwar: was unsere Seele sich nicht angeeignet hätte in der alten ägyptischen, indischen, persischen, griechischen Zeit, das könnte sie heute nicht mehr nachholen, das wäre unmöglich. Die Sache ist nur diese, daß gegenwärtig, in unserer Zeit, die ersten Inkarnationen des Menschen überhaupt da sind, in denen man bewußt, durch eigene Schuld etwas nach dieser Richtung versäumen kann. Und das wird noch eine Zeitlang dauern. Und da kann es nun auch eine Erklärung dafür geben, warum jetzt die Geisteswissenschaft anfängt, in die Welt zu kommen: weil jetzt erst die Möglichkeit für die Menschen anfängt, etwas zu versäumen. Jetzt müssen diese Wahrheiten zu den Menschen zu dringen beginnen, denn jetzt beginnen für den Menschen Inkarnationen, bei denen, wenn man diese nicht ordentlich anwenden würde, es schwerer werden würde, aus späteren Erdenverhältnissen heraus das nachzuholen, was da versäumt worden wäre. Und jetzt ist es ja auch so, daß die Menschen, wenn sie nur wollen, herankommen können an die geisteswissenschaftlicher Erklärung von Reinkarnation und Karma und von anderen Wahrheiten in der Geisteswissenschaft, daß sie also diese Schuld nicht auf sich zu laden brauchen. Auf eine einzelne Inkarnation kommt es weniger an, aber wenn man in unserem Zeitalter, das eben begonnen hat und 2000 bis 3000 Jahre dauert, zwei bis drei Inkarnationen wird so angewendet haben, daß man nicht das Richtige aus dem, was man auf der Erde gewinnen kann, herausgezogen haben wird, dann wird man in den folgenden Zeiten etwas Wichtiges versäumt haben. Deshalb tritt Geisteswissenschaft jetzt auf und sagt den Menschen, wie wichtig es ist, daß sie ihre Inkarnationen in der richtigen Weise anwenden.
Nun fragen wir uns: Warum aber konnten in den früheren Zeiten die Menschen diese Fehler nicht machen? Aus dem Grunde, weil der Mensch sich ja so entwickelt hat von Inkarnation zu Inkarnation, daß er in urferner Vergangenheit selber ein Genosse war der geistigen Welten. Das, was heute unsere Fähigkeiten sind, vor allem die Beschränkung unserer Sinne auf die physische Welt, das war nicht immer da. Der Mensch hatte in früheren Zeiten ein dämmerhaftes Hellsehen, er konnte hineinschauen in die geistigen Welten. Und dieses Hellsehen war immer stärker, je weiter wir zurückgehen. Der Mensch wußte in jenen Zeiten: Ich stamme aus der geistigen Welt. Und er hatte nicht nur dieses abstrakte Wissen, sondern er wußte auch, wie es aussieht in dieser Welt, er kannte die Gesetze der geistigen Welt. Diese Gesetze erfüllte er wie aus einem Instinkt; instinktiv. Weil sie noch mit der geistigen Welt in einem Zusammenhang standen, deshalb wirkte das Wissen in ihnen nach und sie taten instinktiv unter dem Eindruck des alten Wissens das Richtige. Erst in unserer Zeit leben wir in einem Zeitalter, wo sozusagen die Tore zugeschlossen sind vor der geistigen Welt, wo der Mensch zwischen der Geburt und dem Tode völlig darauf angewiesen ist, in dieser sinnlich-physischen Welt allein wahrzunehmen.
Dieses Zeitalter, in dem das alte Hellsehen verschwunden ist, durch das die Menschen wie vom Himmel herunter die Erkenntnisse bekamen, dieses Zeitalter hat begonnen - wir können ziemlich genau den Zeitpunkt angeben -, 3101 Jahre bevor der Christus auf Erden wandelte. Früher waren solche Zeitalter, in denen der Mensch wirklich, wenn sie auch nicht das heutige starke Selbstbewußtsein, nicht ein klares Bewußtsein von ihrem Ich hatten, noch dumpf, dämmerhaft hineinschauen konnten, und noch weiter zurück sogar klar hineinschauten in die geistigen Welten. Da kommen wir zu einem Zeitalter vor dem Jahre 3101, in dem die Menschen zwar ein recht getrübtes, aber doch ein Wissen von der geistigen Welt hatten. Dvapara Yuga nennt man dieses Zeitalter. Dieses Dvapara-Yuga oder eherne Zeitalter erstreckt sich über die ägyptisch-babylonisch-chaldäische und über die persische Zeit. Dann noch weiter zurück, in noch älteren Zeiten finden wir ein noch tieferes Hineinsehen in die geistige Welt bei den Menschen in dem Tetra-Yuga oder silbernen Zeitalter. Und dann kommen wir schon hinter die atlantische Katastrophe hinauf, wo diejenigen Menschen, die da inkarniert waren, noch hineingeschaut haben in die geistigen Welten so, daß sie sich als Genossen jener Wesenheiten gefühlt haben, die Sie heute nur erkennen können in dem Zustand zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Das ist dann das Krita Yuga, das da beginnt
Im Jahre 3101 vor unserer Zeitrechnung beginnt dasjenige Zeitalter, in dem nach und nach alle Möglichkeit für die Menschen, durch äußere natürliche, durch normale Kräfte hineinzuschauen in die geistige Welt, zunächst aufhört. In diesem Zeitalter - von 3101 vor unserer Zeitrechnung bis in unsere Zeit herein - gab es nur noch alte vererbte Reste von dumpfem, dämmerhaftem Hellsehen bei einigen Menschen. In diesem Zeitalter konnte man nur durch wirkliche esoterische Schulung regulär hinaufkommen in die geistigen Welten. Aber die normalen Fähigkeiten des Menschen entwickelten sich so, daß sie sich nur noch auf die physische Welt erstreckten. Dieses Zeitalter nennt man mit einem orientalischen Ausdruck das Kali Yuga, das finstere Zeitalter, weil der Mensch jetzt nicht mehr hineinsieht in die geistige Welt durch seine natürlichen Fähigkeiten. Das Kali Yuga ist also dieses Zeitalter, das etwa 3101 vor unserer Zeitrechnung begonnen hat, und das die Menschen immer mehr und mehr auf den physischen Plan herausgeführt hat.
Die wichtigsten Ereignisse, die sich auf dem geistigen Plan vollziehen, die sehen ja die Menschen gewöhnlich nicht, weil sie nicht genügend darauf aufmerksam sind. In unserem Zeitalter gehen wichtige Dinge vor. Das Wichtigste ist, daß das Kali Yuga abgelaufen ist im Jahre 1899. Das heißt, dasjenige Zeitalter der Menschheitsentwickelung ist abgelaufen, das dazu bestimmt war, die menschlichen Fähigkeiten herauszuführen auf die Beobachtung und Wahrnehmung des physischen Planes. Und jetzt, seit dem Jahre 1899 beginnt ein Zeitalter, in dem durch 2500 Jahre hindurch in den Menschenseelen andere Fähigkeiten wiederum als normale Fähigkeiten langsam entwickelt werden. Wir leben also schon in einem Zeitalter, wo andere Fähigkeiten bereits entwickelt werden. Kali Yuga hat seinen Abschluß gefunden, und die Menschen leben einem Zeitalter entgegen, wo - ohne daß sie etwas dafür oder dawider machen können - gewisse neue Fähigkeiten in der Seele sich als natürliche entwickeln werden, anders geartete als die, welche sich während des Kali Yuga entwickelt haben.
Was sind das für Fähigkeiten? Unter dem Einfluß des Kali Yuga wurden immer stärker diejenigen Kräfte des Menschen, welche den Menschen zu einem Erfinder, zu einem Entdecker, zu einem Beobachter der physischen Kräfte des physischen Planes machen. Das geht selbstverständlich fort, denn die Fähigkeiten, die einmal errungen worden sind, die werden natürlich nicht wieder verloren. Man darf also nicht sagen, jetzt höre die Fähigkeit auf, mit Naturkräften zu arbeiten. Aber andere Fähigkeiten kommen hinzu. Es kommt hinzu zu dem, was der Mensch sich während des Kali Yuga erworben hat, als besondere Fähigkeit ein natürlich-ätherisches Hellsehen, das heißt es beginnt jetzt das Zeitalter, wo in den Menschenseelen, zuerst in wenigen, dann in immer mehr und mehr Menschenseelen, zuerst in wenigen, dann in immer mehr und mehr Menschenseelen, gewisse hellseherische Fähigkeiten als normale Fähigkeiten erwachen werden. Wir müssen also unterscheiden von dem, was sich - allerdings als viel höhere Fähigkeit - derjenige erwirbt, der die Methoden der geistigen Schulung auf sich anwendet. Der wird in jedem Zeitalter mit seinen Fähigkeiten hinausgehen über das, was der Menschheit als das Normale zugedacht ist. Jetzt aber beginnt ein Zeitalter, in welchem als eine normale die Fähigkeit erweckt wird, nicht nur das Physische, sondern auch dasjenige, was als das Ätherische dem Physischen zugrundeliegt, zu sehen. Das heißt, es werden Seelen kommen mit solchen Fähigkeiten, und zwar in einer Zeit, die schon da ist, die schon angefangen hat, nur werden sie immer häufiger kommen. Jetzt sind sie einstweilen noch recht dünn gesät auf der Erde. Aber diese Fähigkeiten werden beginnen, sich immer weiter unter den Menschen auszubreiten. In einem deutlichen Maße werden sie vorhanden sein in den Jahren 1930 bis 1940. Das wird eine wichtige Zeitepoche sein, denn da wird man hervortreten sehen die neuen Fähigkeiten der Menschen. Während schon heute der Mensch nur den physischen Leib sieht, wird er dann auch die Fähigkeit erlangen, einiges Wesentliche zunächst, dann aber immer mehr und mehr vom Ätherleib zu sehen. Das wird eintreten. So entwickelt sich die Menschheit in der nächsten Zukunft, daß Menschen da sein werden, und immer mehr und mehr, zuletzt eine große Anzahl von Menschen - eigentlich ist es ja der ganzen Menschheit zugedacht -, die nicht nur den physischen Leib des Menschen, sondern diesen physischen Leib wie in einem Ätherischen eingeschlossen sehen werden, wie mit Ätherstrahlen und einer Ätheraura. Das ist das eine, was sie sehen werden. Das andere ist, daß es ihnen ganz sonderbar sein wird: Da werden Bilder vor ihnen stehen, und allerlei wird sich zeigen in diesen Bildern. Zuerst werden die Menschen nicht merken, worauf es ankommt, dann werden sie es für krankhaft halten, dann aber werden immer mehr und mehr Menschen merken, daß solch ein Bild ein Ereignis ist, das sich in zwei bis vier Tagen vollzieht und das sich vorher ätherisch abspiegelt. Diese Fähigkeiten werden sich schon in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts entwickeln.
Zweierlei Möglichkeiten gibt es. Die eine ist, daß mit ihrem Denken, Fühlen und Empfinden die Menschen heute stehenbleiben bei dem, was sie nun aus dem Kali Yuga erworben haben. Diejenigen, die mit ihrer Weltanschauung, ihrer Philosophie, ihrem Denken und Empfinden bei dem stehenbleiben, was sie eben bis heute lernten, die werden sehr bald fertig sein mit ihren Urteilen über Mitmenschen, die solches schauen. Die werden sagen, das sind Narren, die anfangen wahnsinnig zu werden, die sehen allerlei täuschende Dinge, die es gar nicht gibt. - Andere Menschen wird es aber geben, die werden aus der Geisteswissenschaft gehört haben, daß das Realitäten sind. Und das wird immer und immer wieder betont werden in den nächsten Jahrzehnten und Jahrhunderten. Die werden gehört haben, daß es so etwas als Realität gibt, und die werden das rechte Verhältnis finden zu diesen neu auftretenden Fähigkeiten.
Was tun wir, indem wir Geisteswissenschaft treiben? Wir tun also nicht etwas, was unsere Neugierde befriedigt und deshalb unsere Lieblingsbeschäftigung ist, sondern wir tun etwas, was die Menschen vorbereitet auf das, was da kommen muß und was da kommen wird. Und dieses, was da kommen wird, das würde man einfach nicht verstehen können, wenn nicht Geisteswissenschaft vorhanden wäre. Die Menschheit würde das verlieren, was gewonnen werden soll. Und das könnte durchaus sein, wenn eintreten sollte, daß Geisteswissenschaft ganz verboten würde auf der Erde, wenn eintreten könnte, daß man alle jene, die für die Geisteswissenschaft wirken, vielleicht verhungern ließe, vielleicht aus ihren Stellungen herausdrängen würde und verhungern ließe. Dann würde die Menschheit ganz die Möglichkeit verlieren, das, was als naturgemäße Entwickelung kommen wird, zu verstehen. Dann, wenn das geschehen sollte, würde die Menschheitsentwickelung veröden und verdorren. Sie müßte ohne diesen Einschlag weitergehen und würde verdorren, veröden. Das ist dasjenige, was Geisteswissenschaft zu einer verantwortungsvollen Pflicht macht.
Wenn wir die Sache so ansehen, dann können wir auch noch fragen: Worinnen wird sich denn zum Beispiel das als Wirkung zeigen, was eben geschildert worden ist? Nun, die Seelen, die jetzt hier sitzen, die werden ja wieder verkörpert werden in einem Zeitalter, in dem schon längst bei den Menschenseelen jene Seelenfähigkeiten vorhanden sein werden, die eben geschildert worden sind. Was wird das bewirken? Mit jenen Fähigkeiten wird noch etwas anderes kommen, daß der Mensch in die gegenwärtige Inkarnation wird zurückschauen können. Als eine natürliche Fähigkeit wird auftreten mit jenen Fähigkeiten, die eben geschildert worden sind - zugehörig zu ihnen -, eine Erinnerung nicht nur an das Leben zwischen Tod und Geburt, sondern an das vorhergehende Leben, wie eine natürliche Eigenschaft. Aber jetzt wird es sich darum handeln, daß wir in der gegenwärtigen oder folgenden Inkarnation etwas ausbilden, woran man sich erinnern kann. Was wir treiben für den Tag, für das was längst untergegangen sein wird, wenn wir wieder geboren werden, das wird zunächst nicht das sein, woran man sich wird erinnern können. Woran man sich erinnern kann, das wird nur das sein, was in der Zentralgewalt unseres Innern, in unserem Ich vor sich gegangen ist. Erinnern kann man sich dann nicht an das, was als Alltägliches geschehen ist. Das was bleibt von der gegenwärtigen bis zur folgenden Inkarnation, das muß jetzt schon im Ich erfaßt werden, gefühlt werden. Es ist aber wahr, daß die meisten Menschen noch nicht die Neigung haben, so tief in ihr Innerstes hineinzudringen, daß sie sich als ein Ich empfinden. Halten sich doch noch immer, nach Fichtes Ausspruch, die meisten Menschen eher für ein Stück Schlacke im Monde als für ein Ich! Wenn man aber dieses Ich nicht pflegt, es nicht erkennen lernt durch die Geisteswissenschaft, es nicht fühlen lernt, dann ist es ja gar nicht da als inneres Seelengut. Erst müssen wir einmal schaffen dasjenige, an das wir uns dann sollen erinnern können in der nächsten Inkarnation.
So schafft die Geisteswissenschaft, indem sie den Menschen erkennen lernt, die Weltelemente, die in seinem Ich den besten Ausdruck finden, schafft als Tatsachen dasjenige, woran er sich erinnern soll in der nächsten Inkarnation. Wendet der Mensch das, was ihm so geboten wird, nicht in der richtigen Weise an, dann hat er in der nächsten Inkarnation die Fähigkeit des Rückerinnerns wohl, aber es kann ihm nichts einfallen als Gegenstand derselben, weil er nichts geschaffen hat, an das er sich erinnern kann.
Es gehört zu den größten Qualen, die der Mensch überhaupt haben kann, eine Fähigkeit zu haben und nichts zu besitzen, an dem sie sich betätigen kann. Zurückschauen wird man wollen in frühere Inkarnationen, da man die Fähigkeit haben wird, es zu tun, aber keinen Gegenstand in sich finden, den man in diese Erinnerungskraft wird hereinnehmen können. Es wird ein furchtbarer Durst sein des Zurückschauens in frühere Inkarnationen. Der wird aber wie eine innere Qual sein, ein inneres Wollen des Zurückschauens, und man wird nichts sehen, weil man nichts geschaffen hat, was man sehen könnte. Wir arbeiten also dasjenige in der gegenwärtigen Inkarnation aus, was als Tatsache, als Gegenstand für die Erinnerung zu schaffen ist, denn die Fähigkeit der Rückerinnerung erlangen wir schon durch den natürlichen Entwickelungsgang der Menschheit.
Da haben wir wieder zwei Strömungen. Eine äußere: die Menschen erlangen Fähigkeiten; und eine innere: die Menschen müssen das tun, wozu sie diese Fähigkeiten anwenden können. Überall finden wir diese zwei Strömungen. Dasjenige aber, was wie das Wichtigste bei allem als Kraft, als Impuls wirkt, ist, daß die Menschen, indem sie sich heraufleben in diese Zeit, indem sie die neue Fähigkeit bekommen, Ätherisches zu sehen, im Zusammenhang damit im Laufe der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts ein großes, ein größtes Erlebnis haben werden.
Damals, als das Kali Yuga etwa 3100 Jahre gedauert hatte, da waren die Menschen angekommen bei einem Zustand, daß sie sich sagen mußten: Wir können nicht mehr hinaufschauen in die geistigen Reihe der Himmel. Die Tore sind zugeschlossen gegenüber der geistigen Welt. - Da aber kam zuerst der Täufer Johannes, dann kam der Christus, und sie zeigten den Menschen, daß auf dem physischen Plan durch eine entsprechende innere Entwickelung dasjenige, was Zentralgewalt der Seele, was Ich ist, erweckt werden und daß dadurch verstanden werden kann das Geistige. Der Gott stieg als der Christus bis auf den physischen Plan herab, weil die menschlichen Fähigkeiten so geworden waren, daß sie nur auf dem physischen Plane die Dinge verstehen konnten. Der Christus hat dies Opfer gebracht, auf den physischen Plan herunterzusteigen, weil die Götter, die nicht bis dahin heruntergestiegen waren, nicht mehr verständlich waren für die Menschen, die jetzt die Fähigkeit in sich entwickelt hatten, nur auf dem physischen Plan zu stehen.
Jetzt aber entwickeln sich wieder Fähigkeiten, Übersinnliches zu schauen, Ätherisches zu schauen. Das hat dann zur Folge, daß ungefähr in jenem Zeitraum von 1930 bis 1940 eine Anzahl von Menschen, die die ersten Pioniere sein werden dieses ätherischen Hellsehens, dasjenige sehen werden, was der Christus in dieser unserer Zeit iat. In einem physischen Leibe hat der Christus nur einmal gelebt auf unserer Erde. Seit jener Zeit aber hat sich unsere Erde verändert. Wenn jemand in der Zeit vor Christi Geburt hellsehend geworden ist und er hineingeschaut hat in die Welt der geistigen Wesenheiten und Erscheinungen, die unsere Erde unmittelbar umgeben, da hat er etwas nicht gefunden, was er dann fand, als das Ereignis von Golgatha sich vollzogen hatte, da der Christus auf die Erde heruntergestiegen war. Eine Persönlichkeit hat das genau gewußt. Es gab eine Persönlichkeit, die wußte aus ihrer Lehre heraus: Wenn die Menschen hellsehend werden, dann sehen sie etwas noch nicht auf der Erde, was aber in der Zukunft in der geistigen Atmosphäre der Erde sein wird, wenn einmal der Christus von der Sonne heruntergestiegen sein wird. - Diese Persönlichkeit sagte sich: Wir werden auf der Erde erleben den großen Zeitpunkt, wo dem hellsehend werdenden Menschen geistig erscheint der Christus, denn dieser wird dann heruntergestiegen sein auf die Erde und wird auch geistig in ihrer Athmosphäre sichtbar sein. - Das wußte diese Persönlichkeit, aber sie war noch nicht so weit, daß sie aus den Ereignissen von Palästina den Glauben gewinnen konnte, daß in dem Jesus von Nazareth dieses erwartete Wesen, der Christus, eben schon dagewesen sei. Er konnte den Christus Jesus nicht anerkennen, er anerkannte ihn nicht. Dann kam die Zeit, als das Ereignis von Golgatha schon längst vorbei war, in der diese Persönlichkeit hellsichtig wurde: Da sah sie den Christus im Ätherleib. Jetzt konnte er etwas sehen in der Erdenumgebung! Jetzt wußte diese Persönlichkeit, daß der Christus da war. Die physische Wirklichkeit, das physische Schauen hat ihn nicht überzeugt, diesen Menschen, aber das Hellsehen, das hellseherische Wahrnehmen des Christus im Ätherleib, das hat ihn überzeugt. Diese Persönlichkeit war Paulus. Er hat in dem Ereignis von Damaskus zuerst hellseherisch den Christus gesehen in seinem Ätherleib, wie er seit dem Ereignis von Golgatha immer gesehen wird von denen, die sich zum Hellsehen erheben.
Das ist sogar das wichtigste Ereignis, das heute dem hellseherisch Geschulten zuteil wird: daß er den Christus in der geistigen Atmosphäre der Erde sieht. Weil nun diese Fähigkeit in jenem Zeitraum bei einer größeren Anzahl von Menschen auftreten wird, wird dann diese Anzahl von Menschen die unmittelbar durch naturgemäßes Schauen vermittelte Anschauung des Christus haben, des Christus in seinem ätherischen Leibe, mit dem dann die Menschen umgehen werden wie mit einer physischen Persönlichkeit. Nicht bis zu einem physischen Leibe wird der Christus heruntersteigen, ein zweites Mal, aber die Menschen werden durch ihre Fähigkeiten hinaufsteigen ins Ätherische, in dem er sich jetzt offenbart. Der Christus wird ihnen wiedergekommen sein in dem Bereich ihres erweiterten Erlebens.
Das ist die Wiederkunft des Christus, angefangen ungefähr von den Jahren 1930 bis 1940 unseres Zeitalters. Es könnte dieses Ereignis unvermerkt an den Menschen vorübergehen, wenn sie sich nicht vorbereiten würden, dieses große Ereignis zu verstehen. Vorzubereiten hat die Geisteswissenschaft die Menschheit auf dieses künftige Geschehen. Nicht unbemerkt soll es vorbeigehen an der Menschheit. Wenn es unbemerkt vorbeigehen würde, so würde die Menschheit veröden und verdorren.
Was ich jetzt ausgesprochen habe, wird in den nächsten zwei Jahrzehnten von dieser und jener Stätte verkündet werden, in dieser oder jener Form ausgesprochen werden, denn es ist eine wichtigste Wahrheit, eine Wahrheit, welche die Menschen vorbereiten soll auf wichtigste Ereignisse unserer Zeit. Wieder sind die Zeiten erfüllt, daß Bedeutsamstes geschehen soll. Aber in unserer Zeit lebt ein Materialismus furchtbarster Art, und geschehen kann es, daß selbst diejenigen, welche aufnehmen diese Lehren, versucht werden von der materialistischen Gesinnung und verführt werden von der materialistischen Gesinnung zu dem Glauben, der Christus erscheine nur wieder, wenn er in einem fleischlichen Leibe erscheine. Das wäre ein materialistischer Glaube, das können nur diejenigen glauben, die in Wahrheit sich nicht zu der Anschauung aufgeschwungen haben, daß der Geist ein Realeres ist als das Physische. Nun, der Materialismus könnte die Menschen in diese Versuchung führen, zu verwechseln das Wiederkommen des Christus in dem realen Ätherleib, sichtbar für die höher entwickelten Fähigkeiten der Menschen, mit einem fleischlichen physischen Wiederkommen. Dann aber, wenn das geschehen würde, wäre das ein weiteres großes Unglück für die Menschheit. Aber es gibt in unserer Zeit genug Individuen, genug Persönlichkeiten, die das benutzen werden und die, dieses benutzend, entweder einer Illusion zum Opfer fallend, sich als falsche Christusse, Christus im Fleische ausgeben werden.
Falsche Christusse, sie werden erscheinen in diesem Zeitalter, in dem die Menschheit den wahren Christus im Ätherleib sehen soll. Anthroposophen aber sind dazu berufen, unterscheiden zu können zwischen dem Geistigen und dem Materiellen und fest gewappnet zu sein gegen alle Behauptungen, woher sie auch immer kommen werden, daß ein Christus kommen würde im Fleische. Die Anthroposophen sind berufen einzusehen, daß dies Materialismus wäre, der schlimmste Versucher, der auftreten könnte bei einem der wichtigsten Ereignisse der Menschheitsentwickelung, bei dem Ereignis, das wir die Wiederkunft des Christus nennen, und bei dem sich wird bewähren müssen, ob die Menschen so weit gekommen sind, nicht bloß vom Geiste zu sprechen, sondern lebendig das Wesen des Geistes als etwas Höheres anerkennen zu können als das Wesen der Materie.
Zeigen wird es sich müssen, ob die Menschen so weit sein werden, den Christus in seiner ganzen Bedeutung wieder zu erkennen, gerade weil er sich ihnen als Geistiges zeigt. Das wird die größte Prüfung und Probe für die Menschen sein, daß sich ihnen der größte Impuls unserer Erde zeigt und ihnen sagen wird: Erkennen könnt ihr mich nur, wenn ihr nicht bloß redet vom Geistigen, sondern wißt, daß das Geistige realer, wirklicher, wertvoller ist als das bloß fleischlich Materielle. - Das gehört zu dem, was wir in unsere Gefühle aufnehmen sollen, um den nächsten Jahrzehnten, denen wir entgegengehen, in der entsprechenden Weise begegnen zu können. Wichtig wird dieses Ereignis aber nicht nur für die sein, welche noch im physischen Leibe sein werden, sondern auch für diejenigen Seelen wird dieses Ereignis wichtig sein, welche dann schon zwischen Tod und neuer Geburt sein werden. Denn das wird ebenso wichtig sein für die sogenannten Toten, wie wichtig war der Tod auf Golgatha nicht nur für die zeitgenössischen Menschen im physischen Leibe, sondern auch für die Seelen, die im Kamaloka oder Devachan waren. Symbolisch ausgedrückt wurde das so gesagt, daß der Christus auch heruntergestiegen ist zu denen, die in der anderen Welt waren: "niedergestiegen zur Hölle". Wichtig wird die große Prüfung der Spiritualität in unserem Jahrhundert sein für alle auf dem physischen Plan, wie auch für die auf dem geistigen Plan Lebenden, die sogenannten Toten.
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