Anhang 17:
Der Isenheimer Altar von Grünewald in Colmar
Hier wird eine Dia-Reihe der Altarbilder für das Antoniterkloster in Isenheim gebracht und besprochen, die Matthias Grünewald in den Jahren 1506-1515 ausgeführt hat. Zum Verständnis des Altars ist schon viel geschrieben worden, nicht zuletzt von namhaften Anthroposophen aus verschiedenster Sichtweise, wie Gottfried Richter, Elke Blattmann, Johannes von Rohen, Michael Schubert, Franziska Sarwey, Judith von Halle - den Aufsteller aus dem Raffael-Verlag in der Schweiz nicht zu vergessen. Das Folgende ist von ihnen nicht behandelt worden. Dem aufmerksamen Betrachter kann es erkennbar werden im Zusammenhang mit Rudolf Steiners zentralstem Anliegen, hier der ersten 'Stunde' der Ersten Klasse der Freien Hochschule am Goetheanum in Dornach, Schweiz (GA270). Dieser Bezug ist bei den genannten Schriftstellern nicht zu finden und soll hier aufgezeigt werden. Es muß vorausgeschickt werden, daß die Inhalte der Klassenstunden veröffentlicht sind und man heute öffentlich über diese Inhalte sprechen darf.
Zuerst seien die betreffenden Bilder gezeigt, die selbstverständlich nicht annähernd die originale Bildqualität erreichen:
Zu diesem ersten Bild, von dem nur die Mitte besprochen werden soll, ist zu sagen, daß man es am besten erfassen kann, wenn man es von der Empore des Kirchenraumes im Museum Unterlinden anschaut. Denn da zeigt sich deutlich, daß das Geschehen nicht einfach vor einem dunklen Hintergrund gezeigt wird, sondern daß dieser Hintergrund in einer Dreidimensionalität erscheint. Das Kreuz von Golgatha ist bekanntlich vor der Stadt Jerusalem, also auf einer Anhöhe, aufgestellt worden, die sich von der Schlucht des Kidronbaches bis zu den Stadtmauern hinaufschwingt. Matthias Grünewald stellt das Kreuz aber in einer Ebene dar, und der Fluß oder Bach hinter dem Kreuz verläuft leicht nach hinten links abschweifend. Der Bach ist mit hellen Einfassungssteinen abgegrenzt, und hinter ihm gähnt pure Dunkelheit, kein Licht, keine Sterne, einfach Nichts.
Nun war aber um 1500 nach Christus überall bekannt, daß Golgatha nicht in einer Ebene steht, und Matthias Grünewald war das selbstverständlich bewußt. Er muß also einen Grund gehabt haben, daß er das Geschehen in eine Ebene verlegt. Und da viele seiner Bilder symbolhafte Darstellungen zeigen, Allegorien, Sinnbilder oder wie immer man das nennen mag, ist meines Erachtens der einzige Schlüssel zum Verständnis dieser Darstellung ein esoterisches Symbol, das hier gezeigt wird. Der Bach ist ein Abgrund, vor dem das Mysterium gezeigt wird. Hinter dem Abgrund ist es schwarz.
Erinnert darf man sich fühlen an Rudolf Steiners erste Klassenstunde, wo er von dem Abgrund und der gähnenden Leere spricht, die sich hinter dem Abgrund dehnt. Und vor dem Abgrund spielt sich das Gezeigte ab. Rudolf Steiner spricht davon, daß da der Hüter der Schwelle steht, bei dem an jedes einzelnen Menschen Hüter gedacht werden kann (GA270/I,1). Bei dem Bild von Matthias Grünewald wird der Christus dargestellt, der auch als der 'große' Hüter der Schwelle bezeichnet wird - als der menschheitliche Hüter, der die Entwicklung der ganzen Menschheit begleitet (GA10+13).
Grünewald hat den Täufer zum Kreuz gesellt, obwohl der zum Zeitpunkt der Kreuzigung nicht mehr im physischen Leibe war. Er hat damit in das Bild gebracht, was in der bisherigen Menschheitsgeschichte die Umsetzung des soziologischen Grundgesetzes darstellt: "Er muß wachsen - Ich muß abnehmen!" - das heißen die lateinischen Worte, die über seinen rechten, weisenden Arm geschrieben sind: "illum oportet crescere me autem minui". Das heißt nichts anderes, als daß sich getrost minimiert sehen kann, was ohnehin schon groß genug ist: das alte Ego! Im Zurücktreten zeigt sich heute die wahre Größe des Großen. Und tritt es nicht von selbst zurück, darf an Bertold Brecht erinnert werden: "Groß bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine". D.h. die Größe kollektiver Strukturen macht im historischen Prozeß Platz für das freie Wachstum des Individuums.
Johannes der Täufer - die bis dahin reifste und älteste Seele macht Platz für das jüngste Prinzip des Menschen: das kosmopolitische "ICH", Das in den vorigen Seiten immer wieder gebrachte Bild für das Symbol dieses Tatbestandes sei darum hier noch einmal gebracht:
Die Betrachtung wird fortgesetzt und das erste Bild zu dem im Folgenden gezeigten Auferstehungsbild in Beziehung gesetzt, wo der ebenfalls nächtliche Himmel hinter dem Geschehen aber von einem leuchtenden Sternenhimmel geprägt ist.
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