II.3 Das zweite Golgatha-Geschehen im 20. Jahrhundert
In diesem Engelwesen erlitt Christus am Ende des 19. Jahrhunderts bis in das 20. Jahrhundert hinein eine Auslöschung seines Bewußtseins. Es gibt keinen Tod in der geistigen Welt, wie es ihn auf Erden gibt, wohl aber ein todähnliches Ereignis, die Auslöschung des Bewußtseins eine Geistwesens. S15 Das erfuhr Christus in der Ätherwelt als ein zweites Golgatha-Geschehen. Vergegenwärtigen wir uns: ein Engelwesen hat ein ganz anderes Bewußtsein als ein Mensch. Es ist viel umfassender, weil es nicht durch einen physischen Leib begrenzt ist, sondern die Bewußtseinsfähigkeit und die Weite eines ätherischen Leibes besitzt. Das Engelbewußtsein umspannt den Ätherleib der Erde. Es macht deshalb alles ätherische Geistgeschehen der Erde und der Menschheit wie sein eigenes mit. Durch dieses ätherische Engelbewußtsein ist auch Christus mit der Erde und der Menschheit verbunden. Dadurch kann er an der Erde und vor allem an der Menschheit geistig vollbringen, was er an ihr vollziehen will. Er will sie langsam durch eine neue Geistesoffenbarung einer Vergeistigung entgegenführen. Das konnte nur durch ein neues Opfer geschehen. Die Toten des 19. Jahrhunderts, so wird in dem Londoner Vortrag Rudolf Steiners: "Christus zur Zeit des Mysteriums von Golgatha und im 20. Jahrhundert" (GA152, 2.Vortrag) ausgeführt, die sich während ihres Erdenlebens nur mit materialistischen Gedanken und Empfindungen durchdrungen hatten, trugen die Gedanken in die Ätherwelt hinauf. Sie verdunkelten diese Welt. Das führte zu einer Auslöschung des Bewußtseins des Engelwesens. "Trotzdem, daß Christus in die althebräische Rasse kam und dort zum Tode geführt wurde, erlitt dennoch dieses Engelwesen, welches seitdem die äußere Form des Christus war, im 19. Jahrhundert eine Auslöschung des Bewußtseins als das Resultat der entgegengesetzten materialistischen Kräfte, die in die geistige Welt hinaufgekommen waren." Man ziehe hier auch die Verbindung zu den Doppelgängern der Menschen, welche sie an die Erde fesseln und damit materialistisch aufgeschlossen machen. Das hat immer auch eine kosmische Wirkung.
In dem großen Wendegeschehen, das sich vor 2000 Jahren in der Menschheit vollzog, als das Blut des Christus-Jesus vom Kreuz floß und sich mit der Erde verband, als der zu Staub zerfallene Leib des Christus-Jesus den Elementen der Erde übergeben wurde, einte sich Christus, der hohe Sonnengeist, mit der Erdenevolution. Die Erde nahm durch diese erhabene Opfertat den Keim eines neuen Sonnenwerdens in sich auf. Und da die Erde Leib der Menschheit ist, nahm diese den Keim einer neuen Evolution in sich auf. Seitdem ist Christus unlöslich mit der Menschheit verbunden. Er einte sich mit dem Schicksal der Menschheit. Er erleidet es als sein eigenes, freigewolltes Schicksal. Alles alte Karmawirken führte die Menschheit nach unten in die physische Erde. Christus führt als neuer Gestalter des Menschenschicksals wieder nach oben zu einem neuen Geisterleben. Damit begann die große Wende in der Entwicklung der Menschheit. Im Augenblick des Todes des Christus, S16 so berichtet das Evangelium, zerriß der Vorhang zum Allerheiligsten des Tempels, welches nur dem höchsten Priester einmal im Jahre offenstand. Mit dem Zerreißen des Vorhanges stand das Allerheiligste des Tempels, in dem sich die alten Einweihungen vollzogen, allen Menschen offen. Damit begann der Christusweg der Menschheit. Der Christusweg der Menschheit ist ein neuer Einweihungsweg, der durch Tod zur geistigen Auferstehung führt.
Christus, seit Golgatha unlösbar mit der Menschheit verbunden in ihren Seelentiefen, geht noch einmal, jetzt aber in der Menschheit, den Initiationsweg durch Tod zur Auferstehung. Zuerst führt er die Menschheit hinunter in das Tal des Todes, denn nur dort findet sie die Freiheit und das eigene Ich, das auferstehen soll. Alle sieben Leidensstufen macht er noch einmal in der Menschheit und mit der Menschheit durch: Die Fußwaschung in den ersten großen drei bis vier Jahrhunderten der christlichen Entwicklung. Die Geißelung durch die römischen Soldaten, als im vierten Jahrhundert das Christentum Staatsreligion im Römischen Reich wurde und dessen Geist begann, das Christentum zu durchdringen. Die Dornenkrönung, das Einpressen der schmerzenden Dornen in das Haupt des Christus, als der Arabismus und der religiöse Islam ins Abendland drang und vorzeitig den Intellekt zu bringen, bis im Konzil von Konstantinopel der Geist des Menschen überhaupt abgeschafft wurde. Die Kreuztragung hinauf zur Schädelstätte, als das intellektuelle Kopfdenken entstand, welches den Materialismus zeugte. Der Tod auf Golgatha, als dieser Materialismus im 19. Jahrhundert vorherrschend wurde in den Seelen der Menschen, die ihn hinauftrugen in die geistige Welt, um das zweite Golgatha, die Auslöschung des Christusbewußtseins in der ätherischen Welt zu bewirken. Und doch reifte in all diesem abendländischen Todeserleben die Frucht der Christustat im Beginne unserer Zeitrechnung heran: das eigene Denken, welches zum heutigen Selbstbewußtsein des Menschen führte und das immer mehr fähig wird, das Geistes-Ich des Menschen zu erkennen und dadurch zur Geburt zu bringen. Damit stehen wir auf der Stufe der Auferstehung, die sich nun in der Menschheit vollzieht.
Es ist etwas tief Erschütterndes, wenn man die Worte Rudolf Steiners liest: "Und das Eintreten der Bewußtlosigkeit in den geistigen Welten in der oben beschriebenen Weise wird die Auferstehung des Christus-Bewußtseins in den Seelen der Menschheit werden zwischen Geburt und Tod im 20. Jahrhundert" ("Christus im 20. Jahrhundert" GA152,2.Vortrag). Lassen wir diese so bedeutsamen Worte etwas länger in uns wirken: das Engelbewußtsein in der ätherischen Welt ist durchdrungen vom Christusbewußtsein. Durch die materialistische Verdunkelung dieser Welt erlischt das Christusbewußtsein im Engelwesen! Unwillkürlich S17 steigt in einem das Wort aus "Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge" (GA237) auf: "Niemals waren die Toten so mächtig, wie in unserer Zeit."
Es ist ein unsichtbares, aber gewaltiges Geschehen hinter dem Ablauf der äußeren Ereignisse, das unsere Zeit, den Menschen vollkommen unbewußt, bestimmt. Nach dem Erlöschen des Christusbewußtseins in der geistigen Welt beginnt gleichsam das Ertönen der letzten und stärksten Posaune aus der Apokalypse, welche das Erwachen des Christusbewußtseins im Menschen verkündet. Nicht des Christuserlebens, das war schon immer vorhanden, aber des Christusbewußtseins. Christus wandelt das ersterbende Engelbewußtsein in der ätherischen Welt, und es beginnt die Auferstehung des Christusbewußtseins im Menschen. Das ist das ganz Große, ja Gewaltige in unserer Zeit: Der Mensch wird fähig, Engelsgedanken, Geistgedanken zu denken auf Erden. Christusgedanken werden Menschengedanken. Und diese Gedanken tragen nicht nur Erkenntnislicht in sich, sie tragen die weltheilenden Kräfte der Christuswesenheit in sich. Mit der Auferstehung des Christusbewußtseins im 20. Jahrhundert strömen Heilkräfte in das Wort, durch das Wort, durch alles, was der christusdurchdrungene Mensch tut. Hygienischer Okkultismus kann sich nur beleben, wenn Christus im Menschen aufersteht. Das ist aber gerade das, was der Westen am dringendsten braucht.
Es beginnt ein lichteres Zeitalter: "Zweimal ist Christus schon gekreuzigt worden, das eine Mal physisch in der physischen Welt im Anfang unseres Zeitalters, und ein zweites Mal im 19. Jahrhundert, spirituell, in der oben beschriebenen Weise. Man könnte sagen, die Menschheit erlebte die Auferstehung seines Leibes in der damaligen Zeit; sie wird die Auferstehung seines Bewußtseins im 20. Jahrhundert erleben" ("Christus zur Zeit des Mysteriums von Golgatha und im 20. Jahrhundert" GA152). Damit vollzieht sich im 20. Jahrhundert ein gewaltiger Sprung in der Evolution der Menschheit. Man muß sich des Unterschiedes zwischen der Auferstehung im Leibe und der im Bewußtsein des Menschen klar sein, dann weiß man ohne jeden Zweifel, daß die Anthroposophie das Aufleuchten des neuen Christusbewußtseins in der Menschheit ist.
Denkt man diese Gedanken weiter, dann ist damit noch etwas Bedeutsames verbunden. Man kann sich fragen: Bleibt denn das Engelbewußtsein in der ätherischen Welt ausgelöscht? Wie soll man dann die ätherische Wiederkunft des Christus verstehen, die sich in einem Engelwesen in dieser Sphäre vollziehen soll? Ich glaube, es gibt darauf eine richtige Antwort. S18 Wenn die Gedanken, welche das sich heruntersenkende Christusbewußtsein im Menschen entzünden, zurückgespiegelt werden in die ätherische Welt, oder durch die Toten, welche sich erkennend mit dem Geist durchdrangen, hinaufgetragen werden in diese Bereiche, dann breitet sich dort wieder geistiges Licht aus. Und da das Engelbewußtsein diese ätherische Welt umspannt, erwacht es im Lichte dieser Menschengedanken zu einem neuen erhöhten, ätherischen Bewußtsein. Im Durchgang durch den Menschen werden diese Gedanken etwas anderes, als sie vorher waren.
Der Mensch nimmt die Geisterkenntnisse zunächst in sein abstraktes Denken auf, d.h. in sein erstorbenes Denken. Dadurch kann er sie in Freiheit aufnehmen; sie zwingen ihn zu nichts. Er muß sie von sich aus beleben, wenn sie wirksam werden sollen. Das kann er nur in der Aktivierung seines Denkens durch das Ich. Die Belebung spiritueller Gedanken aus dem Ich heraus verwandelt diese zu etwas Neuem, Stärkerem, Geformterem. Durch diese zurückgespiegelten oder hinaufgetragenen Gedanken erwacht das Engelbewußtsein in der ätherischen Welt auf höherer Stufe. Es wird dadurch, so möchte man sagen, erst das Instrument, das Wesen, durch welches der ätherisch wiederkommende Christus für die Zukunft der Menschheit wirken kann. So führt das Auferstehen des Christusbewußtseins im Menschen zu einer Auferstehung des Christusbewußtseins in der Menschheit und die ätherische Wiederkunft des Christus. Es ist ein alles überragendes und durchdringendes Ereignis, das wichtigste nach dem Mysterium von Golgatha: "Das tiefste Geheimnis der Zeit, in welcher wir leben, ist die ätherische Wiederkunft des Christus" (Karlsruhe, 25.1.1910 GA118,1.Vortrag).
In dieses Ereignis ist der geisterkennende Mensch eingeschaltet, und zwar durch den Eingeweihten, der imstande war, die von Christus durchdrungene kosmische Engelweisheit, die Initiationserkenntnis in sich aufzunehmen: "Im gewissen Sinn kann man voraussagen, daß vom 20. Jahrhundert das, was der Menschheit verloren gegangen ist an Bewußtsein, sicherlich herauskommen wird für das hellseherische Bewußtsein." Er war der erste Mensch, in dem das neue Christusbewußtsein auf Erden aufleuchtete, und der es gewandelt zurückgeben konnte, schon während seines Erdenlebens und nach seinem Tode: "Daher dürfen wir das,, was wir als Geisteswissenschaft erhalten haben, auffassen als lebendige Christusoffenbarung" ("Der Baum des Lebens und der Baum der Erkenntnis" viele Stellen in der GA).