Anthroposophie        =           Dreigliederung

Impuls - Reaktion - Inkarnation   1919 - 1969 - 2019    Geschichte - Quellen - Material

Drittes Kapitel

Die moralische Problematik der Gegenwart


(S179)     Die Entfaltung der Geisteswissenschaft im ganzen und ihrer Lehre von den kosmischen Mächten des Guten und des Bösen im besonderen, wie sie seit dem Beginn unseres Jahrhunderts im geistesforscherischen Wirken Rudolf Steiners stattgefunden hat, steht im genauesten Zusammenhang mit dem Fortgang, den die Menschheitsentwicklung seither genommen, genauer: mit dem tiefgreifenden Umbruch, der innerhalb derselben seit der letzten Jahrhundertwende sich vollzogen hat. Daß der Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert eine der gewaltigsten Umwälzungen in der menschlichen Geistesentwicklung bezeichnet, wird heute schon allgemein anerkannt. Es genügt hier, einige der Symptome zu erwähnen, in denen diese sich angekündigt hat: die Entstehung der Quanten- und der Relativitätstheorie sowie die Entdeckung der Radioaktivität, welche den seither erfolgten "Umsturz im Weltbild der Physik" (E.Zimmer) und die Entwicklung der Kernphysik eingeleitet haben; die Geburt der Psychoanalyse, aus welcher die heute zu einer vielverzweigten Strömung angewachsene Tiefenpsychologie hervorgegangen ist, die durch die Erforschung des Unbewußten eine neue Epoche der Seelenwissenschaft eröffnet hat; in der Kunst der Umschlag von Impressionismus zu Expressionismus und Kubismus, die in ihrer Fortentwicklung zur abstrakt-ungegenständlichen und surrealistischen Kunst einen radikalen Bruch mit jahrtausendealten künstlerischen Traditionen vollzogen haben; in der Technik die Verdrängung der Dampfkraft durch die Elektrizität; im Verkehr das Aufkommen des Automobilismus und des Flugwesens; in der Politik die Zerstörung des bis dahin die Welt beherrschenden europäischen Großmächtesystems durch die beiden Weltkriege, die die Begründung des russischen Kommunismus, den Aufstieg Amerikas zur Führungsmacht der westlichen Welt und die Emanzipation der farbigen Völker aus der Kolonialherrschaft der Weißen zur Folge hatte; auf geistig-religiösem Gebiet endlich die Wiedererstarkung des Katholizismus und der breite Einbruch orientalischer Geisteswege und Schulungspraktiken in die abendländische Kultur. In all diesen verschiedenartigen Tatsachen kommt zum Ausdruck, daß die Menschheit seither im Überschreiten einer Schwelle (S180) begriffen ist, welche identisch ist mit derjenigen, die die physisch-sinnliche Welt von der geistig-übersinnlichen trennt. Das bedeutet, daß die ganze Menschheit durch einen Prozeß hindurchgeht, der insofern eine "unbewußte Einweihung" genannt werden kann, als er, wenn er bewußt durchlaufen würde, eine Initiation darstellte. Sie erscheint nämlich viel unmittelbarer und heftiger in ein Spannungsfeld von Kräftewirkungen geistig-kosmischer Mächte hineingeraten, als dies in der abgelaufenen Epoche der Fall war. Bewußt kann diesen Prozeß nur der Einzelne als solcher, und das heißt durch entsprechende innere Bemühungen, durchlaufen. Und wenn Steiner den Weg zu einer neuen zeitgemäßen Einweihung eröffnet hat, so bedeutet das im Grunde nichts anderes, als daß er es dem Einzelnen möglich gemacht hat, mit vollem Bewußtsein das zu durchleben, was un- oder halbbewußt heute die Menschheit im ganzen durchmacht.
   Mit all dem ist nun aber verknüpft, daß nicht nur die ahrimanische Macht die Menschheit seither noch viel stärker ergreift, als dies bis zum Ende des 19. Jahrhunderts der Fall war, sondern auch die luziferische die Möglichkeit zu einem erneuten Einwirken erlangt hat, wie sie für sie in den letzten Jahrhunderten nicht bestanden hatte. Hierin liegt der Grund, warum innerhalb der von Rudolf Steiner begründeten Initiationswissenschaft die Zweiheit dieser Mächte in solcher Weise enthüllt worden ist und werden mußte, wie es durch sie geschehen ist.
   Es ist dies alles bedingt durch den Exkarnationsprozeß der Menschheit überhaupt, der heute in seinen ersten Anfängen beginnt, als Gegenvorgang zu ihrem Inkarnationsprozeß, wie er in der Urzeit (lemurische Epoche) stattgefunden hatte bzw. zum Abschluß gekommen war (Siehe das Schema der gesamtirdischen Menschheitsentwicklung auf Seite 304 des ersten Bandes). Denn immer und überall, wo es sich um Loslösung vom Irdisch-Physischen in irgend einer Form handelt, da entsteht die Möglichkeit für ein Eingreifen der luziferischen Macht. Heute handelt es sich um die Frage, ob dieses Sichloslösen in solcher Weise geschehen soll, daß der Mensch auf der Erde alles das zurückläßt, was er sich auf ihr im Laufe seines Erdenwerdens errungen hat, um als derselbe in die geistige Welt zurückzukehren, als der er einstmals das Erdensein betreten hatte. Die wichtigste Frucht aber seines Erdenwerdens ist sein Ichbewußtsein und die in diesem begründete Freiheit, soweit er beide eben bis heute zur Reife bringen konnte. Blieben diese bei seinem Übertritt über die Schwelle der geistigen Welt auf Erden zurück und gingen ihm also verloren, so wäre seine Erdenentwicklung umsonst gewesen. Sie hätte kein Ergebnis gezeitigt. Dies ist aber gerade das, was Luzifer erstrebt. Er möchte ja den Menschen zu einer vorirdischen Entwicklungsstufe (S181) zurückführen, auf ein vorirdisches Daseinsniveau herabdrücken. Damals, als er im Beginne des Erdenwerdens den Menschen von seiner Führung durch die guten Götter losriß, blieb dieses Ziel noch verborgen, da der Mensch die eigentliche Erdenstufe seines Werdens zu betreten sich ja erst anschickte. Als Wirkung bemerkbar wurde nur sein Selbständigwerden gegenüber den guten Göttern. Heute, da er bereits in die Endphase seines Erdenwerdens eingetreten, da die Freiheit als Erdenfrucht in ihm im vollen Ausreifen begriffen ist, tritt das letzte Ziel Luzifers überhaupt erstmals in die Sichtbarkeit; denn jetzt steht es im schärfsten Gegensatz zu dem, was dem gegenwärtigen Moment der Entwicklung entspricht. Wir sehen daher, wie in der weltgeschichtlichen Konstellation, die seit 1900 eingetreten ist, die luziferische Macht alle Anstrengungen unternimmt, die Loslösung des Menschen vom Leiblichen in solcher Weise zu bewirken, daß hierbei sein Ichbewußtsein abgedämpft oder ausgelöscht wird und er seine freie Selbstbestimmung verliert.
   In diesen Zusammenhang gehört fast alles hinein, was seit einigen Jahrzehnten an altorientalischen Praktiken geistiger Schulung (Yoga, Zen-Buddhismus, Taoismus usw.) das Abendland in breitem Strom überschwemmt (Eine Ausnahme hiervon bildet der integrale Yoga Shri Aurobindo's). Denn all dies stammt aus Zeiten und aus Zusammenhängen, in denen das irdische Ichbewußtsein des Menschen für das Erleben geistiger Welten nur ausgelöscht, aber noch nicht in ein höheres, geistiges umgewandelt werden konnte. Diesem Einfluß ist auch zuzurechnen - und damit kommen wir auf an früherer Stelle schon Besprochenes vom jetzigen Gesichtspunkt aus zurück -, was unmittelbar in Europa selbst innerhalb des Katholizismus in Auswirkung des 1870 verkündeten Unfehlbarkeitsdogmas geschehen ist; denn dieses Dogma richtet sich, wie schon früher bemerkt, aufs schärfste gegen jenes Ausreifen der menschlichen Freiheit, das dieser für unsere Epoche bestimmt ist. Auf dem Wege, der durch dieses Dogma eingeschlagen wurde, ist inzwischen ein weiterer Markstein im Jahre 1950 mit der Verkündigung des Dogmas von der leiblichen Aufnahme Mariä in den Himmel gesetzt worden. Denn abgesehen davon, daß diesem Dogma gegenüber - das Pius XII. kraft seiner Unfehlbarkeit allein verkündete - der Gläubige sein Denken völlig zum Stillstand bringen muß und nur eine glaubensmäßige Unterwerfung vollziehen kann, wird durch die Art, wie mit diesem Dogma die Gestalt der Maria zum Urbild des entsündigten Menschen proklamiert wird, diejenige Erscheinungsform des Menschen, die das Vorwalten nicht der Individual-, sondern der Gattungskräfte symbolisiert: das Weib, zum Idealbild desselben erhoben. Wir haben an früherer Stelle bereits hervorgehoben, daß selbstverständlich auch die politischen Diktatursysteme des Faschismus und Kommunismus, die unser Jahrhundert mit sich gebracht hat, als eine der in (S182) ihnen wirksamen Kräftekomponenten das Einwirken derselben kosmischen Macht offenbaren.
   Nun ist aber die Schwelle, welche die Menschheit in dem heute beginnenden Exkarnationsprozeß überschreitet, eine zweifache, - wie das ja auch von jedem individuellen menschlichen Erdentode gilt. Das Seelisch-Geistige löst sich im letzteren Falle vom Leiblichen los und erhebt sich in die geistig-übersinnliche Welt. Eben dadurch überschreitet aber zugleich auch der menschliche Leib eine Schwelle: denn indem das Seelisch-Geistige und mit diesem auch die Lebensbildekräfte ihn verlassen, geht er aus dem Zustande der Beseeltheit und Lebendigkeit über in denjenigen des Entseeltseins, der Leblosigkeit. Er wird zum Leichnam und als solcher ein Bestandteil der anorganisch-mineralischen Welt. Innerhalb derselben löst sich die Form, die ihm vorher eigen war, in kurzer Zeit auf. Wir haben es heute zwar keineswegs mit einem Sterben der Menschheit zu tun - im Gegenteil: eine Zunahme der Erdenbevölkerung wie nie zuvor ist im Gange -, aber mit einem Prozeß, der doch, in sehr abgeschwächtem Maße, dem Vorgang des Sterbens verwandt ist: einer stärkeren Verselbständigung des Leibes gegenüber dem Geistig-Seelischen, die zugleich eine erhöhte Verfestigung desselben bedeutet. Hierbei ist nun Ahrimans Bestreben, das "Polster" der Lebensbildekräfte, das die menschliche Seele, während sie im Leibe verkörpert ist, von den in diesem sich abspielenden partiellen Sterbeprozessen bisher noch bis zu einem gewissen Grade getrennt hielt, gleichsam immer mehr zu durchlöchern und dadurch das Seelisch-Geistige unmittelbar in die Abbau- und Verhärtungsprozesse des Leibes hinuntersinken zu lassen und es an sie zu fesseln. Zum Ausdruck kommt dieses verstärkte Eingreifen Ahrimans in erster Linie darin, daß das menschliche Denken seither in noch viel höherem Grade, als es bis dahin schon der Fall war, eine atomistisch-mechanistische, rein quantitativ-mathematisierende Begriffsbildung und Vorstellungsweise ausgebildet hat. Dies hatte zur Folge, daß es seit der letzten Jahrhundertwende durch die oben erwähnten Entdeckungen, die zur Entstehung der heutigen Kernphysik führten, in die Prozesse des Zerfalls der Materie als solcher einzudringen vermochte. Entdeckungen treten nie zufällig in bestimmten Zeitpunkten auf, sondern zeigen bestimmte Vorgänge an, die sich in der Menschheit abspielen. Daß diese seit dem genannten Zeitpunkt der Zerfallsprozesse der äußeren Erdenmaterie gewahr wurde und sich ihrer begrifflich bemächtigte, war ein Zeichen dafür, daß sie mit ihrem Denken völlig in die Zerfallsprozesse der äußeren Erdenmaterie gewahr wurde und sich ihrer begrifflich bemächtigte, war ein Zeichen dafür, daß sie mit ihrem Denken völlig in die Zerfallsprozesse des Nervensystems eingetaucht war und sich ganz mit diesen durchsetzt hatte. Drei Jahrzehnte später hatte sie bereits gelernt, auch selbst "Atome zu spalten", das heißt Materie künstlich zum Zerfall zu bringen. Dies führte während des zweiten Weltkriege zur Konstruktion der Atombombe. Welche Macht die Gewalten der Zerstörung dadurch über die Menschheit erlangten, das zeigte der erste (S183) Einsatz dieses Massenvernichtungsmittels, der 1945 ohne militärischen Notwendigkeit gegen Japan erfolgte. Der zweite, der wenige Tage später Nagasaki traf, richtete sich schon gar nicht mehr gegen Japan, sondern war als bloße Demonstration der Machte gegen Rußland gemeint, - eine Demonstration, der bedenkenlos weitere zahlreiche Tausende von Menschen zum Opfer gebracht wurden. Die allgemeine Atomrüstung, die seither eingesetzt hat, mit ihren Versuchsexplosionen, welche die Gesundheit gegenwärtiger und künftiger Generationen über die ganze Erde hin schädigen, und ihrer Drohung eines Atomkrieges, welcher die weitgehende Vernichtung der physischen Existenz der Menschheit überhaupt bedeuten würde, ist ein weiteres Symptom für den Druck der Zerstörungsgewalten, der heute auf der Menschheit lastet. Zu diesen Tatsachen, die nur die allermarkantesten Zeichen des Ansturms der ahrimanischen Mächte gegen die Menschheit unseres Jahrhunderts sind, kommen aber viele weitere hinzu. So zum Besipiel die Konstruktion der "Elektronengehirne". Zwar werden dadurch Denkprozesse - freilich solche rein quantitativ-mechanischer Art - dem Menschen abgenommen und der Ausführung durch Maschinen übergeben; gerade dadurch aber wird das Denken der Menschen, welche diese Maschinen bedienen, das heißt mit Aufgaben "füttern", noch ausschließlicher in die Bahn des - von allen moralischen und sonstigen menschlichen Qualitäten "gereinigten" - rein Quantitativ-Mechanischen gedrängt. Hierdurch ist auch die technische Eroberung der außerirdischen Welt bedingt, die seit kurzem im Gange ist. Zwar war für das menschliche Denken schon durch Newtons "Himmelsmechanik" die Sternenwelt zu einem bloßen "Räderwerk" erstorben. Die auf die Spektralanalyse begründete Astrophysik des 19. Jahrhunderts verwandelte sie dann auch für das menschliche Fühlen und Empfinden in eine Welt rein materieller Körper, die sich in nichts von der Erde unterscheiden. Heute zieht die Menschheit aus all dem die willensmäßige Konsequenz, indem sie diese Welt mit den Mitteln einer in Phantastische gesteigerten Technik auch ihrem Willen zur Macht und Herrschaft unterwirft. So trägt das, was rein irdisch-materiellen Wesens und Ursprungs ist, Schritt für Schritt seinen Angriff gegen das Außerirdisch-Himmlische vor. Es ist dieses ganze Geschehen aber nur das auf den Makrokosmos bezügliche Gegenbild zu dem, was während derselben Zeit schrittweise innerhalb des Menschen, des Mikrokosmos, als das Hereinzerren seines Seelisch-Geistigen, das heißt seines astralisch-sternenhaften Wesenselementes in seine irdisch-materielle Leiblichkeit und in die in ihr sich abspielenden Zerstörungsprozesse stattgefunden hat.
   In diesen Zusammenhang gehören auch Erfindungen wie die des Radios und der Television hinein. Denn sie bewirken eine immer stärkere Veräußerlichung des Seelenlebens, indem sie dieses durch eine ständige Überschüttung mit Sinneswahrnehmungen ganz an die Sinnesorganisation fesseln und zu (S184) völliger innerer Passivität verurteilen. Dadurch wird es nicht nur süchtig nach immer neuen Sinnesreizen, sondern verlangt, infolge eintretender Abstumpfung, deren sogar immer stärkere, und fühlt sich in den Pausen ihres Nichtvorhandenseins wie in den Abgrund des Nichts versinken. Eine ähnliche Wirkung, nur unmittelbar auf den Willenspol bezüglich, erzeugt die automobilistische und aeronautische Motorisierung unserer Zeitgenossen: durch eine Aktivität, die aber nur eine scheinbare ist - denn nicht der Mensch bewegt sich, sondern der Motor, an dem er sitzt - werden sie in den Rausch eines immer schnelleren Sich-durch-die-äußere-Welt-Hindurchbewegens versetzt, in dem sie völlig sich selbst verlieren und nicht weniger in innere Passivität versinken. Die letztgenannten Phänomene sind zugleich Erscheinungen eines anderen Hauptprozesses, der in unserem Jahrhundert einem Kulminationspunkt zustrebt: es ist das schon früher erwähnte Verfallen des Menschen an die Wünsche und Begierden, welche das Wirtschaftsleben - unter dem Zwang zum Absatz seiner ins Grenzenlose sich expandierenden Produktion - heute mit den raffiniertesten Methoden psychologischer Beeinflussung ständig in ihm aufpeitscht und heranzüchtet. Auch dadurch versinkt das Seelisch-Geistige des Menschen heute immer tiefer in die Wirkenskräfte einer rein materiell-mechanischen Welt: in diesem Fall der technisch-industriellen Produktionsapparatur.
   Des ferneren wäre zu erwähnen, wie durch die Landwirtschafts- und Nahrungsmittelchemie sowie durch die Pharmakologie von heute die Lebens-, Genuß- und Heilmittel immer mehr mit mineralisch-synthetischen Substanzen und Giftstoffen durchsetzt, ja aus solchen hergestellt werden. Es kann dies alles bildhaft dahin zusammengefaßt werden, daß die Menschheit - unter der Inspiration Ahrimans - heute bereits in dem Unternehmen mitten drinnensteht, aus Steinen Brot zu machen. Hierdurch werden heute zwar viele Krankheiten bezwungen und unzählige Leben erhalten und verlängert, aber die innere Mineralisierung und Verhärtung der menschlichen Leiblichkeit überhaupt zugleich weitergetrieben. In dieser der heutigen Medizin zu verdankenden allgemeinen Lebensverlängerung liegt eine der Ursachen für die rapide Zunahme der Erdenbevölkerung in unserem Jahrhundert. Eine andere liegt in der gewaltig gesteigerten Produktivität des Wirtschaftslebens sowohl auf landwirtschaftlichem wie auf industriellem Gebiete. Eine dritte darf vielleicht darin gesehen werden, daß durch die erhöhte Wirksamkeit der ahrimanischen Mächte zahlreiche Seelen früher in eine neue Erdeninkarnation herein- und herabgezogen werden, als es ihren eigenen Schicksalsbedingungen entpräche. In diesem Zusammenhang ist schließlich auf die Wandlung hinzuweisen, welche unter dem Einfluß des Darwinismus und der Psychoanalyse die allgemeine Lebensauffassung und Lebenshaltung erfahren hat. An Stelle der durch die Nachwirkung einer älteren, christlichen (S185) Morallehre verursachten Triebverdrängungen, die noch das bürgerliche 19. Jahrhundert kennzeichnete, ist heute, im Zeitalter der Luft- und Sonnenbäder, der Nacktkultur, der befreiten Sinnlichkeit, viel von dem in die Praxis umgesetzt worden, was wir oben als die ahrimanische Verführung in die Worte kleideten: "Ihr werdet sein wie die Tiere und kein Gut und Böse mehr kennen."
   So ergibt sich für die Gegenwartslage der Menschheit das Gesamtbild, daß diese in einem Maße wie nie zuvor gleichzeitig von luziferischer und ahrimanischer Verführung in deren mannigfaltigsten Spielarten und Erscheinungsformen bedroht ist. Diese Verführung zielt dahin einerseits ihr Interesse an der Erde zu ertöten und ein egoistisches Streben nach persönlicher Glückseligkeit in ihr zu entzünden, das in einer höheren, jenseitigen Welt eine Erfüllung auf Ewigkeit erwartet, andererseits sie ganz an die Erde zu ketten und sie im Kampf aller gegen alle, der durch den rücksichtslosen Machtwillen ihrer einzelnen Iche entfesselt wird, in die Zerstörung dieser Erde mit hineinzureißen, während ihr gleichzeitig die Aufrichtung eines irdischen Paradieses des sinnlichen Glückes und des materiellen Überflusses vorgegaukelt wird. Vergegenwärtigt man sich, daß zur selben Zeit, da das Dogma von der leiblichen Aufnahme Mariä in den Himmel verkündet wurde, die ersten Schritte unternommen worden sind zur Eroberung der außerirdisch-planetarischen Welt mit den Machtmitteln der erdgeborenen Technik, so hat man in zwei signifikanten Erscheinungen die Gegensätzlichkeit dieser zweifachen Verführung vor Augen. Würde der Mensch der einen folgen, so ließe er die Erdennatur unerlöst unter sich zurück und verwandelte sich in einen unvollkommenen Engel, - folgte er der anderen, so verfiele er der Erdennatur, sänke zum Tier herab und stürbe zuletzt mit in den Tod hinein, dem die Erde, ohne durch ihn verwandelt zu werden, anheimfallen müßte.
   Diese Gefahren können nur gemeistert werden durch eine Neugeburt des Christentums, - eine Neugeburt, welche den Christus als die Wesenheit erfassen lehrt, die durch ihren Eintritt in das Erdensein den Menschen sowohl der einen wie der andern dieser Verführungen standzuhalten befähigt.
   Indem er es dem Menschen ermöglicht, sein niederes Ich - durch das "Stirb und Werde" - in ein höheres zu verwandeln bzw. aus seinem niederen Ich ein höheres herauszugebären, rettet er die Frucht des Erdenseins: die Ichheit für die Geistwelt und läßt den Menschen als freies Wesen in die Geistwelt wieder eintreten. Dadurch entreißt er die Ichheit der Vergänglichkeit und dem Tode und erweckt sie zu einem unvergänglichen Leben. Aus der Kraft dieses Lebens heraus vermag der Mensch dem Erdensein geistige Zukunftskeime einzupflanzen, die es dereinst in neuer, vergeistigter Gestalt - als das neue, himmlische Jerusalem des Apokalyptikers wiedererstehen lassen.
   Das bedeutet aber, daß der Christus innerhalb dieses erneuerten Christentums in neuer, anderer Art gesehen (S186) werden muß, als es bisher der Fall war. Lagen die markantesten, bestimmenden Züge seines bisherigen Bildes - soweit es das Bild des Gottmenschen geblieben ist - einerseits in seiner jungfräulichen Geburt, andererseits in der Überwindung des Todes durch seine Auferstehung - also im Weihnachts- und Ostermysterium -, so werden diejenigen seines neuen Bildes darin gesehen werden müssen, daß er als die Verkörperung des Urguten dem Menschen die geschilderten zwei Gestalten des Bösen zu überwinden ermöglicht. Das heißt aber, daß, wenn bisher der Blick fast ausschließlich auf ihn allein als den Heiland und Erretter der Menschheit gerichtet gewesen ist, heute sein Bild ergänzt und vervollständigt werden muß durch den Blick auf das zweifache Böse, von dem er diejenigen errettet, die sich mit ihm verbinden. Nur dadurch wird man gewahr, worin denn das Gute, das er repräsentiert, eigentlich besteht, und nur dadurch bekommt der Begriff des "Christlichen" überhaupt wieder einen bestimmten, spezifischen Inhalt. Dieser ist ihm im Lauf der bisherigen Geschichte des Christentums immer mehr verloren gegangen. Namentlich der Protestantismus hat den Begriff des Christus, soweit er ihn nicht überhaupt preisgegeben und sich in eine bloße Verehrung Jesu, des "schlichten Mannes aus Nazareth", verwandelt hat, immer mehr demjenigen des alttestamentlichen Jahve angenähert, ja fast ganz mit diesem identifiziert. Heute ist Christus für viele mit "Gott" schlechthin eins geworden, und dieser christliche Gottesglaube unterscheidet sich, wenn man von den überlieferten Kultgebräuchen absieht, in nichts mehr von demjenigen, der auch von andern Religionen gelehrt wird. Und so ist es bezeichnend, daß kürzlich Karl Jaspers (in seinem Buch "Die Atombombe und die Zukunft der Menschheit",S356) im Namen der "Redlichkeit" den christlichen Kirchen die Preisgabe alles dessen vorgeschlagen hat, was spezifisch christlich ist: "Vielleicht werden heute vergeblich von Theologen festgehalten: die Menschwerdung Gottes in Christus, die spezifischen Dogmen der Trinität, die Gesetzlichkeit absurd gewordener Verpflichtungen, der Anspruch einer spezifisch christlichen, von indischer und chinesischer wesensverschiedenen und über sie den Vorrang heischenden Offenbarung und vieles andere. Sie scheinen mit einem gewaltsam anmutenden Trotz - genährt von der Kierkegaardschen dialektischen Begrifflichkeit des Absurden - von Theologen noch bewahrt. Sie müßten fallen, wenn sie in der Tat nicht mehr lebendig, Existenz gründend, geglaubt werden. Der Verzicht auf das nicht wirklich Geglaubte ist Bedingung dafür, daß die Kraft biblischen Glaubens wieder durchzubrechen vermöchte: in der Wirklichkeit Jesu, des revolutionärsten Menschen, in den Zehn Geboten und in der Chiffer des Sinai..." Auch hier also eine Rückkehr zum Jahveglauben des Alten Testaments unter völliger Preisgabe des Christusbegriffs. Wenn diesem Vorschlag auch zweifellos zugebilligt werden muß, daß er der intellektuellen Redlichkeit eines auf dem Standpunkt moderner Wissenschaftlichkeit Stehenden entsprang, so zeigt er aber doch zugleich, wie weit diese Wissenschaftlichkeit (S187) entfernt ist von einer Einsicht in den inneren Gang der Menschheitsgeschichte, ja in deren wesenhafte Realität überhaupt; sonst könnte nicht in dieser Art der christlichen Offenbarung der Vorwurf gemacht werden, daß sie über die des Inder- und des Chinesentums den Vorrang erheische. Pflegt man es doch auch einem älter gewordenen Menschen nicht zum Vorwurf zu machen, daß er in seiner Schätzung für sein jetziges Alter denjenigen Erkenntnissen und Idealen, die ihm in seiner Lebensmitte aufgegangen sind, den Vorrang gibt gegenüber jenen, die ihm in seiner Kindheit zuteil wurden. Denn damit ist doch nicht das Geringste gesagt gegen die Bedeutung, welche die letzteren für die Kindheitsstufe gehabt haben. Jede Stufe der Entwicklung bedarf ihrer besonderen Offenbarung, - und dem Christentum seine Besonderheit absprechen wollen, heißt nichts anderes als den realen Wandlungsprozeß leugnen, durch den die Menschheit in der Geschichte hindurchgeht.

   Diesen Wandlungsprozeß verneint allerdings auch, wer die christliche Offenbarung selbst mit derjenigen Form derselben für abgeschlossen hält, in der sie am Beginn unserer Zeitrechnung erfolgt ist. Mir ihr wurde, wie hier schon öfter geschildert, eine Saat in den Acker des Menschheitswerdens gestreut, die, wenn die Zeit ihres Aufgehens gekommen ist, in einer anderen Gestalt sich entfaltet, als diejenige war, in der sie damals in den Boden versenkt wurde. Diese andere Gestalt ist bedingt durch die Gesamtkonstellation, in welche die Menschheitsentwicklung in dieser Zweit eingetreten ist. Diese Konstellation ist aber diejenige, die im Eingang dieses Kapitels skizziert worden ist. Sie hat, da in ihr die Freiheitsentwicklung ihre Kulmination erreicht hat, die von dieser untrennbare Frage nach der Entscheidung zwischen Gut und Böse zur dominierenden des menschlichen Lebens werden lassen. Von dieser Frage muß daher auch die Gestalt ihre Prägung erhalten, in der die christliche Offenbarung in der Gegenwart sich erneuert. Das bedeutet aber, daß diese zur Offenbarung des Guten und des Bösen wird in der Form, in der diese für die heutige Menschheit gültig sind. Und dies wiederum heißt, daß ihr Inhalt neben dem Bilde des Guten auch dasjenige des Bösen umfassen muß.
   Daß uns heute die Forderung erwachsen ist, im Zusammenhang einer Klärung der moralischen Problematik nicht nur das Gute, sondern auch das Böse zum Gegenstand unserer Untersuchung zu machen, wird dort schon empfunden, wo man sich bemüht, diese Problematik in der Form zu erfassen, in der sie innerhalb der heutigen Menschheit auftritt. So schreibt zum Beispiel ein Vertreter der Tiefenpsychologie, Friedrich Seifert, in seiner Abhandlung über "Psychologische Aspekte des Problems von Gut und Böse":
"Die herkömmliche Ethik sah ihre Aufgabe in erster Linie in der Bestimmung dessen, was als sittlich gut zu gelten habe. Die ethische Reflexion war ganz wesentlich, wenn nicht ausschließlich auf das Positive hinorientiert - eben auf die Frage: was ist gut? Das war der Punkt, um den alles kreiste, ungeachtet der großen (S188) übrigen Unterschiede innerhalb der ethischen Auffassungen. Ob man etwa im Sinne einer formalistischen Ethik den sittlichen Wert nur auf das Normgemäße einer Willensentscheidung oder einer begangenen Tat zurückführte, oder ob man vom Standpunkt einer materialen Wertethik aus das sittlich Geforderte an bestimmte aufweisbare Inhalte zu heften versuchte - immer war das Ziel der Erkenntnisbemühung das Gute, niemals sein dunkles Gegenstück.
   Die Impulse dagegen, die von der Tiefenpsychologie ausgingen, drängten mächtig zur andern Seite hin, sie suchten den Gegensatz zum Guten, seinen dunkeln "basso ostinato", mit einzubeziehen. Alles, was die Tiefenpsychologie in ihrem Entwicklungsgang der letzten fünf bis sechs Jahrzehnte an empirischen Beobachtungen gesammelt hatte, ließ es unerklärlich erscheinen, sich nicht nur mit der Frage nach dem Guten, dem Rechten, der Tugend, dem sittlich Wertvollen und Verpflichtenden, sondern ebenso eindringlich auch mit der nach dem Bösen, dem Inferioren, dem Unwert, dem finsteren Untergrund der Menschenseele zu befassen. Es war, als ob erst jetzt zum Bewußtsein käme, wie wichtig es ist, nicht nur um das Lichte, sondern auch um das Dunkle, nicht nur das Engelhafte, sondern auch um das Teuflische zu wissen und sich damit zu konfrontieren. Die eminente Bedeutung, zu der in der Psychologie von C.G.Jung der Begriff des 'Schattens' gelangt ist, kann als exemplarisch in diesem Zusammenhang gewertet werden. Vielleicht ist die Frage des Bösen gerade deshalb zu einem der zentralen Probleme unserer Zeit geworden, das uns in allen Bereichen unseres heutigen Daseins anspringt und zu überwältigen droht, weil sich die ethische Ideenbildung der Vergangenheit zu wenig um seine Wirklichkeit und Bedeutsamkeit gekümmert hatte"
(Gut und Böse in der Psychotherapie. Ein Tagungsbericht, herausgegeben von Dr.W.Bitter,1959,Stuttgarter Gemeinschaft "Arzt und Seelsorger",S8ff).
   Die Tiefenpsychologie beschäftigt sich freilich mit diesem Problem nur vom psychologischen und psychotherapeutischen Gesichtspunkt aus. Hier handelt es sich um den geisteswissenschaftlichen Aspekt der Frage, weil nur vom Boden der geisteswissenschaftlichen Forschung aus über die kosmischen Mächte des Guten und des Bösen in einer dem Gegenwartsbewußtsein angemessenen Weise gesprochen werden kann. Und da ist zum Abschluß dieses Kapitels noch auf das Folgende hinzuweisen:
   Wenn heute jeder einzelne Mensch der doppelten Gefahr einer luziferischen und einer ahrimanischen Verführung ausgesetzt ist, so bedeutet dies für ihn nicht eine bloße Addition der Gefahren, die früher auf verschiedene Strömungen der Gesamtmenschheit verteilt waren, und demgemäß auch nur eine entsprechende Addition von Verhaltungsnormen, die ehemals jeweils nur für einen Teil der Menschheit galten. Dadurch vielmehr, daß das Gute, (S189) dessen Wirksamkeit in vorchristlicher Zeit ebenfalls als ein zweifach-gegensätzliches auf die verschiedenen Teile der Menschheit verteilt war, durch die Taufe am Jordan und den Tod auf Golgatha in die Menschheit eingezogen ist und seither als ein einheitliches im Menschen wirkt, haben sich auch die Bedingungen für das Verhalten gegenüber dem zweifachen Bösen grundlegend gewandelt. Wir erwähnten im vorangehenden Kapitel, wie es der nördlichen Strömung, die in Ahriman das Böse sah, eigentümlich war, dieses zu bekämpfen, und zwar in der äußeren Welt, weil sie es in dieser als den Herrn der Finsternis und der Lüge, des Chaos und des Todes wirken sah. Die südliche Strömung dagegen, da sie in Luzifer das Böse erblickte, das sich der Seele von innen her zu bemächtigen sucht, lehrte ihre Angehörigen, alles zu unterlassen und zu meiden, was in ihr die Neigung zur Sünde erwecken kann. Von daher haben sich bis heute noch immer diese beiden Haltungen gegenüber dem Bösen erhalten. Wir sehen vielfach die Menschen das, was sie als das Böse betrachten, in der äußeren Welt bekämpfen, im Glauben, nicht ruhen zu dürfen, bis sie es völlig niedergeschlagen und bis in die Wurzel hinein vernichtet haben. Und wir sehen in nicht wenigeren Fällen, wie Menschen durch strenge Enthaltsamkeit, Askese, ja Flucht vor dem, was ihnen als das Böse erscheint, diesem zu entkommen suchen. In den einen wirkt ein Verhalten fort, das seinen Ursprung in der ehemals nördlichen Strömung hatte und gegenüber Ahriman betätigt wurde, - in den andern dasjenige, das von der südlichen herstammt und sich auf Luzifer bezog. Beide Haltungen sind aber durch die Entwicklung überholt.
   Das luziferische Böse, dem wir die Geburt unseres Ichbewußtseins und unserer Freiheit verdanken, braucht nicht mehr gemieden zu werden, kann es auch nicht, da wir seine Frucht alle in uns tragen und uns dieser nicht mehr entäußern können, ohne uns dem Gang der Entwicklung entgegenzustellen. Wir brauchen es aber auch deshalb nicht mehr zu meiden, weil wir durch das Golgatha-Ereignis die Möglichkeit erlangt haben, unsere Ichheit und unsere Freiheit, soweit sie noch selbstsüchtig-egoistisch sind, zu läutern und zu verwandeln. Heute besteht die eine moralische Hauptaufgabe des Menschen darin, sein Ich, sein Selbst durch entsprechende Läuterung und Wandlung über die Sphäre des bloß Persönlichen hinaus zu erweitern und (wie im Kapitel über die drei Sphären der moralischen Verantwortung geschildert) in seine Interessen und seine Verantwortung die Belange der ganzen Menschheit, ja der Erde aufzunehmen. (Insofern ist die in der Einleitung wiedergegebene Charakteristik Alfred Webers vom Wesen des Guten und des Bösen durchaus zutreffend). Soweit der Mensch das vermag, ist er - nach der Darstellung Rudolf Steiners - in der Lage, luziferische Mächte selbst von dem zu "erlösen", was sie zu "bösen" macht. Dann werden gerade sie es, die ihm beim Aufschwung zum Geiste, beim Ergreifen höherer Erkenntnisse (S190) hilfreich zur Seite stehen. Durch Christus wird, was Luzifer in der Menschheit begonnen, im rechten Sinne weitergeführt und geheiligt: die Freiheit, die einst das Böse war, wird jetzt selbst das Gute. In der Fähigkeit der "moralischen Phantasie", in der sie sich nun äußert, wirkt als ihr Inspirator der erlöste Luzifer. Wir sehen hier vom kosmischen Aspekte her, was wir früher vom menschlichen her darstellten. Eine ältere Zeit kleidete dieses Geheimnis in die Worte "Christus verus Luciferus".
   Das ahrimanische Böse aber zu bekämpfen, hat heute seinen Sinn verloren. Denn wie früher im Zeichen Luzifers, so steht heute die Menschheitskultur nun einmal im Zeichen Ahrimans. Auch er ist, wie früher schon bemerkt, noch nicht ein absolutes, sondern nur ein relativ Böses. Das heißt: auch er hat seine positive Mission. Wir haben oben geschildert, wie seiner Wirksamkeit alles zu verdanken ist, was als moderne Naturwissenschaft, Technik und Wirtschaft sich entwickelt hat. Ohne diese vermöchte die Menschheit weiterhin nicht mehr zu existieren. Es kann sich also nicht darum handeln, sie bekämpfen oder gar abschaffen zu wollen. Die Aufgabe kann nur darin liegen, den schädlich-gefährlichen Wirkungen, die von dieser Dreiheit ausgehen, ausgleichende Gegengewichte entgegenzustellen. Solche können aber nur von einer Geisteserkenntnis geschaffen werden, welche das Positive, das in den Errungenschaften unserer heutigen Zivilisation liegt, als Kraft-Element auch in sich trägt. Und so gestaltet sich nach dieser Seite hin zur andern moralischen Hauptaufgabe heute diese, den Kräften des Todes, welche die moderne Zivilisation durchwirken, immerfort jenes unvergängliche geistige Leben abzuringen, aus dessen Quellen heraus er dereinst auch für das äußere Dasein wird überwunden werden können.
   Das Grundmotiv, auf das hier noch hingewiesen werden sollte, ist also dasjenige, was die Tiefenpsychologie als das "Annehmen und Integrieren des Bösen" bezeichnet. Es wurde ebenfalls, vom Gesichtspunkt der menschlichen Freiheitsentwicklung aus, an früherer Stelle schon geltend gemacht und sollte hier nur ergänzend auch vom Aspekte der kosmischen Mächte aus noch hervorgehoben werden. Es gilt heute, zu erkennen, daß diese, insofern sie die "bösen" sind, nicht geflohen oder bekämpft, sondern in ihrer auch positiven Funktion bejaht und, insoweit sie als böse wirken, verwandelt werden sollen. Damit wächst der Mensch über seine bloß menschliche Beurteilung derselben hinaus und allmählich in neuer Art in eine kosmische Schau ihres Wesens hinein, wie er ja selbst auch in die Zukunft hinein aus einem bloß irdischen zu einem dem ganzen Kosmos angehörigen Wesen sich entwickeln soll.

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