Das individuelle Prinzip im Sozialen + Anthroposophie
siehe dazu auch Beckh: Kosmische Rhythmus
(Fortsetzung von Kap.2)
Damit verbunden ist die Emanzipation in allen Bereichen. Demokratisierung bedeutet Emanzipation von Theokratie und Aristokratie trotz der Gefährdung durch eventuell nachfolgende Diktaturen (5.1 Anmerkungen). Vom Staat wiederum emanzipiert sich der Bürger, die Frau vom Mann (dieser hoffentlich vom Macho in sich), das Kind emanzipiert sich früh von Eltern und Lehrern, der Patient vom Arzt, der Arbeiter vom Arbeitgeber, die Seele vom Seelsorger. Die kollektiven Gestaltungskräfte schrumpfen und die Entwicklung der repräsentativen Verbände ist rückläufig: Kirche und Kultur, Parteien und Gewerkschaften haben immer weniger Mitglieder und repräsentieren so nur noch einen kleinen Querschnitt der Bevölkerung, dies aber bei gleichbleibendem Anspruch auf gesamtgesellschaftliche Gestaltungskompetenz (5.2aAnmerkungen). Die Trägheit der Masse in der soziologischen Entwicklung scheint dies zu bedingen, wo doch allen das Bestreben eignen müßte, ihre Klientel von sich unabhängig zu machen, wie dies auch das Anliegen von Lehrer und Arzt ist. Daß der Staat dazu da sei, sich überflüssig zu machen und daß ihm Grenzen gezogen werden müssen, war schon die Einstellung eines J.G.Fichtes und W.v.Humboldts (5.2b Anmerkungen). Das Gegenteil ist aber der Fall. In der Kultur kann weiterhin nicht unabhängig geforscht und gelehrt werden, denn die Staatshoheit und die Wirtschaftslobby mischen maßgeblich
mit. In der repräsentativen Demokratie geht die Macht nicht wirklich vom Volke aus. Die Arbeitskraft kann nicht, vom Warencharakter befreit, auf gleicher Augenhöhe im Arbeitsvertrag behandelt werden, sie muß wie eine Ware verhandelt und verkauft werden und versklavt damit ihren Träger. So verhindern retardierende kollektive Strukturen, daß das individuelle Prinzip in seine Rechte tritt. Durch den ungegliederten Filz werden organische Gliederungen unmöglich und Finanz- und Wirtschaftsvolumen sind zu einem erdrückenden Geschwür angewachsen. Gleichwohl ist die individuelle Kraft und Kompetenz gewachsen und macht sich bei geistig unabhängigen Menschen geltend, auch in den neuen Nicht-Regierungs-Organisationen der Zivilgesellschaft. Diesen obliegt von Neuem die Aufgabe der Einheit in der Vielfalt (5.3 Anmerkungen). Man lässt sie machen, denn so sind die ungelösten makrosozialen Probleme auf die mesosoziale Ebene verschoben und die große Politik hat ein Alibi für ihre Untätigkeit. Gesamtgesellschaftlich bleiben die NGO’s auf diese Weise aber eher unwirksam und die soziale Entwicklung muß in ihnen im Kleinen wieder von vorne durchgemacht werden. Sie haben höchstens als begrenzte Modellfälle eine Bedeutung, wenn nicht Demokratie direktere Formen finden und annehmen wird (5.4 Anmerkungen). Denn makrosozial wird weitergemacht wie bisher und der Satz von Adorno gilt:
„Es gibt kein richtiges Leben im falschen. Nicht der Fehler im Einzelnen, das falsche Ganze ist das Problem“ (Adorno,5.5a Anmerkungen)
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Hochfliegender Idealismus, der sich einbildet, die sozialen Probleme in einem Betrieb des Geistes- oder Wirtschaftslebens lösen zu können, stößt in der Realität hart auf. Denn das Subjekt des Mikrosozialen, das Individuum begegnet auf der mesosozialen Ebene in den NGO‘s wiederum neuen Gruppenzwängen, nur häufig kaschiert, weil man Zwänge ja gerade abschaffen wollte. Auch hier wird Freiheit meist höherbewertet als Verbindlichkeit - man ist so frei (oder überlastet) - und delegiert letztere. Und beides wiederum wird infolge materialistischer Denkzwänge deformiert. Hier der Determinismus, der Freiheit theoretisch nicht zulassen kann, dort der Sozialdarwinismus, dem praktisch die Ellbogen wichtiger sind als soziale Verbindlichkeit. So drehen sich die Kräfte im Kreis und verlaufen im Sand oder blockieren sich gegenseitig, die konstruktiven Energien verpuffen dabei in einem Klima des Sozialneids: Kontrolle ist besser als Vertrauen! (s.a. nach Kap.2b das Zitat von H.E.Lauer)
Im betrieblichen Arbeitsablauf wirkt Freiheit des Individuums tatsächlich wie Sand im Getriebe, besonders wenn im Management nicht Wert auf kollegiale Vorzeichen gelegt wird. Dann greifen Trotzhaltungen und Kriechertum gleichermaßen um sich. Ein Arbeitsvertrag kann aber auch nicht das Verfügungsrecht über die ganze Person meinen, sondern nur Vereinbarungen, die gegenseitiger Natur sein müssen. Sonst liegen sektiererische oder ausbeuterische Verhältnisse vor. Fatal wird es, wenn eine freiheitliche Struktur vorgespiegelt wird, in der Realität aber die Sachautorität durchgreifend wirkt: Freiheit durch Einsicht. Das klingt wie Kraft durch Freude, es ist aber die Faust aufs Auge und es kann bestens Gleichschaltung betrieben werden.
Die Emanzipation des Individuums durch die moderne Bewußtseinsentwicklung hat als Kehrseite den unvermeidlich antisozialen Aspekt, der sich in der Sozialen Frage ausdrückt. Gerade deswegen ergibt sich die Notwendigkeit, historisch aber auch erstmals die Möglichkeit, gliedernd selbständige Räume für Sozialität einerseits und Individualität andererseits zu schaffen. Reale Freiräume für die Individualität, für den Einzelmenschen kann erst eine makrosoziale Auseinandergliederung der verfilzten Verhältnisse schaffen, alles andere ist Augenwischerei. Die sozialen Mikro-Meso-Makroebenen müssen organisch gegliedert und koordiniert werden. Und erst im Kulturellen kann und soll die Individualität mit ihren Neigungen und Begabungen frei wirken, denn im Wirtschaftlichen und Rechtlichen gelten andere Gesetze. Es ist menschenwürdiger, wenn in einem betrieblichen Zusammenhang klare Verhältnisse herrschen, auch wenn es dann einen Chef und Hierarchien geben sollte - immer noch besser als illusionäre Strukturen, die schließlich nur zur Enttäuschung und Desorientierung führen!
Es darf nicht vergessen werden, daß 'Gemeinnutz geht vor Eigennutz' auch eine Naziparole war. Soziale Impulse sind im Emanzipations-Zeitalter hoch gefährdet. Wer von den Impulsen der Individualität von vornherein soziale Tragfähigkeit erwartet, gerät unvermerkt in bedenkliche geistige Nachbarschaft (5.5b Anmerkungen).
Selbstverwaltung läßt sich auch nicht von oben herab proklamieren, sie setzt Fähigkeiten der Mitarbeiter voraus, die entwickelt sein müssen. Die Berufung auf die Bewußtseinsverfassung des Zeitalter scheint schlüssig, wird aber zum Druckmittel, wenn beim Newcomer die neuen Fähigkeiten einfach vorausgesetzt werden: Man will ja dazugehören, weiß aber noch nicht genau, wozu eigentlich. Agieren dann noch Menschen in dieser proklamierten Selbstverwaltung, die als soziale Schauspieler vor allem die Technik der taktischen Manipulation ihrer Mitarbeiter gut beherrschen, dann verwischt sich die Praxis der theoretischen Ideale mit alten autoritär-hierarchischen Gepflogenheiten. Denn der Newcomer mit seinen eingestandenen Unzulänglichkeiten ordnet sich zwangsläufig eher unter, und allzuleicht läßt er sich in seiner Menschenwürde unvermerkt beschneiden. Die neuen Fähigkeiten müssen klar definiert werden, sie bestehen nicht bloß aus Wollen und Dürfen, sondern aus Können (s.a.1.13). Die sogenannten Nebenübungen, die Rudolf Steiner als Voraussetzung für vieles nennt, werden hier zu Hauptübungen,denn es dreht sich bei ihnen nicht nur um Fähigkeiten der Selbstkontrolle und Selbstbeherrschung, sondern auch um soziale Fähigkeiten, denen die zweite Hälfte der Übungen dient (s.a.1.2 Anmerkungen). Diese müssen geübt werden, auch wenn mancher damit begabt sein sollte. Und das braucht mehr Zeit, als mancher Sozialgestalter dafür vielleicht einräumen möchte. Auch die 'Philosophie der Freiheit', die gerne als Grundlage und Voraussetzung der Mitarbeit in anthroposophischen Einrichtungen genannt wird, gliedert sich in zwei Teile, deren erster den Binnenbereich der Seele betrifft - die Kontemplation - und im zweiten Teil das soziale Handeln - die Vita aktiva - zum Gegenstand hat (5.5c Anmerkungen). Und jeder Mensch hat ein anderes Tempo und einen anderen Tiefgang. Gerade das bewußte Angehen von Aufgaben stellt oft vor Schwierigkeiten, die gar nicht erst auftauchen, wenn statt aus dem Kopf aus dem Bauch gehandelt wird. Bei letzterem werden die Hürden instinktiv genommen. Alles Neue ist aber erst einmal unbekannt und verunsichert, solange es nicht wirklich deutlich geworden ist (5.6 Anmerkungen). "Die Alternativszene hat bei aller Innovationsfreudigkeit viel Psychodramatik in Szene gesetzt" (5.7Anmerkungen). "Wir haben keinen Chef"- heißt für den verkappten Chef soviel wie: "Ich habe keine Verantwortung". Manchem Organisationsentwickler ist wohl das cäsarische Divide et impera in den Kopf gestiegen! Da werden Foren gegründet, aber auch da gibt es das Zuckerbrot und die Peitsche. Die proklamierte Selbstverwaltung klingt avantgardistisch, ist aber eine verkappte Verantwortungslosigkeit, wohlklingende Satzungen beschönigen dabei nur die Praxis. Wer den Wissens-, Alters- und Knowhow-Vorsprung hat, aber die verantwortliche Chefrolle - aus welchen Gründen auch immer - umgehen will, umgibt sich mit sozial Lernenden, die im Problemfall poblemlos entsorgt werden können. Ganz bedenklich muß erscheinen, wenn ein Ausbildungsvertrag geschlossen wird, die reale Arbeitszeit um 16h beginnt und um 24h endet, und trotzdem die volle Verfügung über eine solcherart verwendete Arbeitskraft verlangt wird. Oder wenn innerbetriebliche 'Fortbildungen' nur zu Machtkämpfen der Verantwortlichen führen, die aber auf dem Rücken der Auszubildenden geschehen, deren Vertrauen schließlich in alle Richtungen zerstört wird. Die schließliche Ausstoßung der in der Folge benötigten Sündenböcke ist das Gegenbild eines Sakramentes. Und was ist davon zu halten, wenn zum Abschied gesagt wird, "daß man immer und überall aufgefunden werden wird"?
Die Entsendung in einen anderen sozialen Zusammenhang, um dort eine gestellte oder frei gewählte Aufgabe zu übernehmen, ist nach Dieter Brüll die Konfirmation in urielischer Betrachtung (5.8a Anmerkungen). Ausstoßung versus Aussendung und das mit Esoterikspielerei verquickt! "...Die urielisch-soziale Gebärde ist ganz praxisbezogen: Wie steht man aus dem urielischen Impuls heraus dem anderen Menschen gegenüber, sowohl auf persönlicher Ebene als auch in einer Institution? Dabei geht es um eine Art Lebensschule: den Anderen nie zum Objekt zu erniedrigen, ihn nie 'höheren Interessen' zu opfern. Das urielische Ideal ist, den Andern nicht anders haben zu wollen, als er ist beziehungsweise sein will". Und: "Mit Ausnahme von Heiligen verträgt es niemand, in seinem Eigensein kritisiert zu werden - obwohl es natürlich Menschen gibt, die ihr Beleidigtsein zu tarnen oder zu ideologisieren wissen. Meist unbewußt, aber darum nicht weniger existentiell, erlebt man an einer Kritik an seiner Person, daß man nicht als Individualität, sondern als Objekt betrachtet wird, als Ding, das man ändern kann wie ein nicht gut in der Hand liegendes Instrument. Steiner nannte gelegentlich derartige Kritik die moderne Art der Folter. Wir wissen, daß sie bis zum sozialen Mord führen kann. Das Gespräch, nach Goethe erquickender als Licht, wird bis zum Schwarzmagischen hin mißbraucht. Das wundervolle sogenannte therapeutische Gespräch zum Beispiel, das als Heilmittel benutzt, davon ausgeht, daß jeder sucht, wieviel Schuld an gewissen Schwierigkeiten bei ihm liegt, wird in sein schwarzmagisches Gegenbild verwandelt, wenn die Anwesenden sich einen Sündenbock suchen, dem sie alle Schuld zuschieben..." Dieter Brülls Herzensanliegen ist ein sozialer Sakramentalismus. Gleichzeitig sind bei ihm Hinweise zu finden, wie eine wahrhafte soziale Entwicklung in die Zukunft zu gestalten ist (5.8b Anmerkungen).
Insgesamt ergibt sich eine Polarität der Stile: In Arbeitsgemeinschaften, wo es um ein sachliches Ergebnis oder um Profit geht, herrscht ein anderer Geist als dort, wo es um Kultur gehen soll und Wissenschaft betrieben wird. Dazwischen stehen all die Zusammenschlüsse, die rein zwischenmenschlichen Bedürfnissen dienen. Zu der Gegensätzlichkeit der ersteren wird sich im 9. Abschnitt manche Einsicht ergeben, dem soll hier nicht in kurzgeschürzten Betrachtungen vorgegriffen werden (5.9 Anmerkungen).
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Die Umkehrung der Verhältnisse, Individuum und Kollektiv
Bertold Brecht "Lied von der Moldau": "...Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine..."
Johannes der Täufer - Joh.3.3: "...Er muß wachsen - ich aber muß abnehmen..."
Das Jahr 0 ist der Symmetriepunkt der Geschichte, die Verhältnisse kehren sich da um. Zwei Strömungen überkreuzen sich: die kollektive, aus der Vorzeit kommend, und die individuelle, aus der Zukunft wirkend (6.0 Anmerkungen). Die eine absteigend im Zeichen des Gesetzes und der Gebote, die andere aufsteigend im Zeichen der Freiheit und Liebe, wobei Gesetze keineswegs negiert werden (Soziologisches GG s.1a + 7.10 Anmerkungen). Die abendländische Entwicklung der inneren Gewissensstimme führt heute zu Gewissensbissen nicht nur, wenn Böses getan wird, sondern auch, wenn das Gute unterlassen wird - die griechischen Erinnyen sind längst verinnerlicht (LIII,S58). Die geistige Potenz bzw. die Summe der Kräfte ist dabei zu allen Zeiten dieselbe, nur unterschiedlich auf Individuum und Kollektiv verteilt. Die sozialgestalterischen Kräfte werden immer weniger aus einem Kollektiv kommen, sondern vom Individuum ausgehen. Nicht umsonst gewinnen einzelne verantwortungsbewußte Menschen, auch durch Verleihung von Preisen, immer mehr gesellschaftliche Bedeutung. Geistiges, individuell wirkend, hat Ziele im Auge und geht damit auf die Zukunft zu und bestimmt das Geschehen vom angestrebten Ergebnis her. Die Willensprägung ist das Kennzeichen des Zukunftsstromes, daher kommt auch die mit der Neuzeit beginnende Prädominanz des Willens vor dem Erkennen (LIS108). Der Wille führt in die Zukunft, auch über den Tod hinaus, denn Taten wirken weiter. Das nennt der Inder Karma. Natürlich stellt auch das aus der Vergangenheit Resultierende Karma dar, es kann jetzt aber Gegenstand der Reflexion werden. Zukunft dagegen kann nur gewollt werden, und weil sie ja noch nicht geschehen ist, kann sie nur Gegenstand von Ahnung, Vorsatz und Entschluß sein. So kann nur der Wille die Welt heute vorwärtsbringen (6.1a), wobei aber nicht übersehen werden darf, daß es auch den Willen im Denken gibt! Sonst kann der Wille zur puren Gschaftlhuberei führen, auch wenn diese sich in esoterischer Manier michaelisch nennt.
Die 7 Siegel, die Rudolf Steiner als Symbole für die planetarische Entwicklung entworfen hat, können im Zeichen dieser Involution und Evolution gesehen werden. Dabei wird das Ineinandergreifen von Makrokosmos und Mikrokosmos deutlich, bzw. die Durchdringung von Äußerem und Innerem. Beim 5., dem Merkursiegel kommt zusätzlich die Überkreuzung von Vergangenheit und Zukunft in betracht, es markiert unsere Erdenstufe, in der die Entwicklung des menschlichen Selbstbewußtseins im Mittelpunkt steht. Im ersten Bau des Goetheanum in Dornach/Schweiz hat Rudolf Steiner den in Holz plastisch gestalteten Architrav (über den Säulen verlaufender Horizontalbalken) im Saal so gestaltet, daß ein Kräftestrom symbolisiert wurde, der über der 5., der Merkursäule endet. Auch im Zuschauerraum (rechts) - ist diese Begegnung des Vergangenheitsstroms (links)mit dem Zukunftsstrom(von rechts) dargestellt.
Daniel van Bemmelen: Rudolf Steiners farbige Gestaltung des Goetheanum:
Aus dem vorstehenden Bild geht hervor, daß der Sechsstern sich auch in der anthroposophischen Farbenlehre findet, hier im Zusammenhang mit den 7 Farben und 4 Farbcharakteren
Die planetarische Entwicklung kommt auch zum Ausdruck in den Kapitälen (obere Gestaltung der Säulen). Dazu ist im Anhang IV ein Beitrag von Arnold Zeidler zu finden, Er bringt in konzentrierter und wesentlicher Form diese Kapitäle zum Sprechen. (6.1b Anmerkungen)
Die Gestaltprinzipien werden auch in den Planetensiegeln gezeigt, die Zustände von Saturn, Sonne, Mond, Mars, Merkur, Jupiter und Venus symbolisierend (6.1c Anmerkungen):
Faust als Repräsentant der Neuzeit sucht nach einer Bewußtseinserweiterung im kosmischen Maßstab und vertieft sich in seiner Studierstube in das Hexagramm, das Zeichen des Makrokosmos:
"..wie Himmelskräfte auf- und niedersteigen und sich die goldenen Eimer reichen..." Aber er kommt in diesem Streben nicht weiter - "welch Schauspiel, aber ach, ein Schauspiel nur" - und wendet sich stattdessen dem Zeichen des Erdgeistes zu, dem Pentagramm (6.1d). Für Mephistopheles wird in der Folge der 'Drudenfuß', den Faust auf die Schwelle legt, zum Hindernis, weil er an einem geschlossenen Pentagramm nicht vorbeikommt. Dazu läßt er eine Ratte die Spitze annagen und kann dann hinaus (Beim Hineinkommen war eine Spitze nach außen schon offen.'Da das Pentagramm auch als Symbol für den Menschen gesehen wird, kann vermutet werden, daß er zu einer 'geschlossenen' Persönlichkeit keinen Zugang hat. Faust hat ihn dort hingelegt, wohl wissend, daß damit Mephistopheles die Studierstube nicht mehr verlassen kann. Mit der Hinwendung zum Erdgeist ist aber auch der Bereich mephistophelischer Wirksamkeit betreten:"...Daß ich erkenne, was die Welt im Innersten zusammenhält..." ist das grundsätzliche Anliegen des Menschen in der Neuzeit. Die Suche blendet meist den Geist aus und ist heute bei der Entschlüsselung des Lebens durch die Untersuchung von Genen angelangt. Die mehr oder weniger verdrängte Auseinandersetzung mit dem Bösen ist damit im Bereich des Lebens angekommen. In diesem Bereich der Ätherkräfte ist das Wirken des Erzengel Michaels, des Drachenkämpfers zu finden, auch es steht im Zeichen des Pentagramms. Darüber mehr im Folgenden (Kap.6a, 6.1e Anmerkungen).
Der aus Erkenntnis Handelnde ist das Ziel der Entwicklung! (6.2 Anmerkungen). Und zu solcher Erkenntnis gehört im Zeitalter der Globalisierung mehr als der Einblick in begrenzte Verhältnisse. Insgesamt nimmt die Dominanz der kollektiven Kräfte gegenüber dem Wirken der Individualität ab, wobei die erwähnte Trägheit der Masse wirkt. Die Gesamtheit der Kräfte bleibt aber konstant, wie schon bemerkt und metamorphosiert sich in individuelle Geistigkeit, die das völkische Empfinden ablöst und umgekehrt dem Individuum kosmopolitische Dimensionen erschließt. Die Denkgesetze gelten für alle Menschen gleichermaßen, aber denken kann immer nur der einzelne Mensch. Der Ghostwriter z.B. nimmt dem Politiker diese Anstrengung ab, wenn dieser auch das Ergebnis vorgibt. Es kommt so aber auch keine freie und unabhängige geistige Betätigung zustande! Kreativität braucht Freiheit, sonst entsteht nichts Neues und es wird nur Altes weiter zelebriert! In dem Todespunkt der kollektiven Geschichte ist die eigentliche Geburt der Individualität, des Ich zu suchen, das auch die Initiale für den Namen Jesus Christus darstellt. „Siehe, ICH mache alles neu“, und „ICH aber sage euch“ sind Chiffren, die heute neu und ganz sachlich gelesen werden können. Man könnte auch sagen, die Individualisierung hat höchsten Beistand (6.6). Das nennt Steiner die Zeitenwende, die durch den Menschheitsrepräsentanten, der das polarische Böse konfrontiert, bewirkt ist (6.7 Anmerkungen). Ratzinger sieht das so: "In der Auferstehung geschah ein ontologischer, das Sein als solches berührender Sprung". Man wird fragen dürfen, wohin denn gesprungen wird, sonst hüpfen wir nur höchst gefühlvoll von einem Bein aufs andere! (6.8). Auf dem Kreuzigungsbild von Grünewalds Isenheimer Altar ist der Sprung im historischen Geschehen personifiziert, indem der kraftvolle Johannes der Täufer auf den Gekreuzigten hinweist:
"Er muß wachsen, ich aber muß abnehmen"
Auch für diesen Zusammenhang kann der Sechsstern als Bild stehen:
Sechsstern = Symbol für das Zusammenwirken von Christus und dem Täufer, für den 'Neuen' und 'Alten' Adam. Das Rosenkreuz stellt dieses Überwachsen des alten Adams durch den neuen Adam in den Mittelpunkt.
Dieter Brüll weist auf die Verbindung Johannes des Täufers mit dem Erzengel Uriel. Wie der Erzengel Michael der Hüter der Reinheit des geistigen Horizonts ist, ist die Hüterschaft Uriels im sozialen Leben zu suchen, aber hauptsächlich in zukünftigen Entwicklungen. Hier kommt ein realer Opferwille zum Tragen, zu dem Johannes der Täufer schon in der Lage war (6.9b Anmerkungen). Der alte Dionysos hat ausgedient, sprich Selbstverwirklichung und Erhaltung alter Strukturen um ihrer selbst willen. Apollo dagegen stellt sich nicht in den Vordergrund, er wirkt hintergründig: "Dienend hüten wir dem Lichte himmlischer Weltgeschichte "lautet ein Lied der Gralsritter. Deren zwölf gruppieren sich wie Vertreter der Tierkreisordnung um den Dreizehnten, der den Sonnenmittelpunkt repräsentiert. Es gibt immer Individuen, die das Ganze, wie Christus inmitten der zwölf Apostel, repräsentieren, deswegen spricht Rudolf Steiner vom Menschheitsrepräsentanten, dem nachzustreben Sache einer langen Entwicklung ist. Ein solcher Repräsentant ist aber nicht mehr unter den weltlichen Königen zu suchen. Das Verhältnis Johannes des Täufers zu Herodes ist bekannt. Dieser hat Angst vor dem Neuen, empfindet es als Konkurrenz und will sein Wachstum verhindern und in seiner menschlichen Repräsentanz aus der Welt schaffen. Er ist das gerade Gegenbild zu Johannes dem Täufer, der Platz schafft für das Neue und selber zurücktritt, was er mit obiger Aussage ankündigt. Da gibt es dann auch immer eine Salome und Herodias, deren Schmähung den Kopf kosten kann. Es ist eine Hieroglyphe der schwarzen Magie: Die Schale mit dem Kopf Johannes des Täufers in der Hand der Salome - das gerade Gegenbild der Heiligen Gralsschale, die die Kommunion (Begegnung) mit dem Christus vermitteln will. Diese soll verhindert werden. Und die alten Könige, für die Herodes als Repräsentant steht, erweisen sich letztlich als haltlos und wahnsinnig. Denn sie wähnen sich reich und mächtig und haben nur noch virtuelles Kapital ohne Deckung, auch wenn sie sich persönlich mit Goldbarren eindecken. Dem gesellschaftlichen Reichtum fehlt buchstäblich die Golddeckung wie schließlich dem gemischten König in Goethes'Märchen'. Dabei blähen sich immer riesigere Reichtums-Blasen auf, die wunderschön glänzen. Und wenn sie platzen, steht die Menschheit in der globalisierten Welt da wie der begossene Pudel. Daß er sich schüttelt, darauf muß man noch warten. Dann dürfte Herrchen selber naß werden, so wie die Herren Ali, Mubarak und Ghaddafi.
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