Man versteht die alchimistischen Symbole der Rosenkreuzer erst ihrem inneren Wesen nach, wenn man die Richtung dieses Weges ins Auge faßt: Selbsterkenntnis sollte nicht mehr wie auf dem mystischen Wege durch ein Untertauchen in die eigenen Seelengründe erstrebt werden - die >communio mystica<-, sondern durch eine umfassende Welterkenntnis. Da der Mensch als Mikrokosmos ein Spiegelbild des Makrokosmos ist, kann er sein eigenes Wesen im Weltall wiederfinden. Daher haben die meisten Symbole der Alchimisten eine Verwandtschaft mit der Natur. Sollte doch durch die Alchimie (woraus unser heutiger Begriff für die Chemie hervorgegangen ist) jener geheimnisvolle Umwandlungsprozeß bewirkt werden, der unedle Metalle in Gold verwandeln kann, als Gleichnis für die innere Umwandlung und Läuterung der Seele, die dadurch zum Gold der Weisheit ihres Ursprungs wieder zurückkehrt. Auch hier war der äußere Prozeß ein Sinnbild für den inneren, der dadurch eingeleitet wurde.
Wie wir im ersten Kapitel bereits dargestellt haben, tragen viele der alchimistischen Symbole einen Zeichencharakter; sie stehen also an der Grenze vom bildhaften Erleben zum begrifflichen Denken. In den Zeichen aber, die bestimmte geometrische Figuren darstellen, können architektonische Richtungskräfte erlebt werden, die der Menschheitsentwicklung zugrunde liegen (siehe das Kapitel Kreuz und Schlange). Man muß sich nur in die Dynamik dieser geometrischen Figuren einfühlen, um sie als Schlüssel für Weltenkräfte zu erleben. (In seinem Buch >Die ätherischen Bildekräfte< hat Dr.Günther Wachsmuth diese architektonischen Kräfte, wie sie den vier Ätherarten ihr Gepräge geben, ebenfalls in gewissen Zeichen wiedergegeben, die eine Verwandtschaft zu den alchimistischen Symbolen verraten).
Wenn der Mensch die Zeichen für die vier Aggregatzustände der Elemente heute liest, wird er damit nicht viel beginnen können:
Die vier Stufen des alchimistischen Prozesses, Erde, Wasser, Luft und Feuer (Jung: Psychologie und Alchimie, Rascher Verlag Zürich, S317
Zunächst erlebte man in dem Dreieck mit der Spitze nach unten die weisheitsvollen Weltenkräfte, die vom Kosmos hereinwirken und sich im Laufe der Weltentwicklung bis zum irdichen und wässerigen Element verdichtet haben, während das Dreieck mit der Spitze nach oben auf die Ätherisation der verdichteten Kräfte durch die Arbeit des Menschen deutet. In dieser Beziehung ist die Erde das Symbol des Urstofflichen und die Grundlage aller körperlichen Erscheinungen. Das Wasser als Bindeglied zwischen Geist und Stoff offenbart zugleich das Wesen der ätherischen Bildekräfte, während die Luft den Repräsentanten des räumlichen Kosmos darstellt. Das Feuer repräsentiert das Reich des Geistes, das allem zugrunde liegt. In dieser Anschauung klingt noch die alte Mysterienweisheit nach, wie sie Rudolf Steiner in neuer Form in seinen Vorträgen über >Die Evolution vom Gesichtspunkt des Wahrhaftigen< dargestellt hat, nach welcher Erde, Wasser, Luft und Feuer die Hüllen göttlich-geistiger Wesen sind, die sich in den vier Äonen als kosmische Stufen der Weltentwicklung aussprechen. So erlebte man im Feuerelement das Opfer der Götter, das der Weltschöpfung im Urbeginne zugrunde liegt.
Das war das Ziel der Rosenkreuzerweisheit: eine vergeistigte Naturerkenntnis zu suchen, in welcher der Mensch als >Erstling der Schöpfung< seine zentrale Stellung findet. Aus solcher Weisheit wurden der Zusammenhang und die Beziehung zwischen den Planetenkräften, den Bäumen, Metallen und den einzelnen Wochentagen erkannt, die die Himmelsfenster für die sieben Planeten bilden:
Was ist hiermit ausgesprochen? Nicht mehr und nicht weniger, als daß der geistige Weltengrund nicht im Sinne moderner naturwissenschaftlicher Vorstellungen ein atomistischer ist, der aus kleinsten materiellen Partikeln besteht, sondern ein urbildhafter, der den geistigen Plan des Weltenbaumeisters in jedem Wesensteil in sich trägt! Da der Weltenschöpfer kein Schulmeister oder Professor ist, sondern ein Künstlergenius, der nach künstlerischen Leitmotiven und Urbildern die Welt erschaffte, so erfassen wir in den Symbolen als Abbilder der schaffenden Urkräfte das Wesen der Welt viel intimer als durch abstrakte Gedanken und begriffliche Hypothesen. Das war die Überzeugung der rosenkreuzerischen Naturforscher.