Anthroposophie        =           Dreigliederung

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Die Bestimmung des Menschen

Einiges über die Rosenkreuzersymbolik

  Es gibt eine Legende, welche die Bestimmung des Menschen ausspricht. Als Gott den Menschen geschaffen hatte, fragten die Engel den Schöpfer, warum er ihn erschaffen habe. Darauf gab der Herr den Engeln den Auftrag, allen Wesen, der er geschaffen hatte, ihren Namen zu geben. Aber die Engel vermochten es nicht. Da rief er Adam herbei und stellte ihm die gleiche Aufgabe. Und siehe, Adam gab jedem Wesen seinen Namen, und Gott bestätigte sie, daß es die richtigen waren. In dieser Legende offenbart sich die geistige Bestimmung des Menschen. Es ist die Erkenntnis. Der Mensch ist das einzige Wesen, das Himmel und Erde miteinander verbindet. Was die höheren Wesen, die über ihm stehen, nicht vermögen, das vermag der Mensch kraft des ihm verliehenen Denkens. Damit hängt sein Name zusammen; denn das Wort Mensch ist mit dem Sanskritwort Manas verwandt und bedeutet so viel wie >der Denkende<. Das Denken verbindet die irdische Erscheinungswelt mit der geistigen Welt der Urbilder, die in ihm aufleuchten, so daß er jedem irdischen Ding den ihm zukommenden Namen geben kann. So ist die Erde die Stätte der Erkenntnis. Sie hat nicht nur eine Bedeutung für das irdische Dasein, sondern auch für die übersinnlichen Welten. Was an geistiger Erkenntnisarbeit auf Erden geleistet wird, das leuchtet hinaus in den Kosmos und wird zur Brücke, die das sinnliche Dasein mit dem Übersinnlichen verbindet. Ja wir können sagen: Erst dann leuchtet die Erde als Stern in den Kosmos hinaus, wenn der Mensch seine wahre Aufgabe erfüllt; und erst dann, wenn die Erde leuchtet, ist der Mensch wahrhaft Mensch!

 

>Erst wenn ich  Lichtes denke, leuchtet meine Seele.

Erst wenn meine Seele leuchtet, ist die Erde ein Stern.

Erst wenn die Erde ein Stern ist, bin ich wahrhaft Mensch!<

(Herbert Hahn)

Wer die Erscheinungswelt durchstößt, gelangt zu einem Tempel der Weisheit, der von Sonne und Mond erleuchtet wird, und er findet den Stein der Weisen. Aber es muß der Strebende erst jenen Grad von Wachsamkeit erreichen, daß er den Führer sieht, der ihm den rechten Weg weist (Jung: Psychologie und Alchimie. Rascher Verlag Zürich S271

 

  Was die Menschheit auf Erden sich an Erkenntnissen erringt, das wird zum Baustein für den neuen Kosmos, der sich aus der Arbeit des Menschen heranbilden soll. So ist jede menschliche Erkenntnis eine Sprosse an der Himmelsleiter, die vom vergänglichen Wurm bis zum Seraphim hinaufreicht. Der Mensch kann durch das Licht seiner Erkenntnis das Vergänglich-Sinnenfällige umwandeln und ihm Dauer für die Ewigkeit verleihen.In den höheren Welten herrscht Schaffen, schöpferisches Leben - aber keine Erkenntnis im Sinn der menschlichen Erkenntnisarbeit, die entlegene Gebiete ordnet und zusammenfügt, so daß ein neuer Kosmos sich daraus ergibt. Was die Gottheit als schöpferische Urbilder in die Naturreiche einfließen ließ, das kann der Mensch aus den Dingen wieder herausholen, so wie man Wasser aus einem gefüllten Krug schöpft. Nur weil die Dinge und Wesen diese Urbilder enthalten, kann der Mensch sie im Erkenntnisprozeß herauslösen und sie als Spiegel seiner Erkenntnis der Schöpfung gegenüberstellen. Damit fügt er ein neues Element der Schöpfung hinzu, das ohne den Menschen nicht existierte.

   Dieser Hintergrund erschließt uns erst die tiefere Einsicht in die Bedeutung der Symbole. Der Mensch kann die geistigen Urbilder, die der Schöpfung zugrundeliegen, auf verschiedenen Bewußtseinsstufen erfassen. Im wesentlichen sind es drei Stufen. Die erste geht zurück auf sein mythenbildendes Bewußtsein, das ihn noch mit der Welt verband. Auf der zweiten Stufe erwacht er zum intellektuellen Bewußtsein seines begrifflichen Denkens, das ihn ganz auf sich stellt und ihn von dem Weltengrund emanzipiert. Die dritte Stufe, die von den Rosenkreuzern des Mittelalters vorbereitet wurde, soll das erloschene Bild-Erleben des mythischen Bewußtseins auf höherer Bewußtseinsstufe im Geist des Menschen wieder erstehen lassen.

  Erst von dieser Perspektive versteht man, inwiefern die Sprache der Symbole nicht nur eine willkürliche Schöpfung des Menschen ist, sondern objektive Kräfte der Welt offenbart. Man kann sich berechtigterweise die Frage stellen, was die Welt mit den von Menschen ersonnenen Symbolen zu tun hat? Andererseits sahen wir, wie sich in bestimmten Träumen eine objektive Weisheit kundgibt, durch die sich die Welt im Menscheninneren auszusprechen scheint. Wo ist die Nabelschnur zu suchen, die Ich und Welt miteinander verbindet, so daß sich die Welt in den Menschen fortsetzt und der Mensch in der Welt sein Spiegelbild erkennen kann? -

  Um diese Nabelschnur zu suchen, müssen wir bis zu jenem Zeitpunkt zurückgehen, wo der Mensch noch mit der Weltenmutter verbunden war. Das ist die Stufe des mythischen Bewußtseins. Wir können diesen Punkt, da der Mensch sich von der großen Mutter löst, mit Händen greifen, wenn wir in einer griechischen Denkerpersönlichkeit das Hervorgehen des intellektuellen Bewußtseins aus dem mythischen beobachten. Diese Persönlichkeit ist Pherekydes von Syros. Er stellt die Erde noch unter dem Bild einer >geflügelten Eiche< vor, der Zeus die Oberfläche von Land, Meer und Flüssen in einem Gewebe umlegt. Er empfindet das Seelisch-Geistige in den Dingen, das sich ihm in Bildern darstellt, wie es dem mythenbildenden Bewußtsein des vorhistorischen Menschen entsprach. Rudolf Steiner schildert in seinem Buch >Rätsel der Philosophie< sehr anschaulich an dieser Persönlichkeit das Hervorgehen des philosophischen Gedankens aus dem ehemaligen bildhaften Erleben: >Die Beobachtung der Menschheitsentwicklung führt in eine Zeit zurück, in welcher die gedanklichen Erlebnisse noch nicht geboren waren, in welcher aber im Innern des Menschen das Bild (Sinnbild) auflebte, wie beim späteren Menschen der Gedanke auflebt, wenn er die Weltenvorgänge betrachtet. Das Gedankenleben entsteht für den Menschen in einer bestimmten Zeit; es bringt das vorherige Erleben der Welt in Bildern zum Erlöschen.>

  In Pherekydos von Syros kann jener Abnabelungsprozeß erlebt werden, der das alte Bild-Erleben zum Verlöschen bringt und dafür den selbständigen Gedanken erstehen läßt. >Als das innerlich selbständige Gedanken-Erleben auftrat, brachte es das frühere Bild-Erleben zum Erlöschen. Es trat der Gedanke auf als das Werkzeug der Wahrheit. In ihm lebte aber nur ein Ast des alten Bild-Erlebens fort, das sich im Mythus seinen Ausdruck geschaffen hatte. In einem anderen Ast lebte das erloschene Bild-Erleben weiter, allerdings in abgeblaßter Gestalt, in den Schöpfungen der Phantasie, der Dichtung. - Dichterische Phantasie und gedankliche Weltanschauung sind die beiden Kinder der einen Mutter, des alten Bild-Erlebens, das man aber nicht mit dem dichterischen Erleben verwechseln darf.< Das begriffliche Denken, das den Menschen auf sich selbst gestellt hat, ist wie ein Netz, das nur die groben, an der Oberfläche haftenden Eigenschaften der Dinge nach Maß, Zahl und Gewicht einfangen kann, nicht aber die feineren seelisch-geistigen Qualitäten, die sich dem künstlerischen Erleben oder der Imagination erschließen. Das war das Anliegen der rosenkreuzerischen Alchimisten: Das erloschene Bild-Erleben auf höherer Stufe wieder zu beleben, um die tieferen Geheimnisse der Naturprozesse zu ergründen. Man kann diesen Weg von zwei Seiten betreten: Von der Außenwelt, indem man die in ihr sich offenbarenden Urkräfte als Symbole zu erfassen versucht; durch die Innenwelt, indem man in der Meditation das begriffliche Denken überwindet, das sich in der Imagination zum geistigen Organ für die übersinnliche Welt heranbildet. Beide Wege führen den Menschen zum Urquell der geistigen Welt, die der Erscheinungswelt zugrunde liegt. Deshalb sind die beiden Erkenntnistore, das Symbol und die Imagination, einander wesensverwandt. - Bevor wir auf die Imagination näher eingehen, seien einige Grundsymbole besprochen, in denen sich die Urbilder der Schöpfung aussprechen.